Referate Thesenpapiere visuals bilder kontexte
Hanna Yildirim
Referat
Vom Wandbild zum Tafelbild zum Bildobjekt zum Konzept
Ich versuche einen Abriss der Geschichte des Bildes, beginnend mit den Höhlenmalereien der Steinzeit, und ich arbeite mich erst einmal vor bis zur Renaissance, der Umbruchszeit was die Bildfunktion betrifft: Das Ende des Anfangs sozusagen, der erste "pictorial turn". Danach begeben wir uns durch die Jahrhunderte der Kunstgeschichte zu einem "2. pictorial turn": Der Beginn der der Konzeptkunst.
Höhlenmalerei
Zeit: 10 000 v. Chr
Form: Höhlenmalereien
Funktion: "Magische Bilder": Abbildung ist identisch mit dem realen Subjekt.
Motivation:"...den das Bild war Darstellung und Dargestelltes, Wunsch und Wunscherfüllung in einem. (...) Wenn der Paläolithiker ein Tier an den Felsen malte, so schaffte er ein wirkliches Tier herbei. (...) Der beste Beweis dafür, das diese Kunst bewusster- und vorsätzlicherweise eine magische und keine ästhetische Wirkung verfolgte, ist, dass die Tiere auf den Bildern oft von Speeren und Pfeilen durchbohrt dargestellt oder nach Fertigstellung der Werke mit solchen angeschossen wurden." (A. Hauser. S. 4-7 Sozialgeschichte der Kunst und Literatur. München 1953)
Menschen malten nicht das, was sie sahen, sondern, was sie fühlten. Vor den Bildern wurden Kulttaten von Schamanen ausgeführt.
Themen: Tiere (Jagdobjekte)
Ägypten
Zeit: 3000-1000 v. Chr.
Form: Fresken, Reliefs, Grabbilder
Funktion: Bild als Visualisierung vom Konzept des Jenseits. Bilder zur Repräsentation
Motivation: Die Menschen malten, was sie dachten: hinter den Grabkammerbildern stehen die Funktionen, die man ihnen für den Jenseitskult/glauben beigemessen hat. Abgebildet waren "helfende" Elemente wie die Tier-Götter, die ins Totenreich führen sollen. Sehen durften diese Grabbilder nur die Gefolgschaft, die mit dem verstorbenen Pharao in der Grabkammer eingemauert wurden.
Themen: Könige, Tiere (als Götter), Gegenstände, Personen aus dem Besitz des Pharao (die ins Totenreich mitgenommen werden sollten).
Antike
Zeit: 500 vor bis 500 nach Chr.
Form: Fresken, Reliefs, Grabbilder (Papyrus), später: Gegenstände /Stilleben, Landschaften
Funktion: Schmuck, Götterdarstellung, Raumerweiterung
Motivation: Menschen malten, was sie sahen: Sie begannen, motiviert durch die sophistische Geisteshaltung, genaue Studien der Proportionen und der Perspektive anzufertigen. "Der Grund ist wohl, dass die Kunst zur Zeit des Hellenismus ihre alte Verbindung mit Magie und Religion beinahe verloren hatte. Die Künstler interessierten sich für die Probleme ihres Handwerks um ihrer selbst willen, und die Aufgabe, einen solchen dramatischen Kampf in all seiner Bewegtheit, Spannung und Leidenschaft wiederzugeben, war es vielleicht gerade, was den Künstler lockte, der sein Können zur Schau stellen wollte." (E. H. Gombrich: Die Geschichte der Kunst. Phaidon 1996, S. 111)
Byzanz
Zeit: 500 bis 1300 nach Chr.
Formen: Kirchen-Altarbilder, Heiligenbilder, Bibeln
Funktion: Darstellung der christlichen Inhalte, Verehrung von Heiligen
Motivation: Mit der Spaltung von West- und Ostrom begannen sich 2 Strömungen zu entwickeln, eine Streitfrage über den Zweck kirchlicher Malerei entwickelte sich: ein freierer Umgang mit Bildinhalten in der weström. Kirche und ein festgelegte Umgangsweise in der oströmsichen Kirche; Ikonen entstanden. (Ikone: Physisch-göttliche "Verdichtung" von Materie.)
In Westrom: Disput über den Umgang mit Bildern mit Liberalisierungstendenzen: " Aber obwohl alle frommen Christen große, naturgetreue Standbilder (wie die der Heiden) ablehnten, gingen ihre Ideen über Malerei doch sehr auseinander. Manche sahen in ihr ein Mittel zum Zweck, denn gemalte Bilder konnten die Gemeinde an die Lehren erinnern, die sie empfangen hatte und ihr die Episoden der heiligen Geschichte einprägen. Papst Gregor der Große, der gegen Ende des sechsten Jahrhunderts lebte, schloss sich dieser Meinung an. Er erinnerte die Leute, die gegen jede Form von Malerei auftraten, daran, dass viele Mitglieder der Kirche weder lesen noch schreiben konnten und dass diese Bilder bei ihrer Unterweisung den gleichen Zweck erfüllten wie die Bilderbibel bei Unterricht von Kindern. >Was die Schrift für die bedeutet, die lesen können, das leistet das Bild für die, die es nicht können. sagte er." (Gombrich, S. 135)
In Ostrom entspannte sich auch eine Debatte: "Eine der Parteien in Byzanz war gegen alle Bildwerke religiöser Natur. Man nannte sie Ikonoklasten oder Bilderstürmer. Im Jahre 754 gewann diese Partei die Oberhand, und so wurde in der Ostkirche jedwede religiöse Kunst verboten. Aber auch ihre Gegner stimmten nicht mit Papst Gregor überein. Für sie waren Bilder nicht nur zweckdienlich, sie waren heilig. Die Argumente, mit denen sie diese Ansicht verteidigten, waren so subtil, wie die der Gegenpartei: >Wenn es Gottes gnädiger Ratschluss war, Sich sterblichen Augen in der Gestalt Christi auf Erden zu zeigen, warum sollte Er dann nicht auch willens sein, Sich in sichtbaren Bildern zu offenbaren? Wir glauben nicht, wie die Heiden, dass diese Bilder selbst das Göttliche darstellen. Auch verehren wir nicht die Bilder selbst, sondern wir verehren Gott und die Heiligen durch die Bilder." (Gombrich, S. 138)
Somit wurde in Ostrom dem Künstler nicht überlassen, wie er die Bildgegenstände darstellte, sondern er musste sich auf eine Darstellungsweise, die seit Jahrhunderten überliefert war, ausdrücken: Ikonen. Zusammengefasst: Es entwickelte sich in dieser Zeit ein drei-geteilter Umgang mit Bildern: Weströmisch, oströmisch, Ikonoklasten.
Insgesamt waren die Bildinhalte der christlichen Hermeneutik (Lehre der Auslegung/Deutung) untergeordnet.
Themen: Christliche Lehre, Heilige
Gotik
Zeit: 500 bis 1200 nach Chr.
Formen: Kirchen-Altarbilder, Buchseiten, Häresie
Funktion: Vereinigung der christlichen Lehrinhalte mit dem Geschmack der lokalen (keltischen) Gesellschaften, Repräsentation der Herrschenden
Motivation: nach wie vor galt die christliche Hermeneutik als bestimmende Kraft über das, was und wie es sich abbildet. Im Zuge der Verbreitung und den Versuchen der Verwurzelung des Christentums in Nord- und Westeuropa passieren Vermengungen mit geschmacklichen Ausprägungen der Bevölkerung, die Darstellungsweise wird modifiziert.
Themen: Christliche Lehre, Heilige, Herrscher
Renaissance (1. pictorial turn)
Zeit: 13. – 15.- Jahrhundert n. Chr.
Formen: 1. festes und transportables Tafelbild
Funktion: kirchliche und private Verehrung (Idolatrie)
Motivation: Die bestehende Autorität der christl. Herrschaft wurde zunächst "angereichert", später dann geschwächt durch gewisse weltliche Motivationen: Stifter wollten auf den Bildern auftauchen, somit wurde ein Bild Schenkungsurkunde. Tafelbilder wurden für die private Heiligenverehrung Adeliger als Auftragsarbeiten hergestellt.
Themen: Christl. Lehre, Stifter, Lieblingsheilige
2. Mischform: Ikone und Portrait; Portrait
Funktion: Portrait: Reklame für Heirat, Machtdarstellung, Geschenkartikel der Fürsten. Ikone/Heiligendarstellung: Idolatrie
Motivation: Stifter wollten mit ihren Lieblingsheiligen auf einem Bild zusammen erscheinen. Die bewirkte eine Revolution auf der Bildebene: Es werden 2 Realitäten auf einer Bildebene vereinigt., bzw. das Abbildende und das Sinnbildende werden auf einer Ebene gezeigt. "Erst van Eyck stellte den Dialog beider Figuren auf einer einzigen Tafel und an einem einzigen Ort dar, an dem sich beide gemeinsam zu befinden scheinen. Diese Entscheidung war nicht durch die religiöse Funktion des Doppelthemas vorgegeben. Sie war eine Entscheidung für einen einheitlichen Bildträger und eine rigorose Einheit der Darstellung. Damit stoßen wir auf eine Konzeption von Tafelmalerei, die erst in einem größeren Kontext ihren Sinn offenbart." (Hans Belting: Vom Altarbild zum modernen Tafelbild)
Technische Innovationen zur Verbesserung der Darstellungsweise: "Um seine Absicht, der Natur einen Spiegel vorzuhalten, vollends zu verwirklichen, musste J.v.E. die Technik der Malerei verbessern. Er wurde zum Erfindern der Ölmalerei." (Gombrich, S. 240)
Themen: Christl. Inhalte, Stifter (und sein Bildgesuch), Adelige, Lieblingsheilige, Ideale der höfischen Welt
3. Gemälde (quadro)
Funktion: Portrait, Sammlerbild
Motivation: Privatiers wollen sich und ihre Macht über Portraits darstellen. Mit großer Detail- und Erzählfreude wird per Fensterblick und unter Anwendung der Perspektive ein Einblick in einen andere Realität vermittelt. Der Maler signiert im Selbstverständnis eines wie ein Dichter denkenden Gelehrten. insges. Rückbesinnung auf antikes Selbstverständnis des bildenden Künstlers, Fokus auf das Diesseits.
Themen: Darstellung weltlicher Geldgeber, Landschaften, Interieur, Naturstudien
Was nach der Renaissance kam
Mit der Renaissance hallte sich also der erste "pictorial turn" vollzogen: Das Tafelbild war zum Gemälde (cuadro) geworden, der Maler bestimmte fortan mehr oder weniger Bildinhalte und Darstellungsweise.
Die Entwicklung des Bildes vollzieht sich bis zur Entstehung der Photographie/des Films innerhalb des Mediums "Gemälde", und zwar für ca. 500 Jahre. Folgende Fragestellungen/Motivationen werden in dieser Zeit mittels des Gemäldes verhandelt (meine –unvollständige- Auswahl):
Visionen
(Hironimus Bosch, 1503)
Bildidee
Zitieren, Modifizieren, Denkend Malen
(Nicholas Poussin 1638: "Et in Arcadia Ego")
Portrait (anstelle der heutige Fotos)
Machtdarstellung/Ausdruck von Selstbewusstsein: Franz Hals 1616:
Offiziere der Georgienschützen beim Mahl"
Machtdarstellung und "Unterminierung":
Velasquez 1656: "Las Meninas"
Darstellung geschichtlicher Ereignisse
Historienmalerei/Auftragsarbeiten:
Rembrandt 1642: "Die Nachtwache"
Aus eigener, aufklärerischer Motivation:
David 1793: "Der ermordete Marat"
Darstellung von Landschaft
als Träger von Gefühlen
und als Reise-Fotografie-Ersatz:
William Turner 1842
Zum Vergnügen und zur Belehrung/Karikatur
Vergnügen: Ein Boudoir-Bild:
Francois Boucher 1752: "Ruhendes Mädchen"
Karikatur:
Hogart 1793: "Hochzeit nach der Mode:
der Ehevertrag"
Kommunizieren von Ideologie
Malerei als politisches Pamphlet:
Delacroix 1830:
"Die Freiheit führt das Volk an"
Sozialkritik, sich selbst als Stil (Realismus)
benennen, Opposition zum Salon
Millet 1854: "Die Ährenleserinnen"
Entwicklung eigener Stile/Theorien,
Inspiration durch die Wissenschaft: Impressionismus:
Manet
Die Zeit des zweiten "pictorial turn": "Der Freitod der Malerei" (Peter Weibel")
Mit der Erfindung der Photographie mitte des 19. Jhd. und der Entwicklung des Films (seit 1895, seit 1908 Kinos) entstand eine Konkurrenz zum Gemälde, die "Themen-Bilder" verloren an Bedeutung.
Die Bildherstellung erfuhr 1888 durch die Entwicklung des Kodaksystems eine Emanzipierung, und mit der allgemeinen Industrialisierung ging eine Revolution der Bildverbreitung einher.
Die künstlerische Avantgarde suchte nach neuen "Formen der Erkenntnisfunktion des Bildes" (Funkkolleg: Herbert Molderings: Vom Tafelbild zur Objektkunst: Kritik der "reinen Malerei" , S. 259). Man suchte bei der primitiven Kunst, bei den Naturwissenschaften (Klee).
Der Kubismus entwickelte sich.
Die Kubisten wollten
die Realität malen, wie man sie kennt, und nicht, wie man sie sieht (dafür hatte man fortan ja die Fotografie).
dass das Bild eine Synthese aus Anschauung und Erinnerung sein sollte.
dass man mehrere Blickpunkte im Bild erkennen konnte.
dass sich die Umrisslinie auflöst.
dass sich daraus eine Abstraktion der wesentlichen Form ergibt.
dass die Betrachtung des Bildes ein aktiver, konstituierender Vorgang ist, somit das endgültige Bild im Bewusstsein des Betrachters entsteht.
Bei den Kubisten blieb weiterhin das "Darstellungsmittel selbst, das Tafelbild, unangetastet." (Molderings, S. 261)
Die Kubisten wollten, dass das Bild als Objekt empfunden werden sollte ("tableau-objets").
Duchamps, anfangs kubistischer Maler, kehrte diesen Grundsatz um:
Jedes Objekt kann als Bild begriffen werden. "Kann man Werke schaffen, die nicht Kunst sind?"
Duchamps entwickelte eine skeptizistische Haltung der Kunst gegenüber, er war von Naturwissenschaften inspiriert. Er versuchte eine wissenschaftliche Haltung und den Relativismus auf die Kunst zu übertragen, er entwickelte eine Parawissenschaft: Das Konzept.
Die Arbeiten von Duchamp sollten die Traditionen in Frage stellen, durch Verfremdung schockieren (Mona Lisa-Postkarte bekommt eine Schnurrbart und spielt somit auf das Androgyne der Figur an).
Er montierte beispielweise ein Rad auf eine Halterung, deren Aufbau eine Anmutung von einem physikalischen Experiment hatte. Für ihn wurde die Produktion des Kunstwerkes auf den Augenblick verschoben, was ihn später zu den Ready-mades brachte.
Das Bild war fortan nicht mehr zwingend an den Bildträger "Tafelbild" gebunden und man konnte seine Begriffe vom Bild erweitern, ihm neue Funktionen zuweisen.
Dieser kleine Exkurs durch 12000 Jahre Bildproduktion soll verschiedene Funktionen vom Bild zeigen hinsichtlich der aktuelleren Diskussion um die Begriffe "Bild" und "Visual".
Quellen:
A. Hauser:Sozialgeschichte der Kunst und Literatur. München 1953
E.H. Gombrich: Die Geschichte der Kunst. Phaidon 1996
Anna-Carola Krauße: Geschichte der Malerei von der Renaissance bis heute. Köln 1995
Funkkolleg Kunst: Hans Belting: Vom Altarbild zum modernen Tafelbild, Herbert Molderings: Vom Tafelbild zur Objektkunst
Peter Weibel: Von der Absolutierung der Farbe zur Selbstauflösung der Malerei
Dieselbe Version mitsamt kleiner Bildbeispiel ist als download unter: "referat_bildfunktion.doc" vorhanden.
referat_bildfunktion.doc
Link to this Page