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Ägypten: Kunst, Glauben, Götter und mehr...

Kunst


Beeindruckend sind immer wieder die wunderschönen Zeichnungen an Grabwänden, die Reliefs in den schönsten Farben und nicht zu vergessen die wunderbaren Statuen, die die Jahrtausende scheinbar mühelos überstanden haben. Die Kunst im alten Ägypten war eine Wissenschaft für sich. Leider sind kaum Namen der Künstler überliefert worden. Dies liegt wohl auch daran, dass der Auftrag einer Abbildung oder einer Statue genau vorgegeben war und der Bildhauer oder Maler sich nicht selbst einbringen konnte. Kreativität war hier überhaupt nicht gefragt.
Die Gebote der graphischen Darstellung. Während die Relieftechnik wahrscheinlich kurz vor der Reichseinigung in der Vorgeschichte entstand, gab es die Malerei schon früher. Das versenkte Relief taucht seit der 4. Dynastie auf.
Man merkt es eigentlich kaum, aber die Zeichnungen und Abbildungen aller Relieffiguren folgen einem starren Raster. Personen wurden nach genau definierten Regeln dargestellt, eine Abweichung war kaum denkbar. Nur die Einhalting dieser Vorgaben garantierte, dass die Person "echt" war. Besonders bei Darstellungen von Pharaonen musste sich strikt an diese Regeln gehalten werden.
Ziel der Ägypter war nicht die naturgetreue Darstellung einer Person, sondern das, wofür sie steht, was sie verkörpern soll. Deutlich wird dies z. B. an den stets makellos dargestellten göttlichen Pharaonen - denn Götter sind nunmal perfekt und haben keine Schönheitsfehler. So gibt es keine "Momentaufnahmen", auch, wenn dies manchmal den Anschein hat. Eine Kriegsszene soll nicht eine bestimmte Kampfhandlung abbilden, sondern steht für den Gedanken des "Besiegen des Feindes", des "Niederstreckens" oder soll den Mut und die Überlegenheit des Pharaos darstellen.
Auffallend ist, dass Menschen auf Malereien stets aus verschiedenen Ansichten zusammengesetzt sind, man sieht sie frontal aber auch im Profil. So ist der Kopf z. B. im Profil dargestellt, das Auge jedoch ist Vorderansicht. Hierdurch soll die Funktion der einzelnen Körperteile hervorgehoben werden.
Damit die Proportionen eines Menschen durch diese Technik nicht verschoben wurden, trugen die Maler vor Beginn der eigentlichen Zeichnung ein Quadratenraster auf die zu bemalende Fläche auf. Nun wurden die Umrisse der Person gezeichnet: vom Fuß bis zum Kopf maß eine stehende Figur 18 Quadrate. Davon gingen 6 bis zum Knie, 9 zum Gesäß, 12 zum Ellenbogen und 16 zum Halsansatz. Nun konnte die Figur entweder ausgemalt oder bei Reliefs der Hintergrund entfernt werden. Pharaonen wurden dabei immer größer dargestellt als Standespersonen und diese wiederum größer als Diener oder gar Gefangene.
Für die Farben wurden Mineralfarben verwendet: Ocker für Rot, Gelb und Braun, Malachit für Grün, Azurit für Blau, Gips oder Kalk für Weiß, Holzkohle oder Ruß für Schwarz. Als Bindemittel wurden Leim, Eiweiß und Gummi  arabicum verarbeitet. Die ägyptische Kunst beschränkte sich auf wenige Grundfarben, die auch Richtlinien folgten. Gold war das Symbol der Sonne, Schwarz wurde für Tod und Auferstehung verwendet. Die Hautfarbe der Männer war braun, während die der Frauen gelblich dargestellt wurde. Auf Schattierungen wurde gänzlich verzichtet.


Plastiken

Die Kunst der Plastik hat ihre Anfänge in der Vorgeschichte und unterliegt wie die Malerei den strengen Proportionsvorgaben. Nicht das Aussehen einer Person steht im Vordergrund, sondern das Wesen soll betont werden. Hierdurch ähneln sich sehr viele Plastiken und wirken recht monoton und steif.
Das Material bestand vorwiegend aus Hartgesteinen wie Granit, Diorit und Quarzit, so wie Alabaster und Kalkstein. Seltener wurde Holz verarbeitet, seit Ende des Alten Reiches findet man auch Metallplastiken. Die Augen waren meist aus Glas eingelegt. Schließlich wurde der Statue durch die Zeremonie der "Mundöffnung" Leben eingehaucht.


