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Anfänge der griechischen Stadt

Die bisherige Entwicklung mit ansässigen Bauern und wandernden Handwerkern konnte nicht zum Ausgangspunkt der griechischen Stadt werden. Aus der frühmittelalterlichen Geschichte wissen wir, dass damals sogar die Könige zwischen ihren Pfalzen umhergewandert sind, und dass die frühmittelalterlichen Städte meist an Verkehrsknotenpunkten entstanden, an Markt- und Handelsplätzen

Das griechische Wort „Polis“ bedeutete in ältester Zeit „Burg“ unter Einschluss der Siedlungen ringsum. Als ersten Ausgangspunkt der griechischen wie jeder Stadtentwicklung dürfen wir den militärischen Gesichtspunkt der Verteidigung annehmen.
Jericho, die älteste orientalische Stadt, die bis jetzt ausgegraben wurde, umgab eine drei Meter hohe und anderthalb Meter dicke Mauer. Die steinzeitliche Dorfsiedlung Banpo in China (bei Xi’an) aus dem 6. Jahrtausend v. Chr. war von einem zwei Meter breiten und zwei Meter tiefen Graben und einem Palisadenzaun geschützt. Und die Museumsbeschreibung am Ort behauptet, das habe dem Schutz „vor wilden Tieren“ gedient. Anscheinend ist es eine liebgewordene Vorstellung, die Marxisten wie Nichtmarxisten eint, dass in der Frühzeit der Menschheit eitel Friede und Sonnenschein geherrscht habe. Marx war dagegen der Ansicht, dass der Krieg älter war als der Friede: „In der wirklichen Geschichte spielen bekanntlich Eroberung, Unterjochung, Raubmord, kurz Gewalt die große Rolle. In der sanften politischen Ökonomie herrschte von jeher die Idylle.“ (K. Marx, Kapital I, MEW 23, S. 742.) Und: „Krieg (war) früher ausgebildet wie der Frieden.“ (K. Marx, Grundrisse, S. 29).

Natürlich treffen wir auch frühe Städte ohne Mauern an. Die Spartaner z.B. lebten in unbefestigten Siedlungen, ihre schützende „Mauer“ war ihre kriegerische Tüchtigkeit. Auch die minoische Kultur auf Kreta kam ohne Mauern aus. Ihr Schutz waren rund 300 Kilometer Meer im Umkreis zwischen sich und möglichen Feinden. Dazu besaßen die Minoer eine gefürchtete Flotte. Man kann annehmen, dass friedlichere Siedler eher Schutz hinter den Mauern einer Burg oder Stadt suchten, während kriegerische, wehrhafte Siedler wie die Spartaner darauf verzichten konnten.

Das ältere Epos des Homer, die Ilias kreist um die Belagerung und Eroberung der befestigten Stadt Troja und er unterscheidet dort schon zwischen "Burg" (Akropolis) und "Stadt" (Polis).
Insofern eine Burg zur Keimzelle einer griechischen Stadt wurde, scheiden Handelsgesichtspunkte weitgehend aus. Aber auch die militärischen Aspekte reichen nicht: Wenn eine Burg Schutz vor Feinden bieten soll, dann Schutz für was?

Ein altes chinesisches Sprichwort sagt: „Das Mönchlein kann davonlaufen, der Tempel nicht.“ Als die Perser zum erstenmal Athen bedrohten, wurde die Bevölkerung evakuiert. Der Schutz der Bevölkerung wird also bei der Anlage einer Burg eine Rolle, doch nicht die Hauptrolle gespielt haben. Die Burg war in frühgriechischer Zeit sowohl gemeinsamer Vorratsspeicher, wie Waffenlager wie Zuflucht für Mensch und Tier, aber daneben auch schon Versammlungsort derjenigen, die die gemeinschaftlichen Vorräte verwalteten und die politischen Entscheidungen trafen. Die ältesten und wichtigsten Gebäude waren nicht Wohnsitze eines einzelnen Mannes oder Geschlechtes, sondern Tagungs- und Versammlungsräume für die politischen Vertreter der umwohnenden Bauernbevölkerung. Die frühgriechischen Burgen waren keine mittelalterlichen Zwingburgen zur Niederhaltung der umwohnenden Bauern, sondern freiwillig und gemeinsam erbaute und erhaltene sowie gemeinsam im Interesse aller verwendete Nutzbauten wie vielleicht heutzutage eine öffentliche Straße.

