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Mitschnitt vom 30.12.10

Autor: Mitschnitt Antje Eske

30.12.2010. Konversation 12: Erfahrungen im Social Web: Algorithmische Klangprogrammierung, et al.

Beteiligte: Kurd Alsleben, Patrick Borgeat, Antje Eske, Heiko Idensen, Jan-Kees van Kampen, Julian Rohrhuber, Juan Gabriel Alzate Romero, Valentina Vuksic, Renate Wieser.

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Im Hintergrund spielen ´Powerbooks unplugged´.
Sie spielen ganz leise, so dass nicht jeder mitbekommt was läuft und sich ein Gespräch über die gestrigen Erfahrungen entwickelt. Heiko: wir hatten ja gestern schon die Unterschiede im musikalischen- und Sound-Universum festgestellt: nämlich das Chorische, dass alle gleichzeitig reden und dass es einen ziemlichen Unterschied gibt zu den bisherigen Spielformen, die wir hatten. Da musste man immer nacheinander reden. Hier kann jeder irgendwie anfangen und dann gibt es halt chorischen oder gemeinschaftlichen Sound, der sich überlagert oder auch nicht. Manchmal hört man die einzelnen Stimmen nicht, aber das ist das Tolle beim Sound, beim Musik machen. Das ist ja eigentlich auch die Urform des Sozialen. Zusammen tanzen und zusammen zu singen. Kurd: vielleicht ist das bei allen nichtsprachlichen Zeichen so? Heiko: beim Zeichnen auch, das kann man ja auch überlagern. Kurd: aber beim Reden? Wörter kann man eigentlich nicht überlagern, es sei denn, man nimmt sie als Klänge. Heiko: als Pattern, das gibt es natürlich auch. Man kann mit Worten auch auf diese Weise umgehen. Kurd: aber wenn man den Gedanken meint, dann nicht. Alles andere, also wie wir uns angucken, geht ja auch gleichzeitig. Renate: es gibt ja Musik, wo das anscheinend schwer fällt, zusammen zu spielen. Wo dann Dominanzen funktionieren oder es einen Bandleader geben muss. Heiko: oder das klassische Orchester. Kurd: oder wenn wir den Chor nehmen - Antje hat ja gern im Chor gesungen - da dachte ich oft, ohne Chorleiter geht das gar nicht. Und wie geht das jetzt mit der Konversationsidee zusammen? Meinst du das auch? Renate: ja, klar. Chorleiter ist dann schon jemand, der das bestimmt. Und dann wäre man vielleicht auch wieder bei den Codes, weil man irgend eine Regelung treffen muss, wie das funktioniert. Kurd: wenn ihr ´Code´ sagt, was meint ihr damit? Renate: na ja, erstmal schon den Programmcode. Aber gestern wurde das ja sofort erweitert. Es wurde gesagt: Code bedeutet wie der Mensch programmiert ist oder welche Regeln es geben soll. Kurd: ah, ja. Code Napoleon und so. Julian: ja, der Rechtscode. Es kommt eigentlich ursprünglich mal aus dem Recht, glaube ich. Renate: oder du hast freie Improvisation. Aber das ist nicht Jedermanns Sache.

Julian: die Idee war ja auch, zu klären: gibt es Gesprächsformen, in denen so eine Gleichzeitigkeit möglich ist. Wenn es Musikformen gibt, in denen das nicht möglich ist und andere, in denen das möglich ist. Wobei in der Musik ja immer vorausgesetzt ist, dass man irgendwie gemeinsam Musik macht und das gleichzeitig. Es ist nur die Frage, unter welcher Regel. Aber in der Kneipe, da reden ja auch alle gleichzeitig. Immer kleine Gruppen abwechselnd, aber nicht alle können zuhören. In der Musik können doch alle irgendwie allen zuhören. Oder das verlangt man zumindest. Es ist aber auch schwierig, wirklich allen zuzuhören.

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Patrick: ganz rechts die Frage ist, ob man immer nur einer Stimme wirklich zuhört oder quasi dem Gesamten irgendwie lauschen kann.
Also ob man wirklich zwei Stimmen zuhören kann. Jeder Stimme gleichzeitig. Nicht so sprunghaft abwechselnd. Renate: das ist ja bei ganz vielen so, dass du dann einen Trick hast, wo du mit zwei Händen jeweils was ganz Verschiedenes spielen kannst, indem du das auf ´ne Art zusammenhörst. Oder afrikanische Musik ist ja auch oft so, dass es eigentlich langweilig ist, was der Einzelne macht. Es wird nur dadurch spannend, dass man es nicht mehr unterscheiden kann. Patrick: aber ist das Spannende nicht auch das, was quasi aus dem Gemisch dann wieder heraussticht? Also irgendwelche Überlagerungen oder Interferenzen, die dann irgendwie entstehen? Renate: ja. Und es ist ja auch toll, wenn man es hinkriegt. Z.B. hast du etwas, was heraus sticht und das ist vielleicht auch ´ne Kombination aus zwei Instrumenten und dann verschiebt sich das. Und plötzlich denkst du, deine Aufmerksamkeit geht auf was Anderes. Aber in Wirklichkeit ist einfach eine Verschiebung im Spiel. Kurd: wenn du mit Menschen zusammen bist, und es wird ganz allgemein geredet, dann kommen ja andere Eindrücke, oder nennen wir es ruhig mal ´Zeichen´, also andere Zeichen auf dich zu. Ausdrücklich. Und die bewegen dich ja. Und sie bewegen, was du sagst. Es sind vielleicht wirklich hauptsächlich die Worte, mit denen es nicht geht. Oder die Gedanken. Antje: wo was nicht geht mit den Gedanken? Kurd: gleichzeitig. Antje: Gedanken können doch gleichzeitig stattfinden. Hier strömen doch die Gedanken alle gleichzeitig. Das macht doch nichts. Julian: aber wir können sie nicht alle von allen gleichzeitig hören. Antje: das stimmt. Oder man müsste es trainieren. Lacht. Es gibt ja Gedankenübertragung. Vielleicht kann man das trainieren, dass man gleichzeitig mehrere Gedanken übertragen bekommt. Heiko: das machen wir in der nächsten Runde. Antje: ich glaube, so ganz schnell geht das nicht. Heiko: stimmt.

