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12 LustWandelTage



Autor: Volker Lettkemann
Konversationskunst —-X—– Interventionskunst

»12 LustWandelTage – Wo der Barmbeker Markt begraben liegt«
– Kunst im fehlenden öffentlichen Raum







Auszüge aus einem Sachbericht für den Fonds SOZIOKULTUR e.V.
zu einem 12-monatigen Kommunikationsspiel-Projekt auf Verkehrsinseln und Papier, an Monitoren, Küchentischen und Telefonen, im Netz und im Regen ...


Eine anknüpfbare, sich permanent erweiternde Dokumentation mit zahlreichen Bildern, Texten und Link-Verweisen findet sich unter http://www.qunsttiger.de/lustwandeltag-doku.htm im Internet. Beispielhaft liegen diesem Sachbericht einige Motto-Einladungskarten bei.
Eine PDF-Form wird in Kürze unter http://www.qunstiger.de/lwt-doku.pdf publiziert.
Bild-Dateien in reproduktionsfähiger Auflösung können auf Anfrage zur Verfügung gestellt werden.


Inhalt:

1. Einführung
2. Spielkonzept/ Ablauf
3. Interventions-Aktivitäten: »12 LustWandelTage«
4. Erfahrungen/ Ergebnisse
5. Möglichkeiten und Grenzen künstlerischen Spielens auf Verkehrsinseln
6. Entwicklungen im Projektumfeld
7. Dank
8. Anhang



1. Einführung:

Anlässlich und auf
einer Straßenkreuzung mit 28 Fahrspuren, incl. Bundesstraße - mitten im ehemals größten Hamburger Arbeiterstadtteil Barmbek - wurde ein Jahr lang (von Anfang September 2009 bis Ende August 2010)
konversationskünstlerisches Spielen - einschließlich 12 poetischer Interventionen (»LustWandelTage« auf Verkehrsinseln) - in verschiedenen Medien erprobt.

Initiiert und begleitet wurden das intermediäre Konversieren zwischen den »LustWandelTagen« und die Aktivitäten vor Ort von freiberuflichen KünstlerInnen der »QunstTiger-Initiative«, die sich seit mehreren Jahren in Hamburg für das künstlerische »Erspielen« von öffentlichem Raum engagiert.

“Spielen“ in einem konversationskünstlerischen Sinne meint hier einen poetisch angeregten und geladenen zwang- und zweckfreien Austausch zwischen Menschen, (in dem es also weder um instrumentalisierendes Kooperieren noch Dominieren geht) wie er etwa von den KünstlerInnen Prof. Kurd Alslebeb und Prof. Antje Eske in ihrem »Netzkunstwörterbuch« beschrieben wird.

Es gelang den AkteurInnen, Artistiken aus traditionellen - tendenziell monologisch ausgerichteten - Kunstsparten (Plastik, Grafik, Installation, Impro-Theater, Happening, Streetart, urbane Intervention ...) in einen offenen, anknüpfbaren, dialogisch orientierten Kontext zu integrieren und neue Ausdrucks- und Begegnungs-Formen zu finden. Die hierbei entwickelten artistischen Innovationen im Bereich »konversationskünstlerisches Spielen«, werden auf der QunstTiger-Website dokumentiert.

Eine Besonderheit dieses Projektes bestand in der »Ver-Linkung« eines Straßenraumes mit einem virtuellen Raum, im Medien- und Genrewechsel, im Wechselspiel zwischen Innen und Außen, zwischen Imaginieren und Materialisieren, zwischen öffentlichen und privaten Kommunikationssphären. Das intermediäre, auf verschiedenen Ebenen Bezüge suchende und stiftende Geschehen glich in seinem offenen nicht-linearen Habitus hypertextlichen Formulierungs-/ Formfindungsprozessen.





2. Spielkonzept/ Ablauf:


Jeweils zum Monatsende wurden von den AkteurInnen der QunstTiger-Initiative thematische »LustwandelTage« ausgerufen:

Dafür wurden Einladungsgrafiken (A6) mit einem komisch-satirischen LustWandelTag-Motto jeweils zur Mitte eines Monats ausgedruckt, auf der Kreuzung des Barmbeker Marktes als Anregungs-Objekt verteilt, verklebt, ausgehängt, brieflich und als E-Mail-Anhang an Barmbeker AnwohnerInnen, NachbarInnen, Institutionen, KollegInnen und FreundInnen verschickt.

Diese Motti im Hin und Her »herauszuspielen« - und nicht argumentativ-diskursiv »auzudiskutieren« - wurde wichtiger Bestandteil des konversationellen Gesamtgeschehens. Zu lernen war, dass es im Dialog nicht um das Vorbringen von Argumenten, um Kompromissfindung, Abstimmen, Lösungen ... geht, sondern um Staunen, wechselseitiges Anerkennen, das Einlassen auf Unvorhergesehenes.

Nach der Mottofindung wurden für die Außenaktion assoziativ Bilder, Materialien, Geschichten, Verkörperungsmöglichkeiten entwickelt, Spielmedien, Objekte, Installationen entworfen, um sie am »LustWandelTag« auf der Kreuzung ins Spiel zu bringen (»AnSpiel-Medien«).
Dabei waren vor Ort gefundene Spuren (Radkappen, Plastikmüll, Scherben, Flaschen, Dosen, Textilien, Bretter, Äste, Gartenabfälle, Platten, Steine, Autoteile, Kippen, Taubendreck, Essensreste, Windeln, Tierkadaver ...) so wie die dort agierenden Menschen, (die von und zur Arbeit eilen, aus der Schule kommen, zum Einkaufen gehen, Menschen in Gruppen, Menschen die alleine gehen, Betrunkene, psychisch Verstörte, Vor-sich-hin-Schimpfende, Scheue, Lächelnde, Grüßende, Fragende, Interessierte und ihre Geschichten) entscheidende Inspirationsquelle.

Dieses - Alltagskommunikations-Muster transzendierende - »Konversieren« (vis-á-vie in der Küche, im Café, brieflich, telefonisch, per E-Mail) über vermeintliche „Quatsch-Ideen“ kulminierte zum Monatsende hin in
überwiegend bildnerisch ausgerichtete Improvisationsaktionen auf der Kreuzung .

Um einer »Eventisierung« entgegen zu wirken, wurde hierfür nicht in üblichen Veranstaltungsmagazinen (bis auf www.kulturserver-hh.de) geworben, sondern vor Ort so wie in direkter Ansprache informiert. Jeder LustWandelTag war somit »Öffentlichkeitsarbeit«, ein Verweis auf Kommendes.





3. Interventions-Aktivitäten: »12 LustWandelTage« auf der Kreuzung:



September 2009
1. LustWandelTag: PFAUEN FALTEN - Verkehrsinsel der Pfauen

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Zeit: Mittwoch, 30.09.09 ab 14.00 Uhr
Ort: Kreuzung HH-Dehnhaide > Barmbeker Markt (B 434)
Witterung: verregnet, nasskalt
AnSpiel-Medium: Aus Tapetenbahnen, Buntpapier so wie Teerpappenrollen wurden in Origami-Technik große Pfauen gefaltet und auf Verkehrsinseln platziert.

Impressionen: http://www.qunsttiger.de/1.lustwandeltag.htm


Oktober 2009
2. LustWandelTag: »HEIMLEUCHTEN MIT TEE•LICHT•HUPEN«

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Zeit: Samstag, 31.10.09 (Halloween) ab 18.30 Uhr
Ort: Verkehrsinsel Kreuzung HH-Dehnhaide > Barmbeker Markt (B 434)
Witterung: trocken, kalt
AnSpiel-Medium: Aus Teelichtern, Buntpapier, Schaschlikspießen oder Gläsern wurden trichterförmige Laternen gebaut und (immer wieder) angezündet.
Das Aufstellen der mehreren Hundert “TeelichtHupen“ auf einer mittigen Verkehrsinsel hatte 2 polizeiliche Interventionen zur Folge. (Es wurde eine Beschränkung auf die große Verkehrsinsel angemahnt.) Des Weiteren wurde eine drehende Leuchtreklame-Säule mit einer Schrift-Banderole umhüllt und auf einem Campingkocher Tee zubereitet.

Impressionen: http://www.qunsttiger.de/2.lustwandeltag.htm


November 2009
3. LustWandelTag: » So sieht es aus, das PARKPLäTZCHEN-Haus vom Nikolaus«

Zeit: Montag, 30.11.09 | 11:00 - 16:30 Uhr
Ort: Verkehrsinsel Kreuzung Dehnhaide > Barmbeker Markt (B 434)
Witterung: nass - kalt
AnSpiel-Medium: Auf der großen Verkehrsinsel wurde aus Brettern, Latten und rot getünchten Dachplatten eine Zweier-Sitzbank mit spitzer Giebelüberdachung verschraubt und in Ampelnähe aufgestellt. Seiner Anmutung nach ist es eine Nikolaushaus-Karikatur, die als PARKPLäTZCHEN „Schöner Warten auf GRÜN“ zum Sitzen einlädt.

Impressionen: http://www.qunsttiger.de/3.lustwandeltag.htm


Dezember 2009
4. LustWandelTag; „Denk ich an Dehnhaidens Kreuzung in der Silvesternacht, dann ...“

Zeit: Mittwoch, 30.12.09 ab 14:00 Uhr und Donnerstag, 31.12.09 ab 23:55 Uhr
Ort: »Museum der Arbeit«, »Café Daube«, Hochbahn - Barmbek ist überall
Witterung: trocken, kalt
AnSpiel-Medium: Am PARKPLäTZCHEN-Haus wurde ein Postkartenregal mit Schreibmaterial und ein Briefkasten für »Post an den Barmbeker Markt« montiert und auf der Website eine für alle Interessierten offene »Visions-Bastelbox« zum Hochladen eigener Bilder und Texte eingerichtet. Im nahe gelegenen Museumscafé wurden erste Postkarten collagiert.

Impressionen: http://www.qunsttiger.de/4.lustwandeltag.htm



Januar 2010
5. LustWandelTag: "Das TROJANISCHE REH sagt der B 434 mal »HALLooO!«"

Zeit: Sonntag, 31.01.10, Beginn der RE(H)-Verwaldung 12:00 Uhr
Ort: Bürgersteig Alter Teichweg, Bramfelder Straße, Barmbeker Markt, Weide- straße, Dehnhaide , mehrere mittige Verkehrsinseln
Witterung: Schneegestöber, Frost
AnSpiel-Medium: Lebendgroße, blauweiße Reh-Figuren (aus Sperrholz) wurden an Schultergurten im Schneegestöber durch die Straßen von Barmbek-Süd getragen und suchten auf der Kreuzung verschiedene Plätze zum Verweilen auf.

Impressionen: http://www.qunsttiger.de/5.lustwandeltag.htm


Februar 2010
6. LustWandelTag: "Noroviren-Party"

Zeit: Sonntag, 28.02.2010 | 00:00 Uhr
Barmbeker Unter- und Innenwelten
Witterung: tocken, kalt
AnSpiel-Medium: Eine Magen- und Darmgrippe-Welle streckte viele nieder, so dass vom Krankenlager aus über das »Baumeln der Seele« und »Krankheit als (Irr-)Weg« konferiert wurde.

Impressionen: http://www.qunsttiger.de/6.lustwandeltag.htm


März 2010
7. LustWandelTag: "(Seele)... Baumeln lassen II"

Zeit: Sonntag, 28.03.2010 | ab 14:00 Uhr
Ort: Verkehrsinsel mit Hochbahnviadukt, Kreuzung HH-Dehnhaide > Barmbeker Markt
Witterung: verregnet, kalt, windig
AnSpiel-Medium: »Seelen-Objekte« wurden dutzendfach unter dem eisernen Hochbahnviadukt an gespannten Schnüren »verbaumelt«. Zum weiteren Baumeln wurden 2 Rosenbögen kreuzweise montiert und als Jurten-Installation auf der großen Verkehrsinsel verankert. Hier werden bis heute fortlaufend weitere kleine Bilder, Plastiken, Baumel-Objekte von PassantInnen in den Wind gehängt.

Impressionen: http://www.qunsttiger.de/7.lustwandeltag.htm


April 2010
8. LustWandelTag: "Lasst Blumen sprechen - auch die asphaltfressenden."

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Zeit: Freitag 30. April 2010 | mittags
Ort: Große Verkehrsinsel, Kreuzung Hamburger Str. > Dehnhaide
Witterung: trocken, kalt, windig
AnSpiel-Medium: Aus gefundenen Radkappen und geschlitzten, platt gedrückten bunten Plastik-Eimern wurden Blumen-Objekte kreiert und an Masten und Baumstämmen auf einer Verkehrsinsel gebunden.

Impressionen: http://www.qunsttiger.de/8.lustwandeltag.htm



Mai 2010
9. LustWandelTag: »La Verkehrs-Isla barmbeco«

Zeit; Sonntag 30. Mai 2010 | 14:00 Uhr
Ort: Südlichste, spitze Verkehrsinsel, Kreuzung Hamburger Str. >< Dehnhaide >< Barmbeker Markt > Weidestr.
Witterung: sonnig, windig
AnSpiel-Medium: Auf Möbelrollen ging das Nikolaushaus »auf große Fahrt«. Es wurde einmal um die gesamte Kreuzung geschoben – von Verkehrinsel zu Verkehrsinsel – und dann auf der südlichsten, spitz zulaufenden mit schweren Bohlen vertäut, blauweiß lackiert und mit Strandmatten als Reetdachersatz neu eingedeckt. Ein spitzes Schild auf dem Dach der Strandhütte weist in Richtung Kap Hoorn.

Impressionen: http://www.qunsttiger.de/9.lustwandeltag.htm


Juni 2010
10. LustWandelTag: »La Le Luna« - Hier KREIST der KORN!

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Zeit: Mittwoch, 30.06.10, 22:00 Uhr
Ort: Mittige Verkehrsinsel, Kreuzung, HH-Dehnhaide > Hamburger Str.
Witterung: trocken, diesig
AnSpiel-Medium: Durch Taschenlampen-Lichtzeichen sollten kleine grüne Männchen zum Landen auf dem Barmbeker Markt animiert werden. Auf die mittige Verkehrsinsel beamten sich allerdings keine Marsmännchen, sondern ein blaues Reh mit grünen Antennenhörnchen und Atemmaske, das von Monat zu Monat eine natürlichere braune Färbung annahm.

Impressionen: http://www.qunsttiger.de/10.lustwandeltag.htm


Juli 2010
11. LustWandelTag: »Das Geld liigt auf der Straße ...aber unter dem Zaster liegt der Strand«

Ort: Sonnabend, 31.07.2010, ab 15:00 Uhr
Ort: Kreuzung HH-Dehnhaide >< Barmbeker Markt > Hamburger Straße
Witterung: sonnig
AnSpiel-Medium: Mit Schnellzement und Bauschaum wurde ein kleines Wasserbecken vor dem Sockel einer Reklame-Leuchtsäule mit ihren fragwürdigen Glücksversprechen als Barmbeker Trevibrunnen-Karikatur platziert. Auf den umgebenden Gehwegplatten wurde begonnen, »Geld auf die Straße zu legen« (Hunderte 1-Centstücke wurden mit Acrylmasse figurativ verklebt.) In der Folgezeit wurden allerdings nicht - wie erwartet - ganze Betonplatten mit dem »Zaster drauf« ausgehebelt und geklaut (um »Strand« freizulegen), sondern einzelne Münzen im Wert von 0,01 €.

Impressionen: http://www.qunsttiger.de/11.lustwandeltag.htm


August 2010
12. LustWandelTag: »GANZ IN WEIß: VerkehrsinselPicknick«

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Zeit: Sonntag, 29.08.201, ab15:00 Uhr
Ort: Kreuzung HH-Dehnhaide >< Barmbeker Markt > Hamburger Straße
Witterung: verregnet, kalt, windig
AnSpiel-Medium: Erscheinen in weißer Verkehrsinsel-Garderobe (von Doppelfeinripp, über Hermelin-Imitat bis Flokati) mit weißen Speise- oder Getränke-Beiträgen zum gemeinsamen Tafeln war erwünscht. Auf der großen Verkehrsinsel wurde aus geweißten Brettern rund um einen (noch mickrigen) Lindenbaum eine Bank gezimmert.
Zum Abschluss schwebte wattig-weich eine weiße Stretchlimousinen-Fata Morgana (aus zusammen genähten Bettdecken) vorbei und wurde durch eine kräftige Böe wieder vom Winde verweht – die Abgasluft ist geblieben.

Impressionen: http://www.qunsttiger.de/12.lustwandeltag.htm




4. Erfahrungen/ Ergebnisse:


Besondere künstlerische Herausforderung war beim Anregen von Konversationsmomenten das, was A. Eske als „Dialektik von Exponieren und Imponieren“ im zwischenmenschlichen Kommunikationsprozess beschreibt. Wie lässt sich zum medialen AnSpielen Etwas formen, das ästhetisch so reizvoll ist, dass es Aufmerksamkeit findet, ohne sich dabei als »Werk« in den Vordergrund zu spielen und Kommunikation zur monologischen Einbahnstraße zu machen, die den anderen Menschen auf eine Publikums-Rolle reduziert?
Gut gemeinte Mitmach-Konzepte boten sich in ihrer herablassenden »Niederschwelligkeit« nicht als demokratische Form an.

„Das was uns konversieren lässt, ist die Frage nach „wie wärs denn schön“ und die Erfahrung „ich weiß allein nicht weiter“, ich brauche die Anderen. Unser Sensus Communis, der Sozialsinn also, erweckt in uns das Bestreben, das was uns beglückt, was wir schön finden, als außer uns, als allgemeiner darzustellen und mit anderen zu teilen. Das bedeutet auch, dass wir uns den Anderen exponieren, uns unwillkürlich mit unseren Stärken, Schwächen und Anderweiten zeigen, in der Hoffnung, Resonanz zu finden.
Das Gegenteil ist manchmal nur Millimeter weit davon entfernt und zeigt das Paradoxe des Sozial- oder Gemeinsinns auf: wenn wir den Anderen imponieren wollen – und das imponieren wollen scheint im absichtlichen ´sich entblößen´ zu liegen - benutzen wir sie. Die Anderen sind Publikum, sind Schattenkulisse, neben der das helle Licht unseres Egos umso aufdringlicher strahlen kann.“
(A. Eske, www.konversationskunst.org)

Das Projekt war angelegt, als ein gemeinsames Spielen von PassantInen, NachbarInnen, KollegInnen, FreundInnen und ein Spielen mit Bildern, Wörtern, Tönen, Bewegungen, mit Wind und Wetter, mit Verkehrslärm, Verkehrsregeln, mit dem, was Baulöwen, Behörden und Zig-Tausende AutofahrerInnen für uns hier angerichtet haben...

An der Projektrealisierung waren im Verlauf des Jahres 10 KünstlerInnen der Initiative beteiligt, die insgesamt in verschiedenen Medienformaten mehr als 400 konversationelle Begegnungen und Austausche »anzettelten«.

Anliegen war es, anschaulich zu machen, zu verkörpern, dass es möglich ist, mit Phantasie und Eigen-Sinn, (ohne Erlaubnis, ohne behördliche Anmeldung, ohne pädagogische Lenkung) sich selbst, zusammen mit anderen, ÖFFENTLICHEN RAUM zu erspielen, un-konventionelle Begegnungen als schön und bereichend zu erleben. Dies ist, wie häufig bei Rückmeldungen vor Ort mitgeteilt wurde, besonders durch die monatliche Kontinuität und der sich den Widrigkeiten offen aussetzenden »Fragilität« der Arbeit gelungen.

Die Idee, »lustwandlerisches« Erleben an einem so unwirtlichen Ort wie dieser Kreuzung, die täglich über 40.000 mal von Autos überrollt wird, zu initiieren und zu verwirklichen (und dies nicht nur in einer ironisch-demonstrativen Pose), stellte sich schon nach den ersten - auf einer dortigen Verkehrsinsel verbrachten - 8 Stunden als kaum leistbar heraus.
Verkehrslärm, Abgase, aggressives Fahrverhalten, die übermächtigen Pferde-Stärken (PS) die permanent drohen, außer Kontrolle zu geraten, verstören, stressen, machen krank, lösen Flucht-Impulse aus.

Es erscheint »sur-real«, dass es - trotz dieser eher lust-implodierenden Atmosphäre – immer wieder zu Momenten von Komik, Verspieltheit, Selbstvergessenheit, zu anregenden, schönen Begegnungen gekommen ist und die während der Aktionen entstandenen Spuren, als Plastiken, Objekte, Installationen weiterhin auf den Verkehrsinseln bestehen und wirken.
In Gesprächen wurde häufig geäußert, dass die verbliebenen » Werke«, nicht als dekorierende Verhübschungsmaßnahmen (Kunst im öffentlichen Raum) wahrgenommen werden, sondern als schöne, ins Entfremdete/ Entfremdende eingreifende Irritationen, die erheitern und ermutigen, aber keine – (nur noch) zu managenden - Lösungen vorgaukeln.

Die »LustWandelTage I – IV« wurden auf Vorschlag von Barmbeker AnwohnerInnen für den »Kulturpreis 2009 der Bezirksversammlung Hamburg-Nord« nominiert.



5. Möglichkeiten und Grenzen künstlerischen Spielens auf Verkehrsinseln

Das radikal-demokratisch ausgerichtete Konzept, stereotype Alltagskommunikations-, Animations- und Kunstrezeptionsmuster ausgerechnet an einem so übermächtig-verstörenden Ort zu hinterfragen und zu überschreiten, keine Waren und Bespaßungs-Dienstleistungen, keine Werke oder (Mitmach)-Events auf den Barmbeker Markt zu bringen, kein Ergebnis, kein Medienformat, keine Artistik, keinen Zweck verbindlich vorzuschreiben, sondern als künstlerische Haltung/ Rolle „entschiedene Offenheit“ anzubieten und zu vertreten, war offenbar oftmals für viele Beteiligte zu ungewohnt und letztlich auch für die künstlerischen AkteurInnen überfordernd.

Durch die 12-monatigen LustWandelTag-Aktivitäten mag manchen Bambeker AnwohnerInnen und Besucherinnen die monströse Kreuzung »ein Stück weit« weniger un-wirtlich erscheinen, (vielleicht sogar zum weiteren intrinsisch motivierten Erspielen von öffentlichem Raum anregen,) so dass die Verweildauer von »Fahrbahn-QuererInnen« auf den Verkehrsinseln (»Querungshilfen«) vermutlich gewachsen ist und sich paradox - daraus resultierend - ihre Bedrohungslage verschärft haben könnte.

Trotz widersprüchlicher Eindrücke ist es offenbar mit diesem Kommunikations-Projekt gelungen, - angeregt durch einen wunderlichen, schaurig-schönen Ort, voller Geschichte und Geschichten - eine Kunst ohne Werk, ohne Publikum als dialogisch orientiertes, Bezug nehmendes Kommunikationsgeschehen in poetischen Formen zu realisieren.
So gilt es künstlerisch weiterhin die hier erprobten konversationskünstlerischen Medienformate wie etwa verschiedene Formen von »Vis-á-vie-Gesprächen«, »Telefonie«, »E-mail-Briefwechsel«, »Hypertext-Korrespondenzen«, »offene Ateliers« zu kultivieren.



6. Entwicklungen im Projektumfeld

• »Der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung« hatte 2009 gegenüber dem Stadtteilrat Barmbek-Süd eine Prüfung der Situation auf der Bundesstraße 434 in HH-Barmbek zugesagt. Herr Tiefensee ist inzwischen nicht mehr im Amt. Seinem Nachfolger wird ein noch größeres Verständnis für Interessen der Automobil-Lobby nachgesagt.

• Das große Kaufhausgebäude hinter dem Barmbeker Markt an der Fuhlsbütteler Straße steht seit Anfang 2010 leer. Die alt eingesessene »Karstadt-/ Hertie«-Filiale wurde trotzt Protesten von Beschäftigten und KundInnen abgewickelt. Die Attraktivität des Kreuzungsumfeldes hat damit vermutlich für FußgängerInnen weiter abgenommen.

• Nach mehr als 2 Jahrzehnten Begehren von Anwohnern ist im Herbst 2010 ein paar Hundert Meter vor der Kreuzung, Höhe Hinterausgang der Hochbahnstation »Dehnhaide« mit dem Bau einer Fußgängerampelanlage an der Hamburger Straße begonnen worden.

• Im August 2010 ist nach dem Umbau eines jahrelang leer stehenden Bürogebäudes an der Bundesstraße 434 »Barmbeker Markt« ein privates Pflegezentrum mit besonderer Abteilung für demenzkranke Menschen eröffnet worden.



7. Dank:

Der Fonds Soziokultur e.V. förderte das Projekt mit einer Festbetrags-finanzierung. - Vielen Dank!
Möglich wurde die Realisierung durch das zu einem großen Teil unentgeltliche Mitwirken von AkteurInnen (Selbstfinanzierung durch z.B. Jobs, BAföG, Rente, Harz IV). - Schönen Dank!

Einen herzlichen Dank den lustwandel-schaffenden Künstlerinnen und Künstlern Birgit v. Oer, Barbara Seithe, Kai Hohmann, Carmen Brück, Rüdiger Brück, Regina Fröhlich, Fieke Pries, Werner Justen , Dieter Kaitinnis, Ava Kirschstein, Jan Heidtmann vom SpielTiger e.V., Fam. Petersson und denen die ungenannt bleiben möchten, so wie den duldsamen PolizistInnen vom benachbarten, vor der Abwicklung stehenden Großstadtrevier 32 und den nachsichtigen Straßenreinigungs- und Gartenbau-ArbeiterInnen vor Ort in HH-Barmbek-Süd.

Ein besonderer Dank gilt den Menschen in HH-Barmbek, die es offenbar milieu- und generationsübergreifend durch ihre respektierende Aufmerksamkeit ermöglicht haben, dass alle Interventionsspuren, Objekte und Installationen auf der so brutal anmutenden Kreuzung bis zum heutigen Tag erhalten geblieben sind und Weiteres möglich scheint.


Hamburg-Barmbek, 22.10.2010
Volker Lettkemann, Projektkoordination


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