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Gender Studies Hamburg- Ein Geschichtsabriss


Gender und Queer Studies in Hamburg –
zur Implementation eines
hochschulübergreifenden Studienprogramms
von Martina Spirgatis


1. Die Anfänge oder: eine nicht ganz unwichtige Vorgeschichte

Hamburgs Hochschullandschaft bietet beste Voraussetzungen zur Etablierung von Gender Studies auf hohem Niveau: Die Mehrzahl der vier Universitäten, zwei Fachhochschulen und zwei künstlerischen Hochschulen kooperiert seit gut anderthalb Jahrzehnten in Sachen Frauenforschung. Die Koordinationsstelle Frauenstudien - Frauenforschung bündelt das umfangreiche Angebot seit 1984 im Frauenvorlesungsverzeichnis und legte zur Vernetzung und zum Ausbau des Vorhandenen 1999 das Konzept für einen hochschulübergreifenden Studiengang „Women’s and Gender Studies“ vor, welches von der Landeshochschulkonferenz (LHK) nachdrücklich unterstützt wurde. Zeitgleich formulierte die AG LesBiSchwule Studien / Queer Studies an der Universität Hamburg die Forderung nach einem interdisziplinären Zentrum sowie einem Studiengang „Gender und Queer Studies“.
Ende 1999 beschloss die LHK die Einrichtung eines hochschulübergreifenden Studiengangs Gender Studies. Zur Entwicklung und Implementierung des Studiengangs richtete sie im September 2000 einen Beirat aus Mitgliedern der beteiligten Hochschulen und der BWF ein; zwei Planerinnen (auf einer – befristeten - Planstelle!) wirkten an diesem Prozess intensiv mit.
Zeitgleich beschlossen Bund und Länder in der Nachfolge des Hochschulsonderprogramms III (HSP III) für den Zeitraum 2001 bis 2006 das Bund-Länder-Fachprogramm „Förderung von Chancengleichheit für Frauen“. Damit stehen Hamburgs Hochschulen jährlich ca. € 500.000 Bund-Länder-Mittel zur Verfügung. Nach Maßgabe der Vereinbarung sollen vorrangig Maßnahmen gefördert werden, die zur Qualifizierung für eine Professur oder zu einer Promotion führen, der Frauen-/Gender-Forschung dienen bzw. zur Steigerung des Anteils von Frauen in naturwissenschaftlich-technischen Studiengängen. Zu Erreichung dieses Ziels wurde die Einrichtung von 10 auf sechs Jahre befristeten Professuren C 3 zur Stärkung des Anteils von Frauen in den Fachwissenschaften vereinbart (4 Professuren an der Universität Hamburg, 2 Professuren an der TUHH und je eine Professur an der HAW, der HWP und den beiden künstlerischen Hochschulen). Mit dieser Maßnahme sollten zugleich Ressourcen für einen hochschulübergreifenden interdisziplinären Gender- Studiengang zur Verfügung gestellt werden. Die Hochschulen verpflichteten sich in Zielvereinbarungen mit der BWF, die Stellen nach Auslaufen der Sonderfinanzierung in ihre Haushalte einzustellen und als Frauenprofessuren zu erhalten.
Tatsächlich sind bisher leider erst 5 Professuren besetzt
Den Beginn des Entwicklungsprozesses zu einem Gender-Studienprogramm markierten intensive Sondierungen über mögliche thematische Schwerpunktsetzungen. Gegenstand verschiedener Workshops des Beirats, zum Teil unter reger und intensiver Beteiligung der einschlägig interessierten Öffentlichkeit, war die Frage, welche Inhalte, Themen und Forschungsfelder für Lehrende und Studierende in Hamburg von Bedeutung sein könnten. Zugleich war den Beteiligten klar, dass ein Konzept, welches sich nicht im Grundsatz am Vorhandenen orientiert, von vornherein zum Scheitern verurteilt wäre. Zugleich ist es weiterhin erklärte Absicht, die Gender-Perspektive in den technischen Fächern und Ingenieurswissenschaften der Hochschulen stärker als bisher als festen Bestandteil in Lehre und Forschung zu etablieren. Im Ergebnis zielt das Hamburger Modell der „Gender und Queer Studies“ auf eine Focussierung der drei Schwerpunkte

