View this PageEdit this PageAttachments to this PageHistory of this PageTop of the SwikiRecent ChangesSearch the SwikiHelp Guide

Mutualitaet b



Autor: zur Anfangsseite
Gespräch vom 31.10.03 zwischen Kurd Alsleben, Tatjana Beer, Antje Eske, Yvonne Fietz über Mutualität:

T.B.: "Krankenkasse" war ja die Verbindung zu den Präventionsgeldern von den Krankenkassen, wo es eben darum geht, nicht auf Gegenseitigkeit zu handeln, sondern dass die Verantwortung für die Krankheit oder für das Unglück der einzelnen nur den einzelnen Personen zugeschoben wird. Anstatt eben "auf Gegenseitigkeit" zu sagen, es gibt Unglück, es gibt Krankheit und wir springen ein, alle anderen, die gerade gesund sind, wird jetzt praktisch dafür gesorgt, dass man ein schlechtes Gewissen hat, wenn man krank wird. Und "unsere" Idee hierbei ist ja, dass von den Krankenkassen lieber die Schulspeisung gezahlt wird, als dass Ausstellungen darüber gemacht werden, was angeblich "gesunde Ernährung" ist. Das ist eben mein Gefühl mit den Krankenkassen, dass das auf Gegenseitigkeits-Prinzip aufgekündigt wird, und dass du einerseits das Geld in diese Kassen einzahlst, andererseits auch noch ein schlechtes Gewissen hast, wenn du es in Anspruch nimmst.

A.E.: das, finde ich, ist ein bekanntes Prinzip, dass man selber denkt man liegt verkehrt, dieses schlechte Gewissen hat und nicht mehr sehen kann, dass das auch ne soziale Geschichte ist. Mir war das früher schon mal an Beziehungsschwierigkeiten klar geworden, die ja auch gesellschaftliche Ursachen haben. Es wird immer davon ausgegangen, dass das Individuum versagt hat.

T.B.: und im Endeffekt, bei den Gesundheitsproblemen profitiert davon die Pharmaindustrie, die ganzen Zusatzmittelhersteller, die Apotheken. Die haben alle keine Abstriche machen müssen. Die Verwaltungs- und Krankenhäuser .... Ich hab das gesehen im Kreiskrankenhaus Winsen, da war ich letztens im Krankenhausbereich. Der ist genau so groß wie der Bettenbereich.

A.E.: so weit sind sie schon. Dagegen verwahrte sich damals die "Finkenau-Initiative", dass der Leiter des Krankenhauses nicht mehr, wie üblich ein ärztlicher Direktor sondern ein kaufmännischer Direktor sein sollte
......

T.B.: vorher war mir immer nicht klar, was so teuer sein soll am Krankenhaus. Aber das pflegende Personal, soviel ist das ja gar nicht und dann gehst du in die andere Welt rein und dann weisst du, wen du da bezahlst.

K.A.: die rasante allgemeine Bürokratisierung, die geht ja offenbar damit überein. Bei meinem Zahnarzt muss ich jetzt vorher unterschreiben, dass ich bezahle ...

A.E.: und du hast auch so ein Misstrauen deinem Arzt gegenüber, also jetzt dem Zahnarzt gegenüber. Will der mit dir "Kohle machen" oder will der dir helfen?

K.A.: das ist jetzt ne ökonomische Betrachtung. Mutualität - oder Mutualismus müsste man eigentlich sagen - das gibts ja in der Ökologie und Ökonomie, und so weiter, ja in der Politik, das wär dann Solidarität - die Macht der Solidarität…

T.B.: also was ich bei eurem Gespräch interessant fand - das mit dem Altruismus gegen Mutualismus - ist dass da so ein Bruch ist in unsere Geschichte. Es hat ja was Anrüchiges, das: "Gibst du mir, geb ich dir", eigentlich dieser lebendige Austausch, dieser Marktaustausch. Und das kommt durch Christentum: ich mach es einfach aus meinem Herzen heraus, ich will dafür nichts haben, ich werde eine Heilige ...

A.E.: oder, wenn du mir ein´ auf die rechte Backe haust, dann halt ich dir auch noch die linke hin

T.B.: und ich glaub, das ist übermenschlich

K.A.: ich finde das ist ein ganz wichtiger Punkt. Das finde ich auch. Auf Gegenseitigkeit ist ja auch sowas wie "Treu und Glauben". Ist das jetzt Altruismus?

Allgemeines "Nein!"

T.B.: ja und Auf Gegenseitigkeit finde ich besser als Altruismus. Ich würde sagen, dass ist fast ein Gegensatz.

A.E.: ja. lass uns das noch mal ein bisschen auseinandertüdeln

K.A.: ich hatte ja auch gefragt, ist auf Gegenseitigkeit unpolitisch? Altruismus würde man ja nicht politisch nennen, denn da ist ja keine Machtverteilung.

A.E.: aber bei Altruismus steckt die Kirche dahinter, die Kirche hat ihren Nutzen davon. Dieses "sich Aufgeben", das ist doch ne komische Sache. Dass du so einer sein sollst, der alles erduldet.

Y.F.: Altruismus verschleiert die Machtverhältnisse stärker als die Mutualität. Der Altruismus gibt vor, uneigennützig etwas zu praktizieren. Bei der Gegenseitigkeit ist von vornherein angelegt, dass jeder etwas mitbringt und dass Austausch stattfindet.

A.E.: findest du, dass dort auch Machtverhältnisse verschleiert werden, weil du sagst, Altruismus verschleiert stärker als ...

Y.F.: Die Mutualität gibt nicht vor, uneigennützig zu sein. Das Prinzip der Gegenseitigkeit ermöglicht eine partnerschaftliche, d. h. gleich-berechtigte Kommunikation und Praxis. Jeder bringt seinen Eigennutz offen ein, er bleibt für jeden transparent, man entwickelt gemeinsam einen Umgang mit dem Eigennutz eines JEDEN einzelnen.
Bei näherer Betrachtung, vor allem im Rahmen kirchlicher Machtverhältnisse, stellt man fest, dass der praktizierte Altruismus nämlich so uneigennützig gar nicht ist. Es ist einfach nur eine eingeschränkte Sicht auf die Dinge, da unter der Vorgabe uneigennützigen Verhaltens in Wirklichkeit handfeste Machtinteressen – natürlich meist einer einzelnen Person, die womöglich sogar einen Stzellvertreter ins Rennen schickt - verfolgt werden.
Aber auch vordergründig wohlmeinende Helfer können auf diese Weise ihre Machtinteressen zum Nachteil derer, die Hilfe wirklich brauchen, praktizieren: Der, dem geholfen wird, wird zugleich völlig entmündigt.

