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4.1 Fragen an Wenders

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Äquivalent der Bewegung. Wim Wenders verweist auf das 19. Jahrhundert, und in diesem Hinweis verbirgt sich noch ein Detail. Es betrifft die Formen der Bewegung, sofern sie sich um bestimmte Techniken oder Technologien des Kinos anordnen wird. Sofort ergeben sich hier zwei Probleme, die das "mechanische Zeitalter" (Wenders) betreffen. Zum einen ließe sich in Frage stellen, ob das 19. Jahrhundert tatsächlich nur das "mechanische Zeitalter" war. Jacquards Webstuhl, Babbage's Rechenmaschine – unübersehbar ist, daß die Mechanik keine unüberbrückbare Differenz zur Welt programmierbarer Maschinen einhält, sondern von Anfang an im Horizont ihrer Programmierbarkeit steht. Dies wird nicht der historischen Genauigkeit wegen gesagt, sondern um anzudeuten, daß die Filmkamera bereits im 19. Jahrhundert auf eine medientechnische Ordnung von Bewegung, Bild und Wahrnehmung trifft, aus der sie hervorgeht und die sich auf eine Mechanik im einfachen Sinn keineswegs reduzieren läßt. – Und daran schließt eine zweite Frage an: wie wird es dann um die Probleme von Bewegung und Bild stehen, sobald sie sich in einer Ordnung einer digitalen Programmierbarkeit stellen, die das Mechanische nur noch als angesteuerte Peripherie kennt?

"Wenders" ist der erste Name eines Regisseurs, den Deleuze in Kino 1 erwähnt, und zwar nicht von ungefähr, wo sich der Begriff der Bewegung mit dem des Bildes verbunden hat. Deleuze betont nicht anders als Wenders, daß diese Verbindung auf das Segment des Films nicht zu reduzieren ist. Sie unterstellt "Bewegung" im weitesten Sinn, denn sie hat sich bereits allen Medialitäten des Transports und der Kommunikationen geöffnet, als Dampfkamera etwa. Doch läßt sich die Filmkamera als allgemeines Äquivalent einer Bewegung insofern denken, als sie völlig unterschiedliche Fortbewegungs- und Ausdrucksmittel durchquert, in denen sie wie ein Relais fungiert: "Man könnte sich eine Reihe von Fortbewegungsmitteln (Eisenbahn, Auto, Flugzeug...) und parallel dazu eine Reihe von Ausdrucksmitteln (Graphik, Foto, Film...) vorstellen: die Kamera erschiene dann als eine Art Relais oder besser noch als ein verallgemeinertes Äquivalent der Fortbewegungen. Und so erscheint sie dann auch in den Filmen von Wenders." 34

Wie in einem Relais oder einem allgemeinen Äquivalent würde in dem, was die Kamera als Bewegung aufzeichnet, indem sie selbst Bewegung ist, etwas "Neues" zur Erscheinung kommen. Diese Äquivalenzfunktion erstreckt sich nicht auf Kommunikationen im engen Sinn dieses Begriffs, also auf eine Übermittlung von Bildern und Zeichen. Sie verschaltet diese Kommunikationen mit dem Transport, die Transmission der Zeichen mit jener der Körper und unterläuft insofern und in jeder Weise die Grenzen, die ein bestimmter Cartesianismus zwischen Körper und Denken, Leib und Seele hatte ziehen wollen. Wenige Seiten später scheut sich Deleuze nicht einmal, diese These in traditionellen Begriffen der Metaphysik, wenn nicht gar denen einer Alchemie von Substanzen und Essenzen zu wiederholen. Während das 19. Und 20. Jahrhundert auf allen Gebieten eine technische Mobilisierung durchlaufen, wird die Kamera zum "'allgemeinen Äquivalent' aller Fortbewegungsmittel, die sie zeigt oder deren sie sich bedient (Flugzeug, Auto, Schiff, Fahrrad, Gehen, U-Bahn...). Aus dieser Äquivalenz macht Wenders das Herzstück seiner beiden Filme Im Lauf der Zeit und Alice in den Städten, womit er eine besonders anschauliche Reflexion über den Film in den Film einbringt. Mit anderen Worten, es ist das Eigentümliche des kinematographischen Bewegungs-Bilds, aus Transportmitteln oder Bewegungsträgern die Bewegung, ihre gemeinsame Substanz, oder aus Bewegungen das Bewegtsein, ihre Essenz, herauszulösen." 35


Uploaded Image: pfeil.gif 4.2 Die Bilder, die Geschichten.

  34 Deleuze I, S.17.
35 ebd., S.41.






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