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Renate: wir können gleichzeitig konversieren üben.
Ich glaube, ich bin da ganz schlecht. Heiko: auch noch ohne technische Hilfsmittel. Boahhh. Renate: ich kann nicht mal ein Buch lesen, wenn gleichzeitig ein Lied läuft. Jan-Kees: nee, ich auch nicht. Ich finde das schwierig. Also bestimmte Sachen, so atmosphärische Sachen, gehen schon, denke ich. Aber wirklich ein Lied, das geht nicht. Antje: das kann ich auch verstehen: entweder, oder. Entweder man konzentriert sich auf das Lied oder auf das andere. Kurd: da gibt´s ja von Rühm die Sache, er liest ein Buch und hat einen Bleistift. Kennt ihr das automatische Schreiben? Den Bleistift hat er in der Hand. Wir kennen das, das hat er auch mit uns gemacht. Oder mit einer Planchette, die auf Rollen ist und in der Mitte ist ein Bleistift drin. Dann liest er und zeichnet dabei, ohne dass er sich darauf konzentriert. Wir haben das auch mal mit mehreren gemacht. Also eine Planchette, in der Mitte war der Bleistift und mehrere haben die Hand d´rauf gelegt und sich sozusagen auf gar nichts konzentriert. Und dann ist da immer was bei ´rausgekommen. Also so ein bisschen verkringelte Geschichten. Julian: diese Planchette ist eigentlich ein Stift und zwei Stützteile ... Antje: wie ein Dreieck. Julian: genau und man kann an zwei Stellen, die nicht der Stift sind ... Antje: drei Stellen waren´s. Der Stift war in der Mitte. Julian: ach, der Stift war in der Mitte. Antje: ja, man konnte an drei Stellen zu mehreren anfassen. Julian: und dann fängt das an, sich von selber zu bewegen. Das ist so wie Tische rücken. Antje: das möchte ich nun doch erzählen. Wir waren in der Hochschule und hatten uns aufgeteilt. Eine Gruppe waren die Jungs und die andere die Mädchen. Und dann war es so, dass bei den Mädchen in der Mitte ein ganz kleiner Kringel ´rauskam. Und die Jungs haben das ganze Blatt voll gemalt. Das fand ich so absurd. Kurd: es gibt auch einen Blumentopfuntersetzer auf Rollen. Der hat vier Rollen und ist bei Rossmann zu kaufen. Damit kann man es auch machen. Man muss sich für den Bleistift ein Loch reinbohren. Antje: das können wir doch im Januar machen. Kurd: ich glaube, da kommen wir nicht zu. Julian: also beim Sprechen ist ´gleichzeitig´ schwierig. Bei Musik ist es Voraussetzung. Bei der Arbeit? Kurd: da ist es Ablenkung. Julian: also arbeiten muss man ja oft gleichzeitig, z.B. abspülen und einer trocknet ab. Das ist eigentlich so ähnlich wie Musik machen. Kurd: das nennen wir ´Umlauf´. Julian: Umlauf? Warum Umlauf? Renate: wer seid ihr? Antje: das habe ich noch nicht verstanden. Was ist beim Abwaschen und Abtrocknen das Konversationelle? Julian: das ist noch eine Frage mehr, erstmal das Musikalische. Juan Gabriel: ich finde, bei der Arbeit ist es meistens sehr sequenziell, da muss einer was machen und der andere verarbeitet es weiter. In der Musik muss es parallel entstehen. Antje: ja eben. Denn wenn der eine nicht abwäscht, kann der andere nicht abtrocknen. Julian: genau. Wenn der Bass nicht spielt, kann ... ich meinte die Bewegung, die du gemacht hast, dieses Interlocking, das ist eigentlich die Idee, warum ich drauf kam. Weil es ineinander greifen muss. Antje: aber das stimmt auch nicht. Der könnte doch abwaschen und weggehen und dann kommt der andere ... Julian: o.k., das meine ich doch nicht.

Renate: es gibt so eine Stimmung beim Arbeiten. Kurd: es war so überraschend für mich, als du das gestern sagtest. Warum ist es ein wichtiges Thema? In der Musik ist es ein wichtiges Thema? Oder? Julian: was? Kurd: dieses Thema Gleichzeitigkeit. Wir sprechen ja von Ansinnen. In der Konversation kann man sich mit Worten austauschen, aber gleichzeitig tauscht man sich ja mit sehr vielen anderen Sinnen aus. Gleichzeitig. Das ist nicht spezifisch dieses oder jenes, sondern komplex. Das nennen wir ´Ansinnen´. Der Begriff ist von Heidi Salaverría. Oder man redet gar nicht und sinnt sich an. Das gefällt uns ganz gut. Nützt vielleicht jetzt für die Musik nicht, das kann schon sein. Wo das alles ansinnen ist, oder? Renate: wäre es denn für dich wichtig? Sowas wie Konversation auf Gespräch, also Inhaltliches, einzuschränken? Dass es mit den Worten zu tun hat, die was bedeuten. Wobei natürlich eine bestimmte Melodie auch eine kulturelle Bedeutung hat, aber es macht natürlich einen Unterschied. Auch dieser Unterschied, dass nicht alle gleichzeitig reden können, hat ja was damit zu tun, dass wir das nicht verstehen würden, weil wir d´rüber nachdenken. Kurd: also in der Umgangssprache findet Konversieren mit Worten statt. Aber so verstehen wir es nicht, denn ursprünglich heißt konversieren einfach: Umgang miteinander haben, miteinander umgehen. Nicht nur mit Worten. So freute uns das Wort ´ansinnen´. Das hat uns sehr geholfen. Julian: also ansinnen hat geholfen, weil es erstmal vom Sprechen befreit? Kurd: ja! Julian: es kann auch Zeichnen sein ... Antje: oder spielen. Konversationsspiele. Auch zusammen singen oder zusammen Musik machen. Das würde alles mit reinfallen. Julian: oder zusammen sehen. Antje: ja, genau! Kurd: ja, das geht auch. Julian: es gab auf FSK mal einen Bericht über ein Fußballspiel, ich glaube von der Europameisterschaft, wo die Leute, die da im Radio gesprochen haben, sich das Fußballspiel angeschaut haben und es kommentiert haben. Aber völlig ignorant und total laienhaft in dem Sinn und richtig peinlich für jemanden, der sich mit Fußball auskennt, ich ja nicht. Für alle anderen total lustig. Mit irgendwelchen Kommentaren. Also: ´gemeinsam sehen´. Erst wenn man das Fußballspiel dann auch anschaut, kann man verstehen, was sie sagen, sonst kann man´s nicht verstehen. Julian: sollen wir eine Runde spielen? Zustimmen von der Gruppe.

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´Powerbooks unplugged´ spielen eine halbe Stunde. Dabei entspinnt sich ein Gespräch.
Kurd: soll ich mal was fragen? Ist das Konversationelle für euch musikalisch-artistische Heuristik? Also um auf artistische Erfindungen zu kommen oder was anderes? Man kann doch sagen, wie soll ich denn Kunst machen? Ich erinnere mich, zu der Zeit (zeigt auf die frühen Computergrafiken von 1960 an der Wand im ZKM), da habe ich zu meinem Freund Cord Passow, Physiker, gesagt: ja, was soll ich denn bloß machen? Und da hat er gesagt: ich gebe dir mal einen ganzen Satz mathematische Kurven. Oh ja, sage ich, komm, mach das bitte! Er hat mir dann mal eine Lemniskate gemacht, aber danach hörte es auf. Das war ihm wohl auch zu viel. Aber da war ich froh. Damals habe ich noch mit Tempera gemalt und habe zwei Lemniskaten-Bilder gemacht, oder drei. Das wäre ja in dem Fall eine bildliche Artistik zur Heuristik gewesen. Jan-Kees: ja, ich glaube schon, dass wir etwas erfinden wollen. Und bis wir etwas erfunden haben, ändert sich auch alles schneller. Aber wenn wir die Idee haben, dass etwas steht, dann lassen wir das auch mal. Aber dann soll es auch wieder nicht zu lange sein. Also es geht schon auch darum, etwas Musikalisches zu erfinden. Kurd: ihr sagt aber nicht, die Konversation ist ein Mittel, was ihr einsetzt, so wie ich meinem Freund gesagt habe: komm, mach mir doch noch mehr Kurven. Sondern ihr sagt, wir benutzen die Konversation als Artistik. Julian: wenn du fragst, geht es um das Produkt der Konversation oder um die Konversation selbst, das ist die einfachste Sache. Heiko: das glaube ich schon nicht, sonst hättet ihr ja aufgezeichnet. Es gab ja keine Aufzeichnung, keine Archivierung. Julian: ja, manchmal ist man wahnsinnig froh, wenn man eine Aufzeichnung hat, aber es zielt nicht darauf ab. Renate: und Aufzeichnung ist meistens Stereo. Heiko: Stereo? Renate: na ja, die Qualität von den Sachen, wenn sie auf verschiedenen Rechnern laufen und im Raum verteilt sind, die hat es nicht. Das wäre dann sowas zur Erinnerung oder zum Nachgucken. Heiko: also die Aura fehlt, wie Benjamin schon sagt. Renate: nee! Es ist ganz einfach ein technisches Problem. Weil diese Räumlichkeit doch anders wirkt.

