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4.5 Die bleierne Zeit

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Die bleierne Zeit. Hier kündigen sich Fragen an Wim Wenders an. Die Kamera wird sich ihrer Äquivalenz-Funktion nur versichern können, indem sie sich beständig einer a-personalen Wahrnehmungen aussetzt. Sie geht als téchne von Bewegung und Zeit jeder "Subjektivität" des Menschen-Auges voran. Aber sprengt das nicht, um es vorwegzunehmen, auch einen "Autoren-Film", von dem auch Wim Wenders mitunter zu sprechen scheint, wenn er an eine bestimmte "Subjektivität" des Filmemachens appelliert? Kündigt die Erinnerung nicht bereits etwas anderes an: Zeit, die nicht aus der Bewegung abgeleitet werden kann, sondern vielmehr Bewegungen eröffnet? Wie manifestiert sich diese Virtualität in den Filmen Wenders'? Denn was bewahrt sie davor, stillschweigend doch wieder Finalitäten einzuführen – am Ende der Welt?

Damit wird kein Defizit berührt oder "der Finger auf eine Wunde gelegt ". Zumindest wäre sie nicht Wenders' Wunde allein. Wie Deleuze zeigt, stellt der zweite Weltkrieg einen tiefen Einschnitt dar. Er leitet eine Bewegung ein, in der sich die Bilder Hollywoods zur Krise des Aktionsbildes verdichten; er eröffnet im italienischen Neo- Realismus, der französischen nouvelle vague neue Bilder der Zeit. Und er situiert auch den "neuen deutschen Film". "Wenn es eine Gemeinsamkeit des neuen deutschen Films (Wenders, Fassbinder, Schmid, Schroeter oder Schlöndorff) gibt, dann liegt sie, als Resultat des Krieges, ebenfalls hier, nämlich in dem stets variablen Band zwischen diesen Elementen: den auf ihre reine Beschreibungen reduzierten Räumen (verlassene Städte oder Orte, die sich fortwährend selbst zerstören); den unmittelbaren Darstellungen einer bleiernen, nutzlosen und nicht erinnerbaren Zeit, denen sich die Figuren nicht entziehen können; und, von einem Pol zum anderen, den Mächten des Falschen, die an einer Erzählhandlung weben, insofern sie sich innerhalb 'falscher Bewegungen' äußern." 40 Deleuze nennt, was in diesem Milieu entsteht, die "Angst, die deutsche Passion". So zeigt uns Wenders in Falsche Bewegung Reisende, die aus verschiedenen Zeiten und auf verschiedenen Routen aufeinander zukommen, ohne sich wirklich zu treffen. So sehr sie miteinander zu reisen scheinen, so sehr bewegen sie sich aneinander vorbei, wie im Kraftfeld einer nicht-erinnerbaren Zeit, das sie gleichermaßen anzieht wie voneinander abstößt.

Was aber wären dann "richtige Bewegungen"? Oder ist bereits die Frage falsch gestellt? Zumindest scheint jeder Versuch, diesem Kraftfeld einer nicht-erinnerbaren Zeit zu entgehen, vor unüberwindbaren Schwierigkeiten zu stehen. Am Ende von Falsche Bewegung steht Wilhelm kurz davor, den alten Nazi umzubringen, der ihm den Mord an einem Juden gestanden hatte. Wilhelm läßt ihn entkommen, doch als er sich fragt, was ihn daran gehindert hatte, den alten Mann statt dessen erzählen zu lassen, bleibt eine Antwort aus. Denn hätte der alte Mann erzählt, wäre immer nur eine falsche Bewegung herausgekommen. Und deshalb kann die ausgebliebene Antwort nur eine neue Bewegung einleiten. Insofern krümmt das Fehlen der Antwort die Bewegungen der Protagonisten unablässig, hält es die Reisenden ebenso fest, wie ihren Bewegungen jedes Zentrum genommen wird, auf das sie sich beziehen könnten. Sollte sich unter diesen Umständen von "Erzählung" noch sprechen lassen, dann nur so, "daß da jemand erzählt wird und gleichzeitig sich darstellt", wie Wenders sagt 41. In dieser Verdopplung, in diesem zeitlichen Bruch aus Erzählung und Darstellung schreibt sich die Bewegung vor. Nicht nur die Protagonisten sind in einer Flucht begriffen; das ganze Ensemble zerfällt in einer Relativität von Bewegungen, die aus einem verschwundenen Zentrum von Erzählung und Darstellung hervorgehen.



Uploaded Image: pfeil.gif 4.6 Fahren, fahren, fahren...

  40 Deleuze II, S.180f.
41 Wim Wenders: Die Logik der Bilder, ebd., S.22.






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