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5.9 Die Unmotivierte der Semiologie

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Die Unmotivierte der Semiologie. Dazu müssen Begriffe des "Digitalen" allerdings zunächst auch von einer semiologischen Terminologie freigehalten werden, die tatsächlich alles verderben würde. Auch deshalb wohl die Zurückhaltung, die Deleuze an den Tag legt, wo es um das Digitale geht. Sie rührt nicht so sehr aus den historischen Milieus seiner Analyse. Sie reagiert vor allem auf die Gefahr, die darin besteht, mit dem Digitalen erneut den Anziehungskräften einer bestimmten Semiologie zu erliegen.


Tatsächlich vollzieht die Semiologie nämlich immer eine doppelte Operation, wenn sie das Bild reduziert, um es den Gesetzen einer bestimmten Narration zu unterwerfen. Zum einen läßt sie das Zeichen in einer Bedeutung oder in einem "Signifikat" gipfeln, das bei Saussure nicht zufällig "Vorstellungsbild" heißt. Damit weist die Semiologie dem "Bild" einen präzise definierten Platz an: es ist unlösbar mit einer Oberfläche verbunden, die sich als "analog" oder "bildlich" bestimmt. Vor allem aber erscheint das Bild zugleich als bloßer Niederschlag oder als Effekt einer sprachlichen Struktur, die ihm vorausgeht: "Der Film präsentiert sich als Text..." 81 Und deshalb kann die Semiologie im weiteren dazu übergehen, diese Struktur auf das hin zu untersuchen, was den Bildern als "Text" zugrunde liegt. Dabei wird sie, wenn auch unter Mühen, zeigen können, daß die "Signifikanten" – unter der "Oberfläche" eines Signifikats – keineswegs "analog", sondern differentiell, zufällig, arbiträr oder "unmotiviert" sind: zwischen dem Ding "Tisch" und dem Signifikanten "Tisch" besteht schließlich kein natürliches Ableitungsverhältnis. Und von hier aus schließlich läßt sich behaupten, daß die Bilder lediglich Niederschlag einer sprachlichen Struktur sind, die in sich nicht analog, sondern arbiträr oder unmotiviert ist. Genau dies stellt Deleuze fest: "Die Semiologie bedarf also einer doppelten Transformation: auf der einen Seite die Reduktion eines Bildes auf ein analoges Zeichen, das zu einer Aussage gehört; auf der anderen Seite die Codifizierung dieser Zeichen, um die diesen Aussagen zugrunde liegende nicht-analoge Sprachstruktur freizulegen. Alles vollzieht sich zwischen der analogisch verfahrenden Aussage und der 'digitalen' oder digitalisierten Struktur der Aussage." 82 Insofern scheint sich mit der Einführung des "digitalen" Zeichens aber auch jene Unterwerfung nur zu wiederholen, die das Bewegungs- Bild an einen narrativen Code hatte binden wollen.

Und darin bestehen die Schwierigkeiten, vor die Deleuze stellt. Im Kristallbild der Zeit kündigt sich zunächst eine reine Differenz an, die auf Fragen des Digitalen verweist. Der Film bringt etwas hervor, was sich nicht mehr auf die Bewegung reduzieren läßt: und dies kehrt alle tradierten Beziehungen von Zeit und Bewegung, von Bild und Zeichen um. Nunmehr schickt sich das Zeichen nämlich an, "ein anderes Bild zu präsentieren, dessen Materie es selbst spezifiziert und dessen Formen es von Zeichen zu Zeichen selbst konstituiert", wie Deleuze erklärt. Um so mehr aber muß eine Analyse des "Digitalen" des weiteren Vorkehrungen treffen, nicht im gleichen Augenblick in eine Semiologie zurückzufallen, die eine – letzthin "phonozentrische" – Diktatur des Narrativen über Schrift und Bild wiedererrichten würde. Man kann die Frage deshalb auch anders stellen: wie läßt sich ein Begriff des "Digitalen" erarbeiten, der auf der Höhe des Zeit-Bildes angesiedelt wäre? Offenbar läßt sich diese Frage weder auf der Ebene des "Analogen" noch auf der es "Unmotivierten" beantworten, wie sie von Semiologie oder Medientechnik eingeführt werden. Beide Ebenen sind auch nicht vom Himmel gefallen. Um sie der Hegemonie einer Semiologie zu entwinden, müssen deren Oppositionen von Signifikant und Signifikat, Digitalem und Analogem ihrerseits als Niederschrift des Zeit-Bildes lesbar werden.

Uploaded Image: pfeil.gif 5.9.1 Modulationen des Digitalen

  81 Deleuze II, S.42.
82 Deleuze II, S.43.






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