Kurd: die Aura, gibt´s die nun oder nicht. Was meint ihr? Julian: Aura, wenn sie erstmal bezogen ist auf technische Reproduzierbarkeit, dann wird´s eigentlich spannend. Weil wir ja die ganze Zeit reproduzieren. Heiko: ja, das meine ich. Aber bei euch ist es ja umgekehrt, weil ihr von vornherein die Dinger benutzt und gar nicht im Konzert seid. Radio.de ist nichts gegenüber einer Symphonie im Konzert. Obwohl man sagen kann: die richtige Stereoanlage ist doch viel besser als ein Konzert, weil ich da die Leute husten höre. Boah! Die richtigen Stereofreaks mit ihrer Platte. Da hört man das Knistern! Die hören´s doch nur, wenn die Stereoanlage knistert und sie dieses gewässerte Teil da haben. Für die ist ja MP3 gar nichts. Eine Symphonie auf MP3 zu hören geht ja dann erst recht nicht. Aber ein Youtube-Konzert ist natürlich was anderes. Julian: vielleicht ist es spannend zu fragen, was Transparenz ist. Also Durchsichtigkeit. Vielleicht ist diese Frage von der Aura im Moment auch gar nicht mehr so das Problem. Natürlich gucken wir gerne durch Dinge durch und sehen was anderes als die Sache. Das ist ja auch bei der Reproduktion so. Bei einem Foto sehen wir auch was anderes als das Foto. Da bleibt dieses Verhältnis zu etwas Auratischem irgendwie doch erhalten. Kurd: Darf ich mal auf das Buch im Raum hinten verweisen, das Buch von 1552. Da hinten haben wir ein Original liegen von 1552. Das Buch ist 1528 entstanden und das ist die zweite Auflage. Julian: also das Original ist schon in sich keins. Heiko: beim Buch gibt´s ja kein Original. Kurd: ich merkte, als die Frau von der Staatsbibliothek das Buch im Rucksack brachte, dass alle in Hab-Acht-Stellung standen. Auch die Leute, die die Vitrine gebaut hatten. Und dann holte sie es raus und schlug es auf. Antje: ich meine, für uns hat es ja auch eine Bedeutung, weil das für uns sozusagen der Anfang der Konversationskunst ist, die dann 100 Jahre später in die Salonkultur überging. Castiglione hat alles aufgeschrieben, was da bei Elisabetta Gonzaga konversiert und gespielt wurde. Auch was die sich an Konversationsspielen ausgedacht haben. Und ich habe diese Spiele auch alle in Computer und Netz mit meinen Studierenden weitergespielt. Wir sind damit sehr verbandelt. Kurd: ein großer auratischer Gewinn. Darf man oder soll man auratische Empfindungen nicht mehr haben? Renate: bei Benjamin ist das ja sehr trickreich. Ganz viele lesen den Text so, als würde Benjamin traurig sein, dass dieses Auratische weggeht, aber eigentlich ist er das nicht. Antje: wir haben doch auch mal auratisch Benjamin gelesen. Julian: mit Originalausgabe und so? Antje: das war im ´FRISE´, in Hamburg. Jeder hat, was ihn dabei antörnte, versucht darzustellen. Das hat Spaß gemacht. Kurd: Sabine hat sich Papierröllchen in die Nase gesteckt. Antje: das haben wir in ´Terpsichore´ dokumentiert.

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Julian erinnert sich.

Renate: Aber vielleicht noch mal zurück. Das war ja schon ein bisschen trickreich, als du gefragt hast, ob es um das Heuristische geht. Kurd: naiv, ich bin naiv. Renate: nein, nein, das glaube ich dir nicht. Aber ich glaube schon, dass das Konversationelle auch ein Überlegen ist, wie man zusammen spielt. Wie man das gestaltet, dieses zusammen Musik machen. Ein Konzept ist auch eine Heuristik. Dass man zusammen auf die Idee kommt, was würde da passen. Und dass man auch verschiedene Spiele spielen kann im Soundbereich. Das ist sicher das, was mehr Spaß macht, als unbedingt irgendwelche Sounds zu entdecken, die schön sind. Aber das kann man nicht trennen, glaube ich. Kurd: es gibt doch auch, dass du sagst: ja, so will ich´s haben! Wenn ihr sagt: so soll es jetzt insgesamt klingen. Sonst würdet ihr doch was anderes machen, oder nicht? Jan-Kees: wir haben noch nicht wirklich - obwohl es ab und zu ein bisschen entsteht - so einen Weg gefunden, über die Geräusche zu konversieren. Wir können nicht mit Geräuschen sagen, dass es diesen Weg längs gehen soll. Oder: jetzt finde ich es gut, lasst mal sein. Dafür haben wir dann den normalen Chat-Austausch. Aber es wäre schön, wenn es ab und zu sowas geben würde. Julian: jahaaa. Aber ein bisschen, ein bisschen ist das schon so. Wenn ich höre, es passiert was in eine bestimmte Richtung, dann ist es für mich auch immer das Zeichen: jetzt geht es in diese Richtung. Das ist nur so abstrakt, dass ich es nicht fassen kann. Jan-Kees: aber dafür sollten wir viel öfter zusammenspielen. Jetzt ist es nicht so oft, 3 mal pro Jahr, oder so. Ihr (´Benoit and the Mandelbrots´ ) spielt sicher öfter zusammen.

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Patrick: Mitte wir versuchen eigentlich, jede Woche zu spielen.
Jan-Kees: ja, wenn wir mehr üben würden, dann könnte so was einfacher entstehen. Antje: obwohl ich gestern stark den Eindruck hatte, wenn plötzlich ein neues Geräusch auftauchte, dass sich die anderen auch dahinter hängten und dann wurde es plötzlich so eine Fülle ... Jan-Kees: ja, aber das ist ein bisschen was anderes. Ich meinte, mit der Musik zu sagen, wo es hingehen soll. Antje: was würde das bedeuten? Jan-Kees: dass wir uns in Musik oder Geräuschen ausdrücken können: ja, das gefällt mir oder das gefällt mir nicht, z.B. dass wir dafür bestimmte Geräusche nutzen, die nur wir kennen. Eine sehr einfache Sprache entwickeln, um zu konversieren über die Musik. Und dass wir auf einem anderen Niveau dann nur Musik machen. Das passt immer irgendwie dazu und stört keinen. Dass wir keinen Text nutzen, um uns auszutauschen, wo es hingehen soll. Antje: obwohl ich finde, das widerspricht sich nicht, wenn man mehrdimensional konversiert, nicht nur auf einer Ebene, also musikalisch, sondern auch mal mit Text. Jan-Kees: es ist so, aber es wäre konzeptuell schön, wenn wir keinen Text dafür brauchen und das nur in Musik machen. Julian: in der javanischen Musik und balinesischen Musik ist das so. Das ist ja improvisierte Musik und die ganzen Zeichen, in welche Richtung es geht, sind wieder Musik. Wenn man es extrem sieht, könnte man sagen, dass die ganze Musik immer Zeichen ist, wo es hingeht. Es gibt Stücke, aber man weiß nicht, in welchem Stück man ist. Weil so viele Stücke so ähnlich sind. Antje: also würde das bedeuten, dass bestimmte Töne oder bestimmte Längen auch eine bestimmte Bedeutung haben, die alle kennen? Julian: ja. Antje: und darüber hinaus gäbe es dann ja auch noch Töne oder Rhythmen, die keine Bedeutung haben? Oder würde das alles mit Bedeutung belegt sein? Julian: das ist die Frage, das weiß man nicht so richtig. Jan-Kees: es gibt etwas, das läuft einfach, das ist die Musik, aber dann könnte man sich kürzere, kleine Klänge vorstellen, die eine Bedeutung haben könnten. Das müssen dann Klänge sein, die irgendwie immer ungefähr passen. Dass es nicht stört. Antje: und die Bedeutung würdet aber nur ihr verstehen. Jan-Kees: ja. Wenn wir viele Stunden spielen, dann wird es publik. So dass andere es dann auch verstehen. Aber es geht natürlich mit Text auch. Das geht sehr schnell und gut, Aber es wäre schön, wenn so etwas da wäre. Juan Gabriel: aber z.B. bei manchen Bands oder Ensembles, die auch improvisieren, bei denen merkt man, wenn einer anfängt so längere Töne zu machen, dann gehen sie alle runter und dann machen sie auch weiter. Und wenn einer wieder anfängt so einen relativ schnellen Rhythmus zu machen, dann geht es auch in die andere Richtung. Julian: und so passiert es bei uns auch die ganze Zeit, eigentlich. Aber eben auf einer sehr impliziten und weichen Ebene. Es gibt nicht eindeutig verabredete Zeichen, aber es gibt Tendenzen.

