Netzkunst ist in einem weiten Sinne natürlich Computernetzkunst. Netz meint das Telefonnetz und beinhaltet auch dessen überrragend conversationellen Sinn. Computerkunst gibt es seit ca. 1960 {%Cybernetic Serendipity}.
Der Begriff Netzkunst ist sicher in grösserer Bewegung, als Begriffe sowieso sind. - Vielleicht ist nicht einmal sein Wort schon gültig: man sagte Datenkunst (Chaos Computer Club), Interactive Telecommunications (R. Ascott), Circulating Art (K. Alsleben) q4q8q9. - Jedenfalls hat er mindestens die zwei folgenden Grundinhalte:
1- %Hypertextualität. Assoziationen und auch Interaktivität im weiten Sinne des Wortes, sind vertraute Momente in der Kunst. Aber elektronisch machen sie einen "qualitativen Sprung".
2- %Mutualität. Gegenseitiger Austausch ist nach allgemeiner Geltung keine Kunst. Das war aber in der Kunstgeschichte nicht immer so, und die Netztechnik favorisiert Austausch.
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Link: Wenn man in die Vorgeschichte der Netzkunst forscht q5, sollte man sich nicht an die unzuständige Galerie-Ästhetik halten und womöglich auf Picasso kommen. - Ist Ted Nelson ein Künstler? Er ist kein Funktionär einer Organisation, er kann schön zeichnen, er hat am Gürtel immer ein Bereitschaftstäschen hängen mit Stiften, Radierer, Elektroschraubenzieher, er hat, zum Filmen seiner selbst, Videokamera und Stativ dabei, »COMPUTER LIB« q11 {%Intertextualität} hat er locker layouted, und sein Hypertext-Network aus den 60er Jahren ist eine oder die grosse Vision q12 - von Informatikern mit den Gegenparolen "Getting lost in hyperspace" und "browsern" (statt navigieren) bedacht -, in der Computerei sei er, las ich, Autodidakt. q13
Bild 1: Ted Nelson, 1995. Foto Agentur Heller/Format K.A.
Link: Einen Hypertext agieren ist interaktiv, d.h. ein bindendes Konzept liegt nicht vor. Denn Interaktion bedeutet ja gerade, Ziele lfd. ändern zu können. Konzeptkunst gehört also nicht in die Vorgeschichte der Netzkunst. Ebenso ist sie unverträglich mit Fluxus, dessen Aktionen einer Partitur folgten. Dagegen ist Netzkunst sicher Soziale Plastik » - wie wir die Welt, in der wir leben, formen.« q6.
Link: Neben Ted Nelson´s XANADU ist die Computerkunst Vorlauf der Netzkunst. In der BDR entstanden um 1960 in Köln, Hamburg, Stuttgart und Erlangen frühe Arbeitent: Musik (Stockhausen u.a.), Verkehr (Alsleben/Passow), Poesie (Bense, Döhl), Grafik (Nees, u.a.). Ab 1970 beginnen die interaktiven Responsive Environments (Krueger q1 u.a.), die kybernetische Gesamtkunstwerke waren und heute ein Genre von Kunst am Bau sind.
Link: Ab 1980 q4 folgen auf wenige punktuelle telematische "one-time events" in USA, kommunikative künstlerische Datenverkehre, "long-term networks" (F. Truck). Mit einigen frühen Namen sei das hier veranschaulicht: R. Adrian (A), R. Ascott (GB), B. Bartlett (C), B. Breland (USA), W. Holland (D), M. Lehnhardt (D), C. Loeffler (USA), H. Idensen (D). Die %Hamburger Datenkunstbewegung der 80er Jahre war ein Akteur der Netzkunstentwicklung.
Link: Im groben Überblick der Kunstentwicklung nach 1945 wandten sich die Künstler vom Schaffen von Scheinwirklichkeiten ab, bildeten materielle, konkrete Objekte und machten dann Aktionen. Der die Epoche bezeichnende Begriff "Aktion" ist weit genug, um long-term networks zu umfassen. q7
K. Alsleben
q1 Alsleben, Kurd und Antje Eske (Hg./1989): KükoCokü-Bericht 1. Hochschule für bildende Künste Hamburg. Jetzt: kuecocokue, Hamburg
q2 Ammann, Thomas und Matthias Lehnhardt (1985): Die Hacker sind unter uns. Heyne, München
q3 Ammann, Thomas, Matthias Lehnhardt et al. (1989): Hacker für Moskau. Rowohlt, Reinbek
q4 Ascott, Roy and Carl Eugene Loeffler (Edit./1991): Connectivity: Art and Interactive Telecommunications. Leonardo 24/2, Oxford (GB)
q5 Dufke, Klaus (1991): Der Kopf des JediRitters in der Matrix. Integration von Computern in ausivisuellen Medien - Medienmatsch. Hochschule für bildende Künste Hamburg
q6 Gauss, Silvia (1995): Joseph Beuys "Gesamtkunstwerk ?Freie und Hansestadt Hamburg?" 1983/84. FIU, Wangen
q7 Hofmann, Werner et al. (1989): Vom Bild zum Material. Vom Material zum Objekt. Bilderheft der Hamburger Kunsthalle X
q8 Lehnhardt, Matthias (Hg./1994): Gesänge über dem Lerchenfeld. Beiträge zur Datenkunst. material-verlag, Hamburg
q9 Lovink, Geert (Hg./1995): INTERFACE3 Network. Labile Ordnungen: Netze denken, Kunst verkehren, Verbindlichkeiten. Programm. Kulturbehörde Hamburg
q10 Möller, Klaus (1999): Kunst im Internet (Netzkunst) - Untersuchungen zur Ästhetischen Bildung (Bilefeld). 2. (Vor-) Geschichte der Netzkunst.
q11 Nelson, Theodor H. (1975): COMPUTER LIB DREAM MACHINES. You can and must understand computers NOW. New Freedoms Through Computer Screens - & Minorits Report. Ninth Printing, Michigan (USA), 1983. Revised & updated!, Microsoft Press, Redmond (USA), 1987
q12 Nelson, Ted (2001): The Xanadu Vision.
q13 Brooks, Rodney: Menschmaschinen. Wie uns die Zukunftstechnologien neu erschaffen. Aus dem Amerikanischen. Campus Verlag, Frankfurt 2002
Bildlegenden
Foto: Andreas Doria, 1995