1 „Arbeit“
2 „Konstruktionen von Körper und Raum“ und
3 „Technoscience“

Eine Ausdifferenzierung dieser Bereiche soll

4 neue Wissenschaftsströmungen aufnehmen (Körper/Raum;
Technoscience), ohne klassische Zugänge zu reduzieren (Arbeit)
5 das Aufgabenfeld der „Gender-Professorinnen“ konturieren
6 systematisch die bisher wenig beachteten Natur- und
Technikwissenschaften sowie die Kunst in den Blick nehmen,
7 die kooperative Entwicklung interdisziplinärer und
interhochschulischer Lehrveranstaltungen sowie die Definition
neuer Forschungsfelder befördern und
8 schließlich die intensive Nutzung des bereits bestehenden
Lehrangebots erlauben.


2. Vom Studiengang zum Studienprogramm

Die anfängliche Idee eines hochschulübergreifenden Studiengangs erwies sich bald als wenig realistisch. Die systematische Analyse zeigte, dass sowohl die Zugangsvoraussetzungen, Vorkenntnisse, Zertifizierungswünsche und Ausbildungs- und Berufsinteressen des AdressatInnenkreises wie auch die institutionellen Voraussetzungen der beteiligten Hochschulen zu unterschiedlich waren, um sie in einem gemeinsamen Angebot bündeln zu können. Inzwischen wurde eine Studienstruktur entwickelt, die den spezifischen Interessen verschiedener Gruppen von Studierenden und den Gegebenheiten der jeweiligen Hochschulen so weit als möglich entspricht.
Während andere deutsche Hochschulen Gender Studies zumeist als Magister-Nebenfach etabliert haben, ist es in Hamburg seit dem Wintersemester 2002/2003 grundsätzlich möglich, Gender und Queer Studies

1 als Magister-Nebenfach zu belegen (Universität Hamburg)
2 als Neben-, Wahl- bzw. Wahlpflichtfach in Diplom-Studiengängen
zu studieren (Universität Hamburg)
3 im Master-Studiengang „Gender und Arbeit“ konsekutiv bzw. nach
einem ersten berufsqualifizierenden Hochschul-Abschluss zu
absolvieren (HWP unter Mitwirkung von Ev. FH und HAW)
4 als Zusatzfach mit Eintrag ins Diplomzeugnis zu belegen
(verschiedene Hochschulen) – in Arbeit
5 in Form einzelner Studienangebote zu studieren und
Leistungsnachweise am Heimatfachbereich bzw. –dekanat anerkannt
zu bekommen.

Programmgemäß wird grundsätzlich allen Studierenden der Zugang zu Lehrangeboten des Gender- und Queer-Studienprogramms gewährt. Die Immatrikulation an einer Hamburger Hochschule ist wesentliche Zugangsvoraussetzung; der Masterstudiengang formuliert weitere Anforderungen.
Zentrales Element des Konzepts ist die gemeinsame Nutzung des einschlägigen Lehrangebots zur Frauen- und Geschlechterforschung, d.h. die Bildung eines Lehrangebots-Pools: An vielen Hochschulen, insb. der Universität Hamburg und der HWP, kann hier auf ein breites Angebot zurückgegriffen werden. Die verfügbaren Lehrveranstaltungen orientieren sich dabei
6 an den Verpflichtungen, die die Hochschulen im Rahmen von Ziel-
und Leistungsvereinbarungen eingegangen sind,
7 am Lehrdeputat der Gender-Professuren (hälftig in das
Studienprogramm),
8 an der Zahl der von den Fachbereichen entweder auf Basis dauerhafter Kooperationsvereinbarungen oder unabhängig davon, d.h. im Rahmen des „normalen“ Lehrangebots des FB, zur Verfügung gestellten SWS.