T.B.: da ist Mutter Theresa für mich das beste Beispiel, das abschreckendste Beispiel. In Kalkutta sind ja ganz viele Kranke und Sterbende auf den Straßen. Und die allermeisten Menschen sind da Hindus oder Moslems. Und Mutter Theresas Leute haben die eingesammelt von den Strassen in ihre Städte - nicht ins Krankenhaus - sondern in ihre Stätte gebracht, keine Medizin zur Verfügung gestellt. Das Einzige war, dass sie eben Wasser zu trinken gekriegt haben, was zu essen, wenn sie essen konnten und dann haben sie ihnen Gebete ... also haben sie versucht, sie zum Christentum zu bekehren, während die da sterbend in dem großen Saal liegen. Und das wird dort im Land total kritisiert. Das Sterben ist ja einer der Punkte, wo du auch sehr eng mit deiner Religion verbunden bist. Dass sie zum einen keine medizinische Hilfe bekommen, sondern nur allgemeine pflegerische und zum andern, dass sie mit Christentum da vollgedröhnt werden, in ihrem schwächsten Moment, wo sie am Sterben sind. Und vielleicht hätten die ja gar nicht sterben müssen. Jetzt ist sie ja grade selig gesprochen und das ist ein Frauenbild, wo mir ganz schlecht wird. Sie wird als die größte Barmherzige gesehen - dann soll sie doch Christen pflegen. Warum nimmt sie Hindus und Moslems?

A.E.: ich hatte noch was anderes gedacht, bei dem, was du gesagt hast, Yvonne. Es gibt ja immer so Begriffe: altruistisch oder auch objektiv - was die Wissenschaftler immer angeblich sind - . Als wären wir Menschen so veranlagt, dass wir uns total zurücknehmen können. Ich finde, wir können weder objektiv noch altruistisch sein. Jeder Mensch hat doch in einer bestimmten Weise Forderungen oder hat Wünsche oder Bedürfnisse, die er nicht unter den Teppich kehren kann. Und es wird immer so getan als ginge das. Was steckt dahinter?

T.B.: ja um die Leute besser zu beherrschen. Wenn du denkst, um ein guter Mensch zu sein, dürfen deine Bedürfnisse nicht befriedigt werden, nur die von anderen,

A.E.: oder ich denke jetzt grade, wenn der Wissenschaftler objektiv ist, vielleicht kommt dann wieder diese Sache mit dem Schuldgefühl rein. Dass es eben Manche gibt, die so wunderbar und großartig sind und die andern nicht ...

Y.F.: wenn man sich das mit der Macht genauer anguckt, dann findet man auch "objektive Wissenschaftler", deren Art und Weise der Argumentation verrät - so objektiv dieser Wissenschaftler auch zu sein scheint – was er eigentlich im Schilde führt. Was genau er angreift, wo er eine Dominanz definiert, sich auch positioniert, um andere Argumentationen auszuhebeln oder auch abzuwerten. Nicht zu diskriminieren, aber abzuwerten.
Ich hatte im Rahmen eines interdisziplinären Seminares zum Thema "Androgynie" ein einschneidendes Erlebnis. Ein Student interpretierte eine in der Tradition der antiken Weltsicht stehenden Zeichnung nach allen Regeln der Ikonografie. Anschließend stellte er die These auf, dass diese Interpretationsweise eine Verhüllung vielschichtiger homophiler Anspielungen sei. Und aus einer Zeichnung, die zum philosophischen Gedankenspiel anregt, entpuppte sich plötzlich eine Ode an die leidenschaftliche Liebe unter Männern. Schenkt man der überkommenen Weltsicht – heutzutage auch Mainstream genannt – allzu sehr Glauben, dann erkennt man die Dinge nicht, die dahinter stehen. Deshalb werde ich immer so hellhörig, wenn jemand versucht, Definitionsmacht auszuüben. Wie Mutter Theresa. Die Kirche ist in erster Linie Definitionsmacht. Der Pabst ist Definitionsmacht, der macht nichts anderes als zu definieren. Der sagt: "Abtreibung ist verboten." Dann müssen wir uns damit auseinandersetzen, schenken ihm Glauben oder auch nicht.

A.E.: wir können uns noch nicht mal damit auseinandersetzen, finde ich. Wenn er das sagt, dann ist das so! Es gibt kein Auseinandersetzen.

Y.F.: ich hab mal versucht, Wilhelm Schmids "Philosophie der Lebenskunst" mit dem Begriff der Mutualität zusammen zu bringen. Er arbeitet beispielsweise mit dem Begriff der Selbstsorge...

A.E.: Aha, das ist ja nun grade nicht mutual ....

Y.F.: nee, nee, er meint es weitergehender. Er versteht die Selbstsorge nicht nur als Sorge des Selbst für sich selbst, sondern er versteht sie auch gesellschaftlich, also auch im Hinblick auf die Anderen: die Sorge für die Anderen und auch die Sorge für die Gesellschaft allgemein. Und er sieht es eben nicht als etwas Eindimensionales, nur für sich, mit sich, sondern er sieht es immer auch als etwas auf Gegenseitigkeit. Also das heißt, man kann die Sorge für sein eigenen Selbst bzw. für das Selbst des Anderen eigentlich nur miteinander, im Austausch.leben.

Antje, du hast mal gesagt, wenn ich geliebt werden will, dann muss ich erstmal selber lieben, den ersten Schritt machen. Genau das sagt er auch. Er sagt, das Prinzip der Gegenseitigkeit funktioniert überhaupt nur dann, wenn man erst einmal einseitig den ersten Schritt macht. Das muss als Grundvoraussetzung gegeben sein und sonst geht gar nichts. Und was er auch mit dem Stichwort "Selbstsorge" verbindet, das spielt wieder rein in diese Themen, die wir gerade diskutiert haben - "wer hilft eigentlich wem und mit was für einem Zweck und Ziel" – für ihn ist Selbstsorge nichts Uneigennütziges, im Gegenteil. Die Selbstsorge ist Bestandteil des Prozesses der Lebenskunst, wobei es nicht darum geht, das Leben als Kunstwerk zu gestalten sondern alle Lebensprozesse absichtsvoll künstlerisch zu gestalten, zu interpretieren, zu reflektieren.

A.E.: Ich hab´s auch ein bisschen so verstanden wie "Verantwortung übernehmen", also nicht die Verantwortung abgeben an irgendwelche Institutionen. Verantwortung für sich und andere zu übernehmen, denn du bist ja nicht allein auf der Welt.