Für religiöse Bedürfnisse waren mächtige Burgen nicht nötig. Die Griechen konnten an jedem Strand und auf jedem Steinaltar im Freien ihre Opfer bringen. Es war eher so, dass die Griechen religiöse Vorstellungen für ihre materielle Interessen nutzbar machten. Von Anfang an wurden griechische Tempelbauten in der Burg oder in einer Stadt nicht nur als heilige Bezirke genutzt, sondern auch als öffentliche Schatzhäuser. Die dort verehrten Götter waren gleichsam den Polis-Bürgern dienstbar, indem sie deren Staatsschatz bewachten. Einen größeren Frevel als Tempelraub kannten die Griechen nicht. Das verhinderte nicht, dass er in Zeiten der Krise allgemein üblich wurde. (vgl. Rostovtzeff, Hellenist. Welt S. 153.) Jede Strafgesetzbestimmung ist ein positiver Beweis, dass die verfolgte Tat häufig und gewöhnlich ist. Gegen Flugzeugangriffe auf Geschäftshochhäuser existieren keine eigenen Strafrechtsparagrafen.??Was das Wesen einer griechischen Stadt ausmachte, kann man bei Pausanias nachempfinden, der einer griechischen Kleinstadt, „wo kein Regierungsgebäude, kein Theater, kein Versammlungsplatz ist, wo kein Wasser in einen Brunnen läuft, sondern wo sie am Rande einer Schlucht in niedrigen Häusern beinahe wie in Berghütten wohnen“, den Anspruch „Stadt“ zu sein bestritt.
(zit. n. Finley, Antike; S. 144f.)
Von einem Marktplatz als notwendiger Teil einer Stadt sprach Pausanias nicht. Die frühe griechische Stadt war nicht Wirtschaftszentrum, sondern militärisches, politisches und kulturelles Dienstleistungszentrum für die „Chora“, das umliegende bäuerliche Land. „Wirtschaftszentrum“ blieb der familieneigene Bauernhof.

Sicher ist, dass der Nutzen der griechischen Städte ähnlich wie der Nutzen heutiger Straßen ungleich verteilt war. Sicher ist, dass es heftige und langwierige Auseinandersetzungen darüber gab, welche Leute wie lange herausragende Führungspositionen in der Stadt innehaben dürfen. Aber kein griechischer Aristokrat oder König, kein Tyrann konnte die Burg für seinen privaten Nutzen gebrauchen. Niemals war eine griechische Burg das Eigentum eines Einzelnen oder eines adeligen Geschlechts. Selbst wer langjährige Führungspositionen in Athen innehatte, der wohnte nicht in der Burg, der Akropolis, sondern in einem privaten Haus wie seine Mitbürger und jeder reiche Bürger hatte neben seiner Stadtwohnung noch seinen Landsitz. Wer in der Stadt wohnte, ohne einen Landsitz zu haben, war ein Fremder oder Sklave ohne Bürgerrecht.

Die Zeit der alten nomadischen und bäuerlichen Gleichheit der griechischen Wanderzeit lag nicht allzu lange zurück, und jede Neugründung einer Kolonistenstadt basierte wieder auf einem gemeinschaftlichen Beschluss aller Beteiligten und hielt so den Gedanken der Gleichheit und Gemeinsamkeit aller griechischen Bauernkrieger wach. Führerschaften, wie immer sie im Einzelnen verfasst waren, als Königtum, Tyrannis oder Adelsherrschaft, blieben der Akzeptanz des Stammes, der Allgemeinheit, unterworfen.

Der politische Kampf der kleinen und mittleren Bauern, gegen die aristokratischen Großgrundbesitzer war nur ein Kampf verfeindeter Familienmitglieder. Zum eigenen Stamm, zum eigenen Volk gehörten die aristokratischen Großbauern hinzu, wie die Familienväter zu ihren Familien gehörten. Es bestand ein Größenunterschied an Landbesitz und an Familie wie Gefolgschaft zwischen dem kleinen Bauern und dem aristokratischen Grundbesitzer, kein Wesensunterschied. Kleine und große Bauern standen ähnlich freund-feindlich zueinander wie heute das kleine und das große Kapital.??Wenn ein kleiner Bauer verarmte, zog zwar am Ende daraus der Großbauer den Vorteil, aber er hatte die Armut des Kleinbauern nicht herbeigeführt. Der selbständige Kleinbauer wird nicht von seinem Nachbarn, dem Großbauern „ausgebeutet“. Der kleine und der große Bauer arbeiteten nebeneinander, nicht gegeneinander. Dass kleine und große Grundbesitzer mehr einte als trennte, darüber hatten die Griechen selber ein klares Bewusstsein: „Die Landwirtschaft ist am besten, weil sie gerecht ist. Denn sie geht nicht auf Kosten der Menschen, ob die es nun wollen, wie im Handel und bei Lohnarbeit, oder ob sie es nicht wollen, wie im Krieg.“ (Pseudo-Aristoteles, Oikonomikos (1343a 25-b) zit. n. Finley, Antike; S. 142f)

Der Krieg und Lohnarbeit schaffen dagegen Verhältnisse, wo eine Seite gewinnt, was die andere verliert.??In den griechischen Städten nimmt die Agora, der Versammlungsplatz für politische Entscheidungen, religiöse Feste und sportliche Veranstaltungen von Anfang an einen zentralen Platz ein. Frühestens im achten oder siebten Jahrhundert wird dieser Versammlungsplatz auch als Verkaufsplatz, als Marktplatz, genutzt (Heichelheim I., S. 239). Die griechische Stadt ist nicht des Marktes wegen entstanden, vielmehr die Märkte wegen der Stadt.

Von Milet, der reichsten und einflussreichsten ionischen Stadt in Kleinasien, berichtete Plutarch, dass der Markt der Milesier zur Zeit des Todes von Thales um 550 v. Chr. noch ein schlechter, gering geachteter Ort außerhalb der Mauern war (Plutarch, Solon 12).??Die Mehrzahl der Handwerker blieb vom griechischen Bürgerrecht ausgeschlossen. Die Landwirtschaft, nicht die Stadt hatte das Handwerk geschaffen und das Handwerk existierte vor und ohne die Stadt. Aber das Stadtleben gab dem Handwerk mächtigen Auftrieb und machte es sesshaft.
Xenophon ging in einem längeren Abschnitt auf die Vorteile der Arbeitsteilung ein. Er findet dabei keinerlei Gegensatz zwischen Stadt und Land. Er findet in kleinen Gemeinden dasselbe Handwerk wie in der großen Stadt, aber dort vertieft sich nur die Arbeitsteilung wegen des größeren Kundenkreises: „Wenn also in kleinen Gemeinden ein und derselbe Handwerker ein Bett, eine Tür, einen Pflug und einen Tisch herstellt und oft auch noch Häuser baut, genügt ihm das, sofern er auf diese Weise genügend Kunden hat, um davon leben zu können. In den großen Städten reicht jedes Handwerk für den Lebensunterhalt eines einzelnen aus, weil viele Leute die einzelnen Gegenstände brauchen. Und oft ist es noch nicht einmal ein Handwerk in seinem vollem Umfang, sondern ein Mann verfertigt Männerschuhe, und ein anderer Schuhe für Frauen. Und in manchen Fällen werden Schuhe in der Weise hergestellt, dass ein Handwerker sich seinen Lebensunterhalt mit der Näharbeit verdient, ein anderer mit dem Zuschneiden, wieder ein anderer mit dem Zurechtmachen des Oberleders und ein vierter damit, dass er nur die Stücke zusammensetzt.“ (zit. n. Hopper, S. 121-122)

Das Handwerk schafft nicht die griechische Stadt, sondern es findet die Stadt vor und passt sich ihr an. Und auch das städtische Handwerk ist nicht auf Massenproduktion für einen anonymen Markt ausgerichtet, sondern für einen bekannten Kundenkreis.??Erfolg und Resultat der größeren Arbeitsteilung ist für Xenophon der bessere Gebrauchswert: „Notwendigerweise also muss deshalb der Handwerker, der seine Tätigkeit bei größter Arbeitsteilung ausübt, das Beste leisten.“ (zit. n. Hopper, S. 122).
Es kann daher keinen größeren Unterschied geben als zwischen dem antiken Ökonomen Xenophon, der an der Arbeitsteilung die höhere Qualität des Produkts lobt und einem Adam Smith, dem es als kapitalistischer Ökonom darum geht, „ob in einem Land das Warenangebot im Jahr über reichlich oder knapp ausfällt“ und der daher an der Produktionsmenge oder dem Warenwert interessiert ist und daran, „was die produktiven Kräfte der Arbeit verbessert“ . Er findet in der Arbeitsteilung das Geheimnis ständiger Produktionssteigerung. (Adam Smith, Der Wohlstand der Nationen, hrsg. v. H. C. Recktenwald, dtv 1978, S. 3ff.)

Die griechische Stadt brachte aber nicht nur den Handwerkern mehr Kunden, weil eine größere Zahl von Menschen dort zusammen lebten, sondern weil diese Menschen mit der Nähe und Größe des dortigen Marktes ihre Lebensgewohnheiten immer stärker umstellten: Sie hörten auf, lebensnotwendige Dinge und Lebensmittel im eigenen Haushalt herzustellen und versorgten sich zunehmend auf dem Markt. Man kaufte zunehmend Brot in Bäckereien, Gemüse, Wein und Öl und Obst, ebenso Hausgerät wie Keramik und Möbel. Nur die Bekleidung wurde meist noch von Frauen und Mägden im Haushalt hergestellt.

Es gab in der Geschichtswissenschaft einen unfruchtbaren Streit darüber, ob die griechische Stadt Produktionszentrum oder Konsumtionszentrum war. Sicherlich hat sie nicht als Produktions- oder Handelszentrum angefangen. Ich denke, die griechische Stadt begann als ein Dienstleistungszentrum für das Umland und blieb es auch.
Als Dienstleistungszentrum war die Polis von Beginn an auch ein Konsumtionszentrum, das sich quasi nebenbei erst zur Produktionsstätte entwickelte. Diese Dienstleistung der politischen und wirtschaftlichen Selbstverwaltung der Polis-Gemeinschaft hatte Aristoteles im Auge, als er seine Zeitgenossen als „zoon politikon“, als „Stadtwesen“ definierte. Damit war gerade nicht der moderne „Städter“ gemeint, der von der Landwirtschaft entfremdet ist, sondern wohlhabende griechische Bauern, die über und durch den städtischen Versammlungsort ihre landwirtschaftliche Produktion sicherten, unterstützen und vor allem die Früchte ihrer Landwirtschaft dort genossen. ?Die Definition des Menschen als „Stadtwesen“ ist meilenweit entfernt den Vorstellungen der industriellen Revolution als Benjamin Franklin, den Mensch als ein „Werkzeugmacher“ definierte.

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