Aus dem Angebots-Pool entnehmen die beteiligten Hochschulen Lehrveranstaltungen nach Maßgabe des von ihnen konzipierten Studiengangs bzw. anderer im Rahmen von Studiengängen anzuerkennender Studienleistungen.


3. Das Studienprogramm im einzelnen

a) Das Magister-Nebenfach bzw. Diplom-Neben-/ Wahlfach (Universität Hamburg)

Die Universität Hamburg ist der bei weitem größte „Anbieter“ von Lehrveranstaltungen aus dem Bereich der Frauen- und Geschlechterforschung und zugleich, gemessen an der Zahl der Studierenden, die größte Hochschule des Landes Hamburg. Sowohl unter Praktikabilitätsgründen als auch mit Blick auf die Nachfrage der Studierenden schien hier die Einrichtung eines Magister-Nebenfachs opportun. Zugleich gingen Bestrebungen dahin, auch Diplom-Studierenden ein systematisches Studium von Gender Studies zu ermöglichen. Unter Mitwirkung einer Vielzahl von Personen aus verschiedenen Fachbereichen und Statusgruppen wurde der Teilstudiengang „Gender Studies“ erarbeitet und in 2002 durch die Hochschulgremien gebracht.
Nachdem Studierende bereits zwei Semester lang die Möglichkeit hatten, Leistungsnachweise in sog. „Gender-Basics“ zu erwerben, nahm der Teilstudiengang Gender Studies für Magister- und Diplom-Studierende im Wintersemester 2002/03 offiziell den Lehrbetrieb auf. Er umfasst 30 SWS (16 im Grund- und 14 im Hauptstudium) im Magister-Nebenfach bzw. 20 SWS (12 und 8 SWS) im Diplom-Neben- bzw. Wahlfach und wird getragen von drei Fachbereichen (Sozialwissenschaften; Kulturkunde /Kulturgeschichte; Mathematik) in Zusammenarbeit mit anderen Fachbereichen der Universität sowie den am Programm beteiligten Hochschulen. Die Absicherung erfolgt in einer – noch zu unterzeichnenden – Kooperationsvereinbarung zwischen den Dekanen der drei Fachbereiche; Organisation und Fortentwicklung des Studiengangs obliegen einem von diesen legitimierten Gemeinsamen Ausschuss.
Gemäß Studienordnung dienen die Grundlagenfächer des Studienganges der Vermittlung von Wissen aus folgenden Bereichen

9 Feministische Theorienbildung, Gender und Queer Studies
10 Geschichte ausgewählter sozialer Bewegungen unter besonderer
Berücksichtigung der Geschlechter- und Sexualitäten-Bewegungen
11 Technoscience (feministische Naturwissenschafts- und Technikforschung)

sowie im Hauptstudium der „projektorientierten Vermittlung von Forschungs- und Analysemethoden“. Daneben haben die Studierenden die Möglichkeit, Lehrveranstaltungen aus der Frauen-, Geschlechter- und Sexualitätenforschung aller Fachbereiche sowie der kooperierenden Hochschulen zu besuchen:

Teilstudiengang „Gender Studies“ als Magister-Nebenfach

Grundstudium

Art der Lehrveranstaltung SWS Leistungsnachweis

Grundlagenveranstaltung 1
„Einführung in die feministische Theorienbildung“ 2 SWS und 2 SWS Tutorium Leistungsnachweis

Grundlagenveranstaltung 2
„Subjektbegriff und Machtverhältnisse“ 2 SWS und 2 SWS Tutorium Leistungsnachweis

Lehrveranstaltung aus dem Grundlagenfach
„Geschichte ausgewählter sozialer Bewegungen unter besonderer Berücksichtigung der Geschlechter- und Sexualitäten-Bewegungen“ 2 SWS


