






the artist placement goup
Sleeeping with the enemy?- the apg
texte zur apg
THE ART OF GOVERNANCE
on The Artist Placement Group 1966-1989, ein Text von Howard Slater, Break/Flow,Feb/March 2000
It was really only in spelling out the decrees of the high command that we came
to understand ourselves (Franz Kafka)
http://www.infopool.org.uk/APG.htm
INTERVIEW MIT BARBARA STEVENI VON APG
Emily Pringle: I feel immensely privileged to introduce Barbara, I think its fantastic you're here and I really look forward to...
Barbara: I think under the circumstances, its pretty fantastic too!...
Emily Pringle: All the work you've done is incredibly relevant in this context, so without more ado I'll hand over straight to you...
http://www.interrupt-symposia.org/articles/read.cgi?bs_educator_1
Interview mit Barbara Steveni von APG
Tracing Change
by http://www.welcomebb.org.uk/
This article sets out to consider art as a catalyst for change. Art projects that are actively exploring aspects of social engagement will be examined in the wider context of UK Government policy that endorses the arts as a tool central to regeneration and social change. This will then be followed by a look at the legacy of these projects both within social thought and art practice.
This article is intended as a step towards both comprehending and complicating the politics and art histories that lead to particular projects, rather than an attempt to cover all aspects of socially engaged work...
Tracing Change.htm
Von 0-1 zu 0+1
von Rolf Sachsse
aus : katalog, john latham, “kunst nach der physik”, staatsgalerie stuttgart, 1991
Die Artist Placement Group
Die Artist Placement Group (APG) existiert in etwa parallel mit John Lathams Zeitbasistheorie, von 1965 als dem Gründungstermin der Gruppe wie der ersten Beschreibung eines Forschungsschwerpunktes zum Thema "Zeit", bis 1989 zur Umwandlung der APG in 0+1 (noughtplusone / Organisation & Imagination) und der Umschreibung des (in der Zeitbasistheorie) linearen Zeit-begriffs in einen dimensionalen.'
the_apg.htm
Kunst als sozialer Prozess
von Rolf Sachsse
Einige Thesen zur Theorie und Praxis von künstlerischer Arbeit im sozialen Kontext
aus: Kunstforum Band 27, 3/1978, Seite 100, DOKUMENTATION

Bonner Behörden entdecken "künstlerischen Sachverstand"
"Streitgespräch" zwischen Joseph Beuys und John Latham über ihre unterschiedlichen Methoden, das gemeinsame Anliegen, die Selbstbestimmung des Menschen zu verwirklichen, im Bonner Kunstverein am 13.1.1978 (Foto: Franz Fischer).
Der folgende Text ist ein persönliches Statement. Er reflektiert die Voraussetzungen, unter denen ich eine Tätigkeit als Künstler im sozialen Kontext für sinnvoll halte. Dabei geht es mir nicht um eine neue Form von sozialem Service, den ich als Künstler leiste, sondern um eine Erweiterung der für eine künstlerische Tätigkeit notwendigen Erkenntnisformen.
Die Hälfte der Kunst, die Hälfte eines jeden Kunstwerkes ist durch den Kontext bestimmt, in dem es produziert oder reproduziert wird. Seit mehr als 60 Jahren - nach den ready-mades von Marcel Duchamp - ist dieser Satz ein Topos jeder Kunstproduktion und, absolut gesehen, eine genauso leere Generalmetapher wie etwa: Kunst ist Kommunikation. Wie alle Generalmetaphern hat dieser Satz Möglichkeiten der Ableitung, der Realisation und Konsequenzen. Der Begriff Kontext selbst hat so viele Bedeutungsebenen wie Benutzer, einige sind wesentliche Bestandteile der Kunst und Kunstkritik zumindest der letzten 30 Jahre. Produktionsebene und Reproduktionsebene - also Kunst und Kunstkritik oder Öffentlichkeit - tangieren und überschneiden sich immer im Bereich des Kontextes; er liefert die Kriterien zur Beurteilung künstlerischer Tätigkeit, ist Tertium Comparationis.
Seit der konkreten Kunst ist der räumliche Kontext einer künstlerischen Arbeit notwendige Voraussetzung ihrer Existenz, in der Minimal Art alleiniges Konstituens eines Werkes. In der Conceptual Art ist der sprachliche Kontext eines Künstlers, einer Idee oder einer Realisation zentraler Aspekt der Entstehung einer Arbeit. Happening- und Performance-Künstler schaffen sich für ihre Arbeit einen räumlichzeitlich fixierten Kontext. Dieser Kontext, der immer auch Angelpunkt der Kritik an einer Arbeit und ihrem Resultat ist, wird als Bestandteil des entstehenden Werkes gedacht, ist also den Existenzbedingungen des jeweiligen Werkes, der jeweiligen Art unterworfen.
Die Betonung des Kontextes bei der Entstehung von Kunst oder künstlerischer Arbeit hat zu einer Reduzierung der an diese Arbeit verwendeten Mittel geführt. Nach Auslöschung semantischer, also auch inhaltlicher Bezüge wurden vor allem die formalen Mittel thematisiert, deren Kontext in jedem Fall als räumlicher gesehen wurde. Die so entstandenen künstlerischen Arbeiten haben einen Anspruch auf Überzeitlichkeit, die Kategorie Zeit als Kontext der Entstehung, Existenz und Erkenntnis wurde vernachlässigt. Die Formalisierung durch formale Reduktion, wie sie am weitesten in der Minimal Art und der Conceptual Art getrieben worden ist, läßt sich nur a-historisch legitimieren, etwa durch den Anspruch auf fundamentale Erkenntnis oder durch einen pragmatisch-didaktischen Überbau. Letztlich wird damit der Anspruch zeitlich unbegrenzter Haltbarkeit einer künstlerischen Idee oder eines Kunstwerkes im Bereich der bildenden Kunst manifestiert, wohingegen dieser Anspruch in vielen anderen Medien künstlerischer Tätigkeit - vor allem im Bereich derer, die durch elektronische Hilfsmittel veröffentlicht werden - aufgegeben worden ist.
Den zeitlichen Kontext künstlerischer Arbeit hat seit 1954 John Latham zum Zentrum seiner Tätigkeit und seines Denkens gemacht. Die Definition eines minimalen Zeitpunktes als Ereignis oder Ereignisstruktur und die Definition eines maximalen Zeitlaufes begründen eine Zeit-Basis-Theorie, die er 1975 in seinem Düsseldorfer Ausstellungskatalog ausführlich referiert und dokumentiert hat. Diese Theorie geht über den Anspruch einer individuellen Kosmologie hinaus, indem sie ein Strukturmodell künstlerischer Tätigkeit in einem zeitbezogenen, d.h. historischen Kontext darstellt. Dieser Kontext schließt sowohl den kurzen Rahmen der Produktion von Kunst - in welchem Medium oder welcher Gattung auch immer - wie auch den maximal kosmisch denkbaren Rahmen der Reproduktion von Kunst ein, und zwar auf einer Skala darstellbar.
Die Einbeziehung eines zeitlichen Kontextes in die Produktion und die Reproduktion von Kunst hat der gesamten Kunstproduktion der letzten Jahre wichtige Anstöße gegeben. Der Import verschiedener Medien in die Tätigkeit vormals rein bildnerisch arbeitender Künstler ist ein wichtiges Indiz dafür. Erst dieser zeitliche Kontext ermöglicht die Einbeziehung des Künstlers als Lebewesen selbst in seine eigene Produktion. Die bewußte Benutzung eines zeitlichen, also auch historischen Kontextes ermöglicht die Verwendung inhaltlicher Kategorien, sogar emotionaler Komponenten, überwindet somit die reine Formalisierung mit ihrem nachfolgenden Überbau.
Der Dualismus von Form und Inhalt, mit dem sich die Kunst seit der Ästhetik des Idealismus beschäftigen muß, ist ein Abbild der Trennung von Geist und Materie, wie sie seit der Renaissance in der Repräsentation begrifflicher Gegebenheiten durch Sprache manifestiert wurde. Die Überwindung dieser Trennung ist für viele Wissenschaftler, Philosophen und Künstler ein wichtiges Problem ihrer Arbeit, vo" allem nachdem durch die Erkentnisse der Physik in den letzten Jahrzehnten gerade der Begriff der Materie weitgehend problematisiert wurde. Strukturmodelle sich gegenseitig aufhebender Energien ersetzen überkommene Vorstellungen fester Körper. Zeitliche Abhängigkeiten spielen auch hier eine wesentliche Rolle.
Die Einbeziehung eines zeitlichen Kontextes in die Produktion von Kunst impliziert nicht nur ein diachronisches Zeitverständnis, d.h. die Empfindung von Zeit als irreversible, durch lineare Kommunikationsmodelle dargestellte Struktur, sondern auch einen historischen Kontext in der Arbeit des Künstlers selbst. Dieser vermittelt sich z.B. durch das Bewußtsein der Gleichzeitigkeit bestimmter zeitlicher Vorgänge, die sich vor allem im sozialen Umfeld des Kunstproduzenten ereignen. Der soziale Kontext jedweder Kunstproduktion und -reproduktion wird also nicht durch den Anspruch von Überzeitlichkeit ausgeklammert, sondern durch die bewußte Verwendung eines zeitlichen Kontextes in diese Produktion integriert. Dies läuft nicht notwendigerweise auf ein politisches Engagement hinaus, da zumindest in parteipolitischen Zusammenhängen der soziale Kontext einer künstlerischen Tätigkeit unüberschaubar, nicht mehr beeinflussbar werden kann. Der zeitliche Rahmen aktiver politischer Arbeit muß außerdem nicht mit dem zeitlichen Kontext der künstlerischen Tätigkeit übereinstimmen.
Die Arbeit an der Zeit-Basis-Theorie führte John Latham 1966 zur Idee einer Künstlergruppe, deren Mitglieder zeitlich begrenzt in vorher festgelegten sozialen Kontexten arbeiten. Die oben angedeuteten theoretischen Überlegungen mündeten in pragmatisches System zeitlich begrenzter Integration künstlerischer Tätigkeit in kleinere und größere soziale Zusammenhänge. Die Zusammensetzung dieser Künstlergruppe ist ebenso zeitabhängig wie die jeweilige Zusammenarbeit einzelner Künstler mit den Organisationen, die den sozialen Kontext der einzelnen Tätigkeiten herstellen. Zentrum dieser ,Artist Placement Group' (APG, dt.: Künster-Anstellungs-Gruppe) ist ein Büro, das die Kontakte der einzelnen beteiligten Künstler zu den Organisationen herstellt, in deren Kontext die jeweilige Tätigkeit stattfinden soll (host organisations, dt.: Trägerorganisationen). Nach mehreren Jahren der Zusammenarbeit mit großen Industriefirmen hat sich die Zielrichtung der APG auf die temporäre Mitarbeit in sozial administrativen Institutionen verändert. Dies können Regierungsstellen sein, oder aber kommunale und Landesbehörden, auch gemeinnützige Verbände und öffentlich-rechtlich strukturierte Institutionen.
Für die temporäre Arbeit in diesen Institutionen hat die APG ein mehrstufiges Programm entwickelt: zuerst stellt das Büro der APG einen Kontakt zwischen einem Künstler und einer Behörde her, die die Trägerschaft eines solchen Projektes übernehmen möchte. Die Verhandlungen zwischen dem Künstler und der Trägerorganisation legen die Bedingungen fest, unter denen der Künstler an einer bestimmten Stelle innerhalb der Administration oder im verwalteten Problembereich für mehrere Wochen arbeiten und leben kann. In dieser Phase wird kein konkretes Projekt oder Programm vorgegeben, der Künstler ist für eine kurze Zeit eine ,Zugehörige Person' (incidental person), er nimmt als Außenstehender an allen Vorgängen im entsprechenden Bereich teil, ist aber nicht durch Intentionen oder Kompetenzen gebunden. Am Ende dieser Tätigkeit steht eine ,Durchführbarkeitsstudie' (feasibility study), die der Künstler der Trägerorganisation vorlegt, und in der von ihm Vorschläge für ein Projekt von sechs oder zwölf Monaten Dauer gemacht werden. Nach einer entsprechenden Beschlußfassung der Trägerorganisation wird das Projekt vom Künstler in eigener Verantwortung durchgeführt.
Die Tätigkeit als ,zugehörige Person' stellt an den Künstler einige Anforderungen, deren Begründung in einem Konzept zeitlich abhängiger Künstlerarbeit steckt: zum einen eine Phase der Auseinandersetzung mit Mitgliedern der APG, um zu einem Konsens zu kommen, wie eine solche Arbeit zu leisten sei. Diese Phase enthält keinerlei Projektrahmen, keine konkreten Ideen zur Realisation. Zum anderen bedingt eine Arbeit im Bewußtsein zeitlicher Abhängigkeit eine Unabhängigkeit von der Herstellung einer künstlerischen Produktion, d.h. auch die Dokumentation von Aktionen und Arbeiten ist in ihrer Abhängigkeit vom sozialen Kontext der Tätigkeit nicht unbedingt veröffentlichbar. In jedem Fall hat die Ebene der Dokumentation nur eine nachrangige Bedeutung.
Die Arbeit als .zugehörige Person' impliziert ein verändertes Selbstverständnis des Künstlers in Bezug auf seine Produktion. Er muß theoretisch wie praktisch die Möglichkeit haben, sich zumindest teilweise mit einer Produktionsform zu identifizieren, deren Produkte nicht als Realisate übrigbleiben, deren Produkt aber vielleicht eine Änderung bei ihm oder anderen Menschen innerhalb eines gegebenen sozialen Kontextes ist. Es ist zumindest schwer denkbar, ausschließlich in dieser Art künstlerischer Tätigkeit zu arbeiten, sie vermittelt aber dem beteiligten Künstler einen radikalen Aspekt des zeitlichen Kontextes seiner ganzen Produktion.
Die Entwicklung eines pragmatischen Programms zeitlich fixierter künstlerischer Tätigkeit in einem bestimmten sozialen Kontext bedeutet nicht, daß innerhalb dieses Praxisrahmens eine theoretische Auseinandersetzung über die verschiedenen Implikationen dieses Programms geführt werden muß. Dies bedingt einen ständigen Informationsaustausch zwischen den Künstlern, die an APG-Programmen mitarbeiten. Zur Vereinfachung dieses Informationsaustausches sind programmierte Informationseinheiten vorgesehen, die mittels eines Telex-Systems o.a. zwischen den weiter voneinander entfernten Wohnorten dieser Künstler vermittelt werden können, öffentliche und nicht-öffentliche Diskussionen zwischen beteiligten und interessierten Künstlern finden in unregelmäßigen Abständen statt. Diese Diskussionen sollen vor allem den Theorierahmen zu klären versuchen, in dem praktische Arbeit im sozialen Kontext zu leisten ist. Dazu gehört vor allem eine breit angelegte Ideologiediskussion, die die möglichen und realen Rollen des Künstlers in bestehenden Gesellschaften analysiert. Im Moment, da die APG gerade den nationalen Rahmen Großbritanniens verläßt und sich über Westeuropa verbreitet, ist eine solche Diskussion ohne sofortige Umsetzung in Projekten besonders wichtig. Als Ergebnis dieser Diskussionen werden allgemeine Vorschläge an Regierungen, die EG-Kommission und andere administrative Institutionen gemacht, die neue Kontakte des APG-Büros ermöglichen.
Der pragmatische Rahmen der APG erlaubt dem Künstler, bei seiner Arbeit als »zugehörige Person' ohne den Import wissenschaftlicher oder philosophischer Methoden projektartige Tätigkeiten durchzuführen, die ihn in einen sozialen Kontext stellen, in den er ohne diesen Rahmen kaum hätte kommen können. Er ist damit nicht an die Legitimationsmechanismen gebunden, die ihm im Umfeld sachkompetenter Kritiker beider Seiten die Entwicklung radikal neuer Arbeitsweisen erschweren. Voraussetzung ist dabei allerdings die Aufgabe eines Denkens in Kategorien von Effizienz und Sachbezügen. Eine theoretische Überdenkung des Kontextes der eigenen künstlerischen Produktion ist dafür eine notwendige Grundlage.
Bonner Behörden entdecken "künstlerischen Sachverstand"
Erste Auswirkungen der Initiative des Bonner Kunstvereins
ANNELIE POHLEN
aus Kunstforum Band 27, 3/1978, Seite 117

Interdisziplinäres Gespräch des Bonner Kunstvereins am 17.2.1978, an dem neben Vertretern Bonner Ministerien und der Stadt Bonn 10 deutsche Künstler und 4 Künstler der englischen Artist Placement Group teilgenommen hohen (Foto: Stefan Gräf).

John Latham (APG) mit Oberregierungsrat Peter Glass (Innenministerium), (von rechts nach links) (Foto: Stefan Graf).
So umwälzend neu, wie es anfangs schien, war das Ganze dann doch wieder nicht. Schon 1976 hatte die Bundesregierung - wohl ahnend, daß sie ihr Verhältnis zur Kunstszene zu überprüfen habe - einen Maßnahmenkatalog vorgelegt, welcher u.a. - man lese und staune - festhielt:
"Der Sachverstand des Künstlers wird von der Gesellschaft traditionell nur in einem verhältnismäßig eng begrenzten Bereich eingesetzt. Dies erscheint in einer Zeit, die durch ein Streben nach Humanisierung aller Lebensbereiche gekennzeichnet ist, nicht mehr überzeugend. Die öffentliche Hand macht noch zu wenig Gebrauch von den Möglichkeiten, Kunst und Politik oder Kunst und gesellschaftlich relevante Fragen in enge Wechselbeziehungen zu bringen. Im Interesse einer möglichst umfassenden Nutzung der kreativen Fähigkeiten des Künstlers erscheint es lohnend, die bisherigen Grenzen künstlerischer Tätigkeiten grundsätzlich zu überprüfen."1
Was dies letztlich heißen sollte, war indes nicht allen angesprochenen Vertretern der öffentlichen Hand auf Anhieb klar. Immerhin .bereicherten' das Ministerium des Inneren wie das für Jugend, Familie und Gesundheit ihren Etat im darauffolgenden Jahr um einen Fond mit dem weitausholenden Titel "Nutzung des künstlerischen Sachverstandes bei der Erfüllung von Ressortaufgaben". Die Tatsache allein, daß man seitens höchster Regierungsstellen Künstlern .Sachverstand' zubilligte, verdient besonderer Erwähnung. Seine Nutzung schuf indes Probleme. Ministerialrat Dr. Hartmut Vogel, mit Künstlerfragen im Innenministerium betraut:
" Zunächst ergaben sich gewisse Schwierigkeiten, über die bisherigen Bereiche der Einbeziehung von Künstlern in Ressortarbeiten hinauszukommen. Wir haben darum die Gelder auch dafür verwandt, Wettbewerbe auszuschreiben, insbesondere auch für jüngere Künstler, die bestimmte Ressortaufgaben für die Öffentlichkeit wirksam darstellen sollten. Beispiele sind ein Plakat für die Verleihung des Deutschen Filmpreises, ein Plakat für den Denkmalschutz und ähnliches."2
Ähnliche Verlegenheit im Familienministerium. Ministerialdirektor Dr. Reinhard Wilke:
"Als wir über die Frage der Einsetzung dieses künstlerischen Sachverstandes redeten, wurde dann sehr pauschal gesagt: Dann werden wir das im Rahmen des internationalen Jahres des Kindes einsetzen. Dabei herrschten aber zunächst noch Vorstellungen von traditioneller Art wie Künstler für ein Plakat heranzuziehen oder Ausgestaltung von Ausstellungen."
Eine Initiative des Bonner Kunstvereins half dann aus der Interpretationslücke heraus. ,Soziale Strategie' lautete hier der künstlerische ,Schlachtruf', der sich in verschiedenen Aktivitäten konkretisierte. Den Anfang machte der in künstlerischen Wortgefechten geübte Joseph Beuys mit dem Thema ,Erweiterter Kunstbegriff' und der daraus folgenden gesellschaftlichen Relevanz der ,Freien Hochschule für Kreativität und Interdisziplinäre Forschung'. Zur nachfolgenden Ausstellung der Artist Placement Group bat man neben den Künstlern maßgebliche Repräsentanten der Verwaltung an den Tisch zum Thema ,Kunst als soziale Strategie'. Dem hörbaren Begeisterungsrausch der Verwaltungsfachleute wollten die anwesenden deutschen Künstler auf den Grund. Sie warfen den Politikern und Beamten Lippenbekenntnisse vor. Die Angegriffenen wiederum scheuten nicht die Replique und unterstellten den deutschen Künstlern gleich in generale mangelnde Kooperationsbereitschaft im Sinne einer 'sozialen Strategie' nach englischem Muster. Lumpen lassen wollte sich am Ende keine Seite und so kam es unter den Hebammenkünsten des Kunstvereins, der den eingeschlagenen Weg keinesfalls verlassen wollte, zu ersten Kontakten zwischen Ministerialen und Künstlern. Vogel, neben dem parlamentarischen Staatssekretär Gerhart R. Baum einer der Teilnehmer aus dem Innenministerium an der bewußten Diskussion,3 unterstreicht, daß er dort "sehr wertvolle Anregungen für eine Weiterentwicklung unserer neuen Haushaltsmittel gewonnen" habe.
Entschiedener noch äußerte sich Wilke in diesem Sinne:
"Die eigentliche Wende, die Befruchtung kam in der Tat durch APG. Daraufhin habe ich mich dann entschlossen, deutsche Künstler, zehn an der Zahl, einzuladen, um mit ihnen zunächst einmal zu besprechen, wie nach ihrer Vorstellung Künstler an Aktivitäten teilnehmen könnten, bzw. die Probleme, die im internationalen Jahr des Kindes zum Ausdruck gebracht werden sollen, von ihnen in Angriff genommen werden könnten."
Nicht alle derzeit mit Künstler-"Engagements" befaßten Behörden leiten ihre Initiativen derart direkt vom .Gastspiel' der englischen Künstlergruppe ab. Für den Kulturreferenten im Bonner Kulturamt, Hans-Jürgen Nagel, selbst Eleve der musischen Künste, ist der Einsatz von Künstlern der verschiedenen Sparten eine geläufige Erfahrung:
"Zunächst darf ich sagen, daß wir seit etwa sechs Jahren auch institutionell versuchen, Künstler in die Verwaltungsarbeit - so kann man fast sagen - miteinzubeziehen. Wir haben einen Komponisten mit der Leitung des Kulturforums beauftragt und Anfang der siebziger Jahre ein Kinderforum geschaffen, daß die Idee verfolgte, vor allem Kinder in Kontakt mit Künstlern zu bringen. Das Kulturforum ist praktischeine Fortsetzung dieser Arbeit, hier mehr orientiert an der Zusammenarbeit mit Jugendlichen. "
Auch im Bildungs- und Wissenschaftsministerium gilt die Einbeziehung von Künstlern in gesellschaftsbezogene Problemfelder an sich kaum mehr als Neuheit. Staatssekretär Prof. Reimut Jochimsen:
"Ich darf darauf verweisen, daß wir bereits seit vielen Jahren im Rahmen unserer Modellversuchspolitik zur Begleitung und Vorbereitung der Bildungsplanung solche Initiativen laufen haben. Ich nenne hier unser Programm ,Künstler und Schüler', wo wir in der Akademie Remscheid darstellende Künstler ausgebildet haben, als Schauspieler, als Theatermacher in Schulen, vor allem in Hauptschulen zu gehen, um den Lehrplan zu bereichern, um die Kinder in Gruppen zusammenzuführen und von daher Lehrplanelemente zu entwickeln, die übertragbar sind auf andere Schulen und Schulformen, um den Lehrstoff, der gerade in den Hauptschulen stark verkümmert und sich sehr auf inhaltlich-kognitive fragen richtet, auch zu ergänzen um die Dimension des Darstellens, der Steigerung der Sprache und Ausdrucksfähigkeit, des Rollenspiels. "
Das Projekt der Zusatzbildung von Künstlern zur Vermittlung pädagogischer Qualifikationen für die Arbeit mit Haupt- und Berufsschülern, Lehrlingen und Erwachsenen liegt nun in der Tat, wie auch Jochimsen zugestand "außerhalb der Fragestellung der Nutzung künstlerischen Sachverstandes für Regierungs- und Verwaltungsaufgaben", sei "aber in diesem Zusammenhang zu sehen, weil wiederum das innovative Element für die Lehrplanentwicklung und die Lehrmethoden mit im Vordergrund steht, es also nicht einfach um die Frage geht, wie kann man Künstlern eine Arbeitsmöglichkeit an den Schulen verschaffen, sondern wie können wir hier die Methoden, die Didaktik, die Curricula entsprechend bereichern."
Wie verschieden auch immer die Ausgangssituation gewesen sein mag, die Initiativen des Bonner Kunstvereins haben den langsam rollenden Stein erheblich beschleunigt. Der öffentlichen Diskussion APG-Politiker folgte ein Streitgespräch zwischen Beuys und Latham über differenzierte Ansätze in der ,sozialen Strategie'. Idealismus gegen Pragmatismus!? Eine interne Diskussion zwischen Ministerial- und Kommunalvertretern, deutschen Künstlern und abermals Vertretern von APG brachte dann im ,Plenum' wie zuvor in kleineren Kreisen den Startschuß für eine konkrete Zusammenarbeit. Seitens der Verwaltung wurden Problemfelder vorgeschlagen, auf welche Künstler reagierten oder auch nicht, was diese nun selbst wieder zu eigenen Vorschlägen motivierte. Jochimsen, dessen Vorschlag für's erste wenig Gegenliebe fand, unterstreicht gleichwohl, daß für ,seinen Fall' im künstlerischen Vorschlag die einzige Lösungsmöglichkeit zu finden sei, da die Verwaltung "an administrativen Maßnahmen so ziemlich alles gemacht hat, was erforderlich und möglich ist."
Gedacht war an das mangelnde Interesse deutscher Studenten an einem Auslands Studienaufenthalt. Mehr als ein wenig ausgearbeiteter Vorschlag ist nun auch nach Monaten im Ministerium nicht eingegangen. Von Künstlerseite verwies man derweil auf die völlig verfahrene Ausbildungssituation an deutschen Kunstakademien als Problemfeld, was man von Ministerialer Seite flexibel aufgriff. Seitens des Innenministeriums wurde das Problem der Durchgangslager für ,Aussiedler und Zugewanderte' zur Disposition gestellt, woran denn gleich zwei Künstler Gefallen fanden. Das Familienministerium erreichte - wenngleich zögernden - Anklang mit dem schon erwähnten "Jahr des Kindes", welches dem anfänglichen Altenproblem aus gegebenem aktuellem Anlaß vorgezogen wurde. Seitens des Kulturamtes packte man die Anstöße von APG am Schöpf und initiierte mit den anwesenden Gruppenmitgliedern alsbald ein Projekt zum Thema Stadtteilarbeit.
Daß all diese Aktivitäten nicht ohne Bedenken in verwaltungsinternen Kreisen aufgenommen wurden, selbst dort nicht, wo man sich in etwa an Zusammenarbeit mit Künstlern gewöhnt hatte, mag man ihnen nicht verdenken. Waren doch frühere Projekte entweder deutlicher an immanent künstlerischen bzw. kunsterzieherischen Zielsetzungen ausgerichtet und auch enger im direktiven sowie kontrollierenden Netz der Verwaltung eingeschnürt. Im Innenministerium tauchte nach den ersten Aussprachen mit den Künstlern "bei den notwendigen hausinternen Abstimmungen die Frage auf, ob hier nicht möglicherweise die Künstler nur als Sozialarbeiter eingesetzt werden sollten, und ob es wirklich Aufgabe des Innenministeriums sei, Künstler bei dieser Ressortaufgabe heranzuziehen." (Vogel)
Leichter gestaltet sich die Zusammenarbeit für Nagel im Kulturamt. Die Fragen, ob hier Künstler nicht fälschlicherweise als Sozialarbeiter vermarktet werden, "sind für uns nicht besonders relevant; denn wir richten uns mehr nach Zielgruppenarbeiten und nach Projekten. Man muß ja folgendes sehen: Es gibt die traditionellen Kulturinstitute - Theater, Museen und ähnliches. Alles, was außerhalb davon geschieht, orientiert sich ja in gewissem Sinne an Möglichkeiten von kulturpolitischen Gesichtspunkten, d.h. wie kann man heute den Bürger, ohne daß er mit Schwellenangst in diese Institute hineingeht oder nicht hineingeht, kulturell ansprechen. Und das zweite ist, wie kann man den Bürger außerhalb der Institute stärker aktivieren. Darin liegt ja eine sehr starke soziale Dimension. Insofern haben wir ja nicht zwischen Künstlern, die - ich will nicht sagen unsozial - diese Zielsetzung nicht so speziell verfolgen, und Künstlern, die speziell auf der Sozialstrategie arbeiten, zu unterscheiden. Ich finde, daß zunächst die künstlerische Leistung im Vordergrund steht, völlig autonom, und daß von dort aus abgeleitet wird, was man sozial - was auch immer das heißen mag - fruchtbar machen kann."
Die Entschiedenheit, mit der hier der Primat künstlerischer Aktivität herausgehoben wurde, führte dann auch in den anderen Institutionen zu der Erkenntnis, daß die Gleichung Künstler = Sozialarbeiter im letzten nicht zu ziehen sei. Man führte in der Regel gegen die Bedenken den schon in dem Regierungspapier angesprochenen, .künstlerischen Sachverstand' ins Feld, wobei man ihm inhaltlich einen speziellen Fähigkeitskatalog zuordnete. Vogel:
"Es ist mir gelungen, den Kollegen klar zu machen, daß es bei diesem Einsatz um mehr geht: Gefragt ist die besondere Sensibilität des Künstlers, seine Offenheit für gesellschaftliche Fragen und seine Bereitschaft, unbefangen und nicht mit der manchmal vielleicht betriebsblinden Brille der Verwaltungsbeamten an die Probleme heranzugehen."Jochimsen: "Weil die Erfahrungen in der Regierungs-, Verwaltungs- und Planungsarbeit Zeigen, wie wichtig und notwendig es ist, neben die fachlich und die politisch interessierten Mitwirkenden auch Aspekte zu setzen, die eine neue Sensibilisierung, neue Durchblicke ermöglichen können, so daß die festgefahrenen Muster der Zusammenarbeit befruchtet werden können."
Lediglich im Familienministerium dachte man daran, die Verwaltung nicht allzu sehr mit neuen Sehweisen zu überfordern und suchte - so Wilke - einen Kompromiß:
"Es war mir klar, daß ich die Idee nicht im ersten Anlauf voll verwirklichen konnte, sondern daß es auch notwendig sei, auch dem Haushaltsausschuß und der Leitung gegenüber, eine Art kulturelles Endprodukt zu haben, d.h., die Künstler dazu zu motivieren, sich mit den Fragen des internationalen Jahres des Kindes einzulassen, sich zu informieren, dann darüber nachzudenken, wie dieses auf eine künstlerische Art dokumentierbar gemacht werden kann, so daß man dann auch Anschauung hat."
Unterm Strich: Mitwirkung von Künstlern infolge einer gewissen Fachspezialistenfrustration, die die Einbeziehung des spontanen, nicht betriebsblinden kreativen Potentials als Ausweg aus Sackgassen immerhin für möglich hält.
Daß nun Probleme in dieser ungleichen Partnerschaft auch auf Künstlern lasten, liegt auf der Hand. Der wesenhaft je andere Verantwortungs- und Methodendruck dürfte hier an der Wurzel liegen. Des Künstlers Skepsis beruht nach Nagel darauf, " daß, in den Behörden die Arbeit der Leute, die dafür verantwortlich sind, als Verwalten aufgefaßt wird, d.h. das zu tun, was möglichst abgesichert ist, kein Risiko eingehen, möglichst nicht selbständig Verantwortung übernehmen. Nun, das System bringt zwangsläufig solche Entscheidungsmuster mit sich."
All dies steht ebenso zwangsläufig in krassem Gegensatz zum qualifizierten Künstler, für den das Risiko mit dem Ziel der Innovation ja nachgerade lebensnotwendig ist. Dazu Wilke:
"Wir können natürlich nicht sagen, das muß rauskommen. Das ist klar. Wir erwarten ja gerade, daß eine neue Sicht auch herauskommt."
Insgesamt jedenfalls erscheint der Gesamtapparat mit seiner arbeitsteiligen Entscheidungsmaschinerie dem zunächst nur sich selbst verantwortlichen Künstler nicht eben einladend. Jochimsen:
"Hier muß man den gezielten Dialog fordern, der zeigt, was künstlerischer Sachverstand bei der Erledigung von Verwaltungsarbeiten tatsächlich beitragen kann. Ich glaube, daß es für die Verwaltung das Allerwichtigste ist, daß sie den Kontakt findet mit jenen Künstlern, die qualifiziert etwas Neues beitragen können."
Ergänzend dazu Nagel:
"Es scheint doch in der gegenwärtigen Situation sehr notwendig zu sein, auch in den Behörden Mitarbeiter zu haben, die zunächst einmal bei den Künstlern ein gewisses Vertrauen erzeugen können; denn sobald der Kontakt einmal hergestellt ist und die Künstler sich verstanden fühlen, dann gibt es diesen Zwiespalt zwischen Künstlern und Bürokratie nicht mehr. Nur, hierzu gehört sogar eine vorrangige Bereitschaft der Behörden, Künstler nicht als ,Spinner' aufzufassen, sondern als Leute, die gerade in den heutigen Verhältnissen unter Umständen sehr fruchtbare Ideen einbringen."
Hier nun sitzt der Hase im Feld. Vertrauen in die Verwaltung läßt sich ja nur dann gewinnen, wenn die Künstler auf Verständnis stoßen. Verständnis setzt Kenntnis voraus. Und dies, so lehrt die Erfahrung, geht in der Regel nicht über ein traditionelles Kunstverständnis hinaus. Der hier in Frage kommende Künstler sieht nun aber sein künstlerisches Aufgabenfeld gerade nicht allein in der Herstellung eines fertigen Produktes; ihm geht es um die Initiierung eines Prozesses, an dessen Verlauf eine Vielzahl von Partnern spontan oder gezielt beteiligt sind: Humanisierung von Lebensbereichen durch aktive Sensibilisie-rung der diesem Lebensbereich zugehörigen Mitglieder, künstlerischer Anstoß zur kollektiven Kreativität. Daß man dies auf der Verwaltungsseite ahnte, beweist der zitierte Maßnahmenkatalog. Daß nun auch die Verwaltung ihrerseits auf Verständnis seitens der Künstler rechnet, ist wohl gleichermaßen legitim. So sagte Wilke:
"Ich glaube, daß die Künstler hier noch große Schwierigkeiten haben, auch auf die Verwaltung einzugehen, auf deren Denkweise. Ich meine jetzt nicht die bürokratische Denkweise, sondern die Verwaltung, die ja Politik ausführen muß und damit natürlich auch bestimmte Vorgaben geben muß. Was ich eigentlich meine, ist, daß man sich ungefähr über die Zielrichtung im gesellschaftspolitischen Sinne einig ist."
Immerhin, die ersten Schritte sind gemacht, Problemfelder sind zur Diskussion gestellt, die Künstler sind in die ersten Etappen der Ausarbeitung eingetreten. Deutliche Konturen lassen sich derzeit bei der Behandlung des Aussiedlerproblems erkennen.
"Bei unseren Gesprächen sind verschiedene Alternativen diskutiert worden, deren endgültige Verwirklichung derzeit noch offen ist, und die weiteren Abstimmungsgesprächen vorbehalten sein sollen: Der betreffende Künstler nimmt während seines ersten Aufenthaltes im Durchgangswohnheim an dem gesamten sich dort abspielenden Tagesablauf der Aussiedlerfamilie teil, d.h. er begleitet sie an ihren Arbeitsplatz, bei dem sie berufliche Fortbildung und Qualifikation erhalten; er nimmt an den Sprachkursen teil und organisiert vielleicht auch selber für die Freizeit Arbeitsgemeinschaften im Bereich Bildende Kunst, Werken, Video oder ähnlichem. Denkbar ist auch, daß der Künstler an den internen Gesprächen der Verwaltung, der Lehrkräfte sowie der dort tätigen Sozialarbeiter teilnimmt, um sich ein möglichst umfassendes Bild über alle dort gerade aktuellen Probleme der Aussiedler zu machen. Am Ende seiner Tätigkeit könnte eine Dokumentation stehen, in der er über seine Erfahrungen berichtet und zugleich Vorschläge macht, wie ein auf längere Zeit angelegter Einsatz aussehen sollte. Denkbar ist selbstverständlich auch, daß er Verbesserungsvorschläge für die Arbeitsweise in dem Wohnheim macht, die über den künstlerisch-kulturellen Bereich hin-ausreichen."4
Letzteres sollte allerdings im Rahmen der .sozialen Strategie' auch wünschenswert sein. Nach dem derzeitigen Planungsstand soll im September ein erster vierwöchiger Einsatz erfolgen, an den sich dann im kommenden Jahr ein längerer Einsatz anschließen könnte.
Das Kulturamt hat inzwischen methodisch ähnliche Vorschläge vorliegen, ohne daß inhaltlich konkretisierbare Schritte vorgestellt werden könnten. Eine Stadtteilbesichtigung ist schon erfolgt:
"Es 'St das typische Beispiel der sogenannten Sattelitenstädte, also Stadtteile, die künstlich geschaffen wurden, ohne daß es dort Aktivitäten gibt, die zur Kommunikation führen. Hier gibt es natürlich sehr viele Ansatzpunkte, etwas zu unternehmen, damit zumindest punktuell Kommunikation gefördert werden kann."
Fotografiert wurde schon von allen Seiten. Für den Herbst planen die Künstler einen zwei- bis dreimonatigen Aufenthalt am Ort zwecks Herstellung einer ,feasibility study', welcher eine programmatische Künstlerstudie folgen soll als Fundament der eigentlichen Projektarbeit vor Ort, womit erst 1979 zu rechnen ist.
Im Familienministerium tut man sich ein wenig schwer. Zwei Stoßrichtungen sind erkennbar:
"An sich hätte ich die Künstler als eine Art Beratungsgremium haben wollen, in dem hätte gesagt werden können: Ihr solltet z.B. einen Film machen, z.B. eine künstlerische Aktion als einen gemeinsamen Vorschlag. Da Video-Künstler dabei waren, habe ich Vorschläge für einige Video-Filme bekommen, z.B. Märchen in der heutigen Wirklichkeit von Kindern, die Situation einer geschiedenen Frau mit einem Kind, die Bedeutung der Werbung für Kinder. Und nun geht es darum, dies ein bißchen aufeinander abzustimmen. Vielleicht bietet sich eine Möglichkeit, dies dann neben all den vielen anderen Beiträgen, die im Fernsehen für das Jahr des Kindes geplant sind, auszustrahlen. Dann haben sich einige Künstler bereit erklärt - und sind auch schon aktiv geworden -, in der Nationalen Kommission für das internationale Jahr des Kindes mitzuarbeiten. Diese Kommission hat Ausschüsse gebildet, wo nun auch die Künstler mitarbeiten, diskutieren und Vorschläge machen. Sie haben auch vor, wenn die Arbeit dort beendet ist, Vorschläge für Aktionen und Projekte künstlerischer Natur zu machen. "
Auch der im Wissenschaftsministerium vorliegende Vorschlag bedarf noch genauerer Absprachen.
"Es geht darum, daß Künstler sich in zunehmendem Maße vom Bild, von der Plastik als Darstellungsmittel entfernen und weitere Medien erschließen; daß auf der anderen Seite weder die pädagogisch-didaktische Ausbildung der Künstler an den Kunsthochschulen noch die Lehrerausbildung auf diese Entwicklung in der modernen Kunst nach meinem Eindruck genügend Rücksicht genommen hat. Hier kommt es darauf an, verschiedene Entwicklungseinrichtungen sich gegenseitig befruchten zu lassen, die man in der Erwachsenenbildung als Gruppenstrategie und Gruppenarbeit bezeichnet, die etwa unter der Überschrift Animation behandelt wird. Also wie kann man Menschen involvieren, engagieren, daß sie Umwelteindrücke in sensiblerem Maße aufnehmen, also sehen lernen, hören lernen, Dinge, die ja nun den Künstler auf das höchste interessieren, weil die Umsetzung für die Mitteilung über sein eigenes Produkt, seinen eigenen Prozeß dadurch erleichtert wird. Wie kann man dies in Verbindung bringen mit wenn man so will - Methoden der modernen Verhandlungsführung, der Gruppendynamik. D.h. auf einem hohen methodischen Niveau prüfen, systematisch untersuchen, wie die verschiedenen Methoden der Animation, der Erhöhung des Seh- und Sensibilisierungspotentials eingebaut werden können in Lehreinheiten, wobei das Schlüsselwort die Entwicklung neuer Seminarformen im Bereich Freie Kunst an künstlerischen Hochschulen' ist. Dies ist aber sozusagen die Kristallisation des ihemas. Wir möchten das gerne nutzen, weil die Künstlerin insofern bei uns offene Türen einläuft, als meine Mitarbeiter sagen: Ja, genau, wie können wir die Animation für die Freizeitgestaltung, wie können wir das Gespräch des Künstlers mit dem Publikum, die Verbesserung der Lehrerausbildung, die Nutzung visueller Darstellungsmöglichkeiten etc. einbeziehen?"
So wie hier auch bezüglich des Modellprojektes .Künstler und Schüler' ein entschiedenes Bekenntnis zur Nutzung des künstlerischen Potentials als übertragbarer Prozeß für gesellschaftliche Reformaufgaben:
"Wir hoffen, daß die Schulverwaltungen vor Ort und die Kollegien diese Chance ergreifen und weiterführen, also mit einer sehr stark multiplikativen Wirkung, damit man den Streßphänomenen und anderen Fragen entgegenwirken kann."
Die künstlerische Innovation im sozialen Feld gewinnt in der Tat erst in ihrer Ubertragbarkeit, was nichts mit Imitation gemein hat, ihr eigentlich kulturpolitisches Gewicht. In der Verknüpfung von innovativer Einzelaktion oder -Prozeß und allgemeiner gesellschaftlicher Relevanz bietet sich die große Chance für .Kunst als soziale Strategie'. Die ersten gemeinsamen Gehversuche von Künstlern und Politikern sind verständlicherweise äußerst tastend. Der Erfolg wird wesentlich von der Qualität der geplanten ,Werke', d.h., künstlerischen Prozesse abhängen, wozu zudem Sachverstand in sozialen Fragen auch Voraussetzung ist. Wie weit ist der Freiraum, den man Künstlern einzuräumen bereit ist? Wie groß ist der Wille, jenen fortschrittlichen Gedanken des Maßnahmenkatalogs jenseits des traditionell Gewohnten vollinhaltlich zu füllen. Daß ein Rahmen abgesteckt werden muß, wenn überhaupt ein Projekt gelingen kann, sei vorausgesetzt. Nur wird er kaum so engmaschig sein können, wie es in Verwaltungskreisen zumeist üblich ist. Risikobereitschaft und unbürokratisches Verhalten sind dringend geboten, will man nicht die Künstler von vornherein ins Boxhorn jagen. Beides wird dann wachsen, wenn sich die ersten Gehversuche als nützlich erweisen. Das zu beurteilen, wird man' wohl kaum den Haushaltsexperten überlassen können. Hier wäre ebenfalls begleitender Sachverstand von Nöten, sei dies nun ein externes Fachgremium, welches dem Kunstverein angegliedert sein könnte, sei dies - wie Nagel erwog - eine stärkere Einbeziehung von kunstverständigen Fachkräften in die mit Künstlern zusammenarbeitende Verwaltung. In allen Institutionen hat man für den Fall des Gelingens der ersten Anläufe ein breit gefächertes Angebot von Problemfeldern im Hinterkopf. Im Innenministerium erwähnte man schlag-wortartig den Umweltschutz und den Sport; im Wissenschaftsministerium die überbetrieblichen Ausbildungsstätten, um durch die Mitwirkung von Künstlern beim Umgang mit den Materialien zu zeigen, "wie sich eine produktorientierte Ausbildung durch künstlerische Einsichten und Durchsichten" ergänzen läßt. Zudem steht in den dort seit Jahren geförderten Modellversuchsprogrammen eine Vielzahl von Ansatzpunkten für die "Befruchtung durch künstlerische Impulse" offen. Im Kulturamt steht schon eine Video-Werkstatt mit Bürgern auf dem Programm. Im Familienministerium denkt man unter anderem an das vielschichtige Problem der Alten. Andere Institutionen könnten folgen. Immerhin bietet sich hier ein Weg für die viel diskutierte, bislang unerreichte Integration des Künstlers in die Gesellschaft, nicht etwa als Beschäftigungsstrategie, sondern als gesellschaftsrelevante Verantwortlichkeit. Sicher, die künstlerische Aktivität im sozialen Feld - dies lehrt die Beobachtung der aktuellen Kunstszene - ist auf den verlängerten Arm des Staates nicht angewiesen. Aber darum geht es auch nicht, wenigstens nicht allein. Was momentan zählt, ist die Chance, daß künstlerische Impulse in Modelle einfließen und damit richtungweisend werden können für gesellschaftliche Reformvorlagen der Exekutive. Diese Chance multiplikativer Wirkung sollte die Verständnisschwierigkeiten überwinden helfen. Daß zudem für die Dauer der Zusammenarbeit materielle Sicherheit in Form von Werkverträgen geboten wird, davon geht man in der Verwaltung aus. Der Startschuß ist gegeben, laufen müssen die Beteiligten selbst, und zwar alle.
Anmerkungen
1) Maßnahmenkatalog zur Verbesserung der beruflichen und sozialen Lage der Künstler und Publizisten. Juni 1976
2) Alle folgenden Zitate entstammen Interviews mit den folgenden Gesprächspartnern: Staatssekretär Prof. Dr. Reimut Jochimsen im Ministerium für Bildung und Wissenschaft, am 3.5.78, Kulturreferent der Stadt Bonn Hans-Jürgen Nagel am 5.5.78,
Ministerialrat Dr. Hartmut Vogel im Ministerium des Innern am 27.4.78,
Ministerialdirektor Dr. Reinhard Wilke im Ministerium für Jugend, Familie und Gesundheit am 9.5.78
3) An der Diskussion nahmen von der Verwaltungsseite teil: Jochimsen, Wilke, der Parlamentär. Staatssekretär im Innenministerium, Gerhart R. Baum, der Ministerialdirigent im Ministierum für wissenschaftliche Zusammenarbeit Dr. Uwe Lorenzen
4) Auf die Nennung der an den einzelnen Projekten beteiligten Künstler wurde angesichts des derzeitigen Entwicklungsstandes bewußt verzichtet.
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