Jan-Kees: ich glaube, was wir jetzt mit Text machen, das könnte man vergleichen mit dem, was eine Band mit Gesten oder Blicken macht. Antje: aber das könntet ihr doch auch, denn ihr sitzt ja alle in einem Raum. Jan-Kees: machen wir auch ein bisschen, aber wir sind von unseren Augen abhängig (um den Code zu lesen oder zu verändern) und normale Musiker brauchen die Augen eigentlich nicht. Bei einem Musiker geht das im Hirn nicht gut zusammen, das lenkt ab. Julian: aber ein instrumenteller Musiker muss immer was tun. Ein Computermusiker muss nicht unbedingt immer was tun. Jan-Kees: aber das stimmt doch auch nicht. Ein Gitarrist kann ein großes System haben und ein Synthesizer-Spieler kann einfach ein Bierdeckel dazwischen haben oder einen Stein auf die Pedale legen ... Julian: und ´ne Zigarette rauchen. Patrick: das ist dann ein bisschen die Frage, ob der Lifecoder wirklich grad spielt oder ob er komponiert. Julian: was ist der Unterschied? Patrick: der Laptop spielt. Der Interpret hat immer Kontakt zum Instrument, wenn er einen Ton macht, während der Lifecoder eigentlich nur sagt, was zu tun ist. Jan-Kees: ich würde sagen, ein Komponist muss voraus denken und hat immer die Übersicht und ein Musikant, wenn er mit anderen zusammenspielt, hat seine eigene Rolle und verhält sich zu den anderen. Patrick: aber man spielt ja trotzdem immer quasi in der Zukunft. Man spielt ja eigentlich nicht in der Gegenwart. Renate: also ich kenne es, wenn wir hier spielen, nicht. Aber wenn wir zu zweit spielen, dann habe ich das schon, dass ich erstmal eingroove und langsam vorbereite und: jetzt! jetzt! Jan-Kees: also ich habe das mit ´Powerbooks unplugged´ noch nie gehabt, aber sonst schon: dieses soll jetzt in 10 Sekunden oder 20 Sekunden spielen. Habt ihr so etwas gemacht? Ich mache immer nur: jetzt. Denken ist etwas anderes, aber machen. Patrick: aber wenn du sagst: jetzt, dann startest du ja auch nur einen Prozess, der dann wieder mehrere Klänge erzeugt, oder? Jan-Kees: das stimmt. Es läuft dann von selbst. Patrick: zu den Klängen hast du ja keinen wirklichen Bezug mehr. Renate: doch, hören. Patrick; ja, hören, aber keinen Einfluss mehr. Jan-Kees: das ist dann so gemacht, dass es reicht, weil es sich selbst ein bisschen ändert oder es sind so Random-Sachen. Ja, da hast du recht, es läuft und du bist wieder mit anderen Dingen beschäftigt. Julian: wie wenn jemand anderes spricht. Dann musst du ihm zuhören. Das ist dann tatsächlich weniger gleichzeitig, weil man immer noch die Ebene hat, dass man selbst ein Stück außerhalb steht. Das ist eigentlich auch das Schöne.

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Juan Gabriel, vorne am Computer: meistens denkt man schon, während der Andere redet, an die Antwort.
Das ist auch beim Lifecoding so. Man hört, denkt vielleicht, was man besser machen kann oder was man ändern könnte. Man formuliert das und wenn das dann fertig ist, macht man diese Änderung, treibt sie konversationell weiter.

Julian: ich finde, das ist auch eine spannende Frage an die Konversationskunst, wie das eigentlich ist, wenn man zuhört und schon denkt, was man dann sagen wird. Ob das eigentlich was ist, was man eher vermeiden oder eher pflegen sollte? Also dieses: schon immer denken was ich dann als Nächstes sage und vielleicht gar nicht mehr richtig zuhören. Antje: aber ich glaube, das ist der Lernprozess. Was ich gestern auch zum Bilderchat gesagt habe: ´Was sage ich als Nächstes´ ist ja auch eine Selbstproduktion. Ich produziere mich ja dabei. Wenn man mal erfahren hat, wie schön das ist, wenn das, was von den Anderen kommt, auf einen wirkt und einen wirklich in ganz andere Gewässer und neue Perspektiven bringt, dann hört man damit von selber auf. Dann lässt man das auf sich wirken und reagiert darauf. Oder es fehlen einem grade die Worte und man ist stumm vor lauter Entzücken oder Entsetzen. Aber das ist eine Erfahrung, die man erst machen muss. Dass einem das was bringt, wenn man sich auf das, was von den Anderen kommt, einlässt. Und nicht schon von vornherein weiß, was als nächstes von mir jetzt kommt. Jan-Kees: ja, nicht einfach warten bis der Andere fertig ist, um wieder deine eigenen Sachen einzubringen, sondern vielleicht zusammen zu irgendeinem Punkt kommen. Julian: gleichzeitig geht natürlich irgendeine Form von Gedankengang weiter beim Zuhören, der dazu führt, dass die Antwort auch wirklich beeinflusst ist von dem, was jemand anderes gesagt hat. Dazu muss aber auch ein inneres Folgen passieren. Also das, was du beschrieben hast im Lifecoden, dass man schon drüber nachdenkt, was man als nächstes macht. Wenn man das macht, während man wirklich zuhört, dann geht das, was man hört in diesen Gedanken ein und dann ist das, was als Nächstes passiert auch eine wirkliche Antwort. Antje: wir sagen ja auch immer, dass man vom Hundertsten ins Tausendste kommt und dass man nicht sagt: wir sitzen jetzt hier zusammen und da soll was Bestimmtes bei ´rauskommen, Auch wenn eine Vorgabe oder Anregung da ist, ist sie nur Anregung und kann sofort wieder verlassen werden und man kommt aus diesem Zusammenhang ganz woanders hin. Man weiß vielleicht noch gar nicht, was es einem gebracht hat. Das wird erst mit der Zeit klar oder auch nicht. Renate: ich denke, man muss es auch ein bisschen genießen, was die anderen geben. Man muss auch zuhören und genießen können. Juan Gabriel: aber ich finde andererseits, wenn man nur zuhört, dann muss man ja auch erst noch die Gedanken formulieren. Das ist halt dann schwieriger in der Konversation zu machen, mit so langen Pausen dazwischen. Antje: was ich denke ist, dass jeder von uns eine begrenzte Perspektive hat oder einen bestimmten Blickwinkel. Und wenn ich mich auf andere einlassen kann, dann erweitert sich meine Perspektive unter Umständen und ich erfahre so etwas wie eine Grenzerweiterung. Das ist das Tolle. Es geht gar nicht mal um die Pausen sondern um dieses Einlassen können und auch darum, von Vorgefertigtem ein bisschen ablassen zu können.

Julian: lustiger Weise kann man mit Vorgefertigtem und Ignoranz auch ganz viel Tolles erleben, wenn man zulässt, dass es gleichzeitig passiert und man erkennt, was es in der Kombination Neues gibt. Ich finde ganz viel von dieser frühen, partizipativen Kunst hatte auch ganz viel damit zu tun, ganz einfaches, vorgefertigtes Zeug, Industriekultur, irgendwie zusammen zu mischen. Aber so konfigurierbar zu machen, dass man es immer wieder wahrnehmen und entdecken kann. Ein bisschen ist es ja bei uns auch so: ahh, der Patch, den habe ich ja schon lange nicht mehr gehört. Ahh, das war das, da habe ich mich kaum erinnert. (Julian spielt ein praktisches Beispiel ab) Also vielleicht kann man auch eine Weile ganz produktiv aneinander vorbei reden. Antje: o.k., o.k., das schließt das nicht aus. Julian: das wäre ein schönes Konversationsspiel. Antje: ja, das könnten wir mal probieren. Renate: na ja, das ist ja auch schwierig. Es gibt vorgefertigte Sachen, da würde ich nicht einen Zentimeter von abrücken. Antje: aha? Renate: ja, so ein bisschen politische Sachen. Wir hatten in Bremen auch so ´ne Überlegeung - ich habe da grade einen Workshop gemacht - da ging es um eine Person, die dadurch, dass sie bei politischen Sachen so sehr entschieden sein will, dann leicht ausgetrickst werden kann. Also wir haben dort eine Geschichte erfunden und zusammen fürs Radio weiterentwickelt. Wir haben ein Hörspiel gemacht, und dann war irgendwann die Idee von dieser Person da, die so dogmatisch ist. Und dass das dann auch wieder gegen diese Person verwendet werden kann, weil sie damit ausgetrickst werden kann. Aber andererseits mag ich es auch nicht, wenn ich in einer Runde von Leuten bin, die ausländerfeindlich sind. Dann will ich nicht ausländerfeindlich werden. Das gibt so einen Rahmen. Antje: aber man fühlt sich auch nicht in jeder Runde aufgehoben. Ich würde nicht in jeder Runde konversieren mögen. Renate: das stimmt natürlich auch. Na ja. man kann aber auch nicht sagen, die Runde ist es. Jan-Kees: ich habe oft so die Neigung oder die Tendenz, wenn es viele Leute gibt, die ungefähr dasselbe denken und ich bin eigentlich auch einverstanden, - das hat man oft mit Freunden - dass ich trotzdem eigentlich gern eine Gegenposition einnehme. Meine Meinung so um 180 Grad ändere, damit die Diskussion ein bisschen in Gang kommt. Antje: damit das nicht so langweilig ist. Julian: nein, ich finde, das ist völlig falsch. Man muss immer das Gleiche sagen. Alle lachen. Jan-Kees: warum sagst du das jetzt? Julian: du hast es doch grade gesagt, dass man das muss. Jan-Kees: und du machst das jetzt. Julian: ja, genau. Ich mache genau das Gleiche, was du sagst. Jan-Kees: o.k., jetzt verstehe ich es.

