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NetzkunstWoerterBuch.



Autor: Matthias Weiss
MUTUALE NETZKUNST
Mutuale Netzkunst ist eine spezielle Form künstlerischen Schaffens, welche auf den ersten Blick recht schwer verstehbar erscheint. Das Stichwort Mutualismus im Duden zur deutschen Rechtschreibung beschreibt einen Begriff aus der Biologie, der die Beziehung zwischen Lebewesen
verschiedener Art zu beiderseitigem Nutzen meint. Das Paradigma der Biologie
für Mutualismus ist das Zusammenleben von Blattlaus und Ameise. Mutualismus ist ein positiv besetzter Begriff, der sich in diesem Sinn wohltuend von dem der Kollaboration unterscheidet,
welcher in der Regel für die folgenden Kunstprojekte verwendet wird. Da er eigentlich Kriegsvokabular ist, meide ich diesen.


Das Netzkunstwörterbuch von Antje Eske und Kurd Alsleben



http://www.netzkunstwoerterbuch.de

Den Besucher des Netzkunstwörterbuchs erwartet nicht das, was man sich gewöhnlicherweise unter einer Enzyklopädie oder einem Wörterbuch vorstellt. Hinzu kommt, dass das Netzkunstwörterbuch auch in einer Printfassung verfügbar ist. Konsequenterweise erscheint das Buch nicht in einem gewöhnlichen Verlag sondern wird als Book on Demand ausschließlich auf Anfrage
gedruckt.

Anm.: Print on Demand ist ein relativ junges Publikationsverfahren, in dem man an einen Dienstleister einen fertigen Satz des druckenden Werks schickt. Dieser erstellt dann die nötigen Druckvorlagen und sorgt dafür, dass es - wie im normalen Verlag - per ISBN registriert wird. Geht man nun in die Buchhandlung, um den Titel zu bestellen, wird beim PoD-Dienstleister ein Exemplar des Werks gedruckt. Die Vorteile von PoD sind eine flexiblere Handhabung des Textes. Dieser kann überarbeitet werden, ohne dass eine komplette Auflage eingestampft werden müsste. [Wir haben das auch schon einmal praktiziert. Es ist nicht billig, aber machbar. KAuAE 7Nov03]

Antje Eske und Kurd Alsleben sind Pioniere der Datenkunst und arbeiteten schon lange vor der
Popularisierungdes Internet mit Hypertext-Systemen wie Apples Hypercard. [mir ist beim Stöbern in der Informatik-Abteilung unserer Hauptbibliothek an der Ruhr-Universität noch ein Band aus dem Handbuch zur Informatik Bd. 10.1 in die Hände gefallen: Peter Schnupp: Hypertext. München Wien 1992. Der listet ganz spannend die ersten Bedürfnisse in EDV-Kontexten auf. Spannend insofern, als diese sich teils mit den künstlerischen decken.] Beide sind, bzw. wie im Falle von Alsleben, der mittlerweile emeritiert ist, waren Professoren an der Hochschule für Bildende Künste, wo Kurd Alsleben den Lehrstuhl für Computerei" ins Leben rief.

Alsleben beispielsweise arbeitete durch die Vermittlung seines Freundes Cord Passow bereits 1960 mit diesem an einem Analog-Computer im Deutschen Elektronen Synchrotron Hamburg (DESY), wo beide zusammen Grafiken erstellten. In einem unveröffentlichten Interview (Hamburg, 26.08.2003) berichtete er mir, in welcher Weise er damals die Weichen für das jetzige Verstehen der Informationstechnologie durch die Erfahrung des "Verhaltens" der Maschine gelegt bekam.


Es war nämlich keineswegs davon auszugehen, dass der Computer in seiner Ausgabe eine sichtbare Präzision zeigte. Der Arbeitsprozess zu Erstellung der Grafiken geschah auf folgende Weise: Zunächst wurde eine Formel manuell über die Potenziometer der Maschine eingestellt.

Anm. Zu dieser Zeit war die alphanumerische Eingabemöglichkeit, also die Tastatur, eher eine Seltenheit. Zur Funktionsweise eines Analogrechners s.
http://www-m8.ma.tum.de/rbg/schoene/hybrid/hybrid.htm



Danach wurde der Rechenvorgang in Gang gesetzt. In Echtzeit begann der Plotter das grafische Ergebnis, also die Visualisierung derFormel, auszugeben. In diesen Prozess konnten Alsleben und Passow direkt eingreifen und quasi wieauf einem Instrument das Gerät dazu veranlassen, echtzeitlich die Variablen über die Potenziometerzu verändern, was einen erheblichen Einfluss auf die entstehenden Kurvengrafiken hatte. Dabeischilderte Alsleben, dass man gar nicht mehr entscheiden konnte, ob an manchen Stellen der Computeroder etwas anderes auf den Prozess eingewirkt hat.


Dieses nicht weiter spezifizierbare Andere hat Alsleben nachhaltig verstört. Man sprach im allgemeinen damit auch von "Denkmaschinen". Dem Geist der Zeit gemäß anthropomorphisierte man unwillkürlich jene Apparaturen. Für Alsleben, der zwar mit einem Traktat zur Informationstheorie, das er bewusst als Künstlerschrift bezeichnete, seine Nähe zur kybernetisch geprägten Kunsttheorie belegte, hatte diese Interpretation des Maschinellen ganz andere
Konsequenzen, als für andere Pioniere früher Computergrafik, welche meist die Möglichkeiten des
Rechners verkannten und ihn lediglich als Extension der eigenen Zeichenfähigkeit betrachteten, um weiterhin klassisch nur mit einem anderen, präziseren Werkzeug ebenso präzisere Kunst herzustellen.

Anm.: Daraus erwächst im übrigen das Kardinalproblem der frühen Mitstreiter, das
sich in der Kunstgeschichte durch das verhängnisvolle Missverständnis potenziert, dass die Maschine
sich im Bildermachen erschöpfe. So gehen beispielsweise die meisten Interpretationen von Heike Piehler (Die Anfänge der Computerkunst. Frankfurt/M 2003) fehl, weil sie immer im Kontext klassischer Werkbedingungen bleibt und nicht die Möglichkeit in Betracht zieht, dass die Virtualität der Möglichkeiten einer Universalmaschine die Interpretation ihrer Erzeugnisse mitzubestimmen
hat.



Alsleben hingegen sah damals schon ein kommunikatives Potenzial, was sich in seinem allgemeinen Interesse an Kommunikationskünsten äußerte. Sicher auch geprägt durch die Umbrüche im Kunstsystem seit den 1968er Jahren, unternahm er nach seiner "kybernetischen" Zeit kommunikative Experimente und entwickelte zusammen mit seiner Frau Antje Eske verschiedene Mechanismen zur
künstlerisch-kommunikativen Arbeit.


Zu dieser Arbeit gehörten beispielsweise auch in den 70er Jahren interventionistische Projekte, so
der Kampf um den Erhalt einer Hamburger Frauenklinik,in dem die Künstler und Studierenden medienpraktische Unterstützung für die von der Schließung der Klinik betroffenen Frauen anboten, zu den künstlerischen Strategien von Eske und Alsleben. Antje Eske hatte damals eine Druckwerkstatt gegründet, in denen die Informations- und Agitationsmaterialien produziert wurden. Zudem praktizierten beide in ihren Seminaren spezielle Weisen des gemeinschaftlichen Zeichnens und
entwickelten eine Vielzahl aus kunsthistorischer und klassisch-ästhetischer Sicht schwer zu integrierende künstlerische Praktiken. Schon früh, zu Beginn der 80er Jahre, erwarben sie einen Macintosh-Computer, da dieser bereits mit einer einfach zu bediendenen, grafischen Oberfläche ausgestattet war. Mit diesem Werkzeug nun begann das Interesse am digitalen Schreibtausch. Hiermit entwickelten sie auf der Basis alter Konversationsmodelle, wie sie bereits in der Renaissance gepflegt wurden, eine neue, Netz basierte Weise der Kommunikation als Konversation. Diese
künstlerische Praxis wird beispielsweise im Netzkunstwörterbuch erläutert,


Anm.: Wohingegen der Terminus des Netzkunstwörterbuchs nicht erläutert wird und damit ein
Erklärungs- und Vergleichsnotstand bestehen bleibt.



darüber hinaus auch im Rahmen von recht speziellen Chats

Anm.: Diese sind schon von der verwendeten Software nicht mit dem schriftlichen,,Geplauder'' in
den Kanälen im Netz zu vergleichen.



praktiziert. Am Wörterbuch selbst kann im Prinzip jeder mitschreiben. Die Zugänge sind offen gestaltet, so dass Hemmschwellen zur Teilnahme so gering wiemöglich sind. Dabei stellt sich die Frage, was an einem derartig unabgeschlossenen Prozess das Künstlerische ist, wenn es nicht einmal mehr möglich ist, auf den Künstlerbegriff zurückzugreifen.

Anm.: Roland Barthes hat 1968 seinen Aufsatz zum "Tod des Autors" veröffentlicht. Hierin
spricht vom Autor als Medium, das zwar nicht physikalisch verstarb. Vielmehr legt der Autor die
Fährte auf ein Phänomen, das in seiner immensen Tragweite bis dahin nicht erkannt war: Der
geschriebene Text ist letzlich ein Patchwork aus einer meist nicht mehr zu eruierenden Menge an Texten, sprich jeder sprachlich im Text fixierte Gedankenfluss ist nichts weiter als eine Aneinanderreihung von Zitaten.



Mit der Idee und dem Verfassen eines sogenannten Netzkunstwörterbuchs steigert sich die Idee einer
vernetzten Kommunikation hin zu einem Paradoxon, das einerseits zwischen Wissensvermittlung und temporärer Realisierung sich spannt, immer aber auch zwischen beiden oszilliert. Und dies besitzt eine oben kurz skizzierte Geschichte. In einer Publikation schreiben sie: "Präsente Veröffentlichung thematisiert heutige Beziehungen zu früheren Arbeiten." Im Vorwort auf der beigefügten CD-ROM. Position v1. Wobei der Begriff des Präsenten auf die "Gegenwärtigkeit" in der Publikationsgeschwindigkeit des Internet meint. Diese Vorgehensweise sprengt die in Wissenschaften und ihren Methodiken in der Regel festgelegten Bahnen, hegt aber auch keinen expliziten Wahrheitsanspruch. Vielmehr bleibt ja das einerseits performative Moment,
beispielsweise des Bilderchats, der auch über die Domain und dieselbe Software realisiert wird, wie
das Wörterbuch - unter dem Stichwort "Bilderchat" wird man zu den temporalen Ereignissen verlinkt und kann deren Zeugnisse als Dokumente nachvollziehen - und andererseits das Vernetzen und Verlinken als vielseitige Möglichkeit an einem quasi endlosen Text zu arbeiten, dessen Status "Unmittelbarkeit" als eigenständigen Wert versteht und damit auch realisiert. Diese Art der künstlerischen Kommunikation ist daher auch nur im Rahmen telematischer Netzwerke denk- und machbar.

Aber dennoch: Sowohl in der Rezeption als auch in der Reflexion über die angeschnittenen Themen liegt enormes Erkenntnispotenzial über herkömmliche Wissenschaft hinaus als Erfahrung an kollektivem Schreiben. Und an dieser Stelle befindet sich der Ort der Kunst. (maetthi)

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