Totenglaube im Alten Ägypten

Für ein Leben nach dem Tode
Zu allen Zeiten haben Kulturen im Verlauf des menschlichen Lebens die sogenannten Rites de Passages, Übergangsriten, gefeiert. Von den alten Ägyptern wissen wir nichts darüber, allem Anschein nach hat sich bei ihnen alles auf den Tod und damit auf den Einzug in die jenseitige Welt konzentriert. Der Totenglaube der alten Ägypter war von zwei zentralen Vorstellungen geprägt: Von der Fortdauer im Gedächtnis der Hinterbliebenen und dem ewigen Leben derjenigen, die das Totengericht bestanden hatten. Offenbar schon von der Vorgeschichte bis hinein in die römische Ära drehte sich bei den Bewohnern im Nilland das ganze Leben um den Grabbau. Und alles, was man im Diesseits benötigt, war auch im Jenseits notwendig. Größte Sorge bereitete dabei die Verpflegung mit Speise und Trank. Da im Kunstverständnis der Ägypter das Dargestellte als real galt, gehörten Modelle von Kornspeichern, Bäckereien und Metzgereien ganz selbstverständlich zur Grabausstattung, ebenso Nachbildungen von Brot, Fleisch, Fisch, Geflügel.
Die Reliefs und Bilder an den Wänden zeigten die Taten des Grabherrn zu seinen Lebzeiten und dienten dem individuellen Fortleben. Damit man es in der jenseitigen Welt ein wenig leichter als im Diesseits hatte, kamen Dienerfiguren hinzu, Ushebtis, die alle Formen anfallender Arbeit verrichten sollten. Dennoch blieb der Verstorbene abhängig von den Lebenden, die Gebete sprechen und Grabbeigaben erneuern mußten. Aber wie konnte man sich ihrer sicher sein? "Es ist ergreifend zu beobachten", schreibt Hellmut Brunner, "welche Mittel die Ägypter anwandten, um Leute späterer Generationen, die zufällig an ihrem längst vergessenen Grab vorbeigehen mochten, zu veranlassen, wenigstens ein Totenopfergebet zu sprechen." So lesen wir auf Grabsteinen die Bitte, dass ein Mensch doch nicht dadurch arm werde, wenn er ein schnelles Wort des Gedenkens spreche. Andere versuchten, den Passanten mit ungewöhnlichen Bildern zu fesseln, wollten mit allen Mitteln Aufmerksamkeit erregen, appellieren an die Intelligenz, Neugier und die Wißbegierde, indem sie ihre Botschaft verschlüsselten. Die Reihe dieser ergreifenden und ach so menschlichen Beispiele ließe sich beliebig fortsetzen, und in diesen Bildern gewinnen die uns meist so fernen alten Ägypter eine ungeheure Menschlichkeit. "Dennoch: All das war unsicher, so unsicher", fährt Hellmut Brunner fort, "dass es beklemmend gewesen sein muß, das Fortleben im Jenseits an einen Erfolg zu binden."
Um etwa 2000 v.Chr. setzte sich die Vorstellung durch, dass der Verstorbene sich vor dem Eingang zum Jenseits vor dem Totengericht zu verantworten habe. Er mußte also sprechen können, und diesem Zweck diente die rituelle Mundöffnung, die beim Begräbnis vorgenommen wurde: Ein Prister mit der Maske des Anubis öffnete mit einem Haken (Dächsel) symbolisch den Mund der Mumie, damit der Tote wieder sprechen und sich bewegen konnte und auch seine Organe wieder funktionsfähig wurden. Durch magische Sprüche hauchte ein weiterer Priester der Mumie ihr Ach ein, wodurch ihr neue Lebenskräfte zuflossen.
Nun war der Verstorbene für das Weiterleben im Jenseits gerüstet, vorausgesetzt, er bestand die Prüfung vor dem Totengott. Anubis, der schakalgesichtige Totengott, und Thot, der Schreiber, standen dabei vor einer mächtigen Waage; auf der einen Seite befand sich eine Feder, Symbol der Ma'at und damit der Wahrheit, in der anderen Waagschale ruhte das Herz des Verstorbenen als Abbild seines Lebens. Nun sprach der Verstorbene das Negative Bekenntnis: Ich habe nicht getötet, ich habe nicht verleumdet, ich habe nicht betrogen, ich habe nicht ... Wie ernst die Ägypter dieses Bekenntnis nahmen, zeigt die besondere Behandlung des Königs. Da der Pharao der einzige war, der Todesurteile aussprechen konnte, so lautete für ihn der Zusatz: Ich habe nicht unrechtmäßig zu töten angeordnet.
Hatte alles seine Richtigkeit, so blieb die Waage im Gleichgewicht, war das Leben des Beklagten aber nicht gottgefällig verlaufen, so neigte sie sich auf der Seite des Herzens. Sorgfältig protokollierte Thot den Verlauf des Totengerichts. Wer die Verhandlung bestanden hatte, stieg auf in den Himmel der Seligen, die anderen aber stürzten in den Schlund der Fresserin, eines Ungeheuers, das aussah wie eine Mischung aus Krokodil, Nilpferd und Löwe, und wurden wieder Teil der Urmasse. Nichts Schlimmeres konnte sich ein Ägypter vorstellen, und ein Leben lang klangen ihm die warnenden Sätze aus dem Totenbuch in den Ohren: "Die Richter, die die Schuldigen richten, du weißt, dass sie nicht milde sind an jenem Tag, an dem sie über die Unglücklichen Gericht halten, in der Stunde, da sie ihre Pflicht tun."
Schauen wir uns nun drei wichtige, mit dem Totenglauben eng verwandte Begriffe an - Ka, Ba und Ach. Der Mensch wird zusammen mit seinem Ka geboren, dies ist seine Seele, sein Geist, die gesamte individuelle Lebenskraft. Beim Tod verläßt ihn das Ka, und will der Verstorbene im Jenseits weiterleben, so muß er sich mit seiner Lebenskraft erneut vereinigen - "er geht zu seinem Ka", wie die alten Ägypter den Tod umschrieben. Im Grab nun wird dem Ka eine mit Namen und Berufsbezeichnung des Toten beschriftete Statue als Wohnung angeboten, und Speise und Trank stehen bereit, damit sich die Lebenskraft laben und stärken kann. Der Verstorbene tritt als Ka aus der Scheintür in der Grabkammer heraus und nimmt die Opfergaben entgegen. Nachdem das Ka seinen Hunger und Durst gestillt hat, verzehren die Priester mit dem Spruch "Für dein Ka" die Opfergaben - dies war der Lohn für ihre Arbeit.
So war es im Alten Reich. Als jedoch die materielle Fürsorge für den Verstorbenen nicht mehr gewährleistet war, änderte sich auch die Vorstellung vom Dahinscheiden. Wichtiger als das Ka wurde das Ba, das erst nach dem Tod auftrat. Dargestellt als Vogel mit Menschenkopf, symbolisierte das Ba die Bewegungsfreiheit des Menschen, die nun beim Verstorbenen ja nicht mehr gewährleistet war. Der Ba-Vogel mußte also nun zum bewegungslosen Leichnam gelockt werden, um ihm wieder jene Freiheiten einzuhauchen, die auch ein lebendiger Mensch besitzt. Als Anreiz benötigte man Wasser, daher stellten die Angehörigen Schalen mit dem kostbaren Naß im Grab auf, bohrten Brunnen oder legten Teiche an - in einem Wüstenland wie Ägypten eine erhebliche Herausforderung. "Das Ba ist neben anderem eine Seinsweise der Individualität des Verstorbenen, und zwar vor allen die der großen beweglichen Freiheiten (im scharfen Gegensatz zum Ka, das statistisch an Grab und Unterwelt gebunden blieb) zwischen Himmel, Erde und Grab", so erklärt Hellmut Brunner die Bedeutung.
Letzter bedeutender Faktor im Totenglauben der Ägypter war das Ach, auch dies - im Gegensatz zum Ka - eine bewegliche Lebenskraft, die den Sonnenstrahl bezeichnet und ein schöpferisches Element ist. Es ist verständlich, dass der Mensch sich diese Schöpfungskraft aneignen möchte, und dies geschieht zu Lebzeiten durch den Erwerb von Wissen. Kultische Handlungen am Grab und Inschriften auf dem Sarg fordern die Götter, vor allem Osiris und Re, auf, den Verstorbenen zum Ach zu verklären. In der Gestalt des Ach kann der Tote auch den Menschen auf Erden erscheinen; mit dem Namen Wirksamer Ach bezeichneten die Ägypter ein Gespenst. Ein Ach benötigt keine Opfergaben mehr, um wirksam zu bleiben.
Fassen wir zusammen: Der Ka ist ein starres Prinzip, eng gebunden an Statue, Grab und Totenopfer; der Ba verkörpert die Sehnsucht nach Beweglichkeit, nach Verwandlung in andere Gestalten, besonders nach dem den Menschen unzugänglichen Bereich der Luft, nach der Möglichkeit, das Grab zu verlassen und erfreulichere Gegenden aufzusuchen; der Ach schließlich bringt dem Verstorbenen die ihm zunächst fehlenden Lebenskräfte, Kräfte, die auch bei der Weltschöpfung wirksam waren.


Die Götter Ägyptens
Die Schöpfung

Die Ägypter glaubten, das Leben sei aus der dunklen, formlosen Leere Nun, den Wassern des Chaos, entstanden. Am Anbeginn der Zeit stieg ein Erdhügel aus Nun empor - ein Ereignis, das sich jedes Jahr wiederholte, wenn das Land unter den zurückweichenden Fluten des Nils erschien -, und auf diesem Hügel erschufen die Götter das Leben.
Die Tempel von Heliopolis, Hermopolis und Memphis wurden angeblich alle an jener Stelle errichtet, wo sich einst dieser Urhügel befand. In Heliopolis galt der Sonnengott Atum als höchster Schöpfer. Er ging als erster Sonnenaufgang aus einer Lotosblume hervor, die auf dem Hügel wuchs. Atum enthielt die Lebenskraft des Universums, aus der er die Zwillingsgötter Schu, den Gott der Luft, und Tefnut, die Göttin der Feuchtigkeit, schuf. Atum zeugte sie aus seinem Samen. Laut einer anderen Version des Mythos brachte er Schu hervor, indem er nieste und Tefnut, indem er ausspuckte.

