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2.8 Typologie der Bilder

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Typologie der Bilder. Allemal gibt den Ausschlag, daß die Wahrnehmung von einer Übertragungs-Bewegung der Bilder nicht zu trennen ist, die ihr vorangegangen sein muß. Bewegung und Wahrnehmung sind deshalb durch ein erstes Intervall getrennt. In der Wahrnehmung empfängt sich etwas, ohne daß dem Empfangenen etwas hinzugefügt würde, doch teilt es sich hier, verteilt sich und läuft in jene Sensomotorik des Körpers zurück, die auf die ihn umgebenden Bilder zurückwirkt. Nur als Aufschub, als Temporalisation kann sich ein Wahrnehmungsbild herstellen; und um so weniger ist es vom Bewegungs-Bild zu trennen. Nur deshalb kann sich an der Kamera eine Emanzipation vollziehen, die sie aus jeder Illusion einer "natürlichen" Verankerung losreißt und etwa, wie bei Vertov, zum "Kino-Auge" macht: "Bei Vertov ist das Bewegungsintervall die Wahrnehmung, ein Blick, das Auge. Nur daß es nicht das allzu unbewegliche Menschenauge, sondern das Auge der Kamera ist, das heißt ein Auge in der Materie, eine Perzeption, wie sie in der Materie vorkommt..." 22 Insofern stellt der Film keineswegs die technische Entfremdung einer "natürlichen" Wahrnehmung dar. Ganz im Gegenteil, er bringt eine neue Wirklichkeit hervor, indem er die Bewegungs-Bilder eines Materie-Auges aufzeichnet – und zwar gerade dort, wo er mit der Illusion des "allzu unbeweglichen Menschenauges" bricht, wie Deleuze erklärt. Deshalb setzt hier das zweite Moment einer Analytik der Bilder ein: das Intervall, das die Bewegungs-Bilder voneinander trennt, sie durchquert, teilt und als Verteilung ermöglicht. Es ist jene Differenz von Bildarten, die gemeinsam mit den Zeichen erscheinen, aus denen sie sich zusammensetzen werden, wie Deleuze sagt – auch eine Taxonomie der Bilder also verlangt nach Zeichenbegriffen. Aber anders als eine Semiologie, die sich um die Idealität eines "transzendentalen Signifikats" gruppiert, werden sich diese Zeichen nicht mehr einer Materie einprägen, um sie sich als metaphorischen Signifikanten zum Transport einer "narrativen" Bedeutung dienstbar zu machen. Bild und Zeichen sind vielmehr von Anfang an miteinander verschränkt, verweisen unlösbar aufeinander. Denn überhaupt existiert eine Sprache "lediglich als Reaktion auf eine nicht-sprachliche Materie, die sie transformiert. Aus diesem Grund sind die Aussagen, ist die Erzählhandlung keine Gegebenheit der sichtbaren Bilder, sondern eine Konsequenz, die von dieser Reaktion herrührt" 23. Und dies eröffnet die Typologie der Bilder. Sofern der wahrgenommene Reiz nämlich zur Sensomotorik von Bewegungen durchgestellt wird, die auf den Reiz zurückwirken, hat er den Charakter einer Aktion angenommen, die sich im Aktionsbild manifestieren wird. Sofern die Wahrnehmung einen Eindruck hinterläßt, dessen Teilung alle Möglichkeiten einer Ver-Teilung überfordert und sie innehalten läßt, schlägt er sich im Affektbild nieder. Und sofern sich der Reiz zurückhält, schreibt er sich als Erinnerung nieder und trägt sich einer Sphäre ein, die als Erinnerungsbild, aber auch als Traumbild enge Beziehungen zum Virtuellen, unterhalten wird. Davon ausgehend läßt sich eine erste Taxonomie des Films entwerfen: das Bewegungs-Bild hat sich von Anfang an in eine Typologie von Bildern aufgespalten, die unablässigen Transformationen unterliegen. Aber keinen Moment hört es deshalb auf, Bewegungs-Bild zu sein.

Uploaded Image: pfeil.gif 2.9 Intervall, Wahrnehmung, Aktion, Affekt

  22 Deleuze I, S.63.

23 Deleuze II, S.47.






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