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Kurd: die Idee der Offiziosität, der offiziösen Runde, die wir haben, die hat zum Inhalt, dass Einige bekannt sein müssen miteinander, aber es müssen auch immer wieder Fremde dazu kommen.
Das wäre jetzt was anderes, als wenn du sagst, jetzt drehe ich es mal um. Jan-Kees: ja, das stimmt, das macht es natürlich lebendiger. Antje: sonst hat man sich bald eingefahren und ist eine ´Wir-Gruppe´: wir wissen wo´s längs geht. Und das ist ja fürchterlich. Julian: aber das widerspricht auch der Idee, dass immer alles für alle sein muss. Das finde ich ganz schön an dem Begriff vom Offiziösen, dass es nicht total offen sein muss. Renate: eigentlich müsstet ihr sowas wie ein Konversations-Glossar machen. Dass man bestimmte Begriffe, die ihr über die Jahre entwickelt habt, vorher einmal durchlesen kann. Antje: es gibt ja schon sowas hier im Zusammenhang mit dem ZKM. Im Netz auf der ZKM-Seite sind Begriffe erklärt. Kurd: ja, Margit, unsere Kuratorin hat für das Heftchen, was da liegt, gesagt, wir sollten ein paar Definitionen schreiben. Antje holt ein Heft. Kurd: aber nicht jetzt vorlesen. Renate: ich bin d´rauf gekommen, weil ich dachte, das ist schon wichtig, präsent zu haben, welche Begriffe für die Konversationskunst für euch wichtig sind. Heiko: ihr benutzt viele Sachen wie ´ansinnen´ z.B. Natürlich, wenn man öfter dabei war, hat man das schon mal gehört und stellt selbst einen Kontext her. Es geht vielleicht gar nicht um eine Definition, die eindeutig sein muss, aber darum, ein Beispiel zu geben. Vorhin hast du, Kurd, ´ansinnen´ mit drei Sätzen erklärt, das war wunderbar. Kurd: Claudia Schmölders hat ja gesagt: ´Dialog, Liebesgespräch oder privat´, als nächstes dann ´offiziös´. Das ist ein Wort von ihr, was sie eingebracht hat und als drittes dann ´öffentlich´. Julian: man kann sich auch im Zweiergespräch ein bisschen fremd sein im Moment, dann ist es auch offiziös. Er lacht. Renate: also dieses ´Begriffe suchen´ habe ich bei euch immer als sehr wichtig wahrgenommen. Vielleicht auch eine Technik. Heiko: ja, denk ans NetzkunstWörterBuch. Das war sehr schön. Verschiedenste Ansätze, es war alphabetisch, man konnte blättern. Antje: da hast du recht. Das ist ja so ein Wälzer. Wenn wir irgendwas suchen, gucken wir immer erst ins NetzkunstWörterBuch, weil da schon alles drin steht. Ja, das ist schön, dass wir das gemacht haben. Und wann war das? Das ist doch schon lange her. Kurd: 2001. Heiko: so lange nun auch wieder nicht! Antje doch, das war, als wir im Istituto Italiano den Urbino-Chat-Replay gemacht haben. Da wurde es vorgestellt. Heiko: ja, vorgestellt wurde es in Hamburg, im iitalienischen Kulturinstitut. Stimmt, da bin ich mit dem Motorrad mit Stefan Schillat (?) hingefahren. Antje: ach Heiko! Da haben wir schon allerhand hinter uns.

Antje: sagt mal, gibt´s irgendeine Vorstellung, wie wir weiter machen? Valentina: spielen wir doch noch ein bisschen. Kurd: ja, das ist für uns auch ein Problem: wann spielen wir und wann reden wir? Und dann bin ich zu Einschüben, spielenden Einschüben, gekommen. Aber bei euch ist das ja was anderes. Heiko: meinst du, du kannst nicht gleichzeitig spielen und reden? Das ist ja jetzt so. Das ist doch ganz schön. Antje: ja, das ist noch wieder anders, aber wenn wir jetzt Konversationsspiele machen, dann konzentriert man sich grade in dem Moment auf das Konversationsspiel. Jan Kees: ja, und wenn man etwas spielen will und es ist nicht gut vorbereitet, dann kann man nicht gut zuhören. Dann muss man wieder ein bisschen warten, bevor man antworten kann oder etwas sagen kann. Renate: wenn wir jetzt spielen, dann gibt es Zuhörer und Spieler. Da hatte ich gedacht, gibt´s irgend eine Möglichkeit, das zu vermeiden. Julian: wir könnten uns jeweils zu zweit zusammensetzen und immer gemeinsam spielen. Wir haben genug Rechner, so dass das grade gehen könnte. Kurd: das ist, finde ich, eine gute Idee.

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Wir setzen uns jetzt zu zweit zusammen und die oder der Spieler erklärt jeweils den Vorgang des Spielens.
Nach einer Weile ist der erste Ton zu hören und nach und nach schließen die nächsten an und der musikalische Austausch mit parallelem, verbalem Austausch zwischen jeweils zwei Beteiligten an einem Computer beginnt. Gemeinsam freuen wir uns an neuen Rhythmen oder unverhofften Tonverläufen. Nach fast einer halben Stunde ist plötzlich Schluss. Alle klatschen. Kurd: sich selbst kann man ja ruhig applaudieren.

Julian: Kurd, siehst du irgendwelche Ähnlichkeiten zu deinen ersten Computerkunstwerken? Kurd: nee, überhaupt nicht. Ich meine, damals konnten wir ja gar nichts anderes denken, als Werke herstellen. Jan-Kees: das war nicht interaktiv, denke ich. Kurd: nein. Antje: er war alleine dabei, oder eben mit Cord, weil der den Computer bediente. Es ist doch was Anderes, wenn hier eine Runde sitzt. Kurd: interaktiv, das Denken gab´s ja nicht. Es gab von Gerstner, eigentlich wohl nur von Gerstner, dass etwas interaktiv ist: er macht ein Bild und dann können die Zuschauer, oder das Publikum, das Bild verändern. Antje: in vorgegebener Weise verändern. Also er gibt den Rahmen vor und darin bewegt man sich. Julian: also eigentlich auch eine Ungleichheit. Ich habe immer wieder d´rüber nachgedacht, was das Besondere an dieser frühen Computerkunst ist und ich finde diese Disziplingrenze, die da unter Freunden überschritten wird, spannend. Also dass Cord dein Freund ist und ihr zusammen was gemacht habt. Kurd: ja, das stimmt auch. Julian: und dass es da eine Fremdheit gibt, die aber gleichzeitig eine Freundschaft ist. Und diese Fremdheit, das dachte ich grade, ist auch, dass wir alle das verschieden verstehen. Wir haben uns grade darüber unterhalten, dass man es selbst nicht versteht. Diese Fremdheit und das Nichtverstehen, das man teilt, ist vielleicht ...

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Kurd: ich könnte von der Situation was erzählen. Soll ich das?
Alle wollen es hören. Kurd: wie fange ich an. Cord rief mich an und sagte, dass sie einen Computer gekriegt habe, einen Analogcomputer. Beim Analogcomputer ist Interaktivität möglich. Beim Digitalcomputer war das damals nicht möglich. Es war grade die Zeit, als in Amerika das Bedürfnis aufkam, Interaktivität herzustellen. Was möglicherweise auch damit zusammenhängt, dass Analogcomputer das sowieso konnten. Und dass Analogcomputer herzustellen sehr arbeitsaufwändig ist, dass es sehr viel kostet, weil viele Menschen nötig waren. Mein Schwager hat mir das erzählt, der in der Schweiz diese Fabrik besucht hatte, und sah, wie dort säleweise Menschen sitzen, die diese Analogcomputer justierten, also einstellten und normten. Das ist ja beim digitalen Computer überhaupt nicht mehr nötig. Scharenweise konnten diese Menschen in den Sälen entlassen werden. Er sagt sogar, dass der Analogcomputer tüchtiger war. Das kann ich nicht beurteilen. Aber der Digitalcomputer hat sich durchgesetzt, u.a. weil er ökonomischer war. Alle, die zu der Zeit am Digitalcomputer saßen, hatten sozusagen das Vakuum, dass die Computer nicht interaktiv waren. Das sind aber Geschichten, die ich hier erzähle. Da gibt es Leute, die mehr darüber wissen, weil sie es erlebt haben. Also Cord rief an, sie haben einen Analogcomputer gekriegt. Antje: vielleicht musst du noch sagen, dass Cord Physiker war und am Deutschen Elektronen Sychroton in Hamburg, am DESY arbeitete. Darum konnte er zu der Zeit auch an so einen Computer kommen. Das war ja 1960. Kurd: das DESY wurde grade aufgebaut, und er musste u.a. die Wälle berechnen, damit keine Strahlung durchkommt. Dann hat er seinen Chef natürlich um Erlaubnis bitten müssen, dass er ein paar Tage mit mir da rein kann. Wir haben gesagt, wir machen damit jetzt Kunst. Und dann saßen wir in so einer Konstellation: Hier der Analogcomputer. Inzwischen habe ich auch eine Abbildung von ihm. Ich wusste nicht, wie er heißt. Margit hat rausbekommen, welche Bezeichnung der Computer hat. Da war ein Plotter dran. Oberquelle, ein Kollege bei den Informatikern hat mir Abbildungen gezeigt: war er das? War er das? Und ich habe ihn tatsächlich sofort erkannt. Ein bisschen seltsam, denn es ist ja Jahrzehnte her. Jan-Kees: aber habt ihr das eher experimentell benutzt oder gängiger? Heiko: wie konnte man den programmieren? Kurd: die wurden nicht programmiert, sondern man drehte, wie du am Rechenschieber schiebst, am sogenannten Potentiometer und dann zeichnete der das. Und ich stand am Plotter, der zeichnete. Cord saß an der anderen Seite und drehte an Potentiometern. Was er da drehte, wusste ich nicht. Jan-Kees: ja, das ist doch auch experimentell. Heiko: ja, das haben wir eben auch gemacht. Ihr habt ja auch an euren Potentiometern gedreht. Kurd: und dann sah ich das. Es gibt ja immer noch Plotter, für Architektur-Zeichnungen und du kannst es auch heute noch nicht leicht erleben, dass nicht die Maschine das zeichnet, sondern dass irgend ein anderer das zeichnet. Jedenfalls ich konnte nur erleben, dass der Computer das zeichnet. Da ich ja auch nicht die Differentialgleichung, oder was Cord da eingegeben hat, kannte, konnte ich überhaupt nicht erleben, dass es von uns beiden kam. Wir waren sehr eng verbunden als Freunde. In den Zeitschriften stand damals das Wort “Denkmaschine“. Die Journalisten schrieben immer von der Denkmaschine. Und so war es für mich auch. Ich erlebte das als einen Ausdruck der Denkmaschine. Ich fand auch selber kein Wort. Ich habe erst jüngstens, vor 10 Jahren mal versucht, zu überlegen, wie ich es jetzt nennen würde: ein technisches Wesen. An einen menschlichen Roboter, wie man heute ja leicht denken würde, habe ich nie gedacht. Möchte ich auch heute nicht. Julian: stört dich am Roboter hauptsächlich der Gedanke, dass er menschlich sein soll, also dass er den Menschen imitieren soll? Dabei ist er ja ganz was anderes. Kurd: ja, dass ein technisches Wesen da ist, o.k. Zu der Zeit kam auch das Paradigma HCI auf: Human Computer Interaction, Mensch-Maschine-Kommunikation. Ich denke schon, das war die Zeit, ab wo sich das Paradigma voll durchgesetzt hat. Bis heute. Und ab heute gibt es ja das Social Web, was auf ein Mal nicht mehr die Mensch-Maschine-Kommunikation im Focus hat. Nur darüber durfte man damals denken. Das ist ja die Idee vom Paradigma, nur dafür gibt es eine Semantik, will ich mal freundlich sagen. Zu der Zeit kam auch, dass die digitalen Computer zur Interaktivität gebracht wurden.

Um von dem Allgemeinen wieder weg zu kommen, ich persönlich dachte, ich kommuniziere mit dem technischen Wesen. Da ich bildender Künstler war, dachte ich (Kurd zeigt auf eine Stelle in einer seiner Computerzeichnungen) - Cord hat das dann auch Störungen genannt - was bedeutet das jetzt. Will die Maschine mir Bedeutungen mitteilen? Die ich irgendwie verstehe kann. Jan Kees: oder ein bug. Dass eine Fliege da reingekommen ist. Kurd: Cord, der hätte denken können, das ist ein Fehler. Er hat bis heute die Konversationskunst dabei nicht wirklich akzeptieren können. Ich dachte jedenfalls, die Maschine oder das technische Wesen will mit mir konversieren. Dann dachte ich, dass ich sie lehren müsste, sich grafisch so ausdrücken zu können, das sie mir was mitteilen kann. Ich habe Bücher gewälzt und kam auf phänomenale Metriken, die gibt es in der Psychologie. Heh, dachte ich, das ist ja mathematisch, das muss die Maschine eigentlich verstehen können. Ich habe es auch mal dem einen und dem anderen erklärt, aber es war für andere Leute Blödsinn. Irgendwelche informatischen Kenntnisse hatte ich nicht und so schlief das dann ein. Heute denke ich, zur gleichen Zeit begann sich auch das Mensch-Maschine-Paradigma durchzusetzen. Deshalb haben die, mit denen ich darüber gesprochen habe, wahrscheinlich gesagt, dass das Blödsinn ist. Es gab ja noch keine Informatiker, das waren Leuten, die Computer konstruierten. Wahrscheinlich kommt auch manches zusammen. Antje: weshalb meinst du, haben die gesagt, dass das Blödsinn ist? Eigentlich war es doch Mensch-Maschine-Kommunikation. Was war daran Blödsinn? Julian: phänomenale Metrik war Blödsinn und die Frage ist, was ist phänomenale Metrik? Dass man die kleinsten Unterschiede misst? Kurd: man sagt nicht, das ist 5 cm lang, sondern man teilt das in der Mitte und dann nochmal in der Mitte. Das wäre Phänomenalität, dass man etwas in phänomenale Einheiten teilt und nicht in Zentimeter. Messen also anders verstanden. Renate: lch könnte mir vorstellen - das ist nur mein Gefühl von dem, was ich gelesen habe - dass man erst gedacht hat, man kann über den Computer verstehen, wie das Gehirn funktioniert und Mensch-Maschine-Kommunikation ist dann etwas, was in weiter Zukunft möglich ist, aber nicht jetzt sofort. Das ist ein Ziel, zu dem man hin möchte, eher so ein Zukunftsprojekt. Und wenn du dann jetzt schon eine Kommunikation mit der Maschine angestrebt hast, dann haben die das als Blödsinn verstanden. Kurd: ja, finde ich ganz gut.

Man sagte auch, ich entsinne mich deutlich und ich habe ihn auch aufgehoben, einen Artikel von einem Informatiker - obwohl es die damals noch nicht gab, die entstanden erst - also man sagte: Kybernetik ist ein Märchen. Die Kybernetik wollte ja ein Gesamtverständnis von allen Systemen entwickeln. Die Informatiker, - das ist wieder so ein Gerede von mir jetzt - indem die Mensch-Maschine-Kommunikation sich als Paradigma durchsetzte, wollten die sich darauf konzentrieren. Und damit entstand die Informatik, denke ich mal. Deshalb ist das, was die Kybernetiker im Sinn hatten, ein Märchen. Die anderen hatten ja schon ein Ziel: nämlich Mensch-Maschine-Kommunikation. Und alles in der Welt mit einzubeziehen, das ist ein Märchen. So erkläre ich mir nachträglich diesen Text. Damals fand ich es lächerlich und war erbost, weil ich ja von der Kybernetik überzeugt war. Renate: aber du hast doch da auch ästhetische Entscheidungen getroffen. Kurd: nachträglich. Renate: das Papier, die Farben und grade bei dem da hinten, das Rot und Blau? Kurd: Papier war da. Das entstand alles in dem Moment. Und in dem Moment da fragte Cord mich: ja, was soll ich denn jetzt machen? Für mich war klar: du sollst nichts Bestimmtes machen. Ich will ja kommunizieren. Antje: ich meine, das nachträglich Ästhetische wäre ja die Rahmung, oder dass du einen bestimmten Ausschnitt wählst. Kurd: Julian, du hast mir mal gesagt, es ist schade, dass du einen Ausschnitt bestimmt hast. Julian: nicht ganz so. Es gibt nämlich in den Bildern etwas, was hier der Rahmen verdeckt. Es ist nicht so, dass ich es schade finde, einen Ausschnitt zu bestimmen. Das ist, glaube ich, total wichtig. Du hast nur den Ausschnitt so gewählt, dass ein wichtiges Detail von den Bildern, was sehr schön ist, verloren gegangen ist. Nämlich eine Störung. Zeigt auf das entsprechende Bild. Das ist ja auch interessant, dass in dem Moment die Störung zur Botschaft wird. In ganz kybernetischem Sinn ist das Rauschen plötzlich nicht mehr einfach nur Rauschen. Und vielleicht, wenn man heute von Mensch-Mensch-Kommunikation redet und Web 2.0, gerät einem als nächster Schritt wieder leicht aus dem Blick, was das Spezifische an den Medien ist, in denen das passiert und inwieweit die stören und mitsprechen. Man geht davon aus, in Facebook, da sind alle eben sie selber. So ist es ja auch verkauft. Aber wir wissen auch, dass es nicht so ist. Und dabei vergisst man leicht die Möglichkeiten, die man eigentlich hat. Man kann nicht sehen, was diese Störungen sind, die da ja auch d´rin sind.

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Renate: und Antje, bei dir war aber Kybernetik erstmal ... ich bin schon neugierig.
Antje: nein, Kybernetik gar nicht, sondern ich studierte zu der Zeit und kam sowohl in die 68 Bewegung, als auch schon in das, was vorher war. Daraus entwickelte sich, dass wir die Drittelparität durchsetzten, so dass an der Kunsthochschule die Studierenden mitbestimmen konnten. Ein Teil waren die Lehrenden, der andere die Verwaltung und der dritte Teil waren wir, die Studierenden. Dann fingen wir an, in Gruppen zu arbeiten. Ich kannte vorher nur, dass man alleine für sich arbeitet. Die ganzen autoritären Strukturen kehrten sich um. Das war für mich der Anfang von Austausch und Konversation, diese Zusammenarbeit in den Gruppen. Ich habe mein Examen mit dem Thema “Persönlicher Lernprozess aus 2 Jahren Gruppenarbeit“ gemacht. Während der Zeit habe ich in 15 Arbeitsgruppen mitgearbeitet und das alles dokumentiert. So bin ich da langsam reingekommen. Das war mein Weg zur Konversationskunst. Dann trafen Kurd und ich zusammen und das passte ganz gut. Wir fingen an, Bücher kaputt zu schneiden. Also die Rücken abzuschneiden, die Seiten zu lochen und in Ordnern abzuheften, damit wir dazwischen kommen konnten. Weil Bücher so eine eindimensionale Geschichte sind, wo mir nur einer was sagen will. Wir fanden: ich habe doch auch was zu sagen. Julian: so autoritär? Antje: ja, so autoritär. Wir formulierten auch selber in Ordnern. Ich hatte dann an der Hochschule ein Frauenseminar und da ist “Von der Großen Mutter zur Heiligen und Hure“ entstanden. Der Ordner liegt hier in der Ausstellung, vorne auf dem runden Sitzteil. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, ein Buch zu machen. Zu der Zeit gab´s in Hamburg jährlich Frauentagungen, da sind wir dann mit dem Seminar und diesen Ordnern hingezogen, so dass jede auch wieder dazwischen was einbringen konnte. Und dann kam so langsam das Computerzeitalter. Also Helmar Frank, wie kann man ihn nennen, Kybernetiker? Kurd: ja, das ist ein Kybernetiker. Antje: also Helmar Frank, auch ein Freund von Kurd, der machte damals Novembertreffen in Paderborn und wir fuhren hin. Kurd: Helmar Frank ist einer der Mitbegründer der Informationsästhetik. Antje: und für Kurd auch sehr wichtig. Wir fuhren also nach Paderborn, und da war auch ein junger Mann, der grade aus Amerika gekommen war und einen Mac mitgebracht hatte. Den ersten Mac, einen 512er, den gab´s in Deutschland noch nicht. Und Frank meinte: ej, das ist was für euch. Alsleben, hier, der hat ´ne Sprühdose. Heiko: ha, ha, der hat ´ne Sprühdose. Jan-Kees: was ist eine Sprühdose? Antje: da war so ein Zeichenprogramm drauf, MacPaint, und man konnte damit zeichnen. Heiko: schwarz, schwarz, nix bunt! Julian: aber Muster gab´s auch. Antje: du konntest also ganz leicht zeichnen und sprühen. Wir guckten uns das an und waren begeistert. Oh, wann gibt´s den in Deutschland?

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Heiko lacht: der war doch höllisch teuer. Gar nicht zu erschwingen.
Antje: höllisch teuer. 1984 gab´s die ersten in Deutschland und wir haben dann sofort einen gekauft. Und mit ner Kamera zusammen kostete das dann, glaube ich, 12 000 DM. Aber wir wollten ihn haben! Alle lachen. Und dann haben wir ihn immer mit in die Kunsthochschule genommen und Kurd hat 3 Jahre richtig dafür gekämpft, dass Computer in die Kunsthochschule kommen. Kurd: wir haben ihn mit einem Seil angeschlossen, damals gab´s noch so´n Drahtseil. Damit ihn keiner klaute. Julian: war es nicht so, als die Computer dann geliefert wurden, dass erstmal die Verwaltung sie für sich haben wollte? Antje: ja, aber erst wollten sie sie gar nicht in der Hochschule haben. Das hat 3 Jahre gedauert. Ein Kampf war das. Wenn Kurd nicht so hartnäckig gewesen wäre. Kurd: ja, und Matthias, der war, was die Entwicklung betraf, schon ein bisschen weiter. Antje: und Brunnstein hat auch mitgeholfen. Der war in der Kommission, bei der man die Computer beantragen konnte. Kurd: ja, der war in der Kommission von Hamburg und dadurch ging das dann. Antje: und wann war das soweit, dass die Computer kamen? Kurd: 1985 habe ich angefangen und 1988 war die Eröffnung der Computerei, am 14. Juni 88. Das ist mein Geburtstag. Antje: das war die erste Kunsthochschule mit Computern.

Dann gab´s HyperCard und wir haben angefangen, uns mittels HyperCard auszutauschen. Da gab es erst nur LAN, local aerea net. Wir haben uns entweder im Raum Disketten zugeschmissen, uns im LAN ausgetauscht oder uns Disketten mit der Post geschickt. Kurd: der Computerverkäufer war eigentlich sehr gut. Der hat gesagt: ihr müsst einen Server haben. Und so hatten wir dann auch LAN. Antje: wie lange habe ich mich mit Volker ausgetauscht? Waren das 10 Jahre? Wir haben uns über ´das Komische´ ausgetauscht, das war unser Thema. Wir haben uns mit der Post immer eine Disketten geschickt und noch so´n bisschen drumrum. Kurd: nach ´ner Zeit gab´s dann schon Internet. Antje: ja, dann haben wir auch irgendwann aufgehört. Das Netz war da und wir haben mit Matthias IRC-Chats gemacht. Kurd: 1990 gab´s in Hamburg das erste Interface-Symposion von der Behörde für Wissenschaft und Kunst. Klaus Denker wollte 5 Jahre hintereinander Symposion machen und auf dem ersten haben wir uns hingesetzt mit einigen Computern. Da gab es schon die Mac SE. Und wir haben uns dort im LAN ausgetauscht, untereinander und mit den Besuchern. Davon erzählt Frieder Nake gern in einem unverstandenen Tonfall: “und dann saßen die da, Rücken an Rücken, und tauschten sich aus.“ Aber er denkt inzwischen anders, Wir haben grade eine mail von ihm bekommen, wo das anders klingt.

Antje: die Leute fragten immer: häh? Konversationskunst, was ist das denn? Was ist denn daran Kunst? Und dann fragten wir uns auch: was machen wir da eigentlich und schauten in die Kunstgeschichte. Dabei merkten wir, das hat´s immer schon gegeben: ars sermonis bei den Griechen und dann gab es in der Renaissance - hinter der Wand liegt ja auch das Buch von Castiglione - in Urbino Elisabetta Gonzaga, die in ihrem Palazzo Duccale in der Sala delle Veglie sich regelmäßig mit einer konversationellen Runde traf, also mit Adelige, Patriziern und Geistesgrößen. Immer Frauen und Männer. Die dachten sich auch Spiele aus. In dem Buch hinten im Glaskasten ist auf der aufgeschlagenen Seite ein Spiel zu finden, bei dem jedeR die besten und schönsten Eigenschaften seiner oder seines Liebsten preisgeben soll und die Eigenschaften, die man grade noch tolerieren kann. Das war eines der Spiele. Ein anderes war, deswegen heißt es auch ´Das Buch vom Hofmann´: sie sollten zusammentragen, wie der vollendete Hofmann sich verhalten müsse. Derjenige, der das Spiel anleitete, hatte keine Ahnung davon. Sie hatten ihn absichtlich dafür ausgewählt, damit Widersprüche aufkommen konnten. Dadurch haben sie das Menschenbild der Renaissance formuliert und lebbar gemacht. Das spannende ist dabei auch, dass das schon salonière Strukturen waren: Elisabetta Gonzaga war die Salonière, denn ihr Mann war kränklich, der konnte dem Ganzen nicht vorstehen. Damals hieß das noch Musenhof. Sie hatte auch eine Geistesgröße, Baldassare Castiglione der das Buch geschrieben hat, regelmäßige Treffen und in ihrer Runde Männer und Frauen. Das ging dann 100 Jahre später nach Frankreich über. Catherine de Rambouillet, die eine italienische Mutter und einen französischen Vater hatte - wie auch immer das zusammenhängt - hat 100 Jahre nach Elisabetta ihren ersten Salon 1610 in Paris eröffnet, wo das Prinzip auch wieder so war: Salonière, Geistesgröße, regelmäßige Treffen, Männer und Frauen als Habitués, so hießen die Beteiligten damals. Sie konversierten auch mittels Konversationsspielen. Und das ging übers Barock bis ins Rokoko. An sich war das auch eine Lösungsbewegung vom Hof. Die Adeligen, die sich in den Salons trafen, hatten quasi Angst um ihre Privilegien. Sie wollten den absolutistischen Hof in seine Schranken verweisen, was auch gelang. Im Zuge dieser salonièren Treffen entwickelte sich auch die französische Revolution und der Hof verschwand, aber mit ihm auch die Salons, die ja quasi ein Pendant zum Hof waren.

Warum erzähle ich das jetzt so langatmig? Alle lachen. Valentina: es war die Frage: was macht ihr eigentlich? Jan-Kees: und dass es eigentlich schon lange Konversationskunst gibt. Antje: ja, dass es das schon 500 Jahre in der Kunstgeschichte gegeben hat. Kurd: bei der ars sermonis gab es eine Grundregel: das Verbot der Rechthaberei. Jan-Kees: es ist also nicht wirklich verbunden mit der alten Kunst der Retorik von den Griechen? Kurd: man muss unterscheiden. Damals gab es die ars sermonis. Das war tatsächlich eine Gesprächskunst. Zur gleichen Zeit gab es die Sophisten, die das Überreden pflegten und es gab Platons Sokrates, der die Mäeutik publik machte, also das Herausziehen der Wahrheit, die man selber vorgibt, aus dem Anderen. Drei ganz verschiedene Ansätze. Julian: normalerweise werden immer nur zwei Dinge gesehen: Mäeutik gegen Rhetorik, weil das ja von Platon so stark thematisiert wurde. Spricht Platon eigentlich über ars sermonis? Kurd: nein, ich glaube sogar - ich hab das natürlich nicht wirklich studiert - an einer Stelle, wo Protagoras auftaucht, der bekannteste Sophist von dem ´der einzelne Mensch ist das Maß aller Dinge´ stammt, will Platon ihm indirekt sagen, du kannst gar nicht den Unterschied zwischen ars sermonis und Mäeutik erkennen. Antje: ja, wir haben in Griechenland gelernt, dass man nicht Protagoras sagt, sondern Protagoras. Wir sind nämlich dahin gefahren, wo er gelebt hat. Jan-Kees: Protagonist kommt daher, glaube ich. Kurd: ´Prota´ ist wohl ´Haupt´ und ´Goras´ ist ´Redner´. Antje: also wir waren da, wo Protagoras gelebt hat und sind auch nach Urbino gefahren zum Palazzo Duccale in die Sala delle Veglie. Wir haben gesagt, wir wollen die Netzkunst mit der Kunstgeschichte verbinden und dort einen internationale Chat anzetteln. Es war nicht ganz leicht in die Sala reinzukommen, wir mussten erst mit dem Superintendanten des Landesmuseums verhandeln. Der meinte, man konversiert doch überall, warum wollen sie grade da rein. Wir hatten aber über das italienische Kulturinstitut eine Deutsche vermittelt bekommen, die dort lebt und italienisch spricht, Angela Mrositzki. Die konnte alles prima übersetzen und ihn charmant überzeugen. 1999 sind wir dort hingefahren mit einer Gruppe von Freundinnen und Freunden, Cord war auch dabei. Mit einem Laptop, mit Modem und Handy. Bilder konnten wir nicht senden, die Baudrate war zu gering. Aber zum Glück stand der Sendemast vor den dicken Palazzomauern. Sonst hätte es nicht geklappt. Matthias Meyer, ein Kunststudent, der zu den Informatikern übergewechselt war, hatte uns den IRC-Chat eingerichtet. Der Chat hat uns 1 1/2 Stunden hingerissen. Wir dachten schon: das kann teuer werden. Aber es kostete letztlich bezahlbare ca. 85 DM . Wir gaben das historische Konversationsspiel als Anregung ein. Einen Tag vorher hatten wir uns Beschreibungssätze von der Sala aufgeschrieben, die wir auch eingaben und an die gerne angeknüpft wurde. So haben wir dort die Netzkunst mit der Kunstgeschichte verbunden. Und 2001 haben wir im hamburger italienischen Kulturinstitut einen Urbino-Chat-replay gemacht. Heiko, da warst du dabei, Und jetzt höre ich auf. Es ist halb zwei. Kurd: noch ne Musik? Renate: wir sind doch keine Dukebox. Ne, das ist Quatsch. Kurd, ich würde gerne noch was hören.

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Mit einem 20 minütigen Abschlusskonzert von ´Powerbook unplugged´ endet die Konversation.

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