Schu und Tefnut zeugten den Erdgott Geb und die Himmelsgöttin Nut, die ihrerseits vier Kinder zeugten, bevor Schu sie trennte: Osiris, Isis, Seth und Nephthys. Danach breitete Schu den gewölbten Körper Nuts über die Erde, der nun den Himmel bildete und die Kräfte des Chaos zurückhielt. Diese neun Götter werden Ennead (nach dem griechischen Wort ennea für "neun") genannt.
Laut den Priestern von Hermopolis wurde das erste Leben von den acht Gottheiten der Ogdoad (griech. okto für "acht") geschaffen, die in den Urwassern existierten. Nun und sein weibliches Gegenstück Naunet standen für die Kräfte des Wassers; Heh und Hauhet für Unendlichkeit; Kek und Kauket für Dunkelheit; Amun und Amaunet für die verborgene Kraft des Lebens. Ihre gemeinsame Energie bracht den Funken des Lebens und den Urhügel hervor, aus dem die Sonne emporstieg.


Die Vielen

Über 500 Gottheiten kannten die alten Ägypter, und alle sind mit einer Vielzahl an Attributen ausgestattet. Durch die vielen Götter versuchten die Pharaonenkinder das Heilige zu personifizieren und anschaulich zu machen. Ab dem Neuen Reich kennen wir die Dreieinigkeit des ägyptischen Götterbildes, das Geist, Schöpfer und Körper beinhaltet: "Alle Götter sind drei: Verborgen ist Gott als Amun, Gott ist Re vor aller Augen, und Gottes Leib ist Ptah."


Das Mass der Zeit

Die Wissenschaften im Alten Ägypten
Auch auf den Gebieten der Wissenschaft waren die Ägypter weit vorgedrungen. Sie stellten astronomische Beobachtungen an und kannten bereits fünf der Planeten - die sie sich, wie die Sonne, als Götter vorstellten, die in ihren Booten über den Himmel fahren. Mars war der "Horus des Horizonts" oder "Horus der Rote", Jupiter war "Horus, der die beiden Länder begrenzt" oder "Der strahlende Stern", Saturn war "Horus, der Stier des Himmels", Merkur wurde mit Seth gleichgesetzt und Venus als "Gott des Morgens" bezeichnet - und wohl auch den Halleyschen Kometen sowie viele Sternbilder, die sie anders auslegten als wir. Orion - eines der wichtigsten Sternbilder - wurde als Mann mit einem Stab gesehen und mit Osiris identifiziert. Einige Ägyptologen glauben heute, dass die drei Pyramiden von Gizeh nach dem Sternbild des Orion ausgerichtet wurden.
Die Sternguckerei hing eng mit der Religion zusammen und rührte aus dem Verlangen her, die Stundengebete rechtzeitig zu sprechen. Aus der Astronomie entwickelte sich bereits um das Jahr 2772 v.Chr. der Kalender - eine wahrhaft herausragende wissenschaftliche Leistung.
Wie die meisten frühen Kulturen verwendeten auch die alten Ägypter die Mondphasen als Maß für den Gang der Zeit. Ihr erster Kalender basierte auf dem Zyklus des Erdtrabanten - den 29 oder 30 Tagen, die zwischen einem Neumond und dem nächsten lagen. Den Jahresbeginn legten die ägyptischen Astronomen anhand des Sirius fest - den die Ägypter Sopdet nannten -, der einige Zeit über nicht sichtbar ist und dann in regelmäßigen Abständen - alle 365 1/4 Tage - wieder aufgeht (nach unserer Zeitrechnung am 19. Juli). Da um diese Zeit auch die Nilschwelle begann, teilten die Ägypter ihr Jahr in drei Abschnitte ein, in Überschwemmung, Aussaat und Ernte sowie die Brache. Alle drei Zeiten dauerten jeweils vier Monate zu 30 Tagen. Diesem Jahresverlauf fügten die Astronomen fünf Schalttage hinzu - zwischen  altem und neuen Jahr, die religiösen Festen vorbehalten waren -, um auf 365 Tage zu kommen. Den verbleibenden Vierteltag ignorierten sie, mit der Folge, dass erst nach einer Zeitspanne von 1460 Jahren der Neujahrstag wieder mit dem Aufgang des Sirius zusammenfiel. Die Jahre wurden während der Regierungszeit eines jeden Pharaos fortlaufend gezählt.
Aber wie jeder in Tage eingeteilter Kalender verfehlte er den genauen Jahreszyklus der Sonne um etwa sechs Stunden - mit dem Ergebnis, dass der Regierungskalender im Verlauf von vier Jahren dem tatsächlichen Sonnenjahr um einen vollen Tag vorauseilte. Sobald diese Ungenauigkeit offenkundig wurde, ließen die Bauern und das einfache Volk den Kalender vermutlich einfach außer Acht, während die Beamten weiterhin an seine fehlerhafte Einteilung gebunden waren. Schließlich führte man um 2500 v.Chr. neben dem Regierungskalender einen offiziellen Mondkalender ein. Er diente hauptsächlich dazu, den richtigen Zeitpunkt von kultischen Zeremonien festzulegen sowie den lunaren Festtag zu bestimmen, der jedem Monat seinen Namen gab.
Der ägyptische Kalender wurde durch Julius Caesar und dann durch Papst Gregor XIII. (1502-85) nur leicht modifiziert - noch heute also beruht unsere Jahreszählung auf den erstaunlichen Kenntnissen der ägyptischen Astronomen im Alten Reich.

Grabmalereien mit astronomischen Darstellungen geben einen aufschlußreichen Einblick in das ägyptische Zeitverständnis. Die von leuchtend roten Sonnenscheiben gekrönten Götter symbolisieren bestimmte Tage oder Monate, während die großen Kreise die - in Stunden unterteilt - Festtage in den zwölf Monaten des Jahres wiedergeben. Solche Malereien hatten eine wichtige religiöse Funktion, da Totenopfer zu besonderen, nach dem Mondkalender berechneten Anlässen dargebracht werden mußten.
Tagsüber verwendeten die Ägypter zur Zeitmessung ähnliche Sonnenuhren, wie sie noch heute in Gebrauch sind. In der Nacht halfen sie sich mit den sogenannten Dekanen, Listen von Sternbildern, die je nach Stunde und Jahreszeit an einem bestimmten Punkt des Himmels standen. Solche Sternuhren wurden unter anderem auch auf Särgen des Mittleren Reiches gefunden.
Eine weitere Meisterleistung war die Umschiffung des afrikanischen Kontinents, die Pharao Necho angeordnet hatte und die um 600 v.Chr. dann auch gelang. Man kann über die navigatorischen Kenntnisse der Seeleute nur staunen; Vergleichbares gelang erst wieder den Portugiesen, 2100 Jahre später.


