Salonkultur In der Kulturgeschichte weist eine 200 Jahre währende kulturelle Epoche die Suche nach neuen Formen menschlicher Kommunikation und Nähe aus: die französiche Salonkultur des 17./18. Jahrhunderts. Es gibt Vorläufer die grundlegend waren{Elisabetta #Gonzaga}. "Von einem Salon kann man erst von dem Augenblick an sprechen, als sich kulturelle Zentren auch außerhalb des Hofes, des Palastes oder Palazzos, in der Stadt und in privaten Häusern etablierten." q1 Die Goncourts schreiben, dass sich für die Entwicklung der Salons dieser Zeit drei Epochen abzeichnen: Über das anfangs süße Gefühl hinaus "en famille" zu sein, zeige die zweite Epoche das Vergnügen in seiner triumphalsten Form, während die dritte Epoche mit Blick auf die Zukunft lebe; abwartend, denn bekanntlich folgte die Französische Revolution nach. q2 1. Salons waren "Katalysatoren für den Übergang von schichtenspezifischer zu funktionaler Gesellschaftsdifferenzierung, denn hier verlor der ´Geburtsadel´, indem er sich mit dem ´Geistesadel´ mischte, seine herausragende Stellung"q3, wobei mit der französischen Revolution die Salons in ihrem Aspekt als Pendant zur höfischen Kultur überflüssig wurden. 2. "Salons waren eine Schnittstelle für die Umverteilung von Wissen. Hier wurde die Enzyklopädie vorformuliert, denn Diderot und d´Alembert, die Herausgeber, waren selber eifrige Salongänger. "q3 "Der Salon hatte gleichzeitig als Umschlagplatz für Informationen und Ideen, als strukturiertes Forum eines mit entsprechender Förmlichkeit durchgeführten, angemessenen Diskurses und als Treffpunkt großer Geister zu fungieren."q4 3. In der REGELmäßigkeit der Salons fand eine Erneuerung zwischenmenschlicher Verbindungen und Verbindlichkeiten menschlicher Kommunikation statt{#Salonstruktur}. Im Entwickeln und Erproben von Conversationsformen fand die salonäre Runde eine den Geist und Verstand angenehm anregende Unterhaltung, wobei z.B. die #Préziösen spracherneuernd wirkten und mit dieser Veränderung gleichzeitig die Umgangsformen reformierten. 4. In den Salons herrscht eine Kunstauffassung, die neben der Erschaffung von Werken Einzelner auch den kulturverändernden Umgang eines Gruppenzusammenhanges erkennt. "In der Runde der vielen (salons) eben und nicht in der Einsamkeit des Schreibtischs (cabinet) gediehen die subtile Antwort oder die originelle Pointe", nicht ohne gestaltende Choreografie. "Gesellige Gesprächsspiele {#Conversationsspiele} lenkten das Ritual der Unterhaltung wie das Ballett das der Bewegung."q5 5. Die ständigen Diskussionen über vielfältige Themen veränderten überkommene Auffassungen. "Nicht nur hinterfragten die Aufklärungsphilosophen die Prämissen, auf denen das herrschende politische System ruhte, und verwarfen die Vorstellungen von einem von Gott geordneten Kosmos, sondern sie kritisierten, diskutierten und prüften überhaupt alle anerkannten Voraussetzungen - bis auf den Status der Frau in der Gesellschaft."q4 6. In den Salons ergaben sich Neudefinitionen von Geschlechterrollen und neue kommunikative Umgangsformen und Spielregeln zwischen den Geschlechtern, weil hier Frauen und Männer ungezwungen, in ehrbarer Freiheit, miteinander umgehen konnten {#Salonstruktur}. 