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Mitschnitt vom 10.12.10

Autor: Mitschnitt und Fotos Antje Eske

10.12.2010. Konversation 9: Kunst ohne Publikum. Common Sense. Emanzipation.

Beteiligte: Kurd Alsleben, Zorah Mari Bauer,Sven Braun, Antje Eske, Stefanie Körner, Sabine Kullenberg, Matthias Lehnhardt, Karen Scholz, Bernhard Taureck, 1 Besucherin

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Matthias rechts beginnt den Austausch mit dem Thema Social Software.
Matthias: in so einem Projekt arbeiten wir schon seit längerem. Mit ganz vielen Fragen, und keinen einfachen Fragen, fürchte ich. Aber es ist ein alter Traum von mir, über die ganze Welt verbreitet eine Kommunikation in Gang zu bringen, die über Videos funktioniert. Antje: so ein bisschen wie Skype? Matthias: Nein! Ich weiß nicht, ob Kurd jetzt sagt, das ist ja Kollaboration, das ist gar kein richtiger Austausch.

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Die Grundidee ist folgende: eine Internet-Seite, auf der es eine Matrix mit neun Feldern gibt.

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Matthias zeigt ein Beispiel auf seinem Handy, einen Fahrstuhl, der in den neun Feldern unterschiedlich rauf und runter fährt.
Matthias: das ist eine ganz schlichte Matrix, die auf dieser Internetseite durchnummeriert ist. Am Ende frage ich euch, ob wir hier nachher praktisch was machen wollen. Das nur mal als Vorwarnung. Also die Idee ist, dass ich ein kleines Video mache und das auf eine bestimmte Internet-Adresse schicke. Damit wird eine neue Seite angelegt. Und jetzt können einen Tag lang Andere da was drauf tun. Zorah Mari: das ist im Grunde genommen wie ein Cadavre exquis. Nur ist es ein neunteiliger Cadavre. Matthias: ja, vielleicht. Antje: also die neun sitzen alle auf einer Seite? Mattias: wenn du was hinschickst - irgendwo gibt´s die Handynummer - dann reservierst du automatisch diese neun und könntest dann sagen: Kurd, mach auch was. Zorah, mach auch was. Dann ist da noch die Reihenfolge, die sich aber auf die zeitliche Abfolge bezieht. Man könnte das alles noch umarrangieren. Antje: noch eine Frage. Geht es immer um Videos? Matthias: man könnte auch Fotos machen. Antje: es geht um Bilder? Matthias: ja, es geht um Bilder. Zorah: sieht man immer was gepostet ist? Wenn 1, 2, 3, 4 , 5 bereits gepostet und belegt sind und ich bin die sechste, sehe ich dann schon, was die gepostet haben. Matthias: könnte man machen, muss man aber nicht. Das sind alles Möglichkeiten. Ich habe einfach mal die Vorstellung gehabt, ich kenne 9 Leute, verteilt über die Welt, und sage ihnen zu einem Zeitpunkt: so, jetzt guck aus dem Fenster und zeig mir, was da ist. Und dann sehe ich aus neun verschiedenen Ländern, Kontinenten, was da vor dem Fenster ist. Zorah: auf diese Art und Weise entsteht sozusagen ein partizipatives Bild nach dem Zufallsprinzip oder auch geplant, je nachdem wie du es programmierst. Matthias: ich könnte aber auch sagen, wir gucken uns das Gebäude an, machen kleine Videos von interessanten Details aus dem Gebäude und könnten uns dann absprechen: also jemand fängt an und gibt sich eine Linie und jetzt könnte der Nächste daran anschließen und sagen: o.k., ich gehe auf diese Linie ein. Muss ich aber auch nicht. Antje: das wäre dann das Cadavre exquis, was du vorhin angesprochen hast. Matthias: die Ecken sind was besonderes und natürlich die Mitte, die ist auch was ganz besonderes. Zorah: und warum ist die Mitte was ganz besonderes? Matthias: die ist sehr exponiert und du kannst auch sehen, was dort steht hat überall hin Verbindung. Zorah: o.k. in alle vier Richtungen. Und das schlauste Gesamtbild wäre, wenn es in allen Dimensionen eine Gesamtbewegung gibt. Karen: aha, es kann auch bewegt werden. Matthias: man kann das arrangieren. Karen: das heißt, wer kann das arrangieren? Das ist jetzt die Frage. Matthias: Jeder! Wer auf diese Website geht, kann das machen. Karen: für sich zuhause. Das ist dann aber nicht gekoppelt mit dem, was die anderen sehen. Matthias: nee, das machst du für dich selber. Du musst auch nicht in diesem Viereck bleiben.

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Sven zweiter von links kommt dazu und Antje führt ihn ein:
Wir skypen alle 14 Tage von Hamburg aus und Sven ist dann hier im ZKM und lockt die Besucher an. Matthias zeigt ein Beispiel auf dem Computer, was in Hamburg und in China bearbeitet wurde. Ich dachte, wenn die Lust besteht, können wir heute oder morgen z.B. zwei solche Seiten zu machen. Das Gebäude hier von innen und von außen. Zuerst dachte ich, wir machen unsere Köpfe - sind wir neun? Zorah: vielleicht machen wir ´Cadavre´, dass wir wirklich so einen Gesamtmenschen aus uns machen. Matthias: ja, man könnte auch Augen, Ohren, Nase, Mund, Hände, Füße machen. Das haben wir auch mal gemacht. Also es gibt noch keine ästhetische Strategie dafür, sondern es gibt ganz viele Versuche, die mehr oder weniger interessant sind. Interessant finde ich, wenn sich daraus etwas ergibt, was man nicht erwartet hat. Wenn das Ganze nicht nur Teile sind, sondern auf einmal ein Ganzes. Matthias zeigt nochmal das Beispiel mit den Fahrstuhl-Ausschnitten. Dies war relativ einfach, das hat eine Person vom Stativ aus gemacht. Immer die gleiche Perspektive. Der Fahrstuhl fährt hoch und runter und dann kann man das relativ einfach zusammensetzen. Im Prinzip ist von der Programmierung her alles vorhanden, dass man das so machen könnte, aber es ist in Deutschland einfach zu teuer. Das kann man niemandem zumuten. Zorah: weil es MMS ist. Matthias: ja. Zorah: kann man es nicht mit WLan schicken? Matthias: wir haben das ganz einfach gemacht, wir haben es direkt gemacht. Dafür haben wir es einfach eingestöpselt oder über Bluetooth gehandhabt. Zorah: ich habe z.B. auch Bluetooth auf meinem Handy. Matthias: wir haben das nicht direkt geschickt, weil du dazu einen Sponsor brauchst, der das bezahlt. Sabine: und wenn du es über Skype schickst? Zorah: das geht ja nicht, weil es mobil ist. Matthias: doch, Skype gibt es da auch da, aber ich weiß nicht, ob Skype Videos schickt. Karen: und über e-mail? Matthias: e-mail geht auch. Zorah: aber dann ist die Idee ja ´ne ganz andere. Dann kannst du es ja gleich in Photoshop packen. Matthias: es gibt ganz viele Varianten. Die höchste ist, du kannst es von irgendwo auf der Welt zu irgendeinem Zeitpunkt einfach per Mobil schicken. Wenn man hier zusammensitzt, ist es ja Quatsch das per Mobil zu schicken, sondern man stöpselt das an einen Rechner dran. Karen: es ist auch ein bisschen langweilig, das mobil zu gucken, da ist es ein bisschen sehr klein, oder? Matthias führt gleich auf seinem IPad das Beispiel mit dem Fahrstuhl vor. Karen: das sieht aber doch ganz schön schick aus. Matthias: ich würde euch mein Handy geben, weil das gute Aufnahmen macht, und dann könnte man damit sowas mal versuchen. Wie gesagt, es gibt viele Fragen und ich denke, um da ein bisschen reinzukommen, sollte man mal was versuchen. Steffi macht die ganze Programmierung. Da gibt es auch noch ein paar technische Probleme. Steffi: ja. der lädt permanent die Videos nach. Das heißt, der lädt andauernd gleichzeitig 9 Videos hoch und hat nach 2 Minuten schon 38 Videos under cash. Matthias zeigt ein weiteres Beispiel: das hier ist z.B. die Idee, ein Objekt aus verschiedenen Perspektiven zu zeigen und dann wieder zusammen zu setzen. Und bei mir war der Effekt dabei: man guckt auf einmal genauer hin. Man guckt genauer auf die Finger, die hier unterschiedlich im Bild zu sehen sind und fragt sich auch, wie der Daumen da dran passt.

