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Mutualitaet



Autor: IN ARBEIT
K.A., A.E., mL, T.B., Y.F., Maetthi, SaB, J.B., O.T., K.G., G.N., J.R. D.F., StB et al.
Das Stichwort Mutualitaet soll wegen seines hervorgehobenen Charakters fuer conversationelle Netzkunst neu formuliert werden.

Jeder der sich berufen fuehlt ist freundlich eingeladen (‘Fortsetzung‘ klicken und {in der Regel}) ins rechte Feld zu schreiben . (Freundlich waere es, mit Namen oder auch Datum zu beginnen.)

Der erste Text von Kurd Alsleben aus dem NetzkunstWoerterBuch, 2001, steht rechts unten in siena Farbe am Schluss.
Ferner steht rechts zur ersten Anregung eine Unterhaltung zwischen AEuKA vom August 03.
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Mir fiel jetzt zufaellig ein alter Ausstellungskatalog des Expressionisten Erich Heckel in die Haende - ich kenne Heckel noch von der Akademie Karlsruhe her, wo ich studierte. Diese drei Grafiken, scheinen zu mutualen Interpretationen anzuregen.
Uploaded Image: Seil013.jpg
Seiltaenzer. 1910, Radierung

Uploaded Image: Messer011.jpg
Streit faellt meines Erachtens zunaechst nicht unter ‘auf Gegenseitigkeit‘ und Mutualitaet.
Gegner. 1912, Holzschnitt

Uploaded Image: Krieger010.jpg
Ein fuehrender US-Politiker soll die "pessimistische Weltsicht, die immer nur die weinerlichen Verlierer und Neider der Erfolgreichen beweihraeuchert" beklagt haben. (Seite 101, ‘LE MONDE diplomatique Atlas der Globalisierung‘. Berlin, 2003)
Zwei Verwundete. 1914, Holzschnitt
Alle drei Bilder von Erich Heckel zitiert nach: Stege, Leonore (Red.): Erich Heckel. Katalog, Interversa, Hamburg 1979

Aus dem wenige Zeilen hoeher genannten "Atlas …" sei zur Beachtung auch zitiert: "Das Schicksal von Begriffen ist, dass sie sich nahezu beliebig benutzen lassen. … Ist ein Begriff populaer oder imposant, wird er besonders schnell und vielfaeltig besetzt und als Mode- und Lehnwort fuer opportunistische Zwecke entwendet. …" (Hermann Scheer)

Fortsetzung, weil die page sonst zu voll wird
Gespraech mit Cord Passow in Karlsruhe
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Gespraech zwischen Stefan Beck, Sascha Buettner, K.A. u. A.E. neue Seite
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Gespraech zwischen Julian Rohrhuber K.A. u. A.E. neue Seite
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Links und Zitate neue Seite
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Gespraech ueber Mutualitaet waehrend des 'Serverfestivals', Dez 2003 in der Bauhaus-Universitaet Weimar. neue Seite
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Gespraech ueber Mutualitaet vom 31. Okt 03 zwischen Kurd Alsleben, Tatjana Beer, Antje Eske, Yvonne Fietz: neue Seite
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Maetthi 6.11.03, Mutuale Netzkunst
Mutuale Netzkunst ist eine spezielle Form künstlerischen Schaffens, welche auf den ersten Blick recht schwer verstehbar erscheint. Das Stichwort Mutualismus im Duden zur deutschen Rechtschreibung beschreibt einen Begriff aus der Biologie, der die Beziehung zwischen Lebewesen verschiedener Art zu beiderseitigem Nutzen meint. Das Paradigma der Biologie für Mutualismus ist das Zusammenleben von Blattlaus und Ameise. Mutualismus ist ein positiv besetzter Begriff, der sich in diesem Sinn wohltuend von dem der Kollaboration unterscheidet, welcher in der Regel für die folgenden Kunstprojekte verwendet wird. Da er eigentlich Kriegsvokabular ist, meide ich diesen. NetzkunstWoerterBuch.