7. Der Salon war eine Domäne der Frauen, in der die Bildungsdifferenzen aufgelöst waren und "Frauen sogar als diejenigen, die erst den Mann kultivierten und formten" galten. Die Verdienste der Salonièren bestanden auch in der Arbeit gegen eine neuerliche Befestigung des Ausschlusses von Frauen und die #précieusen Salonièren nahmen für Frauen das Recht auf höchste Gelehrsamkeit in Anspruch. Die Salonièren waren "alle intelligent Frauen - zumeist Autodidaktinnen - die auch einen Bildungsauftrag empfanden und die es mit Genugtuung erfüllte, die soziale Form des Salons zu gestalten."q5 8. Schreibende Frauen hinterlassen Spuren in der Geschichte. "Ein nicht geringer Reichtum ist die große Zahl der über die Mündlichkeit literarisch mündig gewordenen Frauen." Ihre Bedeutung liegt darin, sich "als Subjekt der Dichtung" {#Précieuses} zu verstehen, und sich nicht einseitig "als Objekt fremder Ruhmesworte"q5 verewigen zu lassen, so dass Frauen die Möglichkeit haben, in ununterbrochenen Gedanken und Äußerungen aufeinander Bezug zu nehmen, um so ein historisches, weiblich begründetes Bewusstseins zu schaffen. 9. "Im 18. Jahrhundert machte der Salon aus einer müßig-vornehmen Form geselliger Zusammenkunft einen Ort ernsthafter Arbeit"q6 "Die salonière war ein wesentliches Element im Kommunikationsnetz"q8 und brachte damit die positiven Aspekte der bislang diskreditierten und als speziell weiblich gehandelten Fähigkeiten des Mittelns (Kupplerin), des Spinnens (Gras wachsen hören), des VERrücktseins (Möglichkeiten eines außerOrdentlichen Perspektivwechsels), des Schwatzens und des Tratschens zur Geltung. 10. Da die Zirkel der einzelnen Salons sich überschnitten oder identisch waren und zu den Habitués {Salonstruktur} viele ausländische Besucher gehörten (aus Russland, Schottland, Polen, England, Deutschland) entstand im Laufe von zwei Jahrhunderten europaweit ein internetähnliches kulturelles Netz. A.E. Eine feste Gruppe wanderte zu festen Zeiten von Salon zu Salon. Im 18. Jahrhundert z.B. ging man zwischen 18 und 20 Uhr zu Julie de #Lespinasse wo ins Unreine gesprochen werden konnte. Es gab dort nur Zuckerwasser zu trinken. Dafür wurde in den späten Abendstunden bei Mme du #Deffand soupiert. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts traf man sich Dienstags bei Mme #Tencin. Madeleine de #Scudéry hatte ein Jahrhundert früher ihre Dienstage, ihre "mardis". Wenn Salonièren verstarben, zogen die Habitués weiter zum nächsten Salon. Fontenelle, der schon nach dem Tod der #Marquise de Lambert zu Mme Tencin gewechselt hatte, sagte ungerührt bei deren Tod: »Gut, dann werde ich eben Dienstags bei Mme #Geoffrin speisen.« Die hatte ihren Salon in derselben Strasse. Ausschnitt Stadtplan Paris: literarische und philosophische Salons. Bild zit .n. Charpentier q7 q1 Dulong, Claude: Salonkultur und Litertur von Frauen in: Duby, Georges und Michelle Perrot (Hrsg.): Geschichte der Frauen 3, Campus 1994 q2 Goncourt, E. und J. Die Frau im 18. Jahrhundert, Bern 1963 q3 Eske, Antje u. Beer, Tatjana: Xuppi Elektronischer Salon, Positionspapier zum XES, Jahresausstellung der Hochschule für bildende Künste, Hamburg 1998 q4 Hufton, Olwen: Frauenleben Eine europäische Geschichte 1500 - 1800, Frankfurt a.M. 1998 q5 Baader, Renate: Heroinen der Literatur Die französische Salonkultur im 17. Jahrhundert in: Baumgärtel, Bettina und Silvia Neysters (Hrsg.): Die Galerie der Starken Frauen, Kunstmuseum Düsseldorf 1995 q6 Goodman, Dena in: Baumgärtel, Bettina und Silvia Neysters (Hrsg.): Die Galerie der Starken Frauen, Kunstmuseum Düsseldorf 1995 q7 Charpentier, Michel u. Jeanne: Littérature Textes et Documents, Collection Henri Mitterand Èdition Nathan 1987 |