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4.9.3 Der "Autor"

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Der "Autor". Deshalb ist Der Stand der Dinge auch nicht einfach ein Film über die Bedingungen, unter denen gemeinhin Filme gemacht werden. Wenders meditiert über den Film, und zwar insofern, als er selbst aus einer bestimmten "Inter-Medialität" von Film und Geld hervorgeht. Über Bewegung, Bild und Ort des Films wird in einem Medium verfügt, das als dessen Kehrseite eine beständige Intrige gegen den Film in Gang setzt. Beständig mischt sich dieses andere Medium in den Film ein, indem es hegemoniale Macht auf ihn ausübt und ihm diktiert, was er zu sein hat. Zwar besteht der Film in der Inszenierung, doch deshalb besteht in dieser Inszenierung nicht das Ganze des Films. Die Inszenierung wird inszeniert, und weder Regisseur noch Schauspieler erweisen sich als Herren des Bewegungs-Bildes. Immer erweist sich die Funktion des "Autors" als bloßer Niederschlag von Vorgängen, die sich auf der Kehrseite der Bilder und deshalb auch hinter seinem Rücken abspielen.

Gleichsam fremdgesteuert, wird sich der "Autor" dieser Entklammerung zu entziehen suchen, die ihn im Rücken gefaßt hat und festhält. Aber insofern entspringt die Idee des "Autorenfilms" auch selbst nur einer doppelten Unmöglichkeit. Sie verhindert zum einen, der Logik des Bewegungs- und Zeit-Bildes unter Bedingungen zu folgen, die der Hegemonie des Geldes unterworfen sind. Doch ebenso hindert sie den "Autor" daran, seinerseits zum Herren der Bedingungen zu werden. Dies nicht, weil es ihm an Geld fehlen würde, so sehr dies auf einen ersten Blick den Anschein haben mag. Die Systeme des Bewegungs- und Zeit-Bildes sind vielmehr selbst "geistige Automaten", in denen sich die A-Personalität der Bewegungswahrnehmung, die Sensomotorik der Aktionsbilder mit Virtualitäten der Erinnerung und des Traums verschränken, um das Ereignis der Zeit anzukündigen. Dies in eine Semiologie des Films übersetzt zu haben, markiert die Geburt des "Autors" 54. Man mag einwenden, sein Erscheinen habe unter bestimmten "historischen" Umständen nahegelegen, es sei unter gewissen "politischen" Bedingungen sogar unabweisbar gewesen. Unvermeidbar wird man sich natürlich an das Jahr 1968, diesen allzu "kurzen Sommer der Anarchie" (Enzensberger) erinnern: kein Name schließlich, der zirkulationsfähig wäre, ohne sich zuvor in Mythemen abgestützt zu haben, von denen dann jeder seinen eigenen Gebrauch machen mag. Doch längst hatte sich in dieser Revolte in Szene gesetzt, was ihr Theoretiker Hans-Jürgen Krahl als "Trauer um den Tod des bürgerlichen Individuums" 55 resümierte: ganz so, als hätte schon hier Bergsons Einsicht kommentiert werden sollen, der zufolge das Erinnerungsbild immer aus einem Gedächtnis aufsteigt, das über das Erinnerte bereits hinaus ist...

Die Frage nach dem "Subjekt" ist immer sich selbst gegenüber verspätet. Und der "Autor" ist niemals nur "Objekt" der Unterwerfung. Er geht als "Subjekt" selbst aus ihr hervor. Sein Name springt ein, wo die Bilder in die Sphäre des Narrativen eintreten, um zu zirkulieren, sich austauschen und einer Grenze entgegengehen, an der sich jede Inszenierung einer "Narration" erschöpfen wird. Diese Transformation ist es, die sich im Namen des "Autors" niederschlägt, doch nur, um sich darin zugleich zu verdunkeln. Sein Name ist eine Kategorie der Zirkulation, denn er markiert Nahtstellen eines Transfers, der in sich selbst schon einer bestimmten Gewalt entspricht 56. Insofern hatte sich der "Autorenfilm" auch von Anfang nur einer Grenze aussetzen können, die ihn im gleichen Moment selbst zerriß, in dem er Gestalt annahm. Er ist also keine Figur, die unter bestimmten Umständen auch "in die Krise" geraten könnte; er ist in sich selbst Gestalt dieser Krise, die sich an der Grenze zweier Medien, des Films und des Gelds, zuträgt. – Denn was hieße es, dem Geld die Hegemonie über die Zeit streitig zu machen? Und zwar in den "Bildern selbst"?

Uploaded Image: pfeil.gif 4.9.4 Marx, Kristallbild und Geldkamera

  54 Vgl. Alexandre Astruc: Die Geburt einer neuen Avantgarde: die Kamera als Federhalter, in: Theodor Kotulla (Hg.): Der Film – Manuskripte, Gespräche, Dokumente, Bd.2, München: Beck 1964.
55 Hans-Jürgen Krahl: Konstitution und Klassenkampf, Frankfurt/M.: Neue Kritik 1971, S.30.
56 Vgl. Hans-Joachim Lenger: Marx zufolge. Die unmögliche Revolution, Typoskript, S.108ff. (erscheint Frühjahr 2004).






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