AE 26. Okt 03, Mutualität: Extrakt aus Gespräch am 23.10.03 zwischen Kurd Alsleben, Matthias Lehnhardt und Antje Eske

Vorgabe: Auf der Suche nach einem Wort für „auf Gegenseitigkeit“ stiessen wir auf Mutualität und die Frage ist, ob dieses Wort trägt oder in irgend eine Richtung schon so mit Bedeutung besetzt ist, dass es in die Irre lenkt. Wir haben einige Lexika durchgesehen, siehe dazu auch Gespräch zwischen K.A. und A.E. im August 03 weiter unten. Nach unserer Einschätzung ist das Wort relativ unbesetzt und wir haben die Erfahrung gemacht, dass es für den Zusammenhang „auf Gegenseitigkeit“ angenommen wird (Serverfestival/Sascha und Mätti)
Substantiv: Mutualität
Adjektiv: mutual oder steigerungsfähig: mutuell
Verb: mutualisieren? mutualieren?
abgeleitet. Substantiv: Mutualisierung? Mutualierung?

  • welche Bereiche umfasst der Begriff Mutualität?
a) Versuch von K.A. im swiki
b) Internetsuche von M.L.:
in den USA ist Mutualität ein gebräuchliches Wort für
  • Genossenschaften, Versicherungen, Krankenkassen von lokalen Gemeinschaften, Communities
einen zweiten großen Bereich gibt es für Religiöses
  • Katholizismus, katholische Soziallehre, Ehe (wobei es
ausdrücklich nicht um Symmetrie, Gleiches mit Gleichem
geht, sondern um Unterschiedlichkeiten
  • Buddhismus, u.a. um Meditationskurse: „die große
Wunde des Lebens zu heilen, um sich in der Welt zu
Hause zu fühlen“

Daraus ergab sich im Gespräch:
  • ein Anknüpfer über Mutualität/Katholische Soziallehre/Ehe
——-> zur Muse der Conversation, Erato, die ursprünglich
die Hochzeit mit einbezieht
  • wir meinen nicht Gleiches mit Gleichem, Auge um Auge, Zahn um Zahn.
  • Ist „auf Gegenseitigkeit“ symmetrisch? „Ich gebe, damit auch du gibst“. Auf alle Fälle ist es kein Tausch; beruht auf dem Vertrauen, dass man irgendwann ein Äquivalent zurückbekommt.
  • Gegenseitigkeit als Gefühl, nicht als konkreter Akt
  • Ist Unterschiedlichkeit =Anderweite?
  1. Mutualität ist etwas Spirituelles, man kann es nicht erzwingen.
  2. Es entsteht in einer gemeinsamen Situation.
Offenheit gehört auf alle Fälle dazu. Du brauchst einen
Einstieg, wie auch immer (Vorgabe)
  1. Wenn die Situation vorbei ist, ist auch die Mutualität vorbei.
Chat/Bilderchat ist ein gutes Beispiel dafür; rauschhaft, wie
„gemeinsam singen“, ...

Von Matthias stammt der schöne Satz: „Wenn´s nicht Mutualität geben würde, hätte ich keinen Begriff für das, was ich jetzt meine.


KA 25.Okt03
Nicht um Oekonomie oder Oekologie o.a. geht es bei der Betrachtung, sondern darum, den Begriffsinhalt ‘auf Gegenseitigkeit, Umgang, Austausch‘ unter dem Wort Mutualitaet im Bereich der Kunst, insbesondere der Netzkunst neu einzufuehren >1. Im bisherigen Kunstmodell, Kuenstler/Werk/Publikum, taucht das Wort nicht auf. 8Nov03, ich moechte diesen Punkt noch verstaerken: Es geht hier m.E. um den Bereich der Kunst mit ihrer gesellschaftlich-kulturellen Auswirkung (und auch darin nur um einen Bereich, den der Netzkunst - denn wieso soll es neben unseren Kunstaffairen nicht ausserdem auch Kunstwerke geben). Es geht also nicht darum, generelle Einäugigkeit zu verdoppeln und vielleicht das Prinzip ‘Wettbewerb‘ oder ‘Geld‘ austauschen zu wollen durch ‘Mutualitaet‘.

Lexikographische Zusammenmstellung:
//- Lat. mutuus = 1) geborgt, geliehen; 2) wechselseitig, gegenseitig, beiderseitig.
//- Mutualismus: Substantiv fuer Richtungen in Oekologie >2, Oekonomie >3, Politik >4, Kultur >5.
//- mutual (o. Steig.); mutuell: Adjektive = wechselseitig, gegenseitig
//- Mutualität: = Wechselseitigkeit, Gegenseitigkeit. Substantiv - eines mentalen gefuehlten Zustandes, sagte mL
//- mutuieren, Mutuieren: Verb, Substantivierung dieses Tuns = auf_gegenseitigen, Auf_gegenseitigen, dafür gibt es aber wohl das Wort sich_austauschen, Sich_austauschen.

Durch die Verwandtschaft mit Mutualismus, haben alle diese Woerter einen Bedeutungshof, der ueber das rein Formale ‘wechselseitig‘ oder ‘Wechselwirkung‘ inhaltlich hinausgeht.
Kuenstlerisch-inhaltliches Prinzip von Mutualitaet ist vielleicht ein Respekt vor der existierende Interdependenz der Menschen.
Die charakterisierende antirhetorische Frage ist, ‘wie formuliert man auf Gegenseitigkeit‘. >6

Ob mit ‘auf Gegenseitigkeit‘, ‘auf Treu und Glauben‘ Altruismus zu befuerchten ist, was Antje fragt, muss eroertert werden.


>>1 : „Der Betrachter macht die Kunst“: daraus folgend, die komplementaer veraenderte Rolle des Kuenstlers zum begehrenden Empfaenger_zugleich, sie vollzieht sich vermittels des Internet.
(Johannes Heesters: „Der Applaus ist wie ein Blumenteppich, der dir zu Fuessen gelegt wird …“ Die auf Ja oder nein reduzierten Applause oder Pfiffe folgen zeitversetzt dem Werk. ‘Empfaenger-zugleich‘ meint die Echtzeitigkeit und das Auffaechern der Bedeutungen in der Mutuation.)
>>2 : Beziehung zwischen Lebewesen verschiedener Art zu beiderseitigem Nutzen (z.B. Bestaeubung der Blueten durch Insekten.)
>>3 : Oekonomische Austauschkonzepte (Selbsthilfegenossenschaften, Tauschringe, ‘La banque d‘échange‘ 1848, Selbstverwaltung, Gemeinwirtschaft u.a. Muenzverrufungen oder Brakteat in der Gotik {?})
>>4 : Solidaritaet als Macht, ‘do ut des‘ (ich gebe, damit du giebst), u.a.
>>5 : Treu und Glauben, Conversation, Imagebalance im taeglichen Umgang, Kinderspiele, mL: komunaler Mutualismus in den USA, Kirchl. Soziallehre: »… beabschtigt keineswegs, mit wissenschaftlichen Loesungen fuer wirtschagtliche und soziale Probleme in Form von oeffentlich-politischen Empfehlungen oder detaillierten Gesetzesvorgaben aufzuwarten; was sie anzubieten hat, ist weitaus wichtiger, naemlich ein Fundament von Idealen und moralischen Werten, das die Wuerde allen Seins hervorhebt und bekraeftigt. Die Anwendung solcher Prinzipien in wirtschaftlichen, politischen und sozialen Gegebenheiten kann Gerechtigkeit und Frieden fuer alle, eine wahrhaft menschliche Fortentwicklung und die Befreiung von Menschen von Unterdrueckung, Armut und Gewalt herbeifuehren.«, André Gorz, Kritik der oekonomischen Vernunft, Seite 147: »…: die Lebensqualitaet haengt ab von der Intensitaet affektiven und kulturellen Austauschs, von freundschaftlichen Beziehungen, Liebesbeziehungen, Verhaeltnissen der Bruederlichkeit und wechselseitigem Beistand …«)
>>6 : Ohne Interdependenz kann ein Mensch nicht leben, sagte Antje. Duldung (einraeumen, sich arrangieren) ist bereits eine Abschwaechung gegenueber einer Anerkennung (= „und das ist auch gut so“) der Interdependenz. In konkreten Situationen mit ihr umzugehen, nimmt diverse Formen an, wie Staunen, Unterdruecken, Lieben, Streiten, Ausweichen u.a.
'Auf Gegenseitigkeit' ist die besondere Qualität einer Kunst im Netz.
Das ist natürlich alles andere als selbstverständlich. Am schärfsten hat eine künstlerische Gegenposition Gottfried Benn 1955 formuliert: »… Und damit treten wir vor das Problem der monologischen Kunst. Das Gedicht ist monologisch. […] Ein Gedicht ist immer die Frage nach dem Ich, und alle Sphinxe und Bilder von Sais mischen sich in die Antwort ein. Also der atlantische Kulturkreis heute und hier: Das moderne Gedicht, das absolute Gedicht ist das Gedicht ohne Glauben, das Gedicht ohne Hoffnung, das Gedicht an niemanden gerichtet, ein Gedicht aus Worten, die Sie faszinierend montieren. […] Die ganze Menschheit zehrt von einigen Selbstbegegnungen, aber wer begegnet sich selbst? Nur wenige und dann allein.«


Zwecks Anregung kleiner Gespraechsrunden, um den Begriff ‘Mutualitaet‘ besser zu verstehen , hier die Tonbandabschrift einer Unterhaltung (August 2003)

Kurd: Zur Herausgabe einer Mailconversation »Internetkunst und fruehe Informationsaesthetik« auf CD schrieb ich fuer‘s booklet einen kleinen Text, und da stand am Ende die Frage „Wie formuliert man auf Gegenseitigkeit?“ Ja, das schien mir das Problem auszudruecken, was man immer hat.
Dann tauchte das Wort ‘mutual‘ auf, von Dir, Antje.

Antje: Genau, ich hatte mit Aisling und Deborah im Rahmen von »ifu« (Internationale FrauenUniversitaet) nach einem englischen Wort für ‘auf Gegenseitigkeit‘ gesucht und dann blieben wir bei ‘mutual‘ hängen.

K.: Juengst hat Sascha Buettner den Begriff aufgegriffen und Matthias Weiss wohl auch.

A.: Vielleicht rollen wir das Gespraech noch mal ein bisschen weiter auf:
Das ist nun eine Sache, die uns seit den Materialform-Seminaren, Handlochkarten-Seminaren usw. in der hamburger HfbK der 70er Jahre beschaeftigt und wir hatten kein Wort dafuer. Jetzt koennte man nochmal fragen, was ist dieses ‘auf Gegenseitigkeit‘ so Besonderes?

K.: Auf Gegenseitigkeit ist ja nichts Ungewoehnliches - wenn es auch in einem rhetorischen Paradigma nicht vorkommt und eben auch jetzt, im kapitalistischen Denken kommt es nicht vor und die Sozialversicherungen werden abgebaut. Grundidee in diesem Fall ist, dass unverschuldetes Unglueck des Einzelnen, das er gar nicht tragen kann, die anderen solidarisch mittragen.

A.: „… und ueber´s Jahr hat jeder seins wieder.“
[Ausspruch von Urgrossvater Brand ueber kleine Diebereien der Laubenkolonisten untereinander in Berlin-Roentgental ;-)]
(Beide lachen)

K.: Und wenn einer es nicht wieder hat, dann hat er ja das Glueck dafuer (- von dem Unglueck verschont zu sein). ‘Auf Gegenseitigkeit‘ klingt inhaltlich, gegenueber den nur formal klingenden ‘symmetrisch‘, ‘bidirektional‘, ‘wechselseitig‘.

A.: Das finde ich jetzt aber auch einen interessanten Ansatz, dass das ‘auf Gegenseitigkeit‘ mehr und mehr verschwindet, im Zuge der kapitalistischen Entwicklung. Um so wichtiger ist ja, dass es erhalten bleibt.
K.: Ich habe mal nachgesehen, in »Ritters historischen Woerterbuch der Philosophie« gibt es das Wort nicht, auch in dem großen »philosophischen DDR-Woerterbuch von Georg Klaus« gibt es das Wort nicht.

A.: Du meinst, ich sollte jetzt mal in meinem niederlaendischen Woerterbuch nachsehen?

K.: Ja, ob man aus den Sprachwoerterbuechern irgendwas an Bedeutung noch gewinnt, man kann ja mal gucken.
Im »Esperanto Plena Ilustrata Vortaro« finde ich das Wort: mutual/a = damit ist charakterisiert, dass alle Mitglieder durch ihre Beitraege sich gegenseitig gegen eventuelle Gefahren, Verluste usw. garantieren: es gibt Genossenschaften zur Hilfe fuer Kranke, fuer Beerdigung usw. Mutualismus = System der Solidaritaet untereinander: der M. ersetzt nach und nach die Staatsversicherungen.

A: Im »niederlaendischen Woerterbuch« steht: mutualisme = Mutualismus; mutualiste = Mutualist, Kassenpatient; mutualiteit = Mutualitaet.
Das meint auch dein Beispiel mit den Krankenkassen.

K.: Im »Spanischen« lese ich mutualidad = Gegenseitigkeit.

A.: Es ist ein international bekanntes Wort.
»Franzoesisch«: mutualité = Gegenseitigkeit; mutuel = gegenseitig.

K.: »Lateinisch« gibt es mutuus = 1) geborgt, geliehen; 2) wechselseitig, gegenseitig, beiderseitig.

A.: auch so ein bisschen wie die Kassen, das was zwischen den Gegenseiten passiert.

K.: Zu ‘geborgt‘ und ‘geliehen‘, wenn Heiko sagt, dass es nie Autoren gegeben hat, dann meint das ja, dass alles irgendwo herkommt, das steckt da mit drin.

Im »Fremdwoerterduden«: Mutualismus, der = 1) Lebensgemeinschaft zwischen Pflanzen und Tieren mit gegenseitigem Nutzen; 2) System des utopischen Sozialismus von Prudon; 3) finanzwissenschaftliche Hypothese nach der bei relativ gleicher steuerlicher Belastung jeder Steuerzahler auch solche Geldopfer auf sich nehmen wuerde, von denen andere einen Nutzen haben. Mutualitaet = selten fuer Gegenseitigkeit, Wechselseitigkeit.
In »Meyers Deutschem Woerterbuch« da gibt es mutual, mutuell [zu: lat. mutuus = wechselseitig, zu: mutare, mutieren] (bildungsspr. selten): gegenseitig, wechselseitig. Mutualismus: 1) (bildungsspr. selten) gegenseitige Anerkennung, Duldung.
A.: „... dulde fast jeden Menschen“, Rahel Varnhagen.

K.: Das ist ja was Grundsaetzliches!
Noch weiter: 2) (Biol.) Beziehung zwischen Lebewesen verschiedener Art zu beiderseitgem Nutzen (z.B. Bestaeubung von Blueten durch Insekten). Mutualitaet (bildungsspr.): Gegenseitigkeit, Wechselseitigkeit.

A. : Wir koennten doch noch mal in Deinem liebsten Buch, dem ‘Dornseiff‘ nachsehen, was es so alles an Umschreibungen gibt.

K. : Im »Dornseiff, deutscher Wortschatz nach Sachgruppen« da taucht Gegenseitigkeit zweimal nur auf und zwar unter 5. Wesen, Beziehung, Geschehnis, 5.28 Vertauschung Austausch, Gegenseitigkeit, Handel, Tausch, Tauschhandel, Verwechslung, Wiedervergeltung, Zwischenhandel. Austausch versus Wettbewerb? 9. Handeln, 9.71 Wechselwirkung: einander, abwechseln, beiderseitig, gegenseitig, mutuell, reziprok, umschichtig, wechselseitig, Fickmuehle, Zwickmuehle, Spannungs-, Kraftfeld, das Ineinandergreifen, Interdependenz, Kuhhandel, Anstossung und Abstossung, Hassliebe, Parallelogramm der Kraefte.

Was mir auffaellt ist: Interdependenz = Abhaengigkeit, die Abhaengigkeit der Politik eines Landes von der anderer Laender usw.

A.: ich hab jetzt bei »Kluge, Ethymologisches Woerterbuch« nachgesehen, hab aber nur Anerkennung, Duldung gefunden.
1- anerkennen: ‘gutheissen‘ (16. Jh.) Die spezielle Bedeutung ‘gutheissen‘, die bei ->erkennen, besonders im Zusammenhang mit ->‘als‘ auftritt, wird durch die Verbindung mit ->‘an-‘ verdeutlicht - ein Vorbild von agnoscere und/oder franz. reconnaître ist nicht ausgeschlossen. Anerkennen tritt schließlich allgemein für diese Bedeutung ein.
2- dulden, (8. Jh.) mittelhochdeutsch: dulden, dulten, althd. tulten ......... Ich glaube, das bringt uns nicht so viel.

K.: bei Dornseiff gibts auch Duldung unter 16 Gesellschaft, 16.25 Erlaubnis: befugt, erlaubt, gestattet, statthaft, Lizenz, Ausnahmefall, Auflassung, Befaehigung, Befugnis, Berechtigung, Duldung, Einwilligung, Erlaubnis, Ermaechtigung, Freiheit, Genehmigung, Gesetz, Gewaehrung, Konzession, Toleranz, Verguenstigung, Zugestaendnis, Zustimmung, ... na ja … bewilligen, dulden, eingehen auf, einraeumen, einwilligen, erlauben, freigeben, genehmigen, gestatten, gewaehren, goennen, .... kann man so sagen: im Sinne der Rhetorik, will ich ihn ja ueberzeugen. Dann dulde ich nicht seine Meinung, ich muss sie zwar hinnehmen, aber ich will ihn ja ueberzeugen. Im Sinne der Rhetorik ist schon sowas drin, das ich ihm eine eigene Meinung erlaube.

A.: Ich finde, im Sinne der Rhetorik wuerde ueberzeugen bedeuten: ich bringe die andere Meinung weg.

K.: Ja, das heisst ueberzeugen. Natuerlich kann ich‘s nicht schaffen, aber die Intention ist das schon.

A.: Vielleicht nicht für laenger, aber im Moment mal kannst du die andere Meinung vom Tisch bringen.
Ich hab hier noch Geduld gefunden, da lass ich mal manches weg: also 8. Jh., die Ableitung muss alt sein, da sie dass verbale Suffix -ae- nicht uebernimmt. Das Verb geht zurueck auf … ‘tragen‘ im Sinne von ‘ertragen‘ … tolerare ‘ertragen‘.
Es hat ja was von Toleranz, wenn ich geduldig bin.

K.: Ich muss den anderen ertragen.

A.: Jetzt noch »Buechmann: Gefluegelte Worte« zu Gegenseitigkeit: „eine Hand waescht die andere“, nach Epichard die Goethe-Uebersetzung: „Wie du mir, so ich dir“. „Mann mit zugeknoepften Taschen, dir tut niemand was zulieb, Hand wird nur von Hand gewaschen, wenn du nehmen willst, so gib.“ Gelegentlich zitiert man lateinisch nach ‘Senecas Verkuerbissung des Claudius oder Petronius‘: „manus manum lavat“ = „eine Hand waescht die andere“.
Dann noch zu Gegenseitigkeit: „hank veniam petimusque damusque vicissim“ = „diese Verguenstigung fordern wir selbst und gewaehren sie anderen“. Horaz bezieht dieses Wort in der ‘Dichtkunst 11‘ auf die dichterischen Freiheiten, die er anderen Dichtern gestattet und sich selbst erlaubt wissen will, jetzt wird es allgemein von gegenseitigen Diensten gebraucht.
„Do ut des“ = „Ich gebe, damit (auch) du gibst“ sei in aller Politik eine Sache, die im Hintergrund steht, auch wenn man anstandshalber nicht davon spricht, sagte Bismarck im Reichstag …. Der Ausdruck stamme aus dem roemischen Recht.
Dann habe ich hier noch: der ehrliche Makler, stammt aus einer Rede Bismarcks im Reichstag ... Das ist ja interessant, dass Bismarck das immer so geschunden hat. ... Die Vermittlung des Friedens denke ich mir nicht so, dass wir den Schiedsrichter spielen und sagen so soll es sein, und dahinter steht die Macht des Deutschen Reiches, sondern ich denke sie mir bescheidener, ja - ohne Vergleich im uebrigen stehe ich nicht an, Ihnen etwas aus dem gemeinen Leben zu zitieren - mehr die eines ehrlichen Maklers, der das Geschaeft wirklich zustande bringen will.“
Zum ehrlichen Makler wuerde ich sagen, dass er ja auch Geschaeftsmann ist. Der wird nicht darauf achten, dass in erster Linie (weil er selber ja seine Interessen nicht ausser Acht lassen kann) beide Seiten ausgeglichen sind, sondern dass ein Geschaeft ueberhaupt zustande kommt.

K.: Und, er dem einen, der am Geschaeft interessierter ist etwas weniger vermittelt, als dem, der das Geschaeft auch will, aber Gott ja, es ist ihm nicht ganz so wichtig. Der Makler ist ein Beteiligter.

A.: Der Makler ist ja nicht neutral.

K.: Eben, das Internetsystem hat auch seine Interessen.

A.: Ich finde jetzt, an dem was wir da rausgesucht haben noch ganz interessant, dass hier immer durchklingt, ich gebe, damit auch du gibst. Also ich tue es mit einem bestimmten Hintergrund. Ich will von dir ja auch was haben. Darum gebe ich dir was. Sonst wuerde ich dir gar nichts geben. Ich finde, dass ist irgendwie realistischer. Gut, ich lass mich darauf ein, weil ich denke, ich krieg auch was. Und es muss nicht immer gleich ausgeglichen werden. Vorhin hatten wir: uebers Jahr hat jeder seins wieder. Kann ja auch zehn Jahre dauern.

K.: Und der, der weniger erhalten hat, hat ebenso sein Teil, denn er kann auch weitermachen, im solidarischen Sinne ist er nicht uebers Ohr gehauen worden.

A. : Ach, altruistisch, das ist das Wort, was ich vorhin gesucht habe. Das hoert sich so altruistisch an, auf Gegenseitigkeit. Aber das ist es, glaube ich, nicht. Realistischer ist, das so zu sehen: ich gebe, damit auch du gibst.

K. : Ich kann es ja nicht aendern, auch wenn ich‘s wollte, ich bin mit den anderen zusammen.

A. : Darueberhinaus noch was anderes. Ich denke mir, ein Mensch ist nur mit den Anderen zusammen lebensfaehig. Da sind die Erfahrungen mit der Isolationsfolter. Du wirst krank und stirbst, wenn du ohne irgendeine Anregung von außen, ohne Resonanz bist. Deine ganze Entwicklung findet immer nur im Zusammenhang mit anderen Menschen statt, weil du dich darin spiegelst und immer deinen Stand siehst und feststellst was dir fehlt oder wohin du dich ausrichten willst. Alleine bist du ja voellig ohne - da ist nichts.

K.: Ja.

A.: Natuerlich gibt es so Phasen, wo man sich auf sich selber zurueckzieht und sich sammelt. Das ist ja noch wieder was anderes.


Stichwort im NetzkunstWoerterBuch 2001/03:

Mutualität, mutuell [lat. mutuus = 1. geliehen; 2. wechselseitig, gegenseitig, beiderseitig]. Als fehlendes Verbum schlage ich die Wortbildung mutulieren vor und als Substantiv der Taetigkeit Mutulation. 'Auf Gegenseitigkeit' ist die besondere Qualität einer Kunst im Netz.

Das ist natürlich alles andere als selbstverständlich. Am schärfsten hat die künstlerische Gegenposition Gottfried Benn 1955 formuliert. Ich wohnte im Luftschutzbunker an der bonner Rheinbrücke und kaufte von meinem wenigen Geld, seine Hefte. »… Und damit treten wir vor das Problem der monologischen Kunst. Das Gedicht ist monologisch. […] Ein Gedicht ist immer die Frage nach dem Ich, und alle Sphinxe und Bilder von Sais mischen sich in die Antwort ein. Also der atlantische Kulturkreis heute und hier: Das moderne Gedicht, das absolute Gedicht ist das Gedicht ohne Glauben, das Gedicht ohne Hoffnung, das Gedicht an niemanden gerichtet, ein Gedicht aus Worten, die Sie faszinierend montieren. […] Die ganze Menschheit zehrt von einigen Selbstbegegnungen, aber wer begegnet sich selbst? Nur wenige und dann allein.« q1
Das muss verinnerlicht sein, ehe mutuelle Kunst möglich wird. {%"Ich weiss allein nicht weiter %Antwortnot}

Link: Die Publikums-Partizipation entwickelte sich im zweiten Drittel des vorigen Jahrhunderts {%Partizipationskunst}. Komplementär stand notwendig die mutuelle Veränderung der Künstlerrolle an: der Künstler, der Nachricht begehrt.

Link: Mutualismus: 1. gegenseitige Anerkennung, Duldung; 2. Prinzip der Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit; 3. System gegenseitiger Dienst- und Güterleistung ohne Geld; 4. Ökol. Zusammenwirken verschiedener Lebewesen zum beiderseitigen Nutzen.

Link: Mutulation muss als ein Pendent zu Interaktion gesehen werden. Weil das Wort Interaktion aus der Soziologie uebernommen wurde, bedeutet es in der Kybernetik Automat und Mensch zugleich.
IN ARBEIT

K. Alsleben

q1 Benn, Gottfried (1955): Soll die Dichtung das Leben bessern? In: Gottfried Benn: Gedichte. Reclam, Stuttgart 1995



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