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4.8 Hegel und die Melancholie

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Hegel und die Melancholie. Insofern steht das Bewegungs-Bild immer auch im Horizont einer Heimkehr. Sie zielt auf einen Stillstand der Bewegung, selbst dort, wo er in einem Tod der Reisenden besteht: in Easy Rider etwa kommt er nicht von ungefähr einer negativen Apotheose des verlorengegangene "Amerika" gleich. Auch dort nämlich, wo die Suche damit endet, das Fehlen des Gesuchten zu konstatieren, beschreibt sie einen Abschluß, wurden die Affektbilder in eine Bewegung überführt, um sie einer Utopie des Sinns unterzuordnen. Das Intervall der Zeit, das Bewegung, Wahrnehmung und Affekt voneinander gespalten hatte, wird geschlossen. Eben darin besteht für Deleuze die indirekte Funktion des Zeit-Bilds, so lange es Ausdruck, Moment oder Niederschlag des Bewegungs-Bilds bleibt. Der Weg der Rückkehr, der Kreislauf der Bewegung ordnet sich die Zeit unter und läßt sie nur noch als Funktion der Bewegung zu. Insofern finden die Filme Wenders' in Amerika zwar zunächst die materiellen und formalen Bedingungen einer Erneuerung des Kinos. Sie setzen ein nomadische Hin und Her in Szene, das "amerikanisch" ist, auch wo es sich, wie Im Lauf der Zeit, in einem deutschen Milieu abspielt. Wenders entreißt dem "amerikanischen" Kino jene Momente, die hilfreich sein könnten, dessen "europäische" Beschränkungen einzureißen. Aber deshalb entzieht er sich zugleich einem "amerikanischen" Kino, sofern es in dem Diktat besteht, die Bewegung in die Logik des Aktionsbildes zu überführen und ihr unterzuordnen. Im Grunde läßt Wenders die Bilder also von zwei Seiten angreifen. Auf der einen Seite überläßt er sich einem "amerikanischen Milieu", in dem sich die Nomadik der Bewegungen in völlig neuer Weise entfalten kann. Auf der anderen Seite aber treibt er die Bewegung über jeden Abschluß hinaus, auf den das Aktionsbild zusteuern könnte.

Nicht zuletzt darin besteht die differentielle Funktion des Affektbildes. Als "motorische Strebung in einem sensorischem Nerv" (Bergson) steht es zwar immer auch davor, in eine Sensomotorik und damit eine "Aktion" zurückzufinden. Doch auf einem Wahrnehmungsnerv plaziert, insistiert im Affektbild vor allem jenes zeitliche Intervall einer Verzögerung, das letzthin irreduzibel bleiben wird. Im Zeichen dieser Differenz wird es deshalb kein finales, kein alles beendendes und ebenso enthüllendes Finale eines Showdowns geben können, in dem sich ein voller "Sinn" suggerieren und die Bewegung stillstellen ließe. Indem sich das "amerikanische Kino" in dieser Logik des Aktionsbilds erschöpfen will, setzt es allerdings eine Unmöglichkeit in Szene, und stets geht dies mit einer spezifischen Gewalt einher. In erster Linie spielt sie sich nicht auf der Ebene einer "Erzählhandlung" ab. Sie ereignet sich auf der Ebene der Bilder. Jeder Versuch, die zeitliche Differenz, die sich im Affektbild abzeichnet, zugunsten der Aktion einzuebnen, besteht in dem Versuch, eine Unterwerfung der Zeit und damit der Ordnung der Bilder selbst in Szene zu setzen.

Tatsächlich situiert sich das Affektbild bereits an der Grenze eines anderen Kreislaufs der Bilder, über den sich das Virtuelle der Zeit selbst ins Spiel bringen kann. Ganz so hatten die Teilungen und Verteilungen der Indeterminations-Zone bei Bergson darin bestanden, die empfangene Reize einerseits in Sensomotorik durchzustellen, andererseits sich als Erinnerung niederschlagen zu lassen. Und dies eröffnet den anderen Kreislauf. Er besteht in der Erinnerung, und dies beschreibt die andere Seite des Streits, den Wenders gegen den "amerikanischen Film" austrägt. Nie nehmen die Affektbilder bei ihm eine Form an, die geeignet wäre, das Aktionsbild lediglich mit zusätzlicher Energie zu versorgen. Vielmehr markieren diese Bilder ganze Serien von Brüchen, die das sensomotorische Band reißen lassen und zeitliche Virtualitäten zum Tragen bringen. Darin besteht die Radikalität der Diagnose, die Wenders seinen Filmen zugrundelegt: die Logik der Aktions-Bewegung und damit die einer bestimmten Erzählhandlung hat sich restlos erschöpft. Und dies setzt den anderen Kreislauf frei. "Nach der Krise des Aktionsbildes nahm der Film eine folgenschwere Entwicklung, als er sich auf eine sehr hegelianische Weise von melancholischen Reflexionen über den eigenen Tod gefangennehmen ließ: da es keine Geschichte mehr zu erzählen gab, nahm er sich selbst zum Gegenstand und konnte von da an nur noch seine eigene Geschichte erzählen (Wenders)." 47 Hegel und die Melancholie – aber auch dies beschreibt noch einen Kreislauf. Indem sich die Erinnerung des Gewesenen zukehrt, manifestiert sie das Wesen des Films als Erinnerung seiner selbst.

Uploaded Image: pfeil.gif 4.9 Ende der Geschichte

  47 Deleuze II, S.106.






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