Hieroglyphen

Die Entschlüsselung des Steins von Rosette
Die alte ägyptische Kunst ist untrennbar mit den Hieroglyphen (griechisch für "heilige Schrift") verbunden. Diese "Bilderwörter" entstanden um 3100 v.Chr. und wurden ursprünglich nur von Beamten für Aufzeichnungen benutzt. Später wurden sie auch für die heiligen Inschriften auf Grabsteinen, Tempeln, Obelisken und Skulpturen sowei für rituelle Schriften auf Papyrus und religiösen Gegenständen verwendet.
Da sie meist in einem religiösen Zusammenhang auftauchten, nannte man sie in Ägypten medou netjer, "Worte der Götter", und verehrte Thoth, den Gott der Schrift, als ihren Erfinder (die Ägypter glaubten, der Sonnengott Re habe dem ibisköpfigen Thoth, dem Gott des Wissens, gestattet, den Menschen die Bedeutung der Hieroglyphen zu enthüllen, um ihr Land organisieren und verwalten zu können). Eine vereinfachte, verkürzte Kursivform der Hieroglyphen, das sogenannte Hieratisch, wurde für alltägliche Schriftstücke verwendet. Um 600 v.Chr. begann sich dann das Demotische (griechisch für "volkstümlich") durchzusetzen.
Danach fanden immer mehr griechische Buchstaben Eingang in die ägyptische Schrift, und in der Zeit der römischen Herrschaft setzte sich bei der wachsenden christlichen Bevölkerung das auf dem griechischen Alphabet beruhende Koptisch durch, das nach dem griechischen Wort für "Ägypten" Aiguptos genannt wurde. Die Hieroglyphen wurden zwar von den Priestern der alten Religion weiterhin verwendet, doch das römische Verbot nichtchristlicher Glaubensrichtungen bedeutete ihr endgültiges Ende. Die letzte bekannte Inschrift in Hieroglyphen, die in Philae gefunden wurde, ist mit dem 24. August 394 n.Chr. datiert. Das Wissen um die Hieroglyphen starb mit den Priestern des alten Glaubens aus, und ihre Bedeutung blieb 1400 Jahre verborgen.
Jahrhundertelang ging man davon aus, dass Hieroglyphen eine rein symbolische Bedeutung haben, die man auf äußerst erfinderische, aber unzutreffende Weise zu übersetzen suchte. 1799 machten französische Soldaten beim Bau von Befestigungsanlagen im Delta in el-Rashid (Rosette) eine wertvolle Entdeckung: Sie stießen auf eine Inschrift, die 196 v.Chr. in Hieroglyphen, demotischen Schriftzeichen und griechischen Buchstaben in einen Granitblock gemeißelt worden war. Es handelte sich um ein königliches Dekret, das unter Ptolemaios V. (205-180 v.Chr.) erlassen worden war. Durch den Vergleich der drei Schriften auf dem Stein von Rosette gelang es schließlich, die Sprache - und damit auch die Zivilisation - des Alten Ägyptens zu entschlüsseln.
Der Engländer Thomas Young (1773-1829) vermutete als erster, dass die Hieroglyphen phonetische Zeichen und nicht Symbole für ganze Wörter oder Konzepte sein könnten. Doch erst der Franzose Jean-François Champollion (1790-1832) erforschte die ägyptische Schrift in ihrer ganzen Komplexität. Er fand heraus, dass die Hieroglyphenschrift aus drei Zeichenarten besteht: "Phonogramme" (die Laute repräsentieren); "Ideogramme" und "Logogramme" (die für ganze Wörter stehen) sowie "Determinative" (die die Bedeutung eines Wortes in einem bestimmten Zusammenhang definieren). Die Phonogramme umfassen ihrerseits drei Kategorien: ein "Basisalphabet" mit 24 Hieroglyphen, die jeweils für einen einzelnen Konsonanten stehen Andere Phonogramme - insgesamt sind es mehrere Hundert - repräsentieren zwei oder drei Laute
Da kaum Vokale geschrieben wurden, fügen Ägyptologen zur leichteren Aussprache normalerweise ein "e" ein. Hieroglyphen wurden sowohl vertikal (von oben nach unten) als auch horizontal (von links nach rechts und umgekehrt), aber ohne Satzzeichen geschrieben.
Die Verwendung der Hieroglyphen war einer gebildeten Elite vorbehalten, die etwa ein Prozent der Bevölkerung ausmachte. Die meisten Berufsschreiber waren Männer, doch es gab auch einige Frauen, die lesen und schreiben konnten. Diese Fähigkeit war von großer Bedeutung für ihren sozialen Aufstieg, denn Schreiber erfüllten wichtige Funktionen in Regierung und Verwaltung.
Dem geschriebenen Wort wurde große Macht zugeschrieben. Das erklärt die verstümmelte Ausführung mancher Hieroglyphen in religiösen Inschriften: Auf diese Weise sollten drohende Gefahren neutralisiert werden. Königsnamen wurden in ein Oval, eine sogenannte "Kartusche", geschrieben, um sie zu schützen. Durch Aneinanderreihung dieser Kartuschen entstanden die sogenannten Königslisten. Diese chronologischen Listen waren sehr selektiv - Monarchen, die von späteren Pharaonen als unvollkommen betrachtet wurden, wurden aus den offiziellen Aufzeichnungen entfernt. Die Auslöschung des Namens bedeutete die völlige Auslöschung des Königs aus der Geschichte, ein Schicksal, das mehreren Pharaonen zuteil wurde, darunter auch dem "ketzerischen" Echnaton. Außerdem glaubte man, einen Toten durch Aussprechen seines Namens wieder lebendig machen zu können. Deshalb wurde der Name des Verstorbenen in Grabinschriften oft wiederholt.

Wegen ihrer Macht wurden Namen sorgfältig ausgewählt. Oft enthielten sie den Namen eines Gottes oder Königs wie Amenhotep ("Amun ist zufrieden"), Tut'anchamun ("Lebendes Abbild des Amun") oder Pepianch ("Pepi lebt"). Zu den einfacheren Namen gehörten Nefer ("schön" wie in Nefertiti und Nefertari), Seneb ("gesund"), und Sheshen ("Lotos"), ein Frauenname, der durch Übersetzung ins Hebräische zu Susannah wurde.
Die komplexe Bedeutung und ästhetische Wirkung der Hieroglyphen erklärt ihre dekorative und funktionelle Verwendung. Sie finden sich in allen Bereichen der ägyptischen Kultur, auf Gebäuden ebenso wie auf Schmuckstücken. So bedeutete das Symbol djed, das das Rückgrat des Osiris darstellt, Stabilität und Stärke. Auch das Zeichen anch, "Schlüssel des Lebens", wurde häufig verwendet, ebenso wie die Zeichen für Schönheit, Freude und Schutz und die mächtigen Namen von Göttern und Königen. Wenn die Königsnamen den Namen eines Gottes enthielten, kam dieser an erster Stelle. Tut'anchamun wurde also zu "Amun-Tut-Anch".

Ab 2500 v.Chr. unterschied man zwei Schriften, das Hieratisch der Buchschrift, die überwiegend auf Papyrus mit Tinte geschrieben wurde und die Hieroglyphen, welche meist in Stein oder anderen dauerhaften Materialien eingearbeitet waren. Erwähnenswert ist noch eine dritte Schriftart, die kursiv geschriebenen Hieroglyphen, welche aber nur für religiöse Texte Verwendung fand. Allen Schriften liegt aber das gleiche Prinzip zugrunde, die Einteilung in Phonogramme (Lautzeichen) und Semogramme (Deutzeichen). Diese beiden Gruppen gliedern sich in weitere Untergruppen auf. Phonogramme in Ein-, Zwei-, Drei- und Mehrkonsonantenzeichen und die Semogramme in Logogramme (Bezeichnung eines Lautwertes) z.B. "Himmel" und Determinative (Kennzeichnung sprachlicher Einheiten) z.B. "Himmelsgöttin".Die Schriftrichtung konnte sowohl von links nach rechts als auch von rechts nach links angeordnet werden und unterlag nur ästhetischen Regel, außerdem war man bemüht die Zeichen in wohlgeformten Quadraten unterzubringen. Die Schriftrichtung lässt sich aber leicht feststellen, da die Zeichen dem Leser immer entgegen blicken (am deutlichsten bei der Darstellung von Hieroglyphen in Tierform).
Eine weitere Besonderheit liegt den Hieroglyphen noch zugrunde, es gab keine Vokale. Bei der Aussprache haben die Ägypter diese einfach mit eingesetzt. Da Altägyptisch aber nun schon seit über zwei Jahrtausenden eine tote Sprache ist, gibt es Probleme mit der richtigen Übersetzung. So kommen auch die recht unterschiedlichen Übersetzungen ein und des selben Namens zustande z.B. Nofretete im deutschen und Nefertiti im englischen.
Zuletzt wurden Hieroglyphen vermutlich für eine Inschrift auf der Insel Philae am 24. August 394 n.Chr. eingesetzt. Danach finden sich nur noch Schriften die in demotisch und später in koptisch verfasst wurden.
Bei der Entschlüsselung der Hieroglyphen hatte Jean Francois Champollion den mit Abstand größten Anteil. Schon vor ihm haben sich verschiedene Gelehrte an der Entzifferung versucht und den Grundstock gelegt: Abbé Barthélemy, Carsten Niebuhr, Etienne de Quatremére, Silvestre de Sacy und der Physiker Thomas Young. Champollion war der erste, der das System dieser Schriftzeichen verstand und umsetzte. 1821 veröffentlichte er die Ergebnisse seiner 13jährigen Arbeit am Stein von Rosetta. An Hand der Nameskartusche des Ptolemaios und des Namens der Königin Kleopatra konnte er die ersten Schriftzeichen deuten und somit die Grundlagen zur Entzifferung der Hieroglyphen voran treiben.
Der Stein von Rosetta, dessen Text in zwei Sprachen und drei Schriften abgefasst ist (im oberen Drittel in Hieroglyphen, in der Mitte in demotisch und im unteren Bereich in griechisch) wurde Mitte Juli des Jahres 1799 von dem französischen Offizier Pierre Francois Xavier Bouchard gefunden und nach seinen Fundort benannt. Die Umstände des Fundes sind ein wenig zweifelhaft, da der Stein wohl mehr durch Zufall, bei der Gewinnung von Baumaterial gefunden wurde, welches zur Errichtung eines Forts diente. Der historische Wert des Steins von Rosetta wurde aber dennoch sofort erkannt und den Gelehrten, die Napoleon mit ihm nach Ägypten genommen hatte, zur Verfügung gestellt. Nach der Kapitulation der Franzosen in Alexandria gelangte der Stein 1802 nach London in das Britische Museum. Auf dem Stein ist eine Kopie eines Dekrets, das von einer Priestersynode erlassen wurde.
In der Ptolemäerzeit mussten die meisten offiziellen Dokumente auf griechisch und ägyptisch abgefasst sein, weil das Herscherhaus und die obersten Regierungsbeamten nicht Ägypter, sondern makedonische Griechen waren.
Heute kennt man etwa 6000 Schriftzeichen, diese große Anzahl von Zeichen beruht auf der Tatsache das im Lauf der altägyptischen Geschichte von Generation zu Generation immer neue Hieroglyphen dazu kamen und die vorhergehenden Zeichen als heilig verehrt und somit übernommen wurden.


Die Stellung der altägyptischen Kultur in der Bewußtseinsentwicklung der Menschheit

Die meisten ägyptologischen Arbeiten enthalten mehr oder weniger die scheinbar selbstverständliche Voraussetzung, daß die Menschen in den alten Zeiten zwar andere Inhalte des Denkens und Fühlens hatten und „noch nicht so viel wußten“ wie wir heutigen Menschen, daß aber die Seelenverfassung, die Art des Bewußtseins zu allen Zeiten die gleiche gewesen ist.
Archäologen, Sprachforscher und Historiker haben in bewundernswerter Weise eine Fülle von Zeugnissen, Tatsachen und Zusammenhängen gefunden, die uns sehr nahe an die äußeren Lebensumstände der Ägypter herangeführt haben. Die Entzifferung der ägyptischen Schrift vermittelte die Illusion, die schriftlichen und bildlichen Äußerungen dieser Kultur nun weitgehend verstehen zu können. Die Frage nach dem Charakter des Bewußtseins dieses Volkes blieb oft weitgehend unbeachtet.
Entwicklungsstufen und „Sothis-Perioden“
Der amerikanische Naturwissenschaftler und Forscher Ken Wilber hat, verschiedene Denkmodelle zusammenfassend, eine Evolutionsgeschichte des menschlichen Bewußtseins vorgelegt, die sich auf die Arbeiten bedeutender Vertreter der Mythologie (wie Joseph Campbell), der Anthropologie (wie Ernest Becker und Norman O.Brown), der Biologie (wie L.L. Whyte) und der Historie (wie Morris Berman) beruft.
Das menschliche Bewußtseins hat sich, so Wilber, im Laufe von Jahrtausenden von drei ,,präpersonalen“, unbewußten Entwicklungsstufen bis heute zu einer vierten ,,personalen“, selbst-bewußten Bewußtseinsart entwickelt. Wilber ordnet das Alte und das Mittlere Reich Ägyptens der dritten präpersonalen Entwicklungsstufe zu.
Der Mensch entwickelte in jener Zeit Sprache und mentale Symbole. Sein zunächst noch ausschließlich verbales Ich, also ohne eigentliches Subjektivitätsbewußtsein, lebte ganz im Banne eines Gruppen-Über-Ichs. Zwar war die Ich-Empfindung schon strukturierter als vorher, aber dieses Ich konnte sich noch nicht von Körper, Natur, Emotionen und Unbewußtem lösen. Der Mensch lebte in einer Welt imaginierter Bilder in Mythos, Schrift und Kunst. Das Zeitempfinden war zyklisch und jahreszeitlich geprägt. Zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte wurden gegenwärtige Handlungen auf die Zukunft ausgerichtet.
Wilber unterscheidet bei allen Phasen, also auch bei den für unsere Erörterung interessanten, zwischen dem ,,Durchschnittsbewußtsein“ der Mehrheit der Menschen, das sich u.a. in einer ,,exoterischen“ Religion niederschlägt, und dem ,,esoterischen“, fortgeschrittenen Bewußtsein einer eingeweihten Minderheit. Letztere entfaltete als Träger höheren Bewußtseins erst keimhaft, dann zunehmend eine frühe Form von Verstandes-Denken.
Die Anfänge der vierten Evolutionsstufe, der personalen, sind in der Zeit des Neuen Reiches anzusetzen. Langsam entstand nun ein personales Ich-Bewußtsein, das aus der Bindung an Kosmos, Natur und Körper auszubrechen begann. Eine frühe Form von Verstandes-Denken entwickelte sich weiter und bestimmte allmählich und in begrenztem Maß auch das Durchschnittsbewußtsein. Das Zeitbewußtsein wurde linear und führte zu einem gerichteten Zukunftsdenken. In Ansätzen entstanden freier Wille und individuelles Verantwortungsbewußtsein.
Wilbers Analyse stimmt in vielen Punkten mit den Darstellungen des Geisteswissenschaftlers Rudolf Steiner überein.
Steiner zählt für die gesamte ägyptische Bewußtseinsgeschichte - also für vordynastische und dynastische Zeit - vier ,,Sothis-Perioden“. Was hat es damit auf sich?
Das ägyptische Jahr hatte drei Jahreszeiten: die Zeit der Überschwemmung des Landes durch den Nil, die Aussaat und die Ernte. Dieses ,,natürliche Jahr“ verschob sich aber in Bezug auf das ,,gezählte Jahr“ dadurch, daß die Ägypter für ein Jahr 365 und nicht 365 Tage rechneten.
Der Jahresbeginn wurde mit dem Erscheinen des Sirius, des hellsten Sterns am nördlichen Himmel, gefeiert. Denn der erste Frühaufgang des Sothis - so nannten die Ägypter den Sirius - kündigte nach einer Zeit der Unsichtbarkeit das Nahen der Nilschwemme an und damit die neue Fruchtbarkeit des Landes.
Dieser gefeierte Jahresbeginn wanderte also im Laufe der Zeiten allmählich durch das ganze Jahr hindurch, nach jeweils 4 Jahren sich um einen Tag verschiebend, bis er nach einer Zeitspanne von 1460 Jahren - also 365 x 4 - wieder ,,richtig“ geworden war. Diese Zeitspanne von 1460 Jahren nannte man eine Sothis-Periode.
Für Steiner stellen die Sothis-Perioden aber nicht nur einen äußeren Rhythmus dar, sondern gleichzeitig einen inneren, in dem die gesamte geistige Entwicklung Ägyptens schwingt:
Die erste Sothis-Periode (5702-4242 v.Chr.) und die zweite (4242-2782 v.Chr.) sind dadurch gekennzeichnet, daß die noch ich-losen Menschen direkt mit höheren Wesenheiten verkehrten. HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Stellung_Altagyptens/" \l "5" 5) Um 3000 v.Chr. setzte das langsame Erlöschen dieses ,,alten hellseherischen Vermögens“ (Steiner) ein. Die Pyramidenzeit ist ein letzter Ausklang dieser Bewußtseinsstufe. Der Übergang von der 4. zur 5.Dynastie bezeichnet den Übergang zur:
     Dritten Sothis-Periode (2782-1322 v.Chr.). Dies ist die Zeit des ,,imaginativen Hellsehens“ in Form innerer geistiger Bilder. Bei den Trägern eines fortgeschrittenen höheren Bewußtseins keimt langsam ein individuelles und imaginatives Denken auf.
     Die vierte Sothis-Periode (1322 v.-138 n.Chr.) beginnt mit Haremhab, dem Nachfolger Tut-Ench-Amuns. Stufenweise entwickeln sich Keime eines subjektiv-reflexionsfähigen Ichs und logisch-analytischen Denkens.
     Wir werden sehen, daß die (Ideal-)Zahlen, die den Übergang von einer Sothis-Periode zur nächsten angeben, Einschnitte auch in der künstlerischen Entwicklung markieren. Dies deutet schon eine innere Beziehung zwischen Kunst und geistiger Entwicklung an.
Vom „alten Hellsehen“ zur Imagination
Entscheidend für die geistige Entwicklung Ägyptens war - so Steiner - die Prägung von Urpersien her. Von dort kam vor Beginn der ersten Sothis-Periode Hermes Trismegistos, den die Ägypter später als Gott Thoth verehrten.
     Er lehrte die Ägypter die Geheimnisse des Raumes, sowohl oben am Himmel (Tierkreis, Planeten) wie unten auf Erden (Geometrie und Feldmeßkunst). Er gab ihnen die Urformen der Schrift. Er besaß „alte hellseherische Einblicke“, kannte die Gesetze der geistigen Welt und sah deshalb in allen irdisch-räumlichen Verhältnissen etwas wie Abbilder der himmlischen Verhältnisse - und die himmlischen Verhältnisse dargestellt in der Sternenschrift. Im irdischen Raum der kosmischen Ordnung aber ist die Materie ausgebreitet. Deshalb waren die Hermesgeheimnisse Mysterien der Materie.
     Daher kam es, daß die ägyptische Kultur intensiv dem Erdenstoff, der materiellen Raumes- und Sinnenwelt zugewandt war. Die spirituelle Stoffwissenschaft, die sich mit den ätherischen Bildekräften der Erdenstoffe beschäftigt, also mit den Kräften der raumfüllenden, alles durchdringenden Urenergie, aus der alle anderen Energieformen und die Materie hervorgehen, diese Stoffwissenschaft entstand in Ägypten (Chemie und Alchemie). HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Stellung_Altagyptens/" \l "9" 9) Sie bezog sich auch auf dem Menschen.
     Bis zum Ende des Alten Reiches waren Reste des ,,alten Hellsehens“ vorhanden, bei dem die Menschen ihre Offenbarungen in direktem Kontakt mit höheren geistigen Wesenheiten erhielten.
     Das Ende der zweiten Sothis-Periode, also die Zeit der ersten Dynastien, ist die Entstehungszeit der typisch ägyptischen Art der Menschendarstellung und deshalb von besonderem Interesse.
     In dieser Zeit begannnen die Eingeweihten Ägyptens in den Mysterienstätten zu lernen, wie die geistigen Kräfte mit den physischen Kräften korrespondieren. Religion, Wissenschaft und Kunst waren noch eins. Das alte Hellsehen wurde zunehmend abgelöst von einem imaginativen und analogen Denken, welches komplexe Zusammenhänge in ganzheitlichen Gestalten erfaßt und verknüpft sowie Polaritäten und Paradoxien erlaubt. Dieses ,,Denken“ schuf Symbole, Mythen und die Bilder der neuen, dynastischen Kunst.
     Da zu jener Zeit, so Steiner, Tages- und Nachtbewußtsein noch nicht so scharf getrennt waren, und die Seele nicht nur im Schlaf, sondern auch im Wachen noch nicht so fest mit dem Leib verbunden war, löste sich das geistig-seelische Wesen des Menschen in einer Art Schlafbewußtsein vom Leib und ging in die übersinnliche Sphäre. Von da brachte es schöpferische Anregungen mit (Wahrtraum). Der imaginativ Hellsichtige nahm die physisch-sinnliche Welt noch geistig wahr, er konnte die ätherische Aura von Gegenständen, Tieren und Menschen sehen. Das Auge nahm noch die in der Erscheinungswelt wirkenden Lebens- und Bildekräfte wahr.
     Da Stoffliches und Geistiges im Bewußtsein noch nicht klar getrennt waren, blieb die Sinneswahmehmung noch vermischt mit übersinnlicher Imagination. Die Imagination war also nicht ein abstrakter Gedanke, der danach in ein Bild gekleidet wird. Bilder werden vielmehr als spontane Erscheinung einer übersinnlichen Wirklichkeit gefunden. Mehr und mehr wurden die ,,hellseherischen“ Bilder auch durch Gedankenkräfte erfasst, das Gedankenleben fließt aber noch aus der geistigen Welt, ist kein selbst erzeugtes.
     Vor dem geistigen Ohr ertönten und vor dem geistigen Auge erschienen mathematische und andere „wissenschaftliche“ Bilder und Resultate (freilich noch ohne die Fähigkeit der verstandesmäßigen Begründung oder logischen Beweises).
     Die imaginative Erkenntnisart der alten Ägypter kann eine Erklärung sein für die im ägyptischen Flachbild aspektivische, also zweidimensionale künstlerische Darstellung. Rudolf Steiner sprach 1922 in einem Vortrag über die Raumesdimensionen, die ein Mensch bei den verschiedenen Stufen der übersinnlichen Erkenntnis - Imagination, Inspiration und Intuition - erlebe. In diesem Zusammenhang machte er geltend, dass der Mensch die Welt der Imagination zweidimensional erlebe.
Es liegt die Vermutung nahe, dass die alten Ägypter wie auch andere Kulturen, zu deren Zeit die imaginative Erkenntnis vorherrschend war, deswegen eine aspektivische Kunst besassen. Die gegenständliche, an den äusseren Sinnen orientierte Erkenntnisweise hingegen braucht drei Dimensionen. Dementsprechend haben dann später die Griechen, die zu dieser Erkenntnisform vorgedrungen sind, in der bildenden Kunst die Perspektive entwickelt.
     Als Organ der Imagination wird von dem Astrophysiker Erich Jantsch das limbische System des Gehirns angenommen, in dem der Ursprung der Träume vermutet wird und welches bei den Menschen damals eine größere Rolle gespielt habe als heute. In Frage kommt außerdem, so Jantsch, die rechte Neo-Cortexhälfte des Gehirns, in dem Intuition, analogisches und ganzheitliches Denken ebenso behei-matet sind wie das räumliche Vorstellungsvermögen.
     Steiner hingegen sah als Organ der Imagination den sympathischen Teil des Autonomen Nervensystems in der Herzgegend (Solarplexus) an. Das würde erklären, wieso bei den Ägyptern das Herz als Sitz des Wissens galt. Später, ab dem Mittleren Reich, habe sich das imaginative Bewußtsein bis hoch in die Kehlkopfregion und in den Kopf verschoben. Dies ließe sich wieder mit Jantschs Auffassung vereinbaren.
     Heute wird uns der grösste Teil des Wissens des alten Ägypten nicht so sehr durch das Lesen von Texten zugänglich, sondern vor allem durch das Lesen von Bildern und Symbolen. Vor allem darf man sich bei der Betrachtung und Reflexion von Kunstwerken, Hieroglyphen und Mythen nicht auf die äußere Sinnebene beschränken. Unterhalb dieser gibt es tiefere Ebenen des Verständnisses, die freilich schwerer zu erschließen sind.
MERGEFORMATINET Die Mysterienstätten
Das ,,alte Hellsehen“ und das imaginative Bilderschauen sowie das analoge Denken wurden in den Mysterienstätten geschult.
     Mysterienstätten, die es zu allen Zeiten gegeben hat, sind für Steiner ein Schlüssel zum Verständnis der geistigen Impulse, die von Eingeweihten mit höherem Bewußtsein gegeben wurden und die zur Weiterentwicklung des menschlichen Bewußtseins während der jeweiligen Kulturstufe beitrugen. Das esoterische Wissen wurde streng gehütet, seine Bedeutung wurde ausschließlich von Eingeweihten vollständig verstanden. Die Mysterien wirkten im Verborgenen. Erst während der griechischen Antike traten sie in das Blickfeld weiterer Kreise. Als die Menschheit zu eigenem Ich und damit zu verstärkt eigener individueller Verantwortung gelangt war, erfüllte sich die Mission der Mysterienstätten.
     Für die Existenz von Mysterienstätten im alten Ägypten und die dort stattfindenden Einweihungen in das esoterische Wissen gibt es eine Reihe klarer schriftlicher Belege:
     So heißt es z.B. in der Sonnenlitanei 185: „O Pharao, ..., der die Einweihung in die Mysterien der Unterwelt kennt, du bist einer, der eingedrungen ist in die Heiligkeit der Mysterien.“
     In der ägyptischen Abteilung des Louvre in Paris befindet sich die Grabstele eines Hohenpriesters von Memphis mit Namen Ptah-Mer , welche die Worte trägt: ,,Er drang in die Geheimnisse jedes Heiligtums ein; nichts blieb vor ihm verborgen. Er bedeckte mit einem Schleier alles, was er gesehen hatte.“ Ähnliche Andeutungen finden sich vielfach in ägyptischen Quellen.
     In den Bänden 1-3 der Historien von Herodot (400 v.Chr.), im Buch des Apollonius von Tyana (ca. 50 n.Chr.) und in Andeutungen des Josephus Flavius (200 n.Chr.) haben wir Zeugnisse von Menschen, die in niedrige Grade der späten ägyptischen Mysterien eingeführt wurden. Weitere Griechen, die diese Einweihungen erfahren haben, sind Solon, Thales, Pythagoras, Demokrit von Abdera, Plato, Plutarch (Hoherpriester des Apollo) und Plotin.
     Über die Einweihungsriten und -inhalte wird natürlich nur wenig oder nichts überliefert, denn - so Herodot: ,,Über diese Mysterien, die ich wahrhaftig und ohne Ausnahme kenne, muß ich religiöses Schweigen bewahren.“ Plutarch läßt uns immerhin wissen: ,,Im Augenblick des Todes macht die Seele die gleichen Erfahrungen, wie jene, die in die großen Mysterien eingeweiht wurden... Die Mysterien waren auch dazu bestimmt, den Sinn wertvoller Geschichtsereignisse zu bewahren.“
     Und der Syrer Jamblichos, ebenfalls eingeweiht in Geschichte und Sinn der Evolution des menschlichen Geistes, schrieb: ,,Die Erkenntnis der Götter kann nur dadurch erfolgen, daß wir in uns selber einkehren und uns selbst erkennen lernen. Deshalb sage ich, daß der göttliche Teil des Menschen, der einst mit den Göttern dadurch verbunden war, daß er ihres Daseins gewahr wurde, später in einen anderen Zustand geriet, und durch die Bande der Notwendigkeit und des Schicksals in Fesseln gelegt wurde. Daher ist es nötig zu bedenken, wie er aus diesen Fesseln befreit werden könnte. Es gibt keine andere Lösung dafür als die Erkenntnis der Götter. Dies ist das Ziel der Ägypter in ihrem priesterlichen Erheben der Seele zur Gottheit.“
     In Anlehnung an diese Quellen lassen sich die Inhalte, die dem durch Schulung und Prüfungen vorbereiteten Schüler auf dem Wege der Initiation vermittelt wurden, kurz zusammenfassend so schildern: Der Einzuweihende schaute in die Vergangenheit der Menschheitsentwicklung, er lernte sich selbst im Innern kennen, er erlebte die Transzendenz des eigenen Geistig-Seelischen über den Tod hinaus, er schaute die Zusammenhänge von Makro- und Mikrokosmos und wurde in die geheimen ,,Wissenschaften“ eingeführt. Es ist freilich zu bedenken, daß es unterschiedliche Grade der Einweihung gab und daß Form und Inhalt der Mysterien sich im Laufe der ägyptischen Geschichte sicherlich gewandelt haben.
INCLUDEPICTURE "http://www.altaegypten.com/Stellung_Altagyptens/image007.jpg" \ MERGEFORMATINET Die Pharaonen
In den Mysterienstätten geschulte Träger höheren Bewußtseins waren vor allem die Pharaonen. In der Zeit der ersten vier Dynastien galten diese selber als ,,hohe Geistwesen“ (Steiner), die mit sich jeweils eine neue Bewußtseinsstufe auf die Erde brachten. Deshalb wurden in dieser Zeit die Pharaonen als Götter verehrt, welche nach ihrem Tod direkt wieder in eine göttliche Daseinsform wechselten.
     Mit der 5.Dynastie trat eine Veränderung ein. Nun waren die Pharaonen menschliche Inkarnationen, die als höchste Eingeweihte (Magier/Adepten) von höheren Individualitäten, von höheren Geistwesen inspiriert wurden. Sie galten deshalb “nur” noch als Söhne der Götter.
     Bezeichnenderweise bleiben die Pharaonen des Alten und Mittleren Reiches als Persönlichkeiten weitgehend anonym. Besonders von denen des Alten Reiches wissen wir nahezu nichts Biographisches. Dies deutet auf die Unwichtigkeit ihrer menschlichen Person hin. Sie waren höhere Geistwesen bzw. von solchen Wesen inspirierte Führer mit bestimmten Aufgaben kulturschöpferischer Art.
     Am Ende der dritten Sothis-Periode war es der Pharao Echnaton, der als erster Repräsentant einer voranschreitenden Individualisierung des Menschen über eine doppelseitige Erkenntnis verfügte: zum einen die physische Wahrnehmung von außen, zum anderen ein geistiges Denken von innen her. Echnaton war seiner Zeit jedoch weit voraus, weshalb auch seine religiösen, künstlerischen und politischen Neuerungen scheitern mußten
     Die vierte Sothis-Periode war vollends vom erstarkenden Ich-Bewußtsein und von Vorformen des reflexiven Denkens gekennzeichnet. Nicht umsonst finden wir im Neuen Reich eine Blüte subjektiver Frömmigkeit - die Einzelperson setzt sich in ein persönliches Verhältnis zu Gott - und ein erstarkendes persönliches Gewissen.
     Ab ca. 1300 v.Chr. wich die spirituelle Hermeskultur langsam aber stetig - von Echnatons Zeit kurz unterbrochen - dem imperialen Ich-Prinzip (Ego-ismus) der meisten nun folgenden Pharaonen und der Machtanmaßung einer spirituell weitgehend entarteten Priesterschaft. Thutmoses III. bereits markierte mit seinem erfolgreichen Streben nach Weltmacht für Ägypten den Übergang in eine Zeit, in der das Mysterienwesen zurückging und nur noch aus der Zurückgezogenheit wirkte.
     Seit dieser Zeit waren die Pharaonen in ihrer Mehrzahl wohl keine wirklich Eingeweihten mehr. Daher galten sie „nur“ noch als menschliche Verwalter der göttlichen Pläne. Alles Göttliche bzw. Halbgöttliche war von ihnen genommen. Je menschlicher die Pharaonen wurden, desto deutlicher tritt ihre Biographie und ihre Persönlichkeit aus dem Dunkel der Anonymität heraus.
     Neben dem Pharao waren es vor allem die Hohenpriester der verschiedenen Mysterienstätten und wohl auch manche Wesire des Reiches, die als Träger höheren Bewußtseins anzusehen sind. Die Hierarchie in der Priesterschaft und im Staate war - jedenfalls im Alten Reich - vor allem eine geistige Hierarchie des Bewußtseins. Dies änderte sich nach und nach, je mehr Pharao, Priesterschaft und Beamtenwesen später von Machtinteressen als Ausdruck des erstarkenden Ich geprägt wurden.
Das Volk
Während also höheres, esoterisches Bewußtsein zunächst auf einen Kreis von Auserwählten beschränkt war, entwickelte sich die exoterische Volksreligion aus der Imaginationsfähigkeit des Durchschnittsbewußtseins, die durch Mythen und öffentliche Mysterienspiele geschult wurde, in welche die Eingeweihten ihre Erkenntnisse und Erlebnisse kleideten.
     Drei Bedeutungsebenen sind dabei zu unterscheiden: die gegenständliche bzw. historisch-physische, die seelische und die kosmisch-geistige Ebene. Der Wahrheitsgehalt der mythischen Bilder sollte im Volke auf unbewußte Art wirken, er sollte in der Volksseele als geistige Wachstumskraft wirken. Denn das Volk war zwar auch im Zustande der Bilder-Imagination, lebte aber doch überwiegend in der Sinneswelt, hatte also selbst keine entfaltete Imagination der dahinter stehenden Geisterwelt und konnte erst recht nicht die Gesetzmäßigkeiten der geistigen Welt erkennen.
     Es galt, im Volk die Empfindungsseele (ägyptisch: Ba) zu entwickeln, d.h. die Fähigkeit, auf Reize der Außenwelt mit Empfindungen zu antworten. Die Empfindungsseele wiederum hängt in bezug auf ihre Wirkung von der Lebenskraft (ägyptisch: Ka) des physischen Körpers ab. Die Menschen lernten, sich in ihrem Leib einzuleben und sich im Zentrum der Welt zu finden.
     Die geschilderten zwei Bewußtseinsarten waren auch bei der Erschaffung und Verwirklichung der ägyptischen Kunst wirksam:
     Inspirierte Pharaonen und Weise entwickelten die Kunst und lehrten Neuerungen so, daß Menschen, die jenes höhere Bewußtsein nicht besaßen, diese umsetzen und anwenden konnten.
     Nachgeordnete Künstler und Gehilfen waren mit Hilfe der im Regelkanon niedergelegten Grundsätze in der Lage, Bilder zu schaffen, ohne deren Sinn und Gehalt wirklich verstehen zu können. An Bildern geschulte Assoziationsfähigkeit, eine an die Sinneswahrnehmung gebundene Imaginationskraft und das Befolgen von Anweisungen - diese Faktoren erklären Arbeitsweise und Fähigkeiten der großen Mehrheit der Kunstschaffenden.
     Diese geistesgeschichtlichen Hintergründe bilden die Grundlage eines tieferen Verständnisses von der Rolle der Kunst und der Stellung der Künstler in der gyptischen Gesellschaft.


Zum Begriff der Körperstruktur  

Wenn der Autor einer Homepage über ägyptische Kultur kein Ägyptologe oder Kunsthistoriker, sondern Praktizierender einer pädagogisch orientierten Körperbehandlung ist, so mag das auf den ersten Blick verwundern. Ich praktiziere seit 1983 die HYPERLINK "http://www.rolfing-praxis.de" Rolfing-Methode der “Strukturellen Integration”, bei der es um die Verbesserung der strukturell bedingten Körperhaltung und -bewegung geht.
Begründerin dieser Methode war die amerikanische Biochemikerin Dr. Ida Rolf (1896-1979) HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Zum_Begriff_Korperstruktur/" \l "a1" 1 HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Zum_Begriff_Korperstruktur/" \l "a1" ). In jahrzehntelanger Arbeit untersuchte sie theoretisch wie praktisch die Organisationsprinzipien des menschlichen Körpers, die sich aus seiner Beziehung zur Erdanziehungskraft herleiten.
     Die Einführung in diese Thematik verschafft uns das nötige Handwerkszeug, um Kunstwerke unter körperstrukturellen Gesichtspunkten analysieren zu können.
     Der Begriff „Struktur“ bezeichnet die wechselseitige Beziehung zwischen den Teilen einer komplexen Wesens-Einheit. Es geht also um das Organisationsprinzip der Teile dieser Einheit. Handelt es sich um physische Wesenheiten, zu denen auch der Mensch gehört, so beinhaltet der Strukturbegriff die drei Dimensionen des Raumes und damit die Beziehungen zwischen diesen Dimensionen.
     Jede physische Wesenheit, also auch der Mensch, stellt gleichzeitig ein Energiefeld dar. Deshalb äußert sich Struktur in Verhalten. Beim Menschen z.B. in Haltung, Bewegung, im Denken, Fühlen und Handeln. Der Vielfalt der Bewegungsabläufe und Haltungen eines Menschen liegen also bestimmte räumliche Muster zugrunde. Diese Muster bilden die Struktur, d.h. die individuelle und spezifische Form seines Körpers.
     Alle physischen Wesenheiten bzw. ihre Struktur stehen in einer engen Wechselwirkung mit der Erdanziehungskraft. Sprechen wir also über die Struktur des menschlichen Körpers, so geht es nicht allein um die räumlichen Beziehungen seiner Teilstrukturen zueinander, sondern auch um die Beziehung des Körperganzen, also seiner Gesamtstruktur, zur Schwerkraft. Die Schwerkraft wirkt auf unseren Organismus ein ganzes Leben lang, sie formt oder verformt ihn; je nachdem, wie optimal unsere Körperstruktur ihr angepaßt ist oder nicht. HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Zum_Begriff_Korperstruktur/" \l "a2" 2 HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Zum_Begriff_Korperstruktur/" \l "a2" )
     Wie müssen sich aber nun die Teile des Körpers räumlich zueinander verhalten, damit die Schwerkraft ihn nicht deformiert, sondern eine positive Ordnungsfunktion übernimmt, sodaß sich die Struktur des Menschen an ihr orientieren und aufrichten kann?
     Für die Beantwortung dieser Frage gibt es ein klares Kriterium: Ist der Körperbau so beschaffen, daß er mit dem geringstmöglichen muskulären Kraftaufwand stehen, gehen, sich bewegen kann? Je ökonomischer also die Bewegungsmuster eines Menschen, desto idealer ist seine Körperstruktur. Wir empfinden dann seine scheinbar mühelosen Bewegungen als graziös, als anmutig.
     Kaum ein Mensch hat sich bis jetzt so intensiv mit der Prägung der Körperstruktur durch die Schwerkraft beschäftigt wie die amerikanische Biