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INTERVIEW: Chris Bangle, Head of BMW Global Design

21. Januar 2003

BMWs X-Life: Die Kunst zu leben

Seit den 60-er Jahren knackt BMW die Geldbörsen der Besserverdienenden mit gut aussehenden, konservativen Autos, bekannt für Handling, Leistung, Luxus und vor allen Dingen Status. Und jetzt, auf dem Höhepunkt des Erfolges, umgeben von größtenteils strauchelnden Rivalen, gibt sich BMW risikofreudig und zeigt eine Generation mutiger neuer Modelle. Soviel also zu der an einer solchen Stelle gerne angeführten amerikanischen Redensart „Don’t mess with success.“ – „Leg dich bloß nicht mit dem Erfolg an.“

BMWs „Penthouse“: 14000 Quadratmeter ganz oben im Münchner Forschungs- und Innovationszentrum, besser bekannt als FIZ, einer weitläufigen Glas und Stahl-Architektur. Bis auf ein einziges, mit silbernem Tuch umhülltes Fahrzeug, ist das Penthouse leer. Glasscheiben, die sich über die gesamte Raumhöhe erstrecken zeigen einen beeindruckenden Ausschnitt des mit schweren Gewitterwolken angereicherten bayerischen Himmels. Gleich neben dem Fahrzeug steht Christopher E. Bangle, 46: blond, blauäugig, bärtig, perfekt sitzender Nadelstreifenanzug, exzellent abgestimmtes blau-weiß gestreiftes Hemd und passende Krawatte. Sein Auftreten ist von packender, mitreißender Intensität und seine Worte werden noch dringlicher, als er eine Ecke des Stoffes anhebt, und damit beginnt einem Vorgang zu assistieren, den man wohl nur als Striptease bezeichnen kann.

Bangle zeigt zuerst die Räder des brandneuen Konzept-Fahrzeuges, dann einen Teil seiner Flanken; er steht unter Hochspannung: „Das hier nennen wir ‚flame-Design’ … hier sind sich bewegende Oberflächen … und hier erst … Proportion, Oberfläche und Details, alles extrem emotionsgeladen und doch unter Kontrolle … control, control, control, das wichtigste überhaupt“. Aber dann stoppt er. Deutlich mehr tease als strip, denn Bangle sperrt sich dagegen, das ganze Fahrzeug, BMWs 2004er X-Life -Concept zu enthüllen. Vor dem offiziellen Debüt auf der Pariser Autoschau im September wird es keine vollständige Ansicht des X-Life, BMWs Vision des crossovers von Wohnen und Fahren, geben. „Soviel erstmal“ schließt Bangle die Vorführung „ein cutting-edge Konzept, mega-emotional aufgeladen.“

Bangle ist stolz auf das X-Life, was er auch sein kann. Als Chef-Designer hatte er das gesamte Team, das das X-Life entwickelte, unter sich: Designer und Künstler, Ingenieure, Farbexperten, Ergonomiespezialisten, Materialforscher, Soundtüftler, Modellbauer und Computer-Magier, die alle im FIZ und BMWs „Designworks“ USA-Ableger in Südkalifornien arbeiteten. Im Ganzen gesehen, ist er der Mann, der für den Look und das Feeling jedes einzelnen Produktes, das das blau-weiße BMW-Logo trägt, zuständig ist, genauso für die der Mini-Marke und seit diesem Jahr auch für die ultra-luxuriösen Rolls-Royce.

Schon jede x-beliebige Modelleinführung einer Autofirma stellt ein großes Wagnis dar, und das X-Life ist da mit Sicherheit das genaue Gegenteil einer Ausnahme. Mindestens eine Milliarde Dollar verschlangen Entwicklung und Produktionsvorbereitung der Kreuzung zwischen Wohnform und Automobil. Aber im Fall X-Life geht es um viel mehr als nur die investierten Mittel wieder herauszukriegen. Das X-Life führt vielmehr den radikalen Kurs fort, den BMW Anfang letzten Jahres mit der Präsentation des neuen 7-ers, dem wahrscheinlich umstrittensten Modell, das der bayerische Fahrzeughersteller je der Öffentlichkeit präsentierte, einschlug. Zusammengenommen bilden 7-er und X-Life die Speerspitze eines Alles-oder-Nichts-Versuches zur Neuordnung und Neupositionierung des gesamten BMW Produktspektrums. Dieses Spiel aber findet zu einem gefährlichen Zeitpunkt in der 87-jährigen Geschichte der Bayrischen Motorenwerke AG statt: die Firma ging gerade erst ein Rekordjahr zu Ende. Und jeder in der Fahrzeugbranche weiß, dass nichts schwieriger ist, als eine Erfolgsphase zu durchgehen.

Szenenwechsel: es ist kurz vor Mitternacht und Chris Bangle sitzt in einem Münchner In-Restaurant. Er macht sich Gedanken über den bekannten Autor und Paläontologen Stephen Jay Gould, der letzten Mai verstarb. Besser gesagt beschäftigt er sich mit dessen kontrovers diskutierter Theorie, die Evolution schreite äußerst langsam, jedoch nicht immer gleichförmig voran, vielmehr sei sie von plötzlichen, schnellen Wechseln durchsetzt. Bangle geht davon aus, dass sich Fahrzeuge in einer sehr ähnlichen Weise entwickeln und ist davon überzeugt, dass die BMW-Produktpalette gerade in eine Phase des abrupten, beschleunigenden Wechsels eintritt: „Es ist an der Zeit, zu einem großen Sprung anzusetzen.“

Hakim: Das heißt, das neue X-Life Konzept …

Bangle: … geht bis an die äußerste Grenze. Denn wenn man ausschließlich minimale Veränderungen macht, manövriert man sich selbst in einen Korridor, der enger und enger wird. Irgendwann steckt man dann in der Sackgasse und spätestens dann hat einen der Käufer wegen eines frischeren, interessanteren Produktes verlassen. Unser Problem war, dass wir genau auf diese Stelle zusteuerten. Wir mussten den Korridor also mit aller Konsequenz durchbrechen: Du kannst kein Anführer sein, wenn Du nicht an der Spitze stehst.

Hakim: Das X-Life Konzept ist doch aber ein klarer Widerspruch zum „motoring spirit“, den sie beispielsweise mit ihrer aktuellen Anzeigenkampagne für den Mini Cooper erfolgreich etabliert haben.

Bangle: Ich denke, hier bringen sie zwei grundsätzlich verschiedene Ansprüche durcheinander. Natürlich bringt ein X-Life nicht die gleiche Art von Fahrspaß wie zum Beispiel ein M3 oder ein Z8. Trotzdem sehe ich keinen Widerspruch zum „motoring spirit“. Es ist vielmehr eine komplett neue Form von Fahrspaß, ein neues Fahrgefühl, ein Gefühl von befreiender Mobilität. Das X-Life hinterfragt, indem es unseren Mobilitätsbegriff entscheidend erweitert, die gesamte Art und Weise gegenwärtiger Wohn- und Lebensformen.

Hakim: Weniger wohlwollende Zeitgenossen nennen das X-Life nicht ohne Häme ein überteuertes Wohnmobil und verweisen auf die nicht gerade große Flexibilität dieses, und da werden sie mir zustimmen, recht alten Konzeptes.

Bangle: Um es noch einmal zu sagen: Das X-Life ist alles andere als ein normales mobiles Haus oder Wohnmobil der Premiumklasse. Dieses Fahrzeugkonzept ist allem bisher Dagewesenen kilometerweit enteilt. An was wir hier bei BMW arbeiten, ist nicht weniger als der Versuch, tradierte Vorstellungen davon, wie Wohnraum organisiert wird – und ich meine hier nicht nur Wohnmobil- oder Wohnwagenplätze – entschieden hinter uns zu lassen. Sie können unser X-Life selbstverständlich als Basis nehmen, um andere Fahrzeuge anzudocken. Perfekt. Ein gängiges Verfahren, einem Wohnmobil beziehungsweise mobile home ähnlich, dass wir intern als „Flugzeugträger / Kampfjet“-, oder weniger militärisch „Hausboot / City-Roller“-Modell bezeichnet haben. Sie können das X-Life, und das ist entscheidend, aber eben über zahlreiche Interfaces mit anderen X-Lives koppeln. Sie können so gut wie jede Wand- oder Deckenpartie eines X-Lifes herausnehmen und können somit Verknüpfungen verschiedenster X-Lives erstellen, ein dynamisches, stets veränderbares Gewebe also, das Ihnen aber zu jedem Zeitpunkt die Möglichkeit bietet, Ihr persönliches X-Life innerhalb kürzester Zeit aus der Gesamtkonfiguration zu lösen.

Hakim: Auch wenn diese Kopplungsvorgänge zwischen X-Lives wenig Aufwand erfordern, wer kann sich denn Ihrer Meinung nach für ein solches Zusammenleben begeistern?

Bangle: Um Ihnen das mal etwas näher zu bringen: Stellen Sie sich zum Beispiel vor, sie leben in einer eng verwobenen X-Life -Konfiguration mit den für Sie richtigen Personen. Die schaffen es auf diese Art und Weise natürlich, Sie sehr schnell und sehr viel weiter zu bringen, als dies in den üblichen Formen der Zusammenarbeit vorgesehen ist. Sagen wir also sie leben in Knightsbridge, schärfen kollektiv ihre Fähigkeiten oder machen da ein paar Geschäfte, dann brechen sie plötzlich auf zu einem secret spot in Schweden, wo sie die Sommermonate in kompletter Isolation verbringen, worauf Sie nach Nizza fahren, dort wieder die Ihnen wichtigen Personen treffen, um erneut die verschiedensten X-Life -Konstellationen durchzuspielen … Ein Satire Magazin hat die Zielgruppe für das BMW X-Life im Übrigen kürzlich scherzhaft mit Bezeichnungen wie „Premium-Nomaden“ oder „High-Street Situationisten“ umrissen … Gar nicht so schlecht!

Hakim: Wie haben Sie dieses Vorgehen, dieses Verwerfen tradierter Theorien provoziert?

Bangle: Dazu braucht man in der Tat eine ganze Menge spezieller Inszenierungen. Ich habe meine Leute dazu gedrängt, Risiken einzugehen, und Ergebnisse zu verteidigen. Die meisten Menschen tendieren dazu rückwärtsgewandt, zurück in ihren angestammten Bereich, ins Gewohnte und Bequeme, zu arbeiten. Denen muss man auf die Sprünge helfen, sich da raus zu bewegen. Anführer müssen riskieren, ihre Leute dahin zu bringen, wo diese nicht hin möchten: das trifft haargenau auf meine Abteilung und die hier bearbeiteten Fragen zu.
habe ich unsere so genannte Duz-Kultur eingeführt: ein offener, lockerer Rahmen oder Raum, in dem die Leute keine Angst haben, das auszusprechen, was sie wirklich denken. Am Prozess des Verwerfens selbst war ich dann im Grunde gar nicht beteiligt. Meine Rolle würde ich eher als Teammanager bezeichnen, das heißt ich suche die Mannschaft zusammen, gebe ein paar taktische Anweisungen oder setze ein paar Rahmenbedingungen, wobei ich natürlich auch hier das Team mit einbeziehe. Aus dem eigentlichen Spiel aber halte ich mich komplett heraus, das macht die Mannschaft dann ganz alleine.

Hakim: Nach welchen Kriterien haben Sie denn Ihr Team zusammengestellt? Und nach welchen Prinzipien geht ein solches Mannschaftsgefüge anschließend vor?

Bangle: Zur Auswahl: das Wichtigste ist Vielfalt. Würden alle unsere Leute das Gleiche denken, gäbe es keinen Streit, dann hätten wir eben keine Kommunikations- oder Designkultur, wir hätten nichts als die Massenmeinung. Der interne Wettbewerb, anders gesagt das Streiten und nicht das Abstimmen über Themen ist eine Grundvoraussetzung unserer Organisation. Der dynamische Austausch unterschiedlicher Perspektiven kombiniert mit der Fähigkeit aller Teilnehmer, einengende tradiert-berufliche Routinen zu verlassen, lässt uns neue Sichtweisen auf eine Problemstellung generieren, lässt uns Vorgänge wenden, beziehungsweise hilft uns sogar zukünftige Fragestellungen zu formulieren.

Hakim: Ich versuche mir das gerade vorzustellen: im Hintergrund sitzt die mächtige BMW-Gruppe, deren Interessen ziemlich klar abzustecken sein müssten: Profit. Das was Sie mir hier gerade beschreiben, hört sich für mich aber nicht unbedingt nach einer ökonomisch hoch-profitablen Vorgehensweise an.

Bangle: Zuerst einmal, da gebe ich Ihnen Recht, gehen wir nicht-resultatsbezogen, jedoch - und das sollten Sie nicht außer Acht lassen - ungemein präzise vor. Was wir machen ist, wir versuchen den Prozess des Forschens so lange in Bewegung zu halten bis wir einen Level erreicht haben, bis wir eine Atmosphäre geschaffen haben, aus der wir mit Leichtigkeit immens durchschlagende Produkte herausziehen können. Wir haben zu jedem gegebenen Zeitpunkt die Möglichkeit, zu sagen: Lass uns den Forschungsprozess hier abschließen und lass uns damit beginnen, ein paar Top-Produkte zu materialisieren. Wie Sie Sich vorstellen können, ist ein solches Verfahren ohne sehr hohen - vor allen Dingen methodischen - Aufwand schlichtweg nicht zu realisieren.

Hakim: Ist die X-Life Gruppe denn das erste Artefakt, das aus diesem modus operandi gewonnen wurde?

Bangle: Genau genommen, das zweite. Das erste Mal, als wir ähnlich vorgingen war, als wir die Aufgabe hatten, einen radikalen Nachfolger des X5 SUV herauszubringen. Damals schlug ich ein siebenstelliges Budget heraus und schickte das Team zum Arbeiten in die USA, an einen Geheimspot, den es selbst wählte. Die Teilnehmer von „Deep Blue“ waren auf diese Weise vollkommen unabhängig vom FIZ, sie hätten auch jederzeit weiterziehen können, sie agierten weitab von aufdringlichen Blicken, meine eigenen eingeschlossen. Das Team mietete daraufhin Elizabeth Taylors ehemaliges Haus in Malibu, Kalifornien. Nach sechs Monaten aufreibender Arbeit, zusammenprallender, kollidierender Ansichten, hatten sie sechs Entwürfe, aus denen möglicherweise das X3 SUV hervorgeht, erarbeitet.

Hakim: Gerüchten zufolge verfügten Sie auch über sehr bekannte externe Mitarbeiter: Architekten wie Daniel Liebeskind oder Norman Foster.

Bangle: Wir baten Herrn Liebeskind seine dekonstruktivistische Städtebau-Theorie einzubringen. Um das sehr verkürzt wiederzugeben, geht es ihm darum, mehrere Lücken im Stadtbild zu belassen, Öffnungen für architektonische Veränderungen oder Verbesserungen, und nicht darum, ganze städtische Gebiete innerhalb eines kurzen Zeitraumes, innerhalb einer zusammenhängenden Schaffensperiode aufzufüllen. Diese Theorie lässt sich perfekt mit unserer Vision einer mobilen, sich stetig wandelnden X-Life Architektur verbinden. Wir haben mit Herrn Liebeskind zusammen X-Life Plätze in verschiedenen Städten weltweit geplant und gemeinsam Ideen erarbeitet, wie wir diese Plätze mit der existierenden städtischen Struktur verweben können. Sir Norman Foster fragten wir an, mit uns gemeinsam Methoden der Verbindung und konkrete Details der Interfaces zwischen verschiedenen X-Lives zu entwickeln.

Hakim: Während Sie sich auf den Standpunkt stellen, ihre X-Life Bewegung verbessere städtisches Leben, könnte man es auch genau anders herum formulieren: Der X-Life Platz als riskanter, unkalkulierbarer Faktor für die Stadtoberen.

Bangle: Sicherlich hinterfragt das X-Life tradierte städtebauliche Ansätze. Aber es bringt sie definitiv nicht zu Fall. Das X-Living ist ja keine Massenbewegung. Yet - Noch nicht (lacht). Zu Ihrer Frage: Ich sehe in der Tat sehr viele positive Aspekte für unsere Städte: So kann, um nur ein Bespiel zu nennen, jede einzelne Stadt in dem Wissen um Menschen, die nicht davor zurückschrecken weiter zu ziehen, dorthin wo neue Herausforderungen auf sie warten, viel flexibler mit ihrer Arbeitsmarktpolitik umgehen. Noch einmal: Es geht um die Premiumform, um eine absolut zeitgemäße Art von Nomadismus.

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