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Bernhard: Mitte ich denke mal, sagen zu dürfen, dass wir vor uns ein Video-Remake of Cubism haben.
Matthias: ja, es hat was von Kubismus. Bernhard: es ist eindeutig Kubismus, in Bewegung übersetzt. An dem Beispiel der Hand: es ist die Zerlegung eines Körperteils in verschiedene Aspekte, noch sehr rudimentär. Der Kubismus war weiter. Da müssen wir erst hinkommen. Matthias: das ist eine Strategie. Bernhard: aber das könnte man ja machen. Man könnte sagen: Gibt es, im Zeitalter der zunehmenden Beschleunigung, des Zerfalls von allem Möglichen, des molekularen Zerfalls, des gesellschaftlichen Zerfalls, einen Weg zurück zum Kubismus? Aber wir wollen ihn nicht kopieren, sondern wir wollen ihn simulieren. Wir simulieren das Simulieren. Wir potenzieren das Simulieren. Matthias: wir lassen uns anregen, glaube ich. Kurd: wozu sollen wir das machen? Wo ist unsere Not, dass wir das machen? Zorah: also wir sollten schon das, was Matthias eben demonstriert hat, machen, aber nicht zum Kubismus zurückgehen? Kurd: nein, das meine ich nicht. Die Frage ist, wenn wir das so sehen, wie wir es eben hier besprochen haben, dann fehlt dem Ganzen doch der akute Sinn. Wir könnten es anders sehen, nämlich das Konversationelle darin sehen. Wenn wir es unter dem Gesichtspunkt Kubismus ansehen, wo ist dann unsere Not? Zorah: die Not ist die, dass wir begreifen, dass Kommunikation immer modularer geworden ist. Das ist allerdings schon ein etwas älteres Thema. Früher waren das Vorträge, vorne saßen die Autoritäten und die breiten Massen haben ehrfürchtig zugehört. Aber Kommunikation, auch visuelle Kommunikation wird immer modularer. Und dafür steht dieser Ansatz. Ihr hattet ihn ja vor 1 1/2 Jahren schon in Hamburg in der Hochschule für bildende Künste vorgestellt. Kurd: es geht doch nicht darum, dass wir uns abbilden, also jetzt ein Bild von uns machen. Natürlich kann man das machen, aber das ist doch nicht das Problem der Konversation. Die Not ist doch: wie lebe ich und wie kann ich mit Matthias zusammen reden. Zorah: aber das sind ja gelebte Bilder. Matthias, hat grade gesagt, dass die einen in China sind und die anderen in USA. Man kann spontan aus dem Kontext, den man grade lebt oder erlebt, ein Bild hochladen. Das ist ja wie Konversation. Da ist auch Authentizität, die das Bild prägt. Antje: aber dein Konversationsbegriff ist so unheimlich weit. Du hast eben auch ´Vortrag´ mit reingepackt, das gefällt mir gar nicht. Für mich ist das nicht Konversation, wenn da vorn einer steht und seinen Senf ablässt und die Anderen hören zu. Zorah: ich hab´s als Gegenpol genommen, quasi wie es früher war. Antje: aber das war doch auch früher nicht Konversation, das war immer Vortrag. Zorah: aber die Modularität und dass viele Autoren eine Sache ergeben können, darum ging´s mir. Bernhard: jetzt möchte ich aber doch mal Kurd bitten, zu sagen, was wir nicht machen sollen. Kurd: ich kann nur sagen, was wir machen sollen. Aber vielleicht kann ich doch was sagen, was ganz Einfaches: Keine Rechthaberei! In der antiken Konversation durfte es keine Rechthaberei geben.

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Matthias: so weit bin ich noch gar nicht. Meine Grundfrage ist eine ganz andere.
Es gibt eine bestimmte technologische Entwicklung und ich habe den Eindruck, dass Gesellschaften durch die technologischen Entwicklungen getrieben werden. Also nicht durch Politik, nicht durch schöne Reden oder Visionen, sondern tatsächlich durch Technologie. Kurd: kann ich jetzt gleich was dazu sagen? Wollen wir das? Wollen wir, dass wir durch die Technologie, durch die technologische Entwicklung getrieben werden? Matthias: wir werden es, ob wir wollen oder nicht. Kurd: sind wir zufrieden damit? Matthias: nein! Natürlich nicht. Bernhard: Matthias noch mal eine Frage. Es sind zwei kleine Sachen, die ich noch anmerken möchte. Einmal hast du vorhin gesagt: auf der ganzen Welt. Seit etwa der Entdeckung des neuen Kontinents spricht man systematisch von einer Verwechslung: man meint ´Erde´ und sagt ´Welt´. Da ist ein Riesenunterschied. Wir müssen Erde sagen, wenn es die Erde ist. Die Welt ist alles. Das ist jetzt keine Kritik an dir. Zorah: was ist denn der Unterschied? Bernhard: die Welt ist das All. Und die Erde ist ein kleiner, unbedeutender letzter Rest. Und diesen verschwindenden Punkt mit der Dimension 0 als Welt zu bezeichnen, ist eine so unglaubliche Geschichte. Alle Welt tut das. Das heißt, wir überschätzen uns laufend, indem wir Welt sagen, weltweit, Weltgeltung. Diese scheißenglische Sache ´worldwide´. Das haben wir alles übernommen. Zweiter Punkt: Technology. Technology ist ja nur die Übersetzung von Technik. Die Engländer haben kein Wort für Technik , die müssen Technology sagen. Jetzt sagen wir auch Technologie. Ich frage, was ist denn der Unterschied zwischen Technik und Technologie? Das kann mir keiner erklären. Zorah: man kann das ja als Anregung nehmen, darf aber trotzdem noch Welt und Technologie sagen? Bernhard: das werde ich nicht verhindern können. Ich stehe auf verlorenem Posten. Ich bin genauso ein Nichts, wie alle anderen auch. Zorah: ja, aber eine Anregung ist doch nicht schlecht. Sabine: ich finde die Anregung auch toll. Gleichzeitig hast Du, Bernhard, aber auch selber gesagt: “alle Welt sagt es“. Es ist einfach umgangssprachlich so, dass wir das im Moment noch so handhaben. Bernhard: ´alle Welt´ ist noch zugelassen. Das ist sowas wie ´tout le monde´ im Französischen. Aber der Franzose macht den Unterschied: le monde d´antier, das ist dann die ganze Welt und kann natürlich auch schon das All sein. Aber wenn man dann mal in die Texte bei klugen Leuten hineingeht, Nietsche z.B., die sagen ´Erde´.

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Zorah: Mitte da fällt mir ein: für den Österreicher heißt das ´Erdäpfel´ und nicht ´Kartoffel´.
Bernhard: in Österreich sagt man über das eigene Land: ´oh du mein Österreich, schaust einem Saustall gleich´. Antje: ich glaube, die Niederländer sagen auch: ´Aardappel´. Bernhard: ´Pomme de Terre´. Zorah: aber ich habe immerhin was dazu gelernt. Das eben Welt Erde plus All ist. Das wusste ich zum Beispiel nicht. Kurd: aber es geht uns doch wahrscheinlich um Menschen, wenn wir an Konversation denken. Es hat ja nur Sinn mit Menschen zu konversieren. Wir haben es mit Menschen zu tun, mit Menschen auf der Erde. Karen: man kann sich auch andere Konversationen vorstellen. Mit Tieren oder Pflanzen beispielsweise oder mit Steinen. Da gibt´s ja genug Beispiele. Die ganzen schamanischen Sachen. Kurd: bringt es dir wirklich was, ist deine Erde in Ordnung? Karen: oder mit Geistern. Bernhard: mit Tieren, das muss ich schon bestätigen. Ich spreche täglich mit meinen Tieren, es geht gar nicht anders. Antje: mit deinen Hunden. Bernhard: ich muss dazu noch sagen, wir haben in der Tradition Montaine, der nun wirklich ein großes Beispiel für Kommunikation mit sich selber ist, aber damit auch für andere und der dann sagt: wir brauchen dringend das Tier als Unseresgleichen, mit dem wir uns gleichermaßen austauschen. Kurd: erlebst du das so? Montaine bewundern wir. Ich bewundere ihn, weil er mit dem Essay angefangen hat. Die erste Form sozusagen im Buchdruck entwickelt hat. Deshalb höchste Achtung vor ihm. Aber ich erlebe heute was anderes. Bernhard: aber wir erleben ein Verhältnis zu ´eventuell auch Unseresgleichen´. Es ist ja nicht bewiesen, dass das Tier anders ist. Alles was die Wissenschaft uns sagt ist, dass das Tier ganz anders ist, als wir dachten. Dass es unendlich viel mehr kann. Dass wir das Tier unterschätzt haben. Tatum wusste das noch. Der hat das Tier noch als Kommunikationspartner des Menschen gesehen. Und was tun wir mit dem Tier? Wir vernutzen es. Wir essen es. Wir vernutzen es in jeder Hinsicht. Kurd: weil der Commonsense uns sagt, dass es so richtig ist. Bernhard: das sagt er inzwischen nicht mehr. Antje: aber ich meine, dass es schon schwierig ist, sich einigermaßen unter Menschen so auszutauschen, dass man was voneinander hat. Vielleicht können wir da erstmal anfangen. Bernhard: wir haben jetzt einen Dissens. Mehr können wir uns gar nicht wünschen. Ich habe keine Idee, was jetzt grade passiert, aber das ist auch nicht schlimm. Ich habe da kein Problem mit. Karen: also mir ging es auch nur darum, das zu ergänzen. Man kann ja sagen, wir beschränken uns. Vielleicht ist das eine gewisse Beschränkung, wenn man sagt, mich interessiert jetzt nur die Kommunikation mit Menschen. Weil es ja andere Möglichkeiten auch noch gibt. Grade im therapeutischen Bereich gibt es für Kinder, die autistisch sind, die Möglichkeit, sich mit Tieren zum Beispiel auszudrücken und überhaupt nah zu sein. Aber erstmal gehe ich davon aus, dass bei denen, die hier sind, das erste Interesse der Austausch unter Menschen ist. Das andere ist am Rande, aber es ist vielleicht ganz gut zu wissen, dass da noch was ist. Dass der Rest der belebten Welt möglicherweise Antworten liefert oder Fragen stellt. Sabine: selbst der unbelebten, weil du die Steine ja auch eingeführt hast.

Bernhard: ich muss hinzufügen, dass wir dank einer sprachlichen Möglichkeit ja laufend mit Anderen imaginär kommunizieren, nämlich über die Metapher, die uns alles irgendwie belebt. Dann hat das Haus ein Gesicht. Darauf werden wir nicht verzichten können oder wollen oder sollen. Antje: aber mittels Metaphern kommunizieren wir doch auch wieder unter Menschen. Bernhard: ja eben. Ich würde den Kommunikationsbegriff auch viel weiter fassen. Ich würde sagen, wie es ja auch angedeutet wurde, unsere menschliche Kommunikation ist wahrscheinlich nur ein Teilgebiet eines viel größeren Bereiches, und sollte sich nicht autonom setzen. Sonst würden wir wahrscheinlich kein Gedicht Goethes oder kein Stück Lyrik verstehen, wo Zwiesprache ist zwischen dem Meer oder den Sternen und dem Menschen. Antje: es geht ja bei der Konversation um offiziöse Gruppen. Da gibt es ´privat´, das ist immer zwischen Zweien und da würde ich den Austausch zwischen Mensch und Meer oder Mensch und Hund einordnen, dann gibt es ´öffentlich´, das läuft sozusagen über die Medien oder eine unüberschaubare Gruppe. Und schließlich gibt es ´offiziöse´ Gruppen in denen der zwischenmenschliche Austausch stattfindet. Und diese ganzen Austausche, die hier jetzt immer so angeklungen sind, die sind mehr ein Privataustausch. So würde ich das sehen. Bernhard: die jetzt hier angeklungen sind? Antje: ja, was du z.B. gesagt hast: Austausch mit dem Meer oder mit Pflanzen oder mit Hunden oder Tieren. Das ist immer so ein Ich-Du-Austausch. Bernhard: ja, aber eingebunden in eine Gesellschaft, die sich das noch zutraut. Die das auch noch als Teil hat. Antje: ja, ich wollte jetzt bloß ein bisschen einordnen, was Austausch oder Konversation ist. Also in einer offiziösen Runde, so wie hier jetzt. Überschaubar, nicht mehr als 10 oder 12 Personen, den ab da fängt es langsam an, unübersichtlich zu werden und keiner kommt mehr so richtig zu Wort. Zorah: kann man das heutzutage noch sagen? Wenn du deinen Chat hast? Matthias: ab sieben wird´s kompliziert. Zorah: wenn ihr euren Chat habt, ist das offiziös? Antje: der Bilderchat? Ja! Da werden ganz Bestimmte eingeladen und das sind nicht mehr als 10, 12 Personen. Zorah: und wenn jetzt zum Beispiel Matthias 10 Leute einlädt und das macht, was er uns gezeigt hat, ist da ein Unterschied zwischen dem und Bilderchat. Antje: das kann ich schlecht beurteilen, weil ich das, was Matthias gezeigt hat, noch nicht gemacht habe. Zorah: aber du siehst es ja. Matthias: das musst du machen, sonst verstehst du es nicht. Zorah: aber es ist ja eigentlich wie Chat, nur ein bisschen geordneter. Matthias: grade Medien muss man machen, sonst versteht man sie nicht. Karen: nicht unbedingt. Das was ihr anbietet, das ist ja eine Möglichkeit, die man ganz unterschiedlich füllen kann. Matthias: ich habe, ehrlich gesagt, noch kein Gefühl für die Situation hier. Die Anderen stimmen zu.

Matthias: ich habe den Eindruck, dass Kurd unbedingt was will und ich versteh es noch nicht. Bernhard: also ich stelle den Antrag, die Runde möge beschließen, Kurd aufzufordern, zu sagen, was heute das Thema sein soll. Kurd: das lehne ich ab. Du kannst mich fragen, was ist es denn, das dich bewegt? Bernhard: wir hatten heute doch ein bisschen Themenvorgabe. Antje: es gibt immer nur thematische Anregungen. Matthias: Thema: Kunst ohne Publikum. Und wenn wir dann sagen, Kurd soll es sein, dann verfallen wir wieder in die Publikumsrolle. Kurd: erstmal wollte ich vorschlagen, dass wir das, was wir als Anregungsthemen in das Papier für heute und morgen reingeschrieben haben, zusammentun. Dass wir die Tage nicht trennen, damit wir die Nacht nochmal d´rüber schlafen können. Zorah: also die Anregungsthemen von den zwei Tagen ruhig mischen? Das historische Thema finde ich auch spannend. Kurd: wie´s mir geht ist Folgendes: Manches, was in diese Anregungen eingeflossen ist, - ich will es jetzt mal ganz plump sagen - ist die herrschende Meinung , die Meinung der Herrschenden. Und da komme ich gar nicht d´rin vor, mache es aber. Wie soll ich damit fertig werden? In Lüneburg habe ich mal gesungen: (Kurd singt) wie lebt ihr das Leben im fabrizierten Commonsense? Antje: also, das treibt dich um. Zorah: das ist doch schon eine Frage. Dürfen wir jetzt darauf reagieren? Antje fragt Matthias: war das deine Frage an Kurd? Matthias: ich hatte das Gefühl, dass Kurd unbedingt was will. Und jetzt hat er mir daraufhin geantwortet. Du hast es mir gesungen. Kurd: es muss ja nicht jedem so gehen. Zorah: dass er singend antwortet? Kurd: nein - aber das könnte man ja mal einführen. Antje: das könnten wir doch mal machen. Zorah: au ja, machen wir das doch jetzt. Können wir nicht einfach mal mit Tönen spielen, wer Lust hat? Nicht der Reihe nach. Und intuitiv reagieren. Sie fängt an. Antje antwortet mit einem Ton. Kurd singt: damit werden wir nicht weit kommen. Matthias singt: Amen. Womit? Womit? wird in der Runde gesungen.

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Kurd links (spricht wieder): ich möchte das Ästhetische nicht vom Logischen trennen.
Das hat ja unser Freund Baumgarten mit dem Wort Ästhetikologica sehr schön gebracht. Also die Einheit von Ästhetik und Logik. Und hier jetzt nur in Tönen zu singen und die Denkseite nicht zu Wort kommen zu lassen, das würde mir nicht gefallen. Zorah: da waren aber schon Fragen. Das war ja nicht gedankenlos.
Antje: ja, das Gesungene waren nicht nur Töne. Da war auch was drin. Zorah: ´womit´ war das letzte. Da war eine Fragestellung. Kurd: wenn ihr jetzt von mir nochmal was hören wollt? Ja gerne, wird geantwortet- Matthias: ich hätte jetzt testweise mal ´nein´ gesagt, um zu sehen was dann passiert. Alle lachen. Matthias: das war rhetorisch. Antje: können wir nicht lieber mal ´Einen Satz reihum´ machen? Damit das so ein bisschen aufgeweicht wird. Matthias: nein. Ich habe noch ´ne Frage. Antje: noch ´ne Frage? Matthias: ja, bei mir ist ein komisches Bild entstanden bei der Frage: wie lebt ihr in dem Commonsense. Kurd: ja, das Leben im fabrizierten Common Sense. Matthias: du hast doch nie ein Leben im Commonsense gelebt. Kurd: aber Matthias. Immerzu! Was kann ich denn? Hier hängen auch Bilder. Ja, dass wir hier einen Tisch haben und es fertig gebracht haben, im ZKM keine Ausstellung zu machen, das ist ein bisschen vom Commonsense weg. Zorah: aber ZKM ist total Commonsense. Das ist der Tempel der Medienkunst schlechthin. Kurd: ja, aber das wir das fertig gebracht haben - wenn man sich mal ein bisschen auf die Schulter klopfen soll – das, was wir hier zusammen machen, hier zu machen, das ist ein ganz bisschen vom Commonsense weg. Eine Museumskraft kommt herein: Entschuldigung, ich mache grade hier die öffentliche Führung und jetzt fragt die Dame, ob man hier einfach dazukommen kann. Die ganze Gruppe antwortet: ja gerne, immer. Museumskraft: auch hier teilnehmen kann? - Stühle werden ´rangerückt und eine Besucherin setzt sich dazu. Sven fragt sie: haben sie mit uns geskyped vor vier Wochen? Besucherin: ja. Antje erkennt sie: so sieht man sich mal in echt. Das ist ja nett! Die Besucherin findet das auch. Zorah: sie hatten einen Videoskype, oder? Sven: genau. Zorah: ah, deswegen habt ihr euch erkannt. Kurd: vor vier Wochen. Wir zu viert (die Besucherin, Sven, Antje und er). Die Museumskraft: so, ich gehe mit der Gruppe weiter und vielleicht stoßen ja nach der Führung noch einige dazu. Die Besucherin bekommt ein ´felix-ästheticus´- Abzeichen. Besucherin: da kriege ich gleich eine Belohnung. Antje: aber können wir nicht trotzdem, damit das hier mal so ein bisschen in Gange kommt, ´ein Satz reihum´ spielen. Also eineR fängt an mit einem Satz, der so lang oder kurz sein kann, wie er will. Gibt dann weiter an die oder den rechten Nächsten. Matthias: ich würde gerne Kurd verstehen. Antje: lass mich das doch einmal zuende sagen, das nervt! Zorah: warum soll er nicht nerven? Er darf doch auch nerven. Antje: ja, aber das geht jetzt schon ´ne ganze Weile, ´Kurd soll immer sagen´. Was nützt uns das? Zorah: jeder kommt mit seinen Erwartungen und seinen Zweifeln, aber jetzt machen wir mal dieses ´Reihum´.

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Antje: links genau, damit wir uns alle mal beteiligt haben. Damit jeder von uns mal reinkommt.
Zorah: o.k., Du startest. Antje: für mich ist das noch nicht so richtig konversationell, das ist immer so ... ich weiß nicht. Damit gibt sie weiter. Steffi: ich bin auch ganz fasziniert. Ich verstehe überhaupt nicht, wohin das hier gehen soll, bin aber ganz überrascht, welche Themen hier alle angeschnitten werden. Wenn das hier noch irgendwann zu Web 2.0 gehen soll, würde es mich überraschen. Matthias zu der Besucherin: ich finde es nett, dass sie hier sind. Besucherin: das ist ja ein sehr nettes Kompliment. Ich komme öfter hierher, ich komme aus Baden-Baden und mache sehr oft diese Führung am Freitag mit. Ich habe einen Museumspass und habe dadurch die Gelegenheit, nicht nur durch den Pass. Auch heute sind wieder irgendwelche Erlebnisse. Ich gehe immer alleine, dann kann ich tun und fragen was ich möchte. Und wenn ich ermüdet bin, gehe ich nach Hause. Vor 14 Tagen, 3 Wochen war ich hier und da waren Sie life auf dem Bildschirm. Das war auch eine Führung und jetzt habe ich gefragt, ob ich hier wohl noch dabei sein kann und bin sehr froh, dass ich das darf. Danke schön. Karen: ich habe jetzt aus dieser ganzen Diskussion, die wir bisher hatten, eigentlich plötzlich so ein Interesse entwickelt, für mich zu untersuchen, mit wem oder was kommuniziere ich eigentlich in meinem Alltag. Also was gehört wirklich dazu. Nicht nur beruflich. Was ist das eigentlich, über die menschliche Kommunikation hinaus. Sabine: ich bin eher bei meiner Sehnsucht angelangt, wo was vielleicht mehr so funktionieren könnte wie es ein Bedürfnis von mir ist. Da bin ich grade ganz verstrickt. Und das spiegelt sich auch so ein bisschen hier wieder. Das ist so ein Nebeneinander, wo ich erstmal gedacht habe: abwarten was da jetzt an fruchtbarer Kommunikation möglich ist. Bernhard: wenn ich versuche das, was sich hier jetzt abspielt und ereignet, zurückzubinden an Äußerungen kluger Menschen früherer Zeiten, so fällt mir ein Satz ein, den ich hier zitieren möchte. Er lautet: die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie - und jetzt ergänze ich frei - die auch solche chaotischen Runden, wie sie sich hier abspielen, mit einbeziehen würde. Sabine bittet ihn, den Satz zu wiederholen, was Bernhard tut. Er bezeichnet die ´chaotischen Runden´ dabei als ´teils kristalline, teils fluide Situationen - es sei noch nicht ganz entschieden ob es kristallin erstarrt oder noch fluide sei. Er erläutert noch, dass der Anfang des Satzes von Friedrich Schlegel, Athenäumsfragment 116 sei, eines der berühmtesten Gründungsdokumente. Zorah unterbricht: selbstverständlich kennen wir alles. Lesen wir jeden Abend nochmal zum Auffrischen. Sie habe Germanistik studiert und kenne es deswegen zufälliger Weise, sagt sie noch zur Erklärung. Bernhard: aber ich habe es ja modernisiert, dass der Progressus einbezogen ist. Zorah: es ist gut, aber verzwickt. Ich schließe daran an. Es beginnt hier bei uns langsam zu fließen: ich bin offen für alles, auch wenn´s verzwickt ist. Hauptsache es fließt. Ich habe da die fluide, nicht die kristalline Version. Sven: ich bin dazu gestoßen in eine schon rege Diskussion und wusste nicht so ganz, wohin es geht. Und ich sehe, ich bin nicht ganz alleine. Alle lachen.

Kurd: ich möchte wissen, was Matthias und Stefanie für einen Ansatz haben, um unter Menschen zu kommunizieren. Damit die Menschen merken, dass das für sie etwas ist, was lebensnotwendig ist. Matthias: das sagt die Kassiererin im Supermarkt immer. Ist wieder nichts Lebensnotwendiges dabei. Antje: Stefanie und Matthias haben ja schon angefangen, ihren Ansatz darzustellen. Irgendwie war das alles ein bisschen ins Stocken geraten und jetzt fängt es für mich an, flüssiger zu werden und das finde ich ganz angenehm. Stefanie: also wir hatten ja dieses Projekt hier vorgestellt. Für mich persönlich: ich kommuniziere sehr viel über Bilder. Sprachlich ist meine Kommunikation, muss ich gestehen, relativ eingeschränkt in der Welt. Die Kommunikation über Bilder ist eben stärker. Ich mache sehr viele Projekte über Bilder. Das hat halt mehr Wut. Ich arbeitet grade an einer Ausstellung und hab jetzt mehrere Kooperationen: Bilder als Diskurs. Also mehrere Personen arbeiten an einem Bild. Das heißt, wir kommunizieren direkt mit Farbe oder per Photoshop-Ebene auf dem Bild drauf. Und da passiert relativ viel. Das finde ich durchaus sehr interessant. Da kann man immer gleich drauf reagieren. Matthias: sind wir jetzt noch bei ´ein Satz´? Ja, ist die allgemeine Antwort. Bernhard: wir können von mir aus auch gerne noch weiter durchlaufen. Antje: das ist nicht nur auf eine Runde beschränkt. Alle wollen weiter machen.

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Bernhard: Beschleunigung aufnehmen. Zweiten Gang einschalten. Dritten Gang!
Besucherin: ich habe keinen Führerschein. Bernhard: sie fahren mit einem Fahrlehrer, der dann das Gas wegnimmt oder die Bremse betätigt. Besucherin: Ich bin 45 Jahre unfallfrei gefahren. Bernhard: ohne Führerschein? Besucherin: einem falschen. Matthias: den hat sie abgegeben. Matthias ist dran: ich wehre mich grade gegen eine Vorstellung, die ich habe. Das ist Ted Kaczynski, der sogenante Unabomber (university national institution airline bomber), das ist der jüngste Mathematikprofessor in Yale gewesen, glaube ich, der Bomben geworfen hat und der 20 oder 15 Jahre lang verfolgt worden ist. Er hat ein Manifest gegen die Technologie geschrieben. Das was er sagt ist, man kann ihm das nicht genau zuordnen, aber alle ordnen es ihm zu: er sei nicht gefragt worden bei der Einführung der Technologie und es ist das einzige Mittel, sich zu wehren. Lutz Dammbeck, ein Dokumentarfilmer aus Leipzig, der hat die Geschichte nachvollzogen und das stieg bei mir grade so hoch, als ich sagen wollte, wir wollen Technologie auf Kulturfähigkeit bringen. Ist das was für uns oder nicht? Und da wurde mir auf einmal so strikt das klar, was Kurd gesagt hat: ist alles Commonsense. Und dann fiel mir nur das Gegenteil ein. Ted Kaczynski, das ist einer, der gesagt hat, ich kann mich nur so wehren. Antje: also alles kaputt machen. Matthias: ja. Karen: und war das auf eine bestimmte Technologie bezogen oder überhaupt. Matthias: nee, alles! Das ist sozusagen dargestellt worden als Netz der gesellschaftlichen Triebkräfte. Universitäten mit ihren Forschungseinrichtungen, dann waren das bestimmte Flughäfen, Airports und Verlage. Zorah: von den Banken wusste er damals noch gar nichts. Matthias: nee, die hatte er nicht im Blick. Das fiel mir natürlich im Zusammenhang mit Kompromiss ein. Das hatte ich bei dir so ein bisschen gesucht, und es nicht gefunden. Bernhard: ja, aber der gute Unabomber hat sich dann natürlich selber mit einer unglaublich gekonnten Technik oder Technologie gerächt. Denn das Bauen einer Bombe ist eine ganz große technische Leistung. Matthias: nee, die Anleitung hat er aus einer Zeitschrift der Graswurzel-Leute. Bernhard: aber das kann man doch nur umsetzen, wenn man ein höheres Know-how hat. Nehmen wir mal den Fall des Nuklear-Terrorismus an, der uns ja bevorsteht. Davon gehe ich aus. Die hätten das schon längst gemacht, wenn die das könnten. Das sind jetzt zwar keine Nuklearbomben gewesen, aber ich glaube, so eine Bombe zu basteln und auch anzubringen, - abgesehen von den psychischen Momenten, die man natürlich braucht, damit man sich entmoralisiert, um das zu tun. Matthias: das ist überhaupt kein Problem. Antje: löst sich das jetzt auf mit: ´ein Satz reihum´? Wir beschließen weiterzumachen.

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Besucherin: rechts pardon, ich höre von Universitäten, von Namen, von Bomben und staune.
Ich staune. Das ist nicht meine Welt. Ich kann ihnen was ganz Alltägliches sagen. Ich sitze am Bahnhof Bühl. Ach, der Schnee, der Schnee vor ein paar Tagen. Und ein Kind spielt, wie ich früher auch mal gespielt habe. Neben mir sitzt ein junger Mann - für mich, in meinem Alter, sind eigentlich alle jung - und da hatte ich Mut. Schwatzhaft kann man es auch nennen und sagte: haben sie auch mit Schnee gespielt und sich so gefreut? Weil ich jetzt so viel höre über Computer und dass die menschliche Kommunikation da zurückbleibt. Ja, sagt der und wir kamen in ein ganz lebhaftes Gespräch. Dann kam der Zug, o.k. Also ich habe in meinem Umfeld, auf meinem Niveau keine Last mit Menschen zu sprechen. Zorah: sie finden anscheinend immer eine Ebene? Besucherin: ja. Ich suche die nicht, die ergibt sich. Zorah: Authentizität. Bernhard fragt nach: wollen wir der Reihenfolge nach weitergehen? Oder? Karen: mich hat das grade bei dem, was Matthias erzählt hat von dem Unabomber, an so ein Themas erinnert, was mich in meinem Alltag aktuell beschäftigt. Ich wohne jetzt auf dem Land und da gibt es einen neuen Handymasten. In dem Zusammenhang habe ich mich in einer Bürgerinitiative engagiert und mich ein bisschen mit dem Thema beschäftigt. Ich bin dabei auf Sachen gestoßen wie: eine der kleinsten Kommunikationen ist die unserer Körperzellen untereinander. Das ist so eine ganz feine Kommunikation. Man könnte sagen, dass da elektrische Gleichstromreize ausgetauscht werden. Und jetzt gibt´s von verschiedenen Medizinern Untersuchungen, die sagen, diese ganze. Mikrowellenstrahlung z.B. oder eben die elektromagnetischen Felder stören diese Kommunikation unserer Körperzellen. Und dann fällt mir ein: o.k. jetzt gibt´s ja die Technologie des mobilen Telefonierens, des mobilen Internets, die sich immer mehr ausweitet, die uns auch Möglichkeiten wie diese schafft, z.B. Das sind auch so Sachen. wo die Menschen nicht gefragt sind und dem ganzen auf eine gewisse Art ausgesetzt sind. Also wie gehen wir jetzt damit um? Nutzen wir das? Wie nutzen wir das? Wie wird das im Commonsense genutzt, für welche Mitteilungen werden Handys eigentlich gebraucht? Das ist so eine Fragestellung. Sabine: ich habe grade so´n leichtes Tillen. Also einerseits hat mich die Schneegeschichte an das Rauschen der digitalen Bilder erinnert, also auch an das Erlebte und die ganze Theorie dazu. Aber hier grade im Moment geht es mir so, dass ich versuche, tausend Fäden zu greifen und irgendwie eigentlich ein bisschen tille. Und damit gebe ich weiter. Bernhard: ein bisschen was? Sabine: tille, also wie so´n ... Matthias: das meint ´Störung´. Sabine: danke. Rauschen, weißes Rauschen.

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Bernhard: dazu vielleicht eine kleine semantische Fußnote. Wir reden jetzt alle von Kommunikation.
Müssen uns darüber klar sein, dass das die lateinische Version eines Zusammenhanges ist, der im Griechischen ganz anders heißt und im Deutschen auch. Das sollten wir uns nur mal verdeutlichen. Kommunikation heißt ja ein ´munis´, eine Gabe haben, die man teilt. ko-munis, man teilt oder gibt sich dieselbe Gabe. Das ist das Lateinische. Der Grieche sagt dazu was ganz anderes. Der sagt: dialogos. Das ist der Dialog, der logos, der auch durch etwas geteilt wird, aber das ist in dem Wort nicht enthalten. Das ist das Hindurchgehen des Logos. Das ist ja was ganz anderes. Und der Deutsche sagt: Gespräch. Das ist die Augmentativbildung zu ´sprechen´. Wir sagen ja auch: Wasser - Gewässer, Berg - Gebirge. Gespräch ist die Versammlung des Sprechens. Oder wir sagen auch: die Verständigung. Das kommt von Verstehen. Da haben wir dann Angebote: dialogos, dialegistei, wir sagen Dialogisieren. Witzigerweise hat sich von diesem riesigen Angebot, das wir im Deutschen verfügbar haben – Dialog, Verständigung, Gespräch ausgerechnet die lateinische Variante durchgesetzt. Das ist aber ganz kontingent. Das ist Habermas, oder wer immer das jetzt verschuldet hat: Theorie der Kommunikation. Warum ist das die lateinische Variante? Mit welcher Notwendigkeit oder welchem Bedürfnis sind wir in einer latinisierten Welt? Der Anfang ist gemacht worden mit der Kreation von ´Amerika´. Ein lateinisches Wort, das es gar nicht gab. Und die Amerikaner sagen, das ist genau das Wort. Das ist ein Talisman-Wort, dieses Wort ´Amerika´. Zorah Mari: jetzt fängt es an, schön zu werden. Weil jetzt jeder so kapriziös sein darf, wie er ist. Du hast ein ausgeprägtes sprachliches Ordnungsbedürfnis, Sie z.B. (zur Besucherin gewandt) haben eine unglaublich überzeugende, soziale Authentizität, die einem sofort eine Schnittstelle anbietet. Also mit Ihnen würde ich auch sofort am Bahnhof oder sonstwo ins Gespräch kommen. Weil sie eine Sympathie ausstrahlen. Und es gibt eben sehr viele verschiedene, verbindende, interagierende Mittel. Also eines kann z.B. Sympathie sein. Und hier darf jetzt jeder so sein, wie er ist und trotzdem fließt es. Das finde ich schön.

Bernhard: ich wollte jetzt etwas sagen, was alle angeht, weil wir hier von Kommunikation reden. Kommunikation ist auch nur ein Wort und wir haben andere. Und diese latinisierte Welt ist eventuell eine Kolonisierung. Zorah: also auch ein Commonsense, sozusagen. Bernhard: Common Sense, Sensus Communis sind alles Kolonisierungen. Ich habe ja nichts gegen Latein. Ich lebe ja auch in dieser Welt. Aber man muss sich bewusst machen, dass das immer neue Latinismen sind. Allein das Wort ´Daten´ oder ´Dokument´, das ist Lateinisch! Es ginge auch anders. Wir leben ja nicht in einer Welt von Sachen, sondern nur von Bezeichnungen, die wir für die Sachen halten. Zorah: jetzt übernehme ich mal! Das ist Sprachkunst, finde ich. Toll! Jeder kommt total aus seiner Welt, was ja auch verständlich ist. Wir treffen hier zusammen und trotzdem ist es ein so faszinierender Mix, fast wie im Alltag. Das finde ich spannend. Sven: wobei die Sprache nur irgendwas Abstraktes bezeichnet. Also du sprichst ja in Bildern. Wenn ich ein Symbol von irgendwas sehe, dann weiß ich genau, was es ist, ohne dass jetzt die direkte Sprache, von der wir grade reden, benutzt wird. Also ist die Sprache auch nur irgendwas Aufgesetztes, auf einer Ebene von abstrakten Begriffen. Ich kann einen Tisch zeichnen. Jeder weiß, was das darstellt, aber irgendwie den Tisch zu fassen, das wird so gar nicht möglich. Da bieten sich dann nochmal ganz andere Möglichkeiten. wenn wir von der sprachlichen Ebene auf andere Sprachen gehen: die Bildersprache oder die Tonsprache. Was ihr ja auch schon ausprobiert habt. Das sind viele Möglichkeiten, um zu einem Weg zu kommen und ich habe das Gefühl, dass wir das hier grade irgendwie machen. Jeder, wie Du sagst, mit seinem Hintergrund. Kurd: ist es ein realistischer Wunsch, das Kolonialisieren wegzubringen? Sozusagen Herrschaft wegzubringen? Bis zu welchem Grad? Man kann sagen: na ja, ganz weg natürlich nicht! Jeder hat in seinem kleinen Umfeld auch Herrschaft. Aber man könnte schon was Besseres zustande bringen, als das, was jetzt herrscht. Antje: mir hat das ganz gut gefallen, was Du, Sven, gesagt hast. Weil es wirklich viele Austauschebenen gibt. Nicht nur Ton, Bild und Gestik. Kurd: Ansinnen. Antje: ja, es kommt ja was rüber, was man, wenn es z.B. durchs Netz geht, gar nicht empfinden kann. Das ist die eine Sache und dann wollte ich noch zu Dir, Bernhard, sagen: was hältst Du von ´Austausch´? Das kam in Deiner Aufzählung überhaupt nicht vor. Bernhard: nein, richtig. Absolut fragmentarisch. Romantisch fragmentarisch.

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Stefanie: wo ich das vorhin mit dem Schnee gehört habe und das mit dem Unabomber, ich finde, dass der Computer eine sehr große Magie hat.
Und als User muss ich mich natürlich dem unterwerfen. Und viele Leute finden das sehr gefährlich und kritisch, weil die Faszination sehr groß ist und viele Leute viel Zeit da reinstecken. Beim Computer, von seiner Kommunikation her, dass er eigentlich immer so regiert, wie ich es erwarte, ganz anders als die Menschen, würde mich interessieren, ob ihr eigentlich auch davon erfasst seid? Betroffen seid? Fasziniert seid? Ob ihr euch auch den Dingen so unterwerft und es euch Genuss bereitet? Seid ihr auch Technikfreaks? Ich würde gerne wissen, wie steht ihr dem gegenüber? Ganz besonders beim Computer. Wir sind es gewohnt, dass wir diese kleinen Erleichterungen haben. Da kauft sich irgendjemand ein Gerätchen und wenn es dann auf einmal verschwindet, merkt man erst, wie sehr man sich daran gewöhnt hat. Mich würde interessieren, wie ihr so drauf seid. Seid ihr eher analog, oder eher digital? Und wie geht ihr damit um? - Stille - Steffi: ihr müsst ja nicht antworten. Matthias: mir geht ein Satz durch den Kopf: Sprechen, Schreiben, Lesen sind die Basistechnologien, von denen aus wir ´wir´ sind und nicht umgekehrt. Das geht auf die Kolonialisierung zurück. Karen: nicht umgekehrt? Matthias: nicht umgekehrt! Also, die Sprache macht uns zu dem, wie wir uns sehen. Und nicht umgekehrt. Nicht wir machen die Sprache. Oder Beuys hat mal gesagt: wer die Macht über die Worte hat, der hat die eigentliche Macht. Da komme ich nicht mit klar, aber der Gedanke bewegt mich. Sprache ist ja metaphorisch und wir bilden da was ab. Aber sind wir zufrieden mit dem, was wir damit abbilden können? Wo ist die ganze Emotionalität? Wenn wir sagen, der Alltag besteht zu 90 % aus Emotionalität, Intuition, Nichtlogischem, ist es dann wirklich so, dass die 10 % uns beherrschen sollen? Also die Logik oder die Sprache oder die Schlüssigkeit der Sprache? Das geht mir im Augenblick durch den Kopf und die Frage habe ich auch ein bisschen bei Allen ´rausgehört. Kurd: kann man auch Zwischenapplaus machen? Antje: Zwischenapplaus kannste immer machen. Kurd beklatscht Matthias Beitrag.

Besucherin: tia, wenn ich hier grade höre: Die Macht der Sprache. Aus meiner Generation fällt mir Göbbels ein. Antje: ja, fabrizierter Commonsense! Besucherin: man konnte schon einen anderen Sender hören, aber da hatte man Angst. Und im Sommer, aus jedem Fenster waren diese Reden zu hören, mit Gestik und mit allem drum und dran. Antje: wieso mit Gestik? Zorah: das war ja einstudiert. Auch Hitler hatte eine total einstudierte Gestik. Der hat ja richtig geübt. Antje: aber aus jedem Haus? Das kann doch nur im Radio gewesen sein. Besucherin: ach so, ja Gestik. Es gab ja noch kein Fernsehen. Das hat man dann wahrscheinlich in der Wochenschau gesehen. Antje: ach ja, Fox Tönende Wochenschau. Besucherin: ich musste jetzt eben zurückdrehen. Stimmt ja, wo habe ich´s gesehen. Bernhard: Kommen Sie ursprünglich aus Berlin? Besucherin: ja, ursprünglich mal ja. Bernhard: ich habe es gehört. Besucherin: lässt sich nicht vermeiden. Bernhard: waren sie auch in Berlin zu der Zeit, als sie Kind waren? Besucherin: ohh ja! Auch die Bombenangriffe und den Einmarsch der Besatzer, der Russen in Potsdam, habe ich erlebt. Der Himmel nach den Luftangriffen - es wurde gar nicht Tag. Soviel Wolken und Qualm. Antje: ´die Macht der Worte´ war der Auslöser für diese Erinnerung. Besucherin: ich bin Jahrgang 28. Also als der Krieg aus war, war ich 16, 17 Jahre alt. Ich neige dazu, persönlich zu werden. Karen: ich könnte jetzt viel sagen. Ich will einfach nur eine Frage stellen: können Berührungen wirklich lügen? Besucherin: ja, sicher! Viele der Anderen: ja! Stefanie: also ich glaube, dass man eigentlich mit jeder Form der Kommunikation auch täuschen kann. Am ehesten, würde ich denken, mit den Augen nicht. Karen: ich meine die anderen Ebenen. Antje: du meinst Berührung auch übertragen? Wenn Dich etwas berührt. Karen: sowas meine ich auch. Aber ich denke mal, dass wir mit Worten am leichtesten lügen können. Besucherin: wenn der Tonfall freundlich ist? Karen: ja, oder das kann ja auch das geschriebene Wort sein. Sabine: ich glaube, je mehr Technik dazwischen geschaltet ist, desto besser können wir lügen. Weil ich glaube, dass man das im direkten Kontakt noch eher mitkriegt. Da möchte ich noch was zu Deiner Frage sagen. Das hat auch was mit einer These zu tun, die Matthias mal irgendwann aufgestellt hat. Dass unser politisches Sein, unser Sein mehr durch Technik geprägt wird, als durch irgendwas sonst. So habe ich das jedenfalls erstmal abgespeichert. Und ich halte auch für möglich, dass das so ist. Ich habe da aber auch eine Hilflosigkeit. Also ich habe immer zuviel Vokabeln zu lernen, als dass ich meine, das schaffen zu können. Und das ist ein bisschen wie mit den Informationen. Wie kriege ich das hin und wie kriege ich außerdem hin, auch noch genug direkte Kommunikation zu haben. Das ist mir schon ein Bedürfnis. Und dann glaube ich, dass es auch in der direkten Kommunikation möglich ist, zu lügen. Beispiel: ich habe grade das Tangofieber, und das ist ´ne Inszenierung. Da bist du dir ja recht nahe und inszenierst Momente der Intensität, der ganz körperlichen Intensität und der intensiven Wahrnehmung. Trotzdem ist es nicht unbedingt wahr, es ist schon auch eine Inszenierung.

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Karen: Mitte und vielleicht doch ein bisschen wahr! Sabine: links ja, aber anders.

Bernhard: es ist jetzt ganz spontan das Prinzip entstanden, dass zu den verschiedenen Beiträgen der jeweils Folgende was sagt. Ich habe hier eine ganze Liste. Es gibt zwei Möglichkeiten: entweder ich lasse alles ruhen und gebe zu keinem einzigen Beitrag einen Kommentar ab oder was ganz Neues, das dann Emergenz heißt: immer mehr, immer mehr. Das ist die Frage. Zorah: du entscheidest das am besten spontan. Bernhard: wir sind hier ja in einer Kommunikation. Alle lachen. Zorah: aber wir sind ja in einer heterogenen Kommunikation. Im Grunde genommen spricht jeder auf seine ganz persönliche Art. Also darfst Du es auch ganz persönlich machen. Sabine: ich würde mich da auch nicht reglementieren lassen wollen! Bernhard: soll ich jetzt Bezug nehmen auf das, was gesagt wurde? Das würde dem, was Antje mit Austausch bezeichnet, näher kommen. Also mache ich es jetzt so, dass ich ganz kurze Sätze abgebe, zu dem, was gesagt wurde. Weil das kommunikativer ist, als wenn ich wieder ein neues Fass öffne. Computer: Sind wir ihnen ausgeliefert oder nicht. Die Franzosen, die Spanier sagen: ordinateur, ordinedor. Stefanie: die Franzosen haben auch ein Gesetz geschaffen, die dürfen keine englischen Fremdwörter mehr benutzen. Bernhard: doch ein neues Thema! Ja, die französische Sprache kämpft einen Kampf gegen das Englische, den sie nicht gewinnen kann. Wir Deutschen haben den Kampf ja sozusagen schon aufgegeben. Indem wir das Englische importieren, glauben wir, dass wir stärker sind. Die Franzosen denken, sie müssten damit kämpfen. Ich denke, das ist ein Todeskampf, den sie nicht gewinnen können. Sie sagen: ordinateur, die Spanier sagen: ordinedor. Das heißt, das ist ein Befehlsempfänger. Ich gebe Befehle. Ich bin der Herrscher. Die Sprache drückt schon aus, dass gar kein Unterordnungsverhältnis möglich ist. Wenn wir ´Rechner´ sagen, ist das eigentlich auch nur so ein selbstlaufender Prozess. Zu Berlin noch ein Zitat von 1947. Als Bertold Brecht zurückkehrt in das zerstörte Berlin, schreibt er in sein Tagebuch: Berlin, eine Radierung Churchills nach einer Idee Hitlers. Ich finde, es ist einer der genialsten Sätze, der jemals über Berlin gesagt wurde. Zora versteht den Satz nicht. Bernhard: dann muss ich ihn erläutern. Hitler und Goebbels haben doch immer gesagt: ´wir wollen ihre Städte ausradieren´. Zur Kolonisierung der Sprache. Ich habe es selber ins Spiel gebracht. Das hat natürlich auch die Seite, dass man immer wieder versucht hat, von den lateinischen Wörtern wegzukommen. Dann wird es Purismus. Die NS-Zeit hat in furchtbarer Weise versucht, von dem Lateinischen wegzukommen und dann natürlich oft Unsinn produziert. Das ist ein alter Kampf des Deutschen mit dem Lateinischen. ´Nase´ ist ja auch lateinisch. Man hat gesagt, wir wollen nicht ´Nase´ sagen, sagen wir ´Gesichtserker´. Schlimmer kann es gar nicht werden. Besucherin: ja, das war bei uns in der Schule kein Fremdwort, grade wie Sie sagen: Nase = Gesichtserker. Bernhard: oder man wollte ´Fenster´, das ist auch lateinisch, übersetzen und sagte ´Tagleuchte´. Besucherin: Gesichtserker wurde uns nur so gesagt, ansonsten benutzten wir kein lateinisches Wort. Wir haben ´Wiewort´ für Eigenschaftswort gesagt. Oder ´Tuwörter´, ´Zeitwörter´, ´Hauptwort´ und sowas. Bernhard: das ist sozusagen die faschistische Weise, der Kolonialisierung zu entgehen, indem man das von einer Diktatur aus managt. Zorah: den Rest vielleicht in der nächsten Runde? Bernhard: ich kann´s auch lassen. Kurd: ich möchte das aber jetzt gerne wissen. Bernhard: zur Herrschaft: Ich gebe mal das Beispiel Heidegger. Ihr kennt ja meine Position gegenüber Heidegger zu seinem bekannten, nie abgelegten Bezug zum NS-Regime. Daher erklärt sich auch sein Hass auf das Lateinische. Dann habe ich ja auch geschrieben: was macht er denn bitte selber, wenn er laufend ´Existenz´ benutzt? Das ist doch ein lateinisches Wort per se! Wir kommen da auch nicht ´raus, sollten uns aber bewusst machen, dass es eben lateinisch ist. Und dieser kleine Vorsprung, den man hat, indem man weiß, dass es noch Alternativen gibt, der ist vielleicht eine Chance, dieser Kolonialisierung zu entgehen. Zum ´Wahren´, zur ´Sprache und dem Abstrakten´ hätte ich auch gerne noch was gesagt, aber ich glaube, das lasse ich jetzt lieber, weil das wohl nicht so gerne gesehen wird, wenn das hier alles abgearbeitet wird.

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Zorah: ich finde es wunderbar, dass Du das so machst, wie Du es machst.
Nur ich brauche immer so ein bisschen Fluss. Und deswegen habe ich was eingewendet. Auf Dich bezogen und auch auf euch, Stefanie und Matthias, bezogen, aber eigentlich nicht nur auf euch: also Lesen ist eine Technik, Schreiben ist eine Technik und natürlich baut eine Technik auf die andere auf. Warum wird Computer immer so mystifiziert als das Böse schlechthin, das uns total entfremdet? Lesen und Schreiben hat uns auch irgendwann mal entfremdet. Also warum wird es ständig als die Ausgeburt des Bösen mystifiziert? Es ist nur eine von vielen Techniken, mit denen wir umgehen. Ein Herd ist auch ´ne Technik. Stefanie: den kann ich aber verstehen. Ich sehe das Kabel, ich mache ihn an. Zorah: Computer kann ich auch verstehen. Gut, Herd ist eine weniger komplexe Technik. Das war jetzt aber nur als Stichwort gemeint. Ich mag gar nicht so viel dazu sagen. Ich glaube, nur weil die Technik neu ist, nehmen wir sie als so wahnsinnig kompliziert wahr. Sie ist natürlich auch komplex. Sven: mich interessiert das, was Du zum Computer gesagt hast, auch. Ich arbeite ja in einem Rahmen, wie Andere mir erlauben, in dem Rahmen zu arbeiten. Also der Computer wird ja auch irgendwie von Irgendwem entwickelt. Da werden viele Komponenten von vielen verschiedenen Menschen entwickelt und in deren Rahmen kann ich arbeiten. Wahrscheinlich haben alle hier schon mal gehört: ´die Funktion kommt dann in der nächsten Version.´ Oder: ´das wird uns irgendwann mal zur Verfügung stehen.´ Das heißt ja, das wir nur in dem Rahmen arbeiten können, in dem wir es erlaubt bekommen. Wir können den Rahmen erweitern und das können wir mit Sprache auch, indem wir irgendwelche Neologismen einführen. Alles war vielleicht mal ein Neologismus. Ich kann kein Griechisch, auch Latein habe ich nur so geschleift, und merke, was die Sprachwurzeln betrifft, dass mir da einige Teile fehlen. Genauso geht´s mir beim Computer auch. Ich kann einige Teile nicht verstehen, weil ich mich nie damit befasst habe. Kurd: ich möchte gerne noch eine Antwort von Dir, Bernhard, haben. Was ganz Schlichtes. Du hast das griechische Pendant zu Kommunikation gesagt und ich habe es nicht verstanden. Kannst Du das nochmal sagen. Bernhard: Dialog. Kurd: du hast erst noch was anderes gesagt. Bernhard: dialogos oder dialegistei, das heißt: sich unterhalten. Mir ist noch aufgefallen, wo ich jetzt langsam in die Herbstzeit des Lebens komme, dass im Griechischen nicht das sagbar ist, was im Lateinischen sagbar ist. Ich dachte, als ich noch jünger war, dass das so ähnlich sei. Im Griechischen kann man z.B. nicht ´einander´sagen. Man muss es irgendwie umschreiben. Man hat z.B. im Griechischen auch kein Pendant zu ´Universum´. Da muss man ´Kosmos´ sagen. Und Kosmos ist was ganz anderes, nämlich ´Geschmeide´. ´Universum´ist das, was zu ein und demselben hingeordnet ist. Das kann man im Griechischen nicht ausdrücken. Nach meinem jetzigen Stand mit den Arkanen der Traditionen der alten Sprachen ist es völliger Unsinn, zu glauben, das seien alles Doubletten im Griechischen und Lateinischen.

Antje: das ist witzig. Zwischendurch war es richtig weg, aber jetzt, wo Du was gesagt hast, ist es mir wieder eingefallen. Nämlich dass mir eingefallen ist, als Du vorhin Churchill zitiert hast, dass Kurd und ich in Madeira genau dort waren, wo Churchill wirklich gesessen und gezeichnet hat. Es gibt es in der Nähe von Funchal einen Ort, Camara de Lobos, da hat er gesessen. Und da gibt es auch ein Restaurant, wo er gewesen ist. Wir trafen dort einen älteren Ober, der ihn erlebt hat. Kurd: der hat eine Armbanduhr von Churchill geschenkt bekommen. Antje: ja, Churchill hat da wirklich gezeichnet. Bernhard: der hat sogar viel Geld damit verdient. Er hat Bilder verkauft und ist nachher reich geworden. Die waren hochdotiert. Antje: ich wollte aber auch fragen: sollen wir mal eine Pause machen? Ich habe gemerkt, dass es inzwischen fünf Uhr ist. Bis sechs Uhr machen wir hier noch. Kurd: das ´Reihum´ war toll. Stefanie: ich wollte noch was zur Sprache sagen und jetzt habe ich schon ganz viel davon vergessen. Also ich wollte sagen, dass sich die Übersetzungsbedeutungen eines Wortes verschieben, das ist ganz normal. Ich kenne das aus dem Lateinischen. Da gibt es bis zu 13 Übersetzungen für ein Wort. Bernhard: ja, polysemia. Stefanie: ich glaube, das ist ganz normal bei einer Sprachlebendigkeit, also beim Lateinischen ja jetzt nicht mehr. Aber auch im Deutschen ist es so, dass sich die Bedeutungen langsam ein bisschen verschieben. Was mir aufgefallen ist, als Matthias sagte, ob es eigentlich reicht, sich mit der Sprache auszudrücken, ist, dass es, so lange man sich darin aufhält und keinen Kontrast kennt, gar nicht auffällt. Mir ist damals im Lateinischen aufgefallen, dass man da Formulierungen und Sätze bilden kann, die man überhaupt nicht übersetzen kann. Und man kann mit der lateinischen Sprache Spiele machen, die mit der deutschen Sprache nicht gehen. Damals dachte ich zum ersten Mal: schade eigentlich, dass wir so begrenzt sind und nicht für jedes Wort auch mindestens drei mögliche Worte zur Auswahl haben. Und zum ersten Mal dachte ich da, dass es möglicherweise gar nicht ausreicht, sich nur in der Sprache auszudrücken. Oder auch, als wir nach China gefahren sind. Wenn wir da nachfragen, was bedeutet dieses oder jenes, dann kommt, dafür gibt´s kein englisches Wort. Stattdessen gibt es eine ganz lange Geschichte. Das fand ich sehr interessant. Wenn mir Deutsch nicht ausreicht, müsste ich ja die Sprache wechseln. Bernhard: das tun wir doch alle. Der moderne Mensch ist mehrsprachig.

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Stefanie: rechts wir machen das ja so, wir holen jetzt die ganzen englischen Begriffe her und weil die so toll sind, fangen wir auch an, die deutsche Begriffe durch englische zu tauschen.
Das wäre was, da würde ich auch sagen: finde ich scheiße! Ich habe auch viel mit größeren Agenturen zu tun und wenn es da Gespräche gibt, verstehe ich die nicht. Und wenn ich nachfrage, wissen die auch nicht, was das ist.

Bernhard: die Linguisten sagen da folgendes: die Lexikseite ist bei jeder Sprache jederzeit offen gewesen. Eine mehr, eine weniger. Latein hat unheimlich viel aus dem Griechischen genommen, das ist alles gemischt. Deutsch war schon mal mit Französisch so weit vollgesogen, dass man dachte, es geht kaputt. Das ist kein Problem, die Lexik. Das ändert sich. Das Problem ist bei der Sprache ihre Syntax. Und die Idealisten sagen voraus, in 10, 20 Jahren, etwa eine Generation später, kann Deutsch wegbrechen, indem die deutsche Syntax nicht mehr da ist. Dann muss sie neu erfunden werden und dann wird Deutsch ein Teil des Englischen, wenn unsere Deklinationen wegfallen. Man hört das schon im Radio. Das hört schon auf. Ist ja auch sehr komplex im Deutschen. Also: ich stehe vor der Mauer. Ich gehe über die Mauer, usw. Radiosprecher bringen das schon durcheinander. Dann machen wir es wie die Franzosen oder wie die Engländer. Dann wird es eine neue Sprache und ist eben nicht mehr Deutsch. Das was wir heute hier gesagt haben, ist dann nicht mehr verständlich. Zorah: gut, dann würde ich Deine Idee aufgreifen und würde mit Gefühlen kommunizieren, wenn es das Deutsche nicht mehr gibt. Dann würde ich mir diese Welt erschließen. Da würde ich auch keinen Verlust empfinden, außer wenn man jetzt telematisch kommunizieren möchte. Bernhard: Du sagst das aber in so schönem Deutsch, dass man sagen könnte, Du hängst ja doch an der Sprache. Die Österreicher sind da ja besonders. (Zorah ist Österreicherin) Zorah: aber ich habe jetzt nicht so einen Bewahrungsinstinkt. Wenn die Menschen sich auf einer anderen Ebene genauso verstehen, ist es mir genauso recht. Stefanie: hältst Du das für wahrscheinlich, dass wir uns in 10, 20 Jahren auf Denglisch austauschen? Bernhard: es ist vielleicht noch nicht ganz so weit, aber es steht heute schon fifty/fifty. Das ist viel. Ich bin ja kein Spezialist. Der Prozess ist ja nicht linear und irgendwann gibt es einen ´point of no return´. Dann ist das irreversibel und dann fallen unsere Deklinationen weg. Dann kann man Goethe nicht mehr verstehen, usw. Zorah: ich würde nicht von einem Idealzustand ausgehen. Hauptsache, man tauscht sich aus. Wir tauschen uns ja auch nicht mehr auf althochdeutscher Ebene aus und ich finde Althochdeutsch eine total schöne Sprachform. Die hat sich auch enorm entwickelt. Aber das würden wir heute nicht mehr verstehen. Das gehört ja dazu, dass sich Dinge verändern. Ich finde es einfach nur spannend, dass man sich austauscht. Entweder emotional oder - es gibt so viele verschiedene Parameter, das muss nicht Sprache allein sein. Wir entschließen uns, eine Pause zu machen.

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Nach der Pause beginnt Bernhard:
Ich weiß ja nicht, wie in dieser Runde über die Geschichte mit WikiLeaks gedacht wird. Matthias: also es gibt eine Initiative, dass viele das Material auf ihren Server legen. Bernhard: ihr müsst euch mal vorstellen, was jetzt passiert. Die USA sagen offiziell, das ist kriminell. Wir sind froh, dass der gefangen genommen wurde. Juristisch stimmt ja nichts! Das weiß man. Ich finde, es ist eine richtige Ungeheuerlichkeit dass, wenn Aufklärung betrieben wird, der der Aufklärung betreibt, zum Verbrecher gemacht wird. Stefanie: aber gab es nicht grade vor ein paar Tagen jemand, der sagte: nee, so schlimm war es gar nicht. Also eigentlich wird da gar nicht so viel Geheimnis gemacht. Bernhard: ich habe eine Diskussion im Deutschlandfunk gehört, da sagte der ehemalige Botschafter in den USA, der Kobock, - stellt euch mal vor, welchen Widerspruch man sich gefallen lassen muss - der sagte: “Alles bekannt.“ Und nach ´ner Zeit während derselben Diskussion: “Es ist kriminell!“ Matthias: der eine Senator hat gesagt: “Normaler Weise erschießt man solche Leute.“ Zorah: unterschreibt doch die Petition. Kurd: wir müssen unseren Commonsense ändern! Wir müssen doch unser Denken ändern und nicht auf die Straße gehen und uns mit der Polizei schlagen. Ist vielleicht auch richtig? Bernhard: man muss es ja nicht ausschließen, man kann ja auch ´und´! Kurd: ja, das ist richtig. Aber du musst doch den Commonsense ändern, dein eigenes Denken. Du denkst, du liest es, aber irgendwie denkst du dann doch auch selber so. Oder mit der Zeit kommt: na ja, wird vielleicht doch was d´ran sein. Du unterliegst doch dem Commonsense. Und du kannst nicht leben, ohne irgendeinen Commonsense. Der ist notwendig. Und jetzt musst du dich doch fragen, welchen Einfluss habe ich auf den Commonsense? Dass Commonsense immer ganz stark von Mächtigen beeinflusst ist, das müssen wir vielleicht erstmal akzeptieren. Zorah: aber WikiLeaks ist doch genau das Gegenteil. Kurd: es ist doch nicht so, dass der Commonsense aufsteht und sagt: der muss die Freiheit haben, uns das alles mitzuteilen. Zorah: doch! In der ersten Stunde gab´s schon 200 000 Unterzeichnungen, dass die USA sich nicht so aufführen sollen. Bernhard: Machtkampf zwischen Aufklärung und Aufklärungsverhinderung. Aber ich möchte noch mal unterscheiden zwischen Commonsense als Kategorie und dem was realiter unter Berufung auf Commonsense geschieht. Und das ist Propaganda und Ideologie. Commonsense das ist eine Kategorie aus einer bestimmten Philosophie, die man akzeptieren kann.

Inzwischen läuft über Lautsprecher die zweite Durchsage, dass das ZKM schließt und uns wird klar, dass wir langsam Schluss machen müssen. Kurd: ich benutze das Wort Commonsense im Sinne von unkritischem Commonsense. Wie würdest Du sagen? Bernhard: Commonsense könnte auch sein: lebensweltlich nicht hintergehbare Voraussetzung. Es ist ja kein fester Begriff, sondern nur eine Umschreibung. Da könnte man noch einiges finden. Kurd: aber es wäre doch wichtig zu sagen: uns beherrscht das und das. Nämlich das, was für die gut ist, die Einfluss auf die Massenmedien haben. Bernhard: wie übersetzt Du denn Commonsense? Mit Gemeinsinn? Also Kant? Kurd: nein, nein. Matthias: früher hätte man gesagt: Kultur. Herrschende Kultur ist die Kultur der Herrschenden. Das ist wahrscheinlich jetzt ´verbraucht´. So kannst du das nicht mehr nennen. Bernhard. es gibt einen Vorschlag, der ist zwar zurückgedrängt worden, aber es gibt ihn. Gesagt wird, eine Gemeinschaft ist nur dann eine Gemeinschaft, wenn sie dasselbe will, wenn sie aufeinander abgestimmt ist. Wenn nicht einer sagt: das machen jetzt alle, sondern wenn alle gemeinsam als Gleiche mitwirken. Das ist die volonté générale. Das, was man mit Gemeinwille übersetzen kann. Antje: aber wie kommt der zustande, der Gemeinwille? Bernhard: ja, das ist gut. Da könnte man lange drüber reden. In der Theorie von Rousseau, contrat sociale, ist die volonté générale schon interessant, weil er nämlich sagt, wenn das nicht ist, bestimmen wieder Einzelne und das geht nicht. Er sagt auch gegen den angloamerikanischen Liberalismus - die z.B. sagen: wir brauchen keine Moral, keine Tugend, das macht der Markt - das geht mit Sicherheit schief. Die unsichtbare Hand, das sind alles nur Mythen Jeder Einzelne müsste Tugenden mitbringen. Die Menschen müssten auch gleich sein. Sie müssten sich als gleich anerkennen. Aber Rousseau hat gesehen, dass das auch nicht geht. Das ist als Gedanke völlig richtig, aber es wird immer dazu kommen, dass diejenigen, die von allen als Verwalter ihres Willens eingesetzt werden, sich verselbständigen. Und damit wird die Regierung immer wieder zum Staatstod führen. Rousseau sagt, ich habe lange versucht, das Gesetz und die Bürger, die Menschen, einander auszugleichen und sehe, dass das nicht geht, Denn eigentlich müsste das Gesetz da sein und wir müssten uns nach dem Gesetz richten. Das geht aber nicht. Und die Alternative ist nur das, was wir jetzt haben. Es ist furchtbar, aber es ist so. Kurd: Augenblick mal, ich hab´s noch nicht verstanden. Das klang jetzt so, als ob der Staat das Unmögliche und Böse ist? Bernhard: nein, nein! Rousseau will ja im Grunde den Staat als Obrigkeitsstaat abschaffen und sagt; die Gesellschaft gibt sich selber alle Gesetze. Kurd: aber das ist doch dann, auf heute übertragen, der Markt. Bernhard: das ist die englische Variante. Die englische oder amerikanische, die liberalistische. Dass man sagt, wir verzichten auf Prädikate der Individuen, sich moralisch zu qualifizieren. Das können sie privat machen, aber das hat keine öffentliche Relevanz. Das sagt der Liberalismus: seid so egoistisch wie ihr wollt, ihr werdet immer das Gemeinwohl hervorbringen durch die unsichtbare Hand. Das ist ja der Mythos, der die ganze Globalisierung steuert. Ich sage immer, die Hand hat Muskelschwund!
Das ist das Schlusswort und wir gehen jetzt zusammen essen.

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