Autor: Kurd Alsleben | |
Am 18.5.2003 schrieb mir Frieder Nake folgende Postkarte: "Lieber Kurd, was wuerdest Du auf die Frage antworten, ob es einen Zusammenhang, einen Einfluss zwischen Aufkommen der Computerkunst und der Bewegung der 60er Jahre gab?" Meines Erachtens liegt der hervorstechende Beitrag des "Netzes" darin, das die anscheinend unveraeusserlichen Vorführer- und Zuschauerrollen verschwinden - noch mehr als für die Kunst gilt das für das Leben (und insbesondere für die Wissenschaft). Dass jeder ein Künstler ist, ist genau gleich wahr, wie dass jeder ein Wissenschafter ist. Und diskrepant dazu ist, dass neben dem Netz das Fehrnsehen besteht, das aus jedem Künstler und Wissenschafter einen solchen erst macht, indem es ihn vorführt. In einem gewissen Sinn hat das Fernsehen das Netz ermöglicht, weil es gewährleistet, dass es trotz Netz weiterhin vorgeführte, zu Schau gestellte Künstler gibt. Und wenn ich bei Künstlern eignige Dinge unklar sehe, schaue ich gerade in die Wissenschaft. Die anscheinend Wissenschaftler zeigen vieles viel deutlicher: wenige sagen, jeder ist ein Wissenschaftler, die meisten publizieren lieber bei Springer als im Netz, auch viele 60- und 68-er. tor, 29.5.03 |
ROCKcircus Am Piccadilly Circus war der ROCKcircus neu, als wir in London waren. Auf seinem pink/schwarz/goldenen Sticker schlägt der Picadilly-Genius eine Gitarre. Man trat vor die einzelnen Wachsfiguren und deren Musik ertoente im Kopfhoerer. Das funktionierte nicht glatt, zumal ich die jeweilige Musik auch nicht kannte - Namen wie Bill Haley kannte ich nicht - klar, Elvys hatte ich wahrgenommen und die Beatels erfreuten mich. Ich versuchte nach zweimaligem Besuch des ROCKcircus, damals auch unsere Computerkunst zu diesen mir nicht nahen Erscheinungen meiner Zeit in Beziehung zu setzen, wonach ich sie als kontrastierende Parallelitaet verstand. Als ich Deine Frage „…ob es einen Zusammenhang, einen Einfluss zwischen Aufkommen der Computerkunst und der Bewegung der 60er Jahre gab?“ las, fragte ich mich, was die Bewegung der 60er Jahre war? Und natuerlich danach, was ich erlebt habe >X. Wie steht Computerkunst im Reigen von Concept Art, Fluxus, Hannover-Stadtfestival, Happening, Nikis Hon, Partizipation Art, Performance, Factory et al.? Mal abgesehen davon, dass das oekonomische System die Computerkunst aussperrte - trotz Max Benses erfolgreicher Vortragstaetigkeit in den Galerien -, ist die Computerkunst kuenstlerisch aktiv und passiv gut plaziert. Ich denke dabei an: Im aktiven Sinne (1) sind die 60er Jahre mit ihrer Computerkunst quasi die Inkubationszeit zwischen Partizipationskunst (Karl Gerstner et al.) und interaktiver Kunst (Myron Krueger et al.) - diese, die heute Standard ist, begann Anfang der 70er. (Spaeter in den 80ern bis heute entwickelte sich daraus symmetrische oder mutuelle Netzkunst. Meines Erachtens liegt darin der hervorstechende Beitrag, weil in den Netzkunstaffairen die anscheinend unveraeusserlichen Kuenstler- und Zuschauerrollen verschwinden - der Kuenstler ist nicht Produzent und fuer den anderen gilt, dass jeder ein Kuenstler ist.) >Y (2) Die Computerkunst trug via elektronischer Technik zur Medienkunst bei, die sich in den 60ern aus gattungsueberschreitenden Multimedia wie Fluxus u.a. entwickelte. Das ueberschneidet sich teilweise mit der interaktiven Kunst. (Heute sind Folgen der Computerkunst in Spielen und Filmen und Cyber Déco u.s.w. nicht mehr zu überblicken.) Im passiven Sinne stimmen Zuege der Computerkunst zusammen mit der (1) Concept Art, indem oft das Programm als die Kunst aufgefasst wurde oder auch der Zufall aesthetisch mehr mental als sensuell interessierte oder auch die Textualitaet fuer beide im Vordergrund stand. (2) Kinetik (ich erinnere an das Hannover-Stadtfestival: um das Image der Stadt zu veraendern, war die Innenstadt total gefuellt mit kinetischen Zuschauerbeteiligungen, ueber den Maschsee lief man in einem klarsichtigen Schlauch u.a.) war in den 60ern eine Richtung, die mit ihrer Freude an Technik und Spiel mit der Computerkunst gut zusammenpasste, wenn diese nicht in mehrfacher Hinsicht unzugaenglich gewesen waere. Bewegung, Kinetik, harmonierte mit der Fluechtigkeit, die dem Computer eigen ist. (3) Aktion, Happening, Fluxus u.ae. verbindet sich in den 60ern meines Wissens nicht mit der Computerkunst, aber tut es in einer weiter gefassten Zeitspanne, seit den 80ern und den 90ern, in aktiver Weise mit den Affairen der Netzkunst. >>X : Protestgefuehle - etwa i.S.v. "Sex and Drugs and Rock 'n' Roll", die noch heute existieren - hatte ich nicht, die "sexuelle Befreiung" empfand ich harmonisch. Rueckblickend sehe ich die Bewegung der 60er Jahre nicht primaer protestierend, sondern als Hochzeit des "sozialdemokratischen Jahrhunderts", Humanisierung der Arbeit, Soziale Marktwirtschaft komplementaer DDR, Berliner Mauer, 68er Studentenrevolte in Paris und hier, (der "deutsche Herbst" als Herbst des Jahrhunderts). >>Y : Ich habe in der letzten Zeit das alles mal aufgeschrieben: Meine und Cords Computerzeichnungen sind interaktiv entstanden, mehr noch, die Situation war symmetrisch, weil ich in der Denkmaschine Geist fuer moeglich hielt. In Zusammenarbeit mit Antje in den 70ern klaerte sich unser Bewusstsein der Mensch/Computer/Mensch-Kommunikation und war ab den 80ern von uns zunaechst per LAN und ab 91 im WWW auch technisch ausuebbar. 1999 haben wir mit einem poetischern Chat die Sala delle Veglie in Urbino, den historischen realen Raum der alten Conversationskunst, mit dem virtuellen Chatraum der Netzkunst verbunden, um eine Verknuepfung von Netzkunst und Kunstgeschichte zu verkoerpern. Es ist noch viel zu sagen, aber so hoere ich erstmal auf. Freundliche Gruesse Dein Kurd |