Y.F.: Genau. Er sieht diesen Prozess der Selbstsorge, z. B. wenn man sich um jemand anderen kümmert oder sich bekümmern lässt in einem Zusammenhang, den ich auch sehr interessant finde. Und zwar sagt er, wenn man davon ausgeht, dass man das Leben gestaltet, künstlerisch, kreativ auch selbst gestaltet, dann nehme ich ja in dem Moment, wenn ich einwirke auf das Leben des Anderen, indem ich für ihn sorge, Einfluss auf seine Lebensgestaltung. Also, wenn beispielsweise du krank daniederliegst und ich komme, koche dir Tee und ich zupfe dir das Kopfkissen hoch usw., dann wirke ich in dein Leben ein und gestalte es plötzlich. Ich gestalte dein Leben und du lässt dein Leben durch mich gestalten. Das ist der Punkt, dass man es eben halt zulässt, dass der Andere ein Teil der Gestaltung übernimmt. Und das tue ich aktiv, indem ich mir die Menschen aussuche, denen ich das zugestehe. Im Bewusstsein, Selbstsorge zu pflegen, kann es nicht passieren, dass die Helfer den Anderen entmündigen. Also wenn ich z. B. jemanden mit dem Bewusstsein helfe, dass diese Person sich dafür entschieden hat, dass ich es sein soll, die in ihr/sein Leben eingreife, dann sehe ich meine Fürsorge als gestaltenden Eingriff in das Leben des Anderen. Und übernehme damit eine gewisse Verantwortung, so wie du es schon gesagt hast.
Als Grundmuster birgt es viele Potenziale in sich. Wenn z.B. hier eine Pflegerin im Altenheim einer Frau oder einem Mann den Rücken wäscht, dann ist es im Prinzip ein Eingriff in den Lebenszusammenhang des Anderen. Und wenn man dann, während man das tut, das als Möglichkeit oder Aktion noch im Kopf hat, als eine Tat, die noch gestaltet werden kann, dann finde ich, sagt das unheimlich viel aus. Und man kommt weg von dieser Schiene, dass da jemand entmündigt wird oder dass man als Helfer eigennützige Zwecke verfolgt und den Anderen dann instrumentalisiert.

A.E.: Aber Yvonne, ich finde, das sagt sich so leicht - Tatjana hat mir neulich so ein schönes Beispiel erzählt , vielleicht kannst du das gleich noch einmal erzählen. Wir in unserem Kulturkreis sind schon so blind, weil wir nichts anderes gewohnt sind als diese Entmündigungen, dass wir auf die einfachsten Sachen nicht kommen.

T.B.: Ja, aus Neuguinea. Und zwar hat ein Anthropologe zwei kleine Kinder im Alter von zwei und drei Jahren gefilmt. Der Junge hat ein großes Stück Palmzucker in der Hand und das Mädchen weint, weil es anscheinend von dem Palmzucker auch haben will. Und der Junge ist auch unglücklich. Dann kommt die Mutter hinzu, nimmt dem Jungen das Stück Palmzucker weg und was macht sie dann? - Auf jeden Fall, sie bricht es entzwei und gibt es dem Jungen zurück. Und der Junge denkt einen Moment nach und gibt dann dem Mädchen die Hälfte von dem Stück Palmzucker ab. Das würde man bei uns nie machen!

A.E.: Man kommt doch bei uns nur auf die Idee, dass die Mutter den Palmzucker durchbricht und einen Teil dem Jungen und den anderen Teil dem Mädchen gibt. Du kommst darüber nicht hinaus. Tatjana hat es mir nämlich so erzählt und diese Pause noch länger gemacht und dann war doch ganz klar, die verteilt das jetzt. Dass es darüber hinaus noch die Möglichkeit gibt, das zu machen, ich finde dafür sind wir einfach schon zu ....

Y.F.: Aber ich hab den Impuls gehabt. Ja, nicht so sehr bei meinem Sohn, aber bei meiner Tochter hab ich den Eindruck, dass wir manchmal zu viele Sachen für sie geregelt haben und dass ich jetzt versuche - ist auch gerade ´ne wichtige Zeit: erste Klasse in der Schule - bei solchen Sachen nicht alles an mich zu reißen, sondern darauf einzuwirken, dass sie selber eine Lösung finden kann. Und das wäre z. B. es durchzubrechen und ihr wiederzugeben.

A.E.: also hast du aus eigenen Fehlern gelernt.

T.B.: Ja, aber der Junge ist ja zwei oder drei Jahre alt. Das finde ich so wahnsinnig. Dass sie das so kleinen Kindern schon zutraut.

A.E.: aber ich finde gut, was Yvonne erzählt. Du kannst nämlich auch aus deinen Fehlern lernen. Und das kann man gut als "Eltern". Das kenne ich auch. Weil es einem viel weher tut, wenn man merkt, was man an den Kindern anrichtet, als sonst irgendwo. Und das ist irgendwie ´ne Chance, um aus diesen kulturellen Fehlern zu lernen.

T.B.: Ich bin ja ein großer Fan von Gewaltfreier Kommunikation nach Marshall Rosenberg: Die Grundlage davon ist die Annahme, dass alle Menschen eigentlich fast nichts dringender wollen, als die Bedürfnisse von andere zu befriedigen. Dass hinter Handlungen, Gefühlen und Äußerungen Grundbedürfnisse, die völlig legitim sind, stehen. Und dass für alle genug da ist, um alle Bedürfnisse zu befriedigen. Man hat z.B. das Bedürfnis nach Gemeinschaft oder man hat das Bedürfnis nach Ruhe und Vereinzelung. Und sobald man im Gespräch oder in den Äußerungen durch ´ne bestimmte Technik dahin kommt, raus zu finden, was der anderen Person Bedürfnis ist, dann ist oft allein schon dadurch, dass das Bedürfnis ausgesprochen ist: "ich will gern alleine sein oder ich will gern in der Gemeinschaft sein", und die andere Person es anerkennt, das Bedürfnis schon befriedigt.
Und oft lässt sich das duch ´nen Kompromiss befriedigen und das ist ja auch Mutualität, dass im gegenseitigen Handeln genug für alle da ist. Wie auch in dem Beispiel von den Kindern: es ist genug Zucker für alle da - eigentlich. Beide wollen was Süßes essen. Oder auch mit den Lebensmitteln. Im Endeffekt ist ja genug für alle da, es ist ja nur irgendwie falsch verteilt. Im Grunde sind die Grundbedürfnisse zu befriedigen
Wenn man jemanden nur wild beschimpft, dann ist es für ihn ziemlich schwer, rauszukriegen, was das Grundbedürfnis dahinter ist.

A.E.: ja, aber was macht dieser Marshall Rosenberg jetzt mit den Machtinteressen? Es ist ja eigentlich genug da. Das finde ich auch, was du sagst. Aber jetzt gibt es ja irgendwelche Menschen, die haben die Macht ....

T.B.: Ja, ...

A.E.: und was sagt er dazu?

T.B.:ja, er schreibt ja gerade an seinem neuen Buch: "Gewaltfreie Kommunikation im sozialen Wandel". Er hat ganz viel von wirklichen Machtinteressen vermittelt und auch damit gearbeitet, z. B. mit palästinensischen Flüchtlingen in Israel, bei denen es um die Grenzkontrollen geht, wo sie immer so gedemütigt werden oder auch arme schwarze Amerikaner gegen Weiße, die auch ihre Interessen haben, Bürgerinitiativen,... Das ist genau das gleiche Prinzip. Er arbeitet nicht viel anders als wie zwischen zwei Leuten. Es geht eben nicht darum, seine Energie sozusagen zu verschwenden und zu sagen: Du Schwein, du bist ein Ausbeuter! Du machst mich fertig! Sondern auf ´ne Ebene zu kommen wo das Bedürfnis formuliert wird und ´ne Bitte schließlich formuliert wird. Meinetwegen: wenn ich hier arbeite, möchte ich 8 Stunden hier arbeiten, .... es geht dann immer am Schluss darum, wenn das Bedürfnis rausgefunden ist - was wird grade nicht befriedigt - den konkreten Wunsch zu äußern, wie die andere Person dir helfen kann, das Bedürfnis zu befriedigen.

A.E.: und wie geht´s dann weiter?

T.B.: Tja....

Y.F.: Wenn man gestaltend auf die Gesellschaft Einfluss nehmen möchte, dann gehört es zum Handwerkszeug, beim Kontakt mit Machtmenschen, hinter deren Worte zu schauen und genau hinzuhören, welches eigentliche, menschliche Bedürfnis wohl hinter den Worten steckt. Wovon dieser Mensch inhaltlich auch reden mag, letztlich redet er vielleicht davon, dass er ein ausgeprägtes Geltungsbedürfnis hat. Das ist natürlich stark verbreitet bei Machtmenschen. Oft ist es ein starkes Geltungsbedürfnis und Minderwertigkeitsgefühl, die Angst, nicht ernst genommen zu werden. Gibt man diesen Menschen nun das, wonach sie dürsten, erkennt ihre Kompetenz und ihren Einfluss an, dann kann man zumindest eine – meist verweigerte – Gesprächsbereitschaft erzielen: Eine positive Atmosphäre, in der es ohne Zuspitzung und Konfrontation möglich ist, seine Meinung zu sagen, die Konfliktlinien konkret zu benennen. Dadurch, dass die Machtmenschen bekommen, was sie brauchen, können sie ihr Ego vervollständigen, und sind zur offenen Kommunikation fähig, aus der Neues entstehen kann.

A.E.: Das ist eigentlich dasselbe, was ich gestern gesagt habe. Ich hatte nämlich eine ganz positive Erfahrung. - Wir leben ja im Kapitalismus - aber es ist Quatsch, sich mit dem Kapitalismus abstrakt abzustrampeln, weil dahinter immer Menschen stehen. Und da muss man seine Energie reinstecken. Du rennst dir den Kopf ein an diesen Mauern, an diesen ideologischen Geschichten und hast auch gar keinen Einfluss und keine Macht. Auf der menschlichen Ebene kannst du was erreichen, das ist aussichtsreich.

T.B.: Das ist ja im Grunde das Beispiel Gewalt in der Familie, Gewalt gegen Kinder. Wenn man ´ne Mutter sieht, wo das Kind quengelt und nervt und man merkt, gleich tickt sie aus. Meine beste Strategie ist, dann zu sagen: Es ist auch wirklich schwer mit Kindern hier bei uns. Was die Mutter wirklich zum Austicken bringt ist nicht das Kind, sondern das Gefühl alleingelassen zu sein und überfordert mit den verschiedenen Aufgaben. Kein Mensch interessiert sich für Mütter. Das ist nun mal so. -
Kontakt aufzunehmen und zu sagen: Das ist wirklich schwer! und pffffffffff, der Stress geht weg und das Kind wird nicht hinter der nächsten Straßenecke geschlagen.
Das muss gar nicht mehr geschlagen werden, sozusagen, in dem Moment. Und dann kannst du zu ihr sagen: Sie sind eine Kinderschlägerin! Und ich zeige sie an! - Was wird mit dem Kind passieren?

A.E.: Genau, das hat ja indirekt die Schuld daran, dass das der Mutter passiert

T.B.: und ich kann auch ihre Wut im Endeffekt auf diesen Umstand verstehen. Und das ist eben das Andere, wo das dann auch in der Politik klappen muss. Man muss wirklich irgendwo den Punkt finden wo man sich verbindet. Ich kann dieses Gefühl von Abhängigkeit und Ohnmacht und Isolation mitfühlen.

A.E.: Ich finde das aber jetzt spannend ....

K.A.: ich dacht´ noch: die Abhängigkeit voneinander, die muss man ja akzeptieren. Die ist doch da. Sie ist existent. Ja, wie man in einzelnen Fällen damit umgeht, das ist wieder anders. Da kann man natürlich ... wie du sagst: man findet einen Trick ....

A.E.: das ist ja noch nicht mal´n Trick, sondern sie sieht ja hinter diese aufgebauten Geschichten und sieht den Menschen dahinter

Y.F.: Sie tun natürlich alles, gerade die Menschen, die Macht konzentrieren, eben nichts hervorschauen zu lassen. Sie sind sehr dabei eine Fassade aufzubauen und nötigenfalls auch zu provozieren, Angst zu verbreiten oder auch Nebenschauplätze aufzumachen. Zu provozieren, weil sie wissen, dass ihr Gegenüber anbeißt und dann an IHRER Angel zappelt. Da darf man sich dann einfach nicht drauf einlassen. Also das ist im Moment unsere Schule des Lebens, die wir praktizieren.

K.A.:also das Akzeptieren der Abhängigkeit. Kann man jetzt sagen: ja, es gibt ja immer so Paradigmen - so Out-Denkmuster, die wechseln. Könnte man denken, dass auch ein Paradigma denkbar ist, wo man die Abhängigkeiten miteinander anerkennt? Und dann irgendwie sich natürlich fragt: ja, ist es denn richtig, ich bau ´ne Macht auf und sage: da geht´s längs? Also unter so einem Paradigma könnte man das alles gar nicht so richtig machen. Ist ja denkbar ...

Y.F.: Interessanterweise mögen Menschen, die Macht anhäufen nur ungern mit der ebenso angehäuften Verantwortung konfrontiert werden.

K.A.: meinst du jetzt, das Paradigma existiert? Also dieses Paradigma der Anerkennung der allgemeinen Abhängigkeit voneinander?

Y.F.: nee, das wird ja vertuscht

K.A.: ja, aber dann existiert es doch nicht. Könnte man ja bloß fragen, kann man dies noch verstärken, dass man denn auch nicht mehr so vertuschen kann?

Y.F.: Ich denk wirklich, dass das alles zusammenhängt. Man kann nichts unbeschadet tun. Jetzt, in den harten Zeiten im Sozialbereich, es wird gekürzt, es wird geschlossen, Zuwendungen werden komplett gestrichen etc. Wenn da ein Chef einen Kollegen mobbt, bis er von allein geht, die Firma die Abfindung spart, dann wird das nicht spurlos an ihm vorbeigehen. Auch wenn er sich das vielleicht nicht eingesteht, es wird - leider Gottes – nicht schadlos an ihm vorbeigehen. Er verliert die Verantwortung für sein Personal nicht, indem er verantwortungslose Personalpolitik betreibt. Er bleibt verantwortlich dafür, wenn er einem Menschen großes Leid zufügt, das womöglich schwerwiegende Folgen mit sich bringt.

A.E.: Aber wird es nicht auch an den Anderen nicht spurlos vorübergehen, die danebengestanden haben und zugeguckt haben?

Y.F.: Sicher.

T.B.: Aber ich glaube, das verleugnen wir, gegenseitige Abhängigkeit. Weil das zur Männlichkeitsideologie dazugehört. Ja, das ist ja die Ideologie der Freiheit. Ich kann alles. Jedes Lied das man sich anhört, so nach dem Motto: Ich lass´ meine Familie hinter mir, ich geh´ hinaus in die Freiheit. Immer, wo ich meinen Hut hinlege, da ist mein Zuhause ....

Alle lachen.

T.B.: Darum geht es ja in so´ner weißen Rock´n Roll-Mänmnlichkeitsideologie. Und die leugnet eben auch Ohnmachtserfahrungen und das finde ich, ist auch ein Drama für Männer. Ich glaube, da sind Frauen einfach ganz gut geschult und akzeptieren, dass es Momente gibt, wo man nichts machen kann. Wo es einfach so ist, wo man es hinnehmen muss. Irgendwas. Ob´s ne Krankheit ist oder ein anderes Unglück. Und zur Männlichkeitideologie dazugehört, zu sagen: Ich hab ganz viel Macht und das ist ja auch ein totaler Fehler. Niemand hat richtig viel Macht.

A.E.: Das finde ich immer eindrucksvoll, wenn die Mächtigen in sich zusammenfallen - meinetwegen wie Clinton da plötzlich so gemobbt wurde oder wenn irgendwas zusammenbricht, wo du denkst, das sah ja noch aus wie ein eisernes Denkmal. Oder Kohl, was ist aus Kohl geworden, wie sieht der jetzt aus. Dieses Gesicht - völlig zerbrochen - wenn man also bei den Mächtigen sieht, das ist auch nur ein Mensch.

Y.F.: also der Wilhelm Schmied sagt, .... - wie war das noch mal? Ich bin da zuhause, wo ich den Hut hinwerfe - der sagt, diese Freiheit ist eine Freiheit, die eine moderne Gesellschaft kennzeichnet. Eine Freiheit, die eben halt losgelöst ist von traditionellen Zusammenhängen. Er beschreibt die Perspektive einer anderen Gesellschaft - nicht Postmoderne, sondern eine "andere" Gesellschaft - und diese andere Gesellschaft, die hat nicht nur diese Freiheit, die womöglich dann mit Ökonomisierung, Globalisierung, etc. recht fragwürdig ausgefüllt wird, sondern er sagt, diese Freiheit muss auch gestaltet werden. Diese Freiheit muss eine Form bekommen. D. h. dann nicht, dass wir jetzt überall da zu Hause sind, wo wir den Hut hinwerfen, sondern wir müssen unser Zuhause jenseits von Tradition und Konvention neu gestalte – und das ist ja auch ´ne Chance

A.E.: Das bedeutet wiederum auch Verantwortung, Freiheit. Das hatten wir ja vorhin.

Y.F.: Da sehe ich auch den Zusammenhang zum BilderChatten. Auch beim BilderChatten gestalten wir Freiheit.

A.E.: das finde ich auch ganz schön, den BilderChat als Metapher zu sehen. Im übertragenen Sinne auch dieses, was du gerade von Wilhelm Schmid erzählt hast: in wieweit müssen wir Freiheit oder Freiraum gestalten.? Das ist ja auch so fließend ...

Y.F.: Da sind ganz viele Aspekte drin, In dem, was er über die Freiheit und die Lebenskunst schreibt, stecken ganz viele interessante Aspekte des Bilderchats drin. Beispielsweise der Perspektivwechsel ...

A.E.: Oh ja, mein Thema. Das finde ich sehr spannend

Y.F.: Für die "andere" Gesellschaft ist es nach Wilhelm Schmid wichtig, dass dieses Miteinander und dieser gegenseitige Austausch mit den Anderen weiter kultiviert und entwickelt werden muss. Und das ist ja auch im BilderChat drin.

K.A.: Hast du jetzt gesagt, mit Gestalten Form geben, das ist ...also wenn ich dem ´ne Form gegeben habe oder gestaltet habe, dann ist auch die Abhängigkeit untereinander akzeptiert oder gelöst.

Y.F.: Reflektiert. Er findet es immer sehr wichtig, dass man sich darüber im Klaren ist, was und warum man etwas tut. Dass eine Reflektion stattfindet, Abhängigkeiten bewusst werden und offen sind oder auch flexibel gehandhabt werden können. Das nicht nur einer abhängig ist, sondern dass diese Abhängigkeit mal den einen und mal den anderen betrifft. Das wäre natürlich das Optimum. Wenn es aber so ist, dass es allen am allerliebsten recht ist, wenn es eine einseitige Geschichte ist, dann ist es eben auch einseitig o.k. Also wenn jetzt immer eine Person besonders gern von einer anderen Person in einem Punkt da so eine Abhängigkeit pflegt. Aber es ist doch eine bewusste Geschichte. Und da muss nicht derjenige, der jetzt jemanden abhängig bei sich an der Seite hat, das noch unterstützen und das noch ausbauen um sein Ego da zu erweitern, sondern dass ist einfach so, dass diese eine Person vielleicht ein bisschen mehr Stütze, jetzt in diesem Moment vielleicht, braucht. Das kann sich ja jederzeit anders entwickeln.

A.E.: der Stützer kann ja was für sein Ego daraus ziehen und umgekehrt der Gestützte ja auch wieder. Und es hat ja auch was von dem: über´s Jahr hat jeder seins wieder

...alle lachen

Y.F.: aber es ist tatsächlich auch mit dieser gegenseitigen Abhängigkeit so: übers Jahr hat jeder seins wieder. Und wenn man was Gutes getan hat, hat mans wieder, wenn man was Schlechtes getan hat kriegt mans auch.

T.B.: Was mir noch in Bezug auf Kunst einfällt ist eben von Vlado Kristl(?) diese Theorie mit der Westkunst, warum der Kunstmarkt mit der Maueröffnung zusammengebrochen ist. Dass praktisch die Kunst, die so von 45 - 89 bei uns gefördert worden ist, ein Ausdruck der Ideologie der Freiheit war und dass es darum ging, dem Osten vorzumachen wie viel Freiraum es im Westen gibt ... und darum haben sie die Künstler alles machen lassen, sozusagen. Und darum ist es auch so´ne männlich geprägte Kunst gewesen oder von Männlichkeitsideologie geprägte Kunst. Wo es eben um Freiheit, Selbstverwirklichung und was ich mache, ist eigentlich egal, geht. Hauptsache es bricht jedes Tabu. Und das ist in dem Moment, wo es diesen Systemwiderstreit nicht mehr gab, in dem Moment ist es zusammengebrochen. Wir hatten an der HfbK die Veranstaltung "Die Resopal-Küche als die Stalinallee des Westens" von Kramer/Heubach- der Inhalt war in Kürze, dass es total ideologisch ist, die Art wie wir leben, aber dass wir das nicht sehen, weil´s verdeckt wird und weil wir´s selber gewohnt sind. Und das passt eben auch zu den modernen Gesellschaften wieder, dass ´ne moderne westlich geprägte Gesellschaft die Abhängigkeiten leugnet. Es ist alles machbar, andere Menschen spielen keine Rolle zur Durchsetzung meiner Pläne, ich geh durch und erober´ die Welt, ich kolonialisiere was mir so grade passt . Und heutzutage, wo eben der Ost/West Gegensatz nicht mehr da ist, ist jetzt eben diese Nord/Süd-Sache, Afrika-Europa. Und dass das Akzeptieren von Abhängigkeiten, - weil wir plötzlich einmal um den Globus denken können, auch kommunizieren können, - dass das vielleicht dadurch wichtiger geworden ist, weil das dauernd ....

Y.F.: Ich glaube auch, dass dieser Freiheitsbegriff wirklich ein Auslaufmodell ist. Das zeigt sich gerade bei internationalen Firmen, die oft ein stark amerikanisiertes Management pflegen: "hire and fire". Wer richtig fies aus einer Firma rausgemobbt wird, ist später auch gnadenlos im Umgang mit ihr, z. B. mittlerweile als Mitarbeiter der Konkurrenz - am Ende des Jahres hat jeder seins wieder!

Y.F.: (erzählt von dem bewussten Wechsel eines jungen Mannes mit Super-Perspektive aus einem weltweiten, amerikanischen Konzern in einen Familienbetrieb). Im negativen Sinne ist es (bei dem Familienbetrieb) so, dass es einen Patriarchen gibt, im positiven Sinne ist es aber so, dass man sich der gegenseitigen Abhängigkeit bewusst ist und keine verbrannten Flächen hinterlässt. Das hat nichts mit der Größe der Firma zu tun – auch Familienbetriebe arbeiten mittlerweile international, aber man gesteht sich die gegenseitige Verbindlichkeit und die Abhängigkeiten zu, man hinterlässt keine verbrannte Erde, man ist fürsorglich auch gegenüber den Mitarbeitern, im positiven wie im negativen Sinn. Auch wenn jemand mit Alkoholismus oder dergleichen aus der Reihe fällt, dann greift man da ein aber vielleicht auf eine andere Weise, wie beim amerikanischen Management. Und der ist da hin, weil er gesagt hat: ich bin´s leid! Dieses Fire and Hire. Soviel Geld können die mir gar nicht bezahlen, was ich da emotional und von den Nerven her lassen muss.

T.B.: Ein Bekannter von mir, der hat bei ´ner amerikanischen Software-Firma angefangen und da war das Problem, dass die den Kunden die teuren Software-Programme verkauft haben, - Betriebssoftware - und dann hatten sie keinen Kundendienst und haben keine Updates mehr angeboten. Und dann hat er das in der Fortbildung gelernt - er hatte die ganzen Tag entsetzte Kunden am Telefon - das Prinzip, das er gelernt hat heißt "Fuck them and leave them". Das heisst, in der ersten Begegnung einen großen Vertrag unter Versprechungen und dann sind sie vergessen. Ich find´ das so hart, so deutlich, dass in der Mitarbeiterschulung Sexualität und Beziehung verknüpft wird auf diese Weise. Da wird dann eben diese Männlichkeits-Ideologie total offen ausgesprochen. Er hat da glaube ich, 15 kg zugenommen innerhalb von 6 Monaten - er war ein ganz schlanker junger Mann davor - die hatten nämlich auch alle Arbeitsbesprechungen mit kostenloser Pizza. Da hat er Pizza in sich reingeschluckt und schließlich hat er gekündigt.
Das ist das Gegenmodel zur die Familien-Firma. Das sind die Familienleute, die sagen, ich hab ´ne Verantwortung, wenn ich ne Beziehung eingehe.

A.E.: ich wollt noch mal zu diesem Vlado-Kristl-Kunst-Modell sagen, dass sich das auf der Realitätsebene genauso abspielt. Ich bin ja mal mit dem Auto durch die damalige Sowjet-Union gefahren und da habe ich immer angestaunt, wie die Leute Schlange stehen in den Geschäften. Meine Güte. Die mussten zweimal Schlange stehen Einmal musste man sich so einen Bon kaufen und ihn dann gegen die Ware einlösen. Aber inzwischen ist das doch hier genauso. Und alles, was wir vorgegaukelt haben an Freiheit, das kann jetzt weggestrichen werden, weil wir das nicht mehr demonstrieren müssen. Da ist nichts mehr, gegen das wir das aufrecht erhalten müssen. Das geht jetzt seinen Gang.

T.B.: Ja, das war ganz interessant, bei "Plus" war nämlich eine Schlange

A.E.: bei "Plus" ist immer eine Schlange!

T.B.: und der Einzige, der aufbegehrt hat gegen die Schlange war so´n Mensch, der offensichtlich aus Afrika kam, und der hat dann gesagt: Das kann doch nicht wahr sein! Soviele Arbeitslose und hier haben sie kein Personal und wir stehen hier stundenlang, und unsere Zeit, usw.
Der Einzige, der sich darüber aufgeregt hat. Der nämlich aus dem Süden kommt. Und wir akzeptieren "Plus", billig ....

A.E.: Hier haben wir auch´n "Plus", da ist auch immer eine Riesenschlange. Und nur, wenn irgend ein Kunde meckert, dann drückt die Kassiererin auf eine Klingel und dann kommt sofort einer von hinten und setzt sich an die zweite leere Kasse. Aber von selber nie. ...

Y.F.: Das ist mir jetzt auch jetzt grade passiert. Ich bin bei "Staples" rein, hatte irgendwie die falsche Drahtbindung und wollte sie gern tauschen. Der Mann an der Kasse guckt mich an, nimmt sie kaum in Empfang. Ich sage, ich habe eine Original-Quittung und ich kann das nicht gebrauchen, nehmen Sie sie bitte zurück. - Ja, kann ich machen. Ich in Laden und hab was anderes ausgesucht und gesagt, ich hab jetzt keine Bindungen gekauft, aber ich hab hier verschiedene Sachen. Und er war irgendwie total uäh und zäh und ich hab gedacht: Warum? Und dann hab ich zu ihm gesagt: Wissen sie eigentlich, dass sie mich hier total unfreundlich behandeln? Da ist er fast hintenübergekippt und hat vor sich hingestottert und war superhöflich und nett und freundlich und hat sich überhaupt nicht wieder eingekriegt.
Ich hab das benannt. .... Ich hab eben nicht gesagt: Sagen sie mal, was fällt ihnen hier eigentlich ein. Ich hab nur gesagt: Wissen sie eigentlich, dass sie mich hier total unfreundlich behandeln? Ich hab eigentlich gar nicht d´rüber nachgedacht, das ist mir so rausgerutscht. Und irgendwie hab ich gedacht, das ist eigentlich der Weg!
...

das ist immer wieder diese Abhängigkeit, die man sozusagen benennt, ohne dass man den Anderen oder sich selbst völlig entblößt.
...

A.E.: ich hab das Tatjana schon erzählt, das fand ich so eindrucksvoll. Ich musste ein Dia scannen lassen und als ich das abgeholt hab kriegt ich ne Diskette. Ich hab dann gefragt: Oh, ist das jetzt ´ne Mac- oder ´ne PC-Diskette. Ich hab ja einen Mac. Da meinte die Kassiererin: das weiss ich jetzt nicht, das hätten sie aber sagen müssen.
Ich dann: da hab ich auch nicht so drüber nachgedacht. Und das kostete 3 Euro, die hatte ich auch schon hingegeben. Sie meinte: Probieren sie das doch aus und dann kommen sie wieder, wenn´s nicht klappt. Ich darauf: ach, das ist ja so umständlich. Jetzt muss ich damit wegfahren und dann wiederkommen, wenn´s nicht geht ... Dann sagte sie: Ach, ich geb ihnen jetzt hier die 3 Euro wieder und sie probieren das aus. Und wenn es geht, dann zahlen sie mir das und wenn es nicht geht, dann ist es auch egal. Sie hat mir Geld und Diskette mitgegeben. Und ich hab es ausprobiert. Jetzt geht die Diskette und ich geh da wieder hin und bring ihr die 3 Euro. Das ist doch auf Gegenseitigkeit. Ich war so total hingerissen und dachte: echt, das gibt´s heute. (Inzwischen war ich mit meinen 3 Euro da und die Kassiererin meinte: Sie sind aber nett. Ich daraufhin: Sie waren aber auch nett!)

Y.F.: und das in einem Fotogeschäft?

A.E.: Ja, in einem Schnellfoto-Geschäft in der Hamburger Straße, wo viel Laufkundschaft vorbeikommt. Ist das nicht verrückt? Wo kommt das her? Aber das finde ich so toll, das jetzt solche Sachen aufkommen. Das erzähle ich hier zur Verstärkung von dem, was du erzählst, Yvonne.

Y.F.: und du würdest doch auch immer wieder dahingehen

A.E.: ja, natürlich

T.B.: oder zu dem Kellner beim Inder, der mir aus seiner Börse - ich hatte nicht genug Geld mit - der mir aus seiner Börse vor jetzt 5 Jahren 10 DM damals ausgelegt hat. Und er meint: wohnen sie in der Nähe? Ich: Ja, ich wohn hier in der Nähe. Er meinte: Dann bringen sie es mir einfach vorbei morgen. Dann hab ich mich total bedankt dafür danach und dann meinte er: Ja, wir sind doch alles Menschen. Also, der hat mit total vertraut. 10 DM sind echt viel. ... Und ich erinnere mich. Das schafft einfach Verbindung und Beziehung

Y.F.: ich hab das auch erlebt in einem Bus - wo du Inder sagst - der Busfahrer sah auch so indisch aus. Der saß da vorne drin und begrüßte alle Fahrgäste. Irgendwie habe ich gedacht: das ist ´ne ganz andere Kultur. Der typisch deutsche Busfahrer kurvt aggressiv durch die Gegend und will überall Erster sein, will den Zeitplan schaffen und überhaupt ist er irgendwie der coole Mac da vorne. Der indische Busfahrer hatte was von einem Chauffeur und war ganz stolz darauf, dass er dieses große Auto mit den vielen Menschen fuhr. Das hat der so ausgestrahlt. Ganz andere Kultur, da fahr ich ganz anders Bus.

T.B.: Ja, in England, wenn du da in den Bus gehst, die begrüssen dich immer.

A.E.: Ja aber hier, Kurd, - ich lache immer drüber- jedes Mal wenn er in irgendein dusseliges Geschäft geht, sagt er "Guten Tag" und wenn er rausgeht sagt er "Auf Wiedersehen". Und das ist doch dasselbe. Es sagt kaum jemand mal Guten Tag oder Auf Wiedersehen.

K.A.: manchmal ja

T.B.: ich auch, ich sag das auch immer bei "Spar" und wunder mich, warum sie nicht "Tschüss" sagen. Ich find das so dumm. Ich komm mir so alleingelassen vor

A.E.: ich sag das bei kleinen Läden, wo ich weiss, sie sagen dann auch "Tschüss". Ich find das eigentlich toll, dass du das immer machst. Ich hab das längst aufgegeben.

T.B.: Und das ist ja im Grunde noch ein kleiner Schlenker zur Selbstverteidigung, dass Leute in Situationen, wo andere eindeutig überlegen sind und einem jetzt nicht so´n toller Trick einfällt, da geht´s darum, ne Beziehung herzustellen und sich als Persönlichkeit zu zeigen. Und es ist für Leute dann viel schwieriger, gewalttätig zu werden. So Sachen, "stell dir vor, ich wär deine Schwester." Oder, "du hast ja ne Mutter, stell dir vor, das würde deiner Mutter passieren". Also an die Beziehungen und Verbindungen und Abhängigkeiten vom Täter oder der Täterin zu apellieren. In der Hoffnung, dass dann soviel Zeit gewonnen ist, dass man abhauen kann oder was weiß ich ... Und ich hab viele Geschichten gehört, dass das total gut funktioniert. Von ´ner Frau in der Eulenstraße, die hatte ´ne Schlachterei und die hat dann gesagt: "Junger Mann, sie machen sich unglücklich!" Der hat die überfallen. "Legen sie das Messer weg! Was brauchen sie denn für Geld? Sie machen sich unglücklich! Hier nehmen sie das Geld und dann gehen sie schnell wieder." Der kam dann immer wieder und hat mit ihr über seine Probleme geredet. Sie hat praktisch nicht auf die geplante gewalttätige Handlung gestarrt, sondern auf ihn als Menschen. Und war vollkommen perplex, wie jemand so bescheuert sein kann, andere zu überfallen. Und ohne Angst.

K.A.: Kannst du noch mal das mit Vlado Kristl erzählen. Denn das ist ja wichtig, dass wir das auf Kunst beziehen. Also ich hatte ja da den Gottfried Benn angeführt. und nun können wir das doch noch mal mit der Kunst versuchen.

T.B.: Gottfried Benn, würde ich sagen, ist eindeutig Westkunst nach Vlado Kristls Definition. Der kam ja aus Jugoslawien und war immer so´n bisschen fremd, also hat sich befremden lassen von dem westlichen Prinzip. Vielmehr weiss ich jetzt auch nicht mehr. Wir hatten damals so Gespräche, - auch mit Mike Hentz, weil der ja auch viel im Osten unterwegs war, ganz viel da gemacht hat. Was mir schon das Auge geöffnet hat. Du bist der "Schöpfer" auch,. diese totale Männerphantasie. Dass im Endeffekt bei den Leuten, die so eindeutig als der singuläre Künstler bekannt sind, ganz viele mit dran arbeiten, mit dran denken. Damit man das verkaufbar hat. Im Westkunst-Sinne, wird das weggeschwiegen. Bei Franz Erhard Walther seine Frau, die ihm alles genäht hat. Die taucht doch nirgendwo auf. Der hat da diese Stoffschleusen, wo es um Beziehungsräume und Raumwahrnehmungen geht, dann gefaltet und in Regale gelegt. Das hat alles seine Frau genäht.

A.E.: Obwohl dass auch ne Frau sein kann.
Wir haben ja mal dafür gesorgt, dass Judy Chicago´s "Dinner Party" nach Deutschland kam. Und was da alles an Arbeit von Frauen dahintersteckte! Das war ja nicht Judy Chicago alleine, das war ein Frauenteam! Und das ganze Wissen von Frauen, mit diesen alten Terchniken für die Gedecke, das Brennen von der Keramik, die ganzen alten Handarbeitstechniken. Alles Frauen. Kein einziger Name.

T.B.: Nein, aber weil Judy Chicago - ich habe ein Buch von ihr gelesen - sehr gut durchschaut, was der westliche Marktmechanismus ist. Und wenn da nicht eine Person persönlich dafür einsteht, dann ist es nicht verkaufbar.

Y.F.: Bei Franz Erhard war ein Kunstwerk erst dann fertig, wenn es benutzt wurde.

T.B.: Ich glaub es gab ganz viele, die so gearbeitet haben. Und er hatte einen Galeristen oder ein Verwertungssystem gehabt, da musst du das akzeptieren, dass du Gegenstände dann auch verkaufst.

K.A.: Er ist Vollender. Er hat das selbst mal gesagt. Es kommt nicht auf den Neuerer an, sondern auf den Vollender. Und er ist der Vollender. 2 Jahre ausgebucht, da hat er auch abgeschöpft. Guck mal hier - zeigt auf seinen "Gerstner"- wenn man nicht bei Duchamp ansetzt, dann ist er (Karl Gerstner) der Neuerer. 1952 hat er die ersten Multiples gemacht. Ihm ging´s auch nicht schlecht. Er hatte eine Agentur.

Y.F.: Was ich sagen will ist, dass z. B. jetzt die Sachen von Walther nicht im Umlauf sind, die werden nicht benutzt. Sie sind praktisch verschwunden.

T.B.: ja, in Puttbus auf Rügen habe ich ihn in einer Galerie wieder gefunden.

....Gesprächsdurcheinander ...

K.A.: Duchamp Aussage, dass es ihm auch bewusst ist, (Kunst entsteht im Auge des Betrachters) die stammt von 1955. Aber was wird nun aus dem Künstler, wenn der Betrachter die Kunst macht? Was wird aus dem Künstler? Das hat noch keiner gefragt.

T.B.: Ja, das hatt´ ich dir auch geschrieben in dem e-mail: alles schön und gut, dass da keine Produzenten sind. Aber wie kriege ich meine Butter aufs Brot? Das ist nämlich auch ein Problem. Wie werde ich freigestellt, dass ich das überhaupt machen kann? Das ist so die andere Seite. Ich finde, dass ist auch schön, wenn du nicht so in den Klauen des kapitalistischen Verwertungssystems drinsteckst. Aber auf der anderen Seite die Frage nach: Geben und Nehmen. Wer gibt mir Euros für das, was ich mache.

Y.F.: Ich arbeite ja auch an einem "Kultur-Portal Hamburg", wo alles mögliche zusammenfließen soll, was alle Kulturfragen betrifft. Im Moment fangen wir natürlich in unserem Kreis an, also bei der Stadtteil-und Soziokultur, Kinder- und interkulturelle Kulturprojekte. Und dieses Kulturportal entwickele ich konzeptionell mit den gleichen Inhalten und Essentials wie all die anderen Sachen auch. Ohne das Prinzip der Gegenseitigkeit könnte das Kulturportal z. B. gar nicht funktionieren: Indem alle kleinen und mittleren Kulturveranstalter ihre Angebote in den Veranstaltungskalender eingeben, wird er überhaupt erst attraktiv für ein breites Publikum. Dann aber haben alle was davon: die Kulturveranstalter und die Kulturuser. Das heißt, ich weiche davon nicht ab, sondern versuche all diese Sachen da umzusetzen. Das drückt sich eben teilweise auch in der Art der Programmierung aus. Es ist jetzt am Wachsen und am Werden und wir haben zumindest von hamburg.de schon den Zuruf "Wollen wir haben! Seid ihr käuflich?" Na Toll, Geld wollen wir haben, aber käuflich können wir nicht sein, weil es ein Vernetzungsprojekt ist und das ist bei uns verortet. Da würde niemand so in einen Austausch oder in eine Beziehung zu hamburg.de treten wie zu uns, als Landesverband Soziokultur.
Sollte ich meine Vision verwirklichen können, dann hätte ich mir mit dem Hamburger Kulturportal sozusagen meinen eigenen Wunsch-Arbeitsplatz und auch ein Einkommen verschafft, vielleicht in drei Jahren, ohne dass ich diese Essentials verleugne. Also das heißt, es basiert auf diesem Austausch, auf dieser Gegenseitigkeit. Es entmündigt nicht, sondern im Gegenteil, es befähigt und schafft.

...erklärt dem nachfragendem Kurd nochmal zusammenfassend das Projekt ...

T.B.: das fand ich auch das Positive an diesem .... ich kann es nicht mal mehr aussprechen "auf Gegenseitigkeit", ... dass ich vorher immer gesagt habe, Geld für Kunst, das ist ziemlich schlecht oder korrumpiert - und jetzt denke ich eher, ja, es kann verschiedene Arten des befriedigenden Austausches geben. Oder: Geld ist eben auch ne Form von Gegenseitigkeit. Es muss nicht unbedingt so korrumpierend böse sein, sondern es kann eben

K.A.: ... aber prinzipiell liegt in dem Geld das Anhäufen. Es hat ja auch andere Geldsysteme gegeben ...Kurd verschwindet und kommt wieder ... Hier, dieses ist ein "Brakteat". Der wurde, sagen wir mal, alle halbe Jahre, eingezogen. Man gab sein Geld hin und es haute einer ´nen neuen Stempel rein

T.B.: ach, das ist ja ne Superidee!

K.A.: das heisst, es konnte keiner Geld anhäufen. Da musste jeder immmer sein Geld ausgeben. Das alte war wertlos. Das heisst, die Wirtschaft blühte unheimlich. Du kannst auch auf alten Bildern sehen, wie luxuriös in der Gotik die Leute angezogen waren. ...

-----------

Links to this Page