Lehrveranstaltung aus dem Grundlagenfach „Technoscience“ 2 SWS

Seminar /Lehrveranstaltung (Wahl) 2 SWS

Seminar /Lehrveranstaltung (Wahl) 2 SWS

Gesamt: 6 Veranstaltungen 16 SWS 4 Leistungsnachweise


Hauptstudium

Art der Lehrveranstaltung SWS Leistungsnachweis

Projektseminar 1
z.B. Empirisches Praktikum / Übung/ Seminar mit Praxisbezug/ dekonstruktivistische Textanalyse/ Forschungswerkstatt 2 SWS Leistungsnachweis

Projektseminar 2
(oder Fortsetzung von Projektseminar 1) 2 SWS

Eine Veranstaltung Technoscience oder Queer-Studies (Wahlpflicht) 2 SWS

Hauptseminar/Seminar/Lehrveranstaltung 2 SWS

Hauptseminar/Seminar/Lehrveranstaltung 2 SWS

Hauptseminar/Seminar/Lehrveranstaltung 2 SWS

Interdisziplinäre Ringvorlesung 2 SWS Teilnahme

Gesamt: 7 Veranstaltungen 14 SWS 3 Leistungsnachweise


Teilstudiengang „Gender Studies“ als Diplom-Neben- bzw. -Wahlfach

Grundstudium

Art der Lehrveranstaltung (LV) SWS Leistungsnachweis

Grundlagenveranstaltung 1
„Einführung in die feministische Theorienbildung“ 2 SWS und 2 SWS Tutorium Leistungsnachweis

Grundlagenveranstaltung 2
„Subjektbegriff und Machtverhältnisse“ 2 SWS und 2 SWS Tutorium Leistungsnachweis

Lehrveranstaltung aus dem Grundlagenfach
„Geschichte ausgewählter sozialer Bewegungen unter besonderer Berücksichtigung der Geschlechter- und Sexualitäten-Bewegungen“ 2 SWS

Lehrveranstaltung aus dem Grundlagenfach „Technoscience“ 2 SWS

Gesamt: 4 Veranstaltungen 12 SWS 3 Leistungsnachweise


Hauptstudium

Art der LV SWS Leistungsnachweis

Projektseminar 1
z.B. Empirisches Praktikum / Übung/ Seminar mit Praxisbezug/ dekonstruktivistische Textanalyse/ Forschungswerkstatt 2 SWS

Projektseminar 2
(oder Fortsetzung von Projektseminar 1) 2 SWS

Hauptseminar/Seminar/Lehrveranstaltung 2 SWS Leistungsnachweis

Interdisziplinäre Ringvorlesung 2 SWS Teilnahme

Gesamt: 4 Veranstaltungen 8 SWS 2 Leistungsnachweise


b) Der Master „Gender + Arbeit“ (HWP-Kooperation mit HAW, Ev.FH und Uni HH)

Das Master-Programm „Gender und Arbeit“, administrativ und in weiten Teilen der Lehrkapazität des Kernangebots an der HWP angebunden, hat eine Studiendauer von 3 Semestern incl. der Abschlussphase. Das Kernangebot (2 x 12 SWS) richtet den Focus auf „Arbeit“, das Zusatzangebot (2 x 8 SWS) ermöglicht eine Vertiefung der Gender-Perspektive wahlweise in verschiedene Richtungen. Die Orientierung auf „Arbeit“ ist die Fortsetzung des Lehrangebots im Interdisziplinären Studienschwerpunkt Geschlechter- und Frauenforschung (ISGF); zur weiteren Profilierung dient die neu berufene BWL-Professur. Die Gestaltung des Zusatzangebots war daran orientiert, das von vielen Studierenden artikulierte Bedürfnis nach „mehr Theorie“ zu befriedigen; der Focus „Männlichkeiten“ signalisiert, dass Gender Studies keineswegs nur ein bedeutsames Studien-Angebot für Frauen darstellt.
Der M.A. "Gender und Arbeit" ist ein interdisziplinär angelegtes Studienprogramm, das

1 theoretische Zugänge zur Kategorie Geschlecht und zur Debatte um
Gleichheit und Differenz vermittelt,
2 Vertiefungen des inhaltlichen Schwerpunktes „Arbeit“ in
verschiedenen gesellschaftswissenschaftlichen Disziplinen
vornimmt,
3 Fähigkeiten und Handlungskompetenzen zum Erkennen und Lösen von
Gender-Konflikten vermittelt sowie
4 praxisrelevante Kontakte ermöglicht.

Im Kernangebot werden Lehrveranstaltungen in folgenden Modulen angeboten:

5 Kategorie „Geschlecht“ als Deutungsmuster und soziale
Konstruktion
6 Geschlecht und Macht im Wohlfahrtsstaat
7 Geschlecht in betrieblichen Organisationen
8 Geschlecht und Care

Im Zusatzangebot können die Studierenden zwischen einem eher praxisorientierten oder zwei theoretischen Angeboten wählen:
• Human Ressource Management - Personalpolitik
• Genderforschung: Theorien und Methoden
• Geschlechterverhältnisse – Männlichkeiten

Das Programm folgt der Überlegung, dass sowohl AbsolventInnen der HWP als auch anderer Hochschulen in der Regel kaum die Neigung zu einem weiteren grundständigen Studium haben, sondern an einer - beruflichen / akademischen - Spezialisierung interessiert sind. Diesem Anliegen trägt der Master Rechnung, der mit 20 Studierenden im WiSe 02/03 den Lehrbetrieb aufgenommen hat. Organisatorisch betreut wird das Programm vom Master-Ausschuss.


4. Die Praxis: Lücken - Tücken - Stolpersteine

Wie angedeutet, verlief und verläuft der Prozess der Entwicklung und Implementation von Gender und Queer Studies in Hamburg keineswegs reibungslos, - eine Einsicht, die vermutlich all jene teilen, die mit einem solchen Prozess an anderen Hochschulstandorten befasst sind. Gleichwohl lassen sich für die Hamburger Gender Studies Besonderheiten benennen, deren Bedeutung nicht unterschätzt werden sollten.


a) „Kooperation“ oder: acht Blumen machen noch keinen schönen Strauss

Wie gezeigt, wirken in Hamburg acht Hochschulen am Zustandekommen eines komplexen Studienprogramms mit. Dabei handelt es sich um Universitäten, Fachhochschulen und künstlerische Hochschulen von sehr verschiedener Größe mit unterschiedlichen Ausbildungszielen; ebenfalls sind Gender-Kompetenz und Engagement – bei den Lehrenden ebenso wie in den Präsidien - unterschiedlich. Davon nicht unberührt bleibt der Einsatz, mit dem in den Gremien der Hochschule für (oder über) die Durchsetzung des Gender-Programms gestritten wird: An mehr als einer Hochschule verzweifeln engagierte Frauen immer wieder an ihrer KollegInnen!
Ein weiteres kommt hinzu: An den Sondierungsarbeiten über Inhalte und Strukturen eines hochschulübergreifenden Programms waren gender-„ferne“ Disziplinen/Personen ebenso beteiligt wie gender-„nahe“ Disziplinen/Personen. Zuweilen wurden die Diskussionen erschwert durch vielfältiges und verschieden ausgeprägtes Wissen in Gender-Theorie und „-Praxis“, durch Sprachverwirrungen und sicher auch durch Befürchtungen, als vermeintlich weniger gender-kompetent „geoutet“ zu werden, - eine echte Herausforderung für uns. Wir lenkten Blick und Diskurs dann verstärkt auf mögliche interhochschulische Lehr- und Forschungsfelder und Kooperationen. Dadurch erfuhr das je unterschiedliche Wissen augenblicklich Anerkennung und wurde zu einer gleichrangigen Gender-Perspektive unter mehreren.
Viel Zeit verging über vertrauensbildenden Maßnahmen: Sowohl die Beiratsarbeit als auch die Kooperation mit den einzelnen Hochschulen litt anfänglich unter der „vorsichtigen Skepsis der Beteiligten. Man witterte Partialinteressen, Übervorteilungen und Vereinnahmungen. Dem konnten wir durch Gespräche, insbesondere aber durch aktive Unterstützungsleistungen für einzelne Hochschulen, zumeist recht wirksam begegnen. Auch wollten und sollten alle Hochschulen mit ihren spezifischen Interessen gesehen werden. Während Vertreterinnen „kleinerer“ Hochschulen manche Entwicklung zügig anschieben konnten, berichteten die Vertreterinnen der „großen“ Universität oft von bürokratischen und institutionellen Hemmnissen und Stolpersteinen, vom schwerfälligen Apparat und ermüdender Gremienarbeit. Hier galt und gilt es, sinnvolle Unterstützung zu geben.


b) Innovation vs. Bürokratismus: double-bind-Situationen

Der innovative Charakter des Studienprogramms Gender Studies in Hamburg stellt sich wesentlich über die hochschulübergreifende Kooperation bei Entwicklung, Implementation und Durchführung des Studienprogramms her. War man 1999 noch von der Möglichkeit ausgegangen, einen gemeinsamen (Master-)Studiengang entwickeln zu können, finden wir Anfang 2003 ein komplexes Studienprogramm vor. Das hat Gründe nicht nur in der Heterogenität der Zielgruppen. Vielmehr machten enge rechtliche Rahmenbedingungen ebenso wie bisherige Erfahrungen mit hochschulübergreifenden Studiengängen wenig Hoffnung, mit Gender Studies einen weiteren Anlauf zu wagen. Doch auch der motivierende Gedanke an kleiner dimensionierte interdisziplinäre / interhochschulische Kooperationen in Lehre und Forschung gerät beim Versuch seiner Realisierung oft an hochschulpolitische und bürokratische Grenzen. Diese treten in Erscheinung als Rede von der Nicht-Anrechnung auf das Lehrdeputat, von Kapazitätsberechnungen, von langwierigen bürokratischen Anerkennungsprozeduren. Das betrifft ebenso die Anerkennung von Scheinen, die die Studierenden an einer anderen als der Heimat-Hochschule erwerben. Es ist ja keineswegs selbstverständlich, dass eine Universität den an einer künstlerischen oder Fach-Hochschule erbrachten Leistungsnachweis anerkennt, - ein akademischer Dünkel zum Leidwesen der Studierenden.
So befinden wir uns gleichsam in einer double-bind-Situation: Einerseits sollen wir - im Sinne der Hochschulmodernisierung - innovative, Synergie-orientierte Kooperationsmodelle entwickeln, möglichst unter Einbezug von Studienreformüberlegungen und neuen hochschuldidaktischen und methodischen Modellen, andererseits „funktioniert“ das Feld, in dem wir uns bewegen, noch ganz nach der „traditionellen“ Logik. Das ermüdet selbst die stärksten Frauen.


c) „Gender-Tussies“ oder: Nutzen und Nachteil einer Frauenfördermaßnahme

Auf den ersten Blick eine Gnadengabe, erwiesen sich auch die sog. Gender-Professuren als ein Danaergeschenk: Wie oben beschrieben, löste diese Förder-Strategie das HSP III ab, dessen zentrale Funktion in der systematischen Förderung des weiblichen akademischen Mittelbaus bestand. Indem Qualifizierungsstipendien nicht weiter finanziert wurden, stand manche Betroffene letztlich vor dem beruflichen Nichts. Zugleich wurden nicht selten eben jene Frauen aus dem akademischen Zusammenhang „freigesetzt“, die zuvor sehr engagiert auf dem Feld der Gender Studies tätig waren. Das beförderte leider auch die Ressentiments gegenüber den Gender Studies.
So begrüßenswert die Einrichtung von 10 C 3-Professuren war, - diese Maßnahme rief viele noch ungelöste Probleme hervor. Das begann mit den Verhandlungen zwischen BWF und Hochschulen: Entscheidungen über die Lozierung der Professuren wurden zu einer Zeit getroffen, in der Inhalte und Strukturen des Studienprogramms noch gar nicht entwickelt waren. So stand der Beirat vor der im Grunde absurden Situation, ein Studienprogramm gleichsam um die Professuren herum konzipieren zu müssen, statt mit ihnen gezielt inhaltliche Defizite abbauen zu können. Aufgrund der langwierigen - und zum Teil noch laufenden – Berufungsverfahren konnten die Professorinnen an der Konzeption des Programms zudem nicht beteiligt werden, sollen dies später aber in wesentlichen Zügen (mit-) tragen. Das ist ein zentrales strukturelles Manko; Doppel-Lozierung und Befristung der Stellen tragen ebenfalls nicht dazu bei, die Professuren für engagierte karrierebewusste Frauen attraktiv zu machen!
Auch inhaltlich birgt die Strategie der Einrichtung von Gender-Professuren Tücken. Wohlwollend mag man sagen, dass sich damit die Chance bietet, innerhalb der Fachbereiche und Hochschulen um diese Frauen herum Gender-Schwerpunkte einzurichten. Kritisch kann hiergegen eingewendet werden, dass damit die Chance wenn nicht vertan, so jedenfalls erschwert wird, „Gender“ als Querschnitt-Thema in den Fächern zu verankern: Wenn die „Gender-Tussies“ die Arbeit machen, braucht der (männliche) „Rest“ sich kaum mehr zu bewegen.


d) Gender Studies, ein ungeliebtes Kind? Die leidige Ressourcen-Frage

Gender Studies etablieren sich zu einer Zeit, die leider von allgemeiner Sparwut bzw. Spar-Notwendigkeit geprägt ist. (Dass diese in Hamburg gerade die Frauen- und Sozialprojekte schlimm erwischt hat, kann uns an dieser Stelle nicht weiter beschäftigen.) Zudem sind sie, hört man einmal genauer hin, was in Gremien und Senatsausschüssen geflüstert wird, „irgendwie gesellschaftlich nicht wichtig“ - jedenfalls nie so wichtig wie Biotechologien, Neue Medien und all diese eine aufregende Zukunft verheißenden Themen. Das ist eine für die mit der Gender-Materie vertrauten Menschen gänzlich unverständliche, aber nicht folgenlose Einschätzung, denn: Ein wissenschaftliches Feld, an das sich keine „Exzellenz“-Erwartungen richtet, kann derzeit auch nicht mit finanziellen Förderung rechnen. Das Klima ist also weiterhin durchaus kühl.
Auf den ersten Blick ist das Studienprogramm mit den 10 Gender-Professuren für die nächsten Jahre dennoch materiell gut ausgestattet. Gleichwohl: Es wurde in keiner Weise für den Unterbau gesorgt. So sieht das Bund-Länder-Fachprogramm (sh. 1.) keinerlei Mittel für die Ausstattung der Professuren mit wissenschaftlichen Assistenzen oder MitarbeiterInnen vor; die Finanzierung der - hochschulübergreifenden - Programm-Planerin/Koordinatorin erfolgte aus Restmitteln des HSP III, die Stelle ist bis Ende 2003 befristet. Konkrete Überlegungen, wo das Studienprogramm (bzw. anfänglich der Studiengang) auf Dauer angesiedelt und administrativ betreut werden sollte, erfolgten zunächst nicht, entsprechend wurde der Finanzierungsbedarf weder bedacht noch gar kalkuliert. In dieser Hinsicht gibt es bis heute kaum Unterstützung aus einer Reihe von Hochschulen - diese hängt sehr an Einsicht und Engagement der einzelnen Präsidien.
Tatsache ist, dass aufgrund der bestehenden Vakanzen bei den Gender-Professuren eine Reihe von - obligatorischen - Lehrangeboten im Moment nicht vorgehalten werden kann. Das ist ein unbefriedigender, für die Studierenden gar dramatischer Zustand. Gegenwärtig klären Beirat und Planerin daher in Verhandlungen mit BWF und Hochschulen, ob aus den Programm-Mitteln auch andere Maßnahmen zur Sicherstellung des Studienprogramms finanzierbar sind. Denn nur durch eine dezidierte Mittel-Umwidmung in Verbindung mit einer stabilen, d.h. dauerhaften und vertraglich abgesicherten finanziellen Ausstattung für Lehre, Koordination und Administration kann dieses ambitionierte und für Hamburg durchaus ein Aushängeschild darstellende Gender-Programm sichergestellt werden.


5. Bottom Up vs. Top Down? - ein Fazit

Hamburgs Frauen- und GeschlechterforscherInnen können zu Recht sehr stolz auf fast zwei Jahrzehnte der inhaltlichen Zusammenarbeit zurückblicken, die sich oft unter widrigsten Umständen und gegen vielfältigen Widerstand gestaltete. Darum mag auf den ersten Blick verwundern, dass die konzeptionelle und inhaltliche Kooperation beim Aufbau des Gender-Studienprogramms sich verhältnismäßig müde ausnimmt: Der innovative „Biß“ der Beteiligten hat zuweilen etwas Zahnloses. Das aber ist ganz sicher kein Ausdruck von Desinteresse. Vielmehr lässt sich hier – wie in der Diskussion um Gender Mainstreaming – beobachten, dass es offenbar einen gravierenden und folgenreichen Unterschied ausmacht, ob Menschen für etwas streiten, das zunächst einmal sie selbst wollen, oder ob sie im Auftrag handeln. Mehr noch: Viele der an der Etablierung der Gender Studies in Hamburg beteiligten Frauen erfuhren in all der Zeit mehr oder weniger offene Anfeindungen für ihr feministisches Engagement und erhielten dabei kaum Rückendeckung aus ihren Hochschulen oder seitens der Politik. Und nun sollen sie, versehen mit einem politischen Auftrag, das umsetzen, für das sie so lange gestritten haben. „Das“ ist aber längst nicht mehr „das“, will sagen: Die aus feministischen Zusammenhängen erwachsenen, gegen Widerstände verteidigten Konzepte sind längst von einer Politik vereinnahmt worden, die damit durchaus eigene Interessen verfolgt. Das zeigt das Hamburger Beispiel sehr deutlich: der Strategiewechsel bei der Frauenförderung, die Verhandlungen über die Lozierung der Professuren, die finanzielle (Nicht-)Ausstattung des Programms über die Professuren hinaus – alle Entscheidungen hierüber fanden letztlich über die Köpfe jener Frauen hinweg statt, die diese Entwicklungen allererst auf den Weg gebracht hatten. Diese Einsicht scheint mir zum Verständnis einer gewissen „Langatmigkeit“ des Prozesses essentiell.

Wenn diese Frauen – und Männer - dennoch nicht den Mut verlieren, immer wieder auf’s neue Anläufe zur Durchsetzung der Gender und Queer Studies auf hohem Niveau unternehmen, sich nicht dauerhaft zurückziehen, so liegt das schlicht daran, dass Engagement und Interesse, Herzblut und Vision nicht verloren gegangen sind, dass patriarchalische Borniertheit und akademischer Chauvinismus in unheiliger Allianz mit notorisch verkrusteten Strukturen den (feministischen) Willen zur Veränderung vielleicht kurzzeitig verschütten, aber letztlich nicht brechen können. Und das macht Hoffnung.




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