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Die Simulation der Kultur


Gegenwärtig ist "die Computersimulation von allem", von den Schicksalen der Welt in hundert Milliarden
Jahren bis zur Evolution der Viren, zu einer Mode geworden. Kein Wunder also, daß MIT Press, der Verlag
einer im übrigen erstklassigen Universität in USA, sich an das Redigieren und Veröffentlichen einer Serie
von Werken machte, die der Kultursimulation gewidmet sind. Es ist schon merkwürdig, daß MIT Press mir,
als dem "Kenner" (Gott weiß warum), eine Arbeit des Herrn N. Gessler mit der Bitte um eine Beurteilung
zusandte. Da der Autor mir bereits vorher direkt eine Kurzfassung seiner Arbeit, die über das (digitale)
Simulieren der Kultur geht, geschickt hatte, und ich diese Idee als nicht realisierbar betrachtete, schrieb ich
dasselbe dem Verlag.

In meiner Antwort beschränkte ich mich auf die Gründe für die Unerfüllbarkeit des Projekts, aber ich habe
dies auf eine Weise zum Ausdruck gebracht, die die Redaktion des Verlages verletzt haben könnte. Daher
hatte ich auch das Gefühl, daß eine unbegründete Bewertung des Simulationsprojektes als reine Fiktion
nicht ausreichend sei. Man sollte, wenn auch nur kurz, zumindest erklären, WARUM man weder die Kultur
noch ihre Entstehung, ihre "Emergenz", simulieren kann. Dieser Essay ist deshalb dem Nachweis der
"Unmöglichkeit" solcher Unternehmungen gewidmet.

Man muß als erstes selbstverständlich erkennen, WAS die Kultur ist und woher sie kam, oder eigentlich,
woher die Kulturen kamen, da es sich um eine Gruppe sich gabelnden Wege handelt, wobei einige
Kulturen nach ihrer Entstehung entweder in andere Formen übergegangen oder ausgestorben und
verschwunden sind. Die Wissenschaftler aus dem Kreis der Anthropologen, die Kulturen untersuchen,
stoßen in ihren Arbeiten auf uralte Überreste von Kulturen, teilweise mit nicht entzifferbaren Zeichen von
Schriften, die es auf der Erde nicht mehr gibt. Allgemein behandelte ich die Kultur vor einigen Jahrzehnten
am Schluß meines Buch Phantastik und Futurologie, und ich werde mich selbst daraus zitieren, da das
Vergehen der Zeit und das Hinzukommen neuerer Abhandlungen meine Ansichten in keiner Weise
verändert haben.

Die Willkürlichkeit der Kultur

"Der Mensch ist nicht ein Tier, das auf die Idee gekommen ist, eine Kultur zu entwickeln. Es ist auch nicht
ein Kampf zwischen dem instinktbeherrschten Althirn und dem Mantel des Neocortex - wie es Arthur
Kostler will. Er ist auch nicht der "nackte Affe" mit dem großem Gehirn (Desmond Morris), weil er eben nicht
ein Tier mit irgendeiner Beigabe ist. Ganz im Gegenteil: als Tier ist der Mensch unzulänglich. Das Wesen
des Menschen ist die Kultur, nicht, weil es den Schöngeistern so gefällt. Diese Feststellung soll heißen, daß
dem Menschen im Ergebnis der Anthropogenese die ererbten, ihm durch die Evolution auferlegten
Verhaltensformen abhanden gekommen sind.
Die Tiere verfügen über ein System von Reflexen, das die Aggression innerhalb der Gattung in Zügeln hält
und auch die Fortpflanzungsfähigkeit automatisch bei Beginn jeder Populationsexplosion hemmt. Die
Wanderungen der Vögel und Heuschrecken werden von vererbten hormonalen Mechanismen gesteuert.
Ein Ameisenhaufen, ein Bienenstock, ein Korallenriff - das sind Aggregationen, die in Jahrmillionen auf ein
automatisches Gleichgewicht abgestimmt worden sind. Die Sozialisierung der Tiere unterliegt ebenfalls der
vererbten Steuerung. Diese Art von Mechanismen gehen dem Menschen einfach ab. Da der
Evolutionsprozeß ihm solche innere Handlungszwänge, denen die Tiere unterliegen, entzogen hatte, war
der Mensch durch seine biologische Beschaffenheit dazu verurteilt, eine Kultur zu entwickeln.
Der Mensch ist ein mangelhaftes Tier, d.h. daß er nicht in den tierischen Zustand zurückzukehren vermag.
Kinder, die außerhalb des menschlichen Milieus aufwachsen, sind gerade darum auch in ihren
biologischen Attributen zutiefst verkrüppelt: Es bildet sich bei ihnen weder eine der Gattungsnorm
entsprechende Intelligenz, noch die Sprache, noch auch ein reicheres Gefühlsleben aus. Sie sind Krüppel,
nicht Tiere. Auch der Genozid ist eine Form der Kultur. Es gibt in der Natur keinen "Zoozid" als
Entsprechung zum Genozid. Es gibt also in der biologischen Beschaffenheit des Menschen keine
Möglichkeiten, aus denen man eindeutig deduzieren könnte, wie er sein soll. Ohne sich über diesen
Sachverhalt klar zu sein und rein spontan vorgehend, haben die menschlichen Gesellschaften
Kulturinstitutionen hervorgebracht, die durchaus nicht die Verlängerung der biologischen Eigenschaften
des Menschen sind - obwohl sie diesen Eigenschaften als Rahmen, als Stütze und zuweilen auch als
Prokrustesbett dienen.
Die biologische Beschaffenheit des Menschen reicht nicht dazu aus, seine 'richtige' Verhaltensweise zu
bestimmen. Diese partielle Indeterminiertheit des Menschen wird von der Kultur durch Werte ergänzt, die
sich nicht auf das 'nackte Überleben' reduzieren lassen. Der Mensch hat Institutionen, d.h. er hat
vergegenständlichte Wert- und Zielstrukturen geschaffen, die über das Individuum und über die
Generationen hinausreichen.
Das Paradoxon des Menschseins besteht darin, daß die biologische partielle Indeterminiertheit den
Menschen zwingt, eine Kultur zu schaffen, und daß diese Kultur, sobald sie entstanden ist, sofort durch ihre
Bewertungen zwischen den biologischen Eigenschaften des Menschen zu differenzieren beginnt. Die
einen Körperteile werden auf dieser Wertskala höher, andere niedriger loziert; den einen menschlichen
Funktionen wird Würde zugemessen, den anderen wird sie genommen. Es gibt keine Kultur, die den
anthropogenetisch gegebenen Organismus des Menschen 'demokratisch', nach gleichem Recht, ohne die
geringsten Vorbehalte gutgeheißen und damit den Menschen in seiner Indeterminiertheit, die ergänzt
werden muß, zur Kenntnis genommen hätte. Jede Kultur formt und vervollständigt den Menschen, aber
nicht entsprechend dem tatsächlichen Zustand, denn sie bekennt sich nicht zu den eigenen Erfindungen
und Entscheidungen im Repertoire ihrer Willkürlichkeit; in vollem Ausmaß wird diese Willkürlichkeit erst von
der Anthropologie entdeckt, wenn alle diese Kulturen, die in der Geschichte der Menschheit entstanden
sind, erforscht.
Jede Kultur verkündet, sie wäre die einzige und unerläßliche - und genau auf diese Weise stellt sie ihr Ideal
des Menschen auf. Dieses Ideal ist aber nicht in jeder Beziehung für den Menschen bequem. Dieses
Phänomen der 'Nicht-Angepaßtheit' deutlich zu machen, ist außerordentlich schwierig, denn es hat einen
kreisförmig-rückkoppelnden Charakter: Indem der Mensch sich ergänzt, also restlos determiniert, verlagert
er gleichzeitig seine eigene Natur in der für diese Kultur charakteristische Richtung. Dadurch wird er zum
Schuldner ihres Ideals, zu einem nicht ausreichend zahlungsfähigen Schuldner. Aber indem er sich in die
von der Kultur gewiesene Richtung verlagert, betrachtet sich der Mensch von dieser neuen Warte aus; er
sieht aus der Distanz der Religion, aus der Perspektive der Sitten und Bräuche, also nicht als ein
bestimmtes materielles System, nicht als ein unvollständig programmierter Homöostat, der von der Kultur
zusammengeflickt wurde, sondern als ein Wesen, das bestimmten axiologischen Gradienten unterworfen
ist. Er hat sich diese Gradienten selbst ausgedacht, denn er mußte irgendwelche erfinden, und jetzt formen
sie ihn, nun schon in Übereinstimmung mit der ihrer Struktur eigenen Logik und nicht mit der Triebstruktur
des Menschen." (Stanislaw Lem: Phantastik und Futurologie II, Frankfurt a. M. 1984 (polnische
Erstausgabe 1964), S. 597-599)

Dieses etwas lange Zitat schien mir deswegen angebracht zu sein, weil es wenigstens grundsätzlich
erklärt, warum man die Entstehung der Kultur nicht simulieren kann. Sagen wir, was noch hinzuzufügen ist.
Ich stelle hier nur eine Konstante fest, aber kümmere mich nicht um die Entdeckung von Ursachen, aus
denen sie entsteht. Es ist also so, daß eine Kultur mit der Herstellung von Werkzeugen im Eolithikum
begonnen hat. Im Paläolithikum begann man diese bereits zu behauen. Und mit den Werkzeugen und den
Tätigkeiten, denen sie dienten, begann von Anfang an eine "Dunstwolke" der Immaterialität zu entstehen.
An den Werkzeugen kann der Archäologe aber deren Spuren nicht bemerken, weil der "Dunst" mitsamt
dem Tod der damaligen Menschen verschwindet.

Platonismus oder Konstruktivismus

Zuerst wird dieser "Dunst" in den GRÄBERN sichtbar, in die man zu den Leichen Waffen und Nahrung
legte, damit der Verstorbene irgendwie sein Dasein nach dem Tod fortsetzen kann. Eine andere Erklärung
für die Beigaben der Verstorbenen kennen wir nicht, und wir können uns auch keine andere vorstellen. Die
ältesten Gräber sind ALS menschliche bereits vor mehreren zehntausend Jahren entstanden, obwohl es
schwierig ist, ein genaueres Datum zu bestimmen. Gegenwärtig geht man davon aus, daß vor etwa 15000
bis 20000 Jahren die Ursprache entstanden ist, die sich dann schnell mit den Wanderungen der
Urmenschen über (fast) die ganze Erdkugel in die "lokalen" Sprachen aufgespalten hat. Hier verbirgt sich
schon eines der Rätsel, da man kaum glauben wird, daß ein Glaube in der vorsprachlichen Stummheit,
also vor der Sprache, entstanden ist. Vor uns schießt daher ein Wald von Hypothesen hoch, in den wir aber
nicht hineingehen werden, weil man nicht annehmen wird, daß vor der Erfindung der SCHRIFT flüchtige
"metaphysische" Glaubensvorstellungen irgendwelche Spuren hinterlassen haben. Es sind zwar einige
Spuren bis heute (z.B. Menhire) erhalten, aber sie sind auf der Skala der Anthropogenese nicht sehr alt.
Weitere Forschungen der Archäologen werden uns darüber noch viel sagen können.

Der Stand der Dinge war also folgender: Wenn wir ein augenscheinliches und naives MODELL benutzen,
daß es eine mit den Sinnen direkt wahrnehmbare Wirklichkeit, beispielsweise einen Fluß oder einen
Vulkan, gab, dann haben die Urmenschen "über" oder "um" diese Wirklichkeit herum einen
"metaphysischen Dunst" "gelegt", der sich im Laufe der Zeit in etwas "Heiliges" verwandelt hat. Zuerst gab
es angeblich der Animismus, und jede Quelle oder jeder Vulkan hatte einen eigenen "Geist" oder "Gott". Die
"Dünste" der protokulturellen Metaphysik verwandelten sich jedoch sehr langsam in Götter, ähnlich wie
etwa die über Jahrtausende entstandene Volkskunst langsam erstarrt. Später begannen sich die Dünste zu
konzentrieren, so daß sich aus ihnen der Politheismus und schließlich auch der Monotheismus entwickelt
hat.

Über etwas Selbstverständliches kann man immer zweierlei Meinung sein. Entweder ist man "Platonist" und
sagt, daß es die Transzendenz (nach meiner Terminologie also die "Dünste") zwar schon immer gab, aber
daß die Menschen für sie noch nicht reif gewesen sind. Erst mit zunehmendem Alter scilicet wurden sie
"klüger" und lernten das "Heilige" wahrzunehmen oder entdeckten, was es schon gab, als sie noch nicht auf
der Welt existierten. Oder man kann der Meinung sein, daß die Menschen nicht das Heilige entdeckt,
sondern es sich nur ausgedacht haben. Obwohl es Hunderte von Glaubensformen gab und gibt, erfolgte
die Trennung zwischen dem Sacrum und dem Profanum in allen Glaubensformen auf ähnliche Weise.
Abweichungen entstanden eher lokal durch die Bildung von Tabus, durch die Unterscheidung nach
geschlechtlichen Werten und Geboten und ähnlichen Dingen. Aber die Zweiteilung gab es grundsätzlich
überall.

Das ist so wie bei der Mathematik. Manche meinen, daß wir mathematische Welten entdecken, da sie
bereits vor ihrer Darstellung existiert haben und es lediglich die Mathematiker als ihre Entdecker noch nicht
gab. Das ist die Ansicht der Platoniker. Andere, z.B. die Schule der Konstruktivisten, verkünden, daß wir
selbst, die Menschen, die Mathematik erfinden und ausbauen. Ich will hier keineswegs in den Streit, wer
bezüglich der Mathematik und der Transzendenz Recht hat, eingreifen - nicht weil ich keine eigene
Meinung hätte, sondern weil das von meiner Meinung völlig unabhängig ist. Ob die Transzendenz gegeben
war oder ob sie ausgedacht worden ist - die Entscheidung für die Richtigkeit irgendeiner der Parteien ist für
meine Gewißheit unerheblich, daß wir nicht imstande sind, die Emergenz der menschlichen Kultur zu
simulieren. Wie könnte man diese "Zweiteilung" in ein Computerprogramm hineinbringen? Allein schon das,
was nur individuell-voluntativ oder intentional ist, läßt sich nicht erfolgreich simulieren. Der Computer will
"nichts", und wir können es nicht schaffen, daß er "programmatisch" selbst etwas sich wünschen, begehren
oder wollen könnte. Selbstverständlich kann man IMITATIONEN des "Wollens" herstellen, aber das gleicht
der Annahme, daß ein authentisches lebendiges Weib und eines aus Holz das gleiche sei...

Der Gang der Anthropogenese

Es geht insbesondere um ein heute nicht lösbares Phänomen: Ist JEDE kosmische Kultur zur Bifurkation
(Profanum-Sacrum) verurteilt oder ist das nur ein lokales irdisches Phänomen? Vielleicht entstand sie, weil
schon der Urmensch seiner Sterblichkeit nicht freiwillig zustimmen wollte oder weil sich die natürliche
Evolution gerade so in ihren Geschwindigkeiten als Anthropogenese vollzog. Aus dem "Gang" dieser
Anthropogenese selbst ergab sich die Eigenschaft aller Werkzeuge, die sich nicht systematisch in
"Urmaterialismen" einordnen lassen. Vielleicht ergab sich auch daraus die Überwindung des Gödelschen
Hinterhalts, und die Kluft des mehrsymbolisches Charakters JEDER menschlichen Sprache trieb
gewissermaßen zum "Glauben an die Dünste der Metaphysik". Wie es "wirklich" war, ob lediglich der
Monophyletismus diese Entwicklung verursachte, wissen wir nicht. Und wie kann man das simulieren,
wovon wir nichts wissen und keine Ahnung haben? Deswegen würden wir mit größtem Eifer höchstens
irgendeine "emergente kulturelle" Entsprechung eines Marionettentheaters schaffen, bei dem man
Bewegungen und Leben von außen mittels der Lenkung dünner Fäden nachahmt. Das ergibt keinen guten
wissenschaftlichen Sinn.

Die Beliebtheit, irgend etwas simulieren zu können, ist ein Hohn auf die wissenschaftliche Methode, weil
man damit nur verwirklicht, was wir SELBST als Ausgangskultur in den protokulturellen Topf hinein gelegt
haben, auch wenn es so erscheint, als würde es nicht anders gehen. Das kann man nicht dem
Popperschen Falsifikationstest eines Experimentes unterziehen, und jemand, der ein anderes Programm
als wir hat, erhält auch ein anderes Ergebnis. Das gleicht einer Computersimulation von Geistern,
Vampiren, Dämonen und des Jenseits: Wie man sich bettet, wird man auch schlafen. Man kann mit den der
Wissenschaft dienenden Werkzeugen Experimente im Popperschen Sinne nicht ersetzen. Man kann also
die Kultur nicht simulieren.

Das Geheimnis der Sprachgenese

So gewiß es ist, daß der Mensch im Mittelalter keine Atomenergie befreien konnte, so sicher ist, daß man
keine Simulation beginnen kann, ohne über ein effektives Simulationsprogramm der Sprachgenese zu
verfügen. Es geht selbstverständlich nicht um die Verwendung von irgendwelchen bereits existierenden
Zeichensystemen, die den Sinn der Designation reproduzieren können und die für syntaktische Zerlegung
sowie für die Selektion der konnotativen und denotativen Semantik geeignet sind. Es geht darum, daß sich
die vorsprachliche Phase schon bei den Tieren als "Begriffsnebel" zeigt und die Sprache gewissermaßen
dessen Kondensat, Verflüssigung oder reproduktives Derivat ist.

Wie bereits den Psychologen gut bewußt ist, ist ein individuelles psychisches Leben IMMER reicher als
die Sprache, was bedeutet, daß sich die Differenzierung der geistigen Bewußtseinszustände in der
sprachlichen Form nicht völlig angemessen wiedergeben läßt. Es bleibt immer etwas Unaussprechliches
und nicht ganz sprachlich Formulierbares in unserem psychischen Leben. Man kann es daher höchstens
irgendwie erahnen, weil unsere Gehirne sich ziemlich ähnlich sind. Schon aus diesem Grund können wir
auch ohne Sprache einfacher einen anderen Menschen als eine Giraffe oder einen Tintenfisch verstehen -
und nicht nur deswegen, weil unser Gehirn Milliarden von Verbindungen enthält und das
Zentralnervensystem eines Tintenfisches relativ arm ist, auch wenn es ihm zum Überleben reicht.

Die philosophische Phänomenologie kann hier nichts beitragen. Der vorsprachliche psycho-soziale
Zustand geht in uns völlig unbekannten Weisen in einen sprachlichen über. Es werden sich natürlich gleich
Eiferer finden, die elementare Signale der gestischen Quasi-Sprache (z.B. bei Schimpansen) schon für
eine gute Nährlösung der Kultur und ihrer Simulation halten, um so mehr, wenn man System- und
Herdenverhalten, was jeden Tag geschieht, mit kulturellem Verhalten gleichsetzen kann. Aber dann
verhalten sich nicht nur Delphine und Affen, Hamadryas, Tauben und Störche "kulturell", da man doch ihre
Brunsttänze sieht.

Wenn man einen offenen Sack hat, kann man irgend etwas, also alles hinein schütten. Die Kultur des
Menschen ist in allen ihren sowohl synchronischen wie auch diachronischen Varianten letztlich irgendein
Derivat der menschlichen Biologie. Wenn wir wie Engel fliegen könnten, würde diese physio-anatomische
Andersartigkeit in den Kulturen sicherlich irgendeine Spur hinterlassen. Und wenn wir unter Wasser wie
Orkas gelebt hätten, würde dies auch zu Veränderungen in unserer Kulturproduktion führen. Wir sind
jedoch so gebaut und funktionieren so, wie "jeder sieht", denn die anthropogenetisch sich verändernde
Kulturproduktion hängt von der Sprache (weil die Sprache viele Hirnprozesse dominiert) und im gewissen
Grade von unserer Nach-Affen-Sehspezialisierung ab: wir waren nämlich schon lange Augenmenschen,
bevor wir Gesprächspartner geworden sind ...

Ich behaupte nicht, daß man sprachlos und außersprachlich die Emergenz, der Kulturen überhaupt nicht
simulieren könne. Ich will nur ganz vorsichtig sagen, daß eine sprachliche Heftnaht brauchbar wäre, wenn
der Nadelstich als eine Vereinfachung im Programm nicht in zu großen Abständen erfolgen soll.

Simulation von Ge- und Verboten?

Das allgemeine Bild hingegen, das ich mich zu veranschaulichen bemühe, ist folgendes: Wir haben eine
Menge gattungsmäßig bestimmter Tiere, die zu einer Kommunikation fähig sind, die über Signale
hinausgeht. Diese Menge verfügt über überschüssige Ebenen der Verhaltensfreiheit, die en masse nicht
selbstgefährdend sind, und lebt in irgendwelchen Nischen, an die sie adaptiert ist. Und jetzt sollen in ihr
Verbote und Gebote heranwachsen. Ein Teil dieses Triebverhaltens muß einer nicht angeborenen
hundertprozentigen Hemmung und Anregung unterworfen sein, der andere Teil KANN dem Überleben
ILLUSORISCH dienen, wie es z.B. bei den Azteken war, die lebendigen Jugendlichen das Herz aus der
Brust herausgerissen haben, damit das Himmelsgewölbe nicht einstürzt. Die Opferhandlung oder,
häßlicher gesagt, die Meinung, daß die Gottheiten, die die Welt beschützen, korrupt sind, ist universell für
wahrscheinlich jede Religion und nimmt nur bei den einzelnen Religionen eine unterschiedliche inhaltliche
und liturgische Form an. Jeder Glaube wirkt sich mehr oder weniger stark im Bereich der Ethik und der
Moral aus, aber nicht jeder Glaube verspricht transzendentale Vorteile aus den mit ihm
übereinstimmenden und bevorzugten Verhaltensweisen. Wie man das oder andere derartige Funktionen
in der ENTSTEHUNG DER KULTUR simulieren könnte, weiß ich nicht.

Bei der Lektüre der Abhandlungen der Amerikaner kann ich wegen deren pragmatischer Naivität
gegenüber dem kapitalistischen Markt aus dem Staunen nicht herauskommen. Es geht mir nicht darum,
daß ihr Vorhaben empirisch noch nicht durchführbar ist, sondern lediglich darum, daß sie sich an die
Erzeugung eines Ozeans aus Pfefferminztee machen und glauben, daß sie durch die "Simulation der
Kulturemergenz" die wissenschaftliche Empirie fortsetzen und bestärken werden. Das ist eine schädliche
Albernheit, vor allem in diesem ausgehenden Jahrhundert der Verwirrung der Sprachen, des Verstandes
und der Köpfe, und gleicht den Flügen von Peter Pan auf dem Bügelbrett, als ob es ein Superflugzeug des
21. Jahrhunderts wäre. Wie man sieht, wächst die Dummheit universell, und in diesem Jahrhundert wurde
deren Wachstum nicht vermindert. Ich würde eher sagen, daß solche Metastasen in die nahe Zukunft den
Optimismus der Erkenntnis nicht zufrieden stellen können.

Aus dem Polnischen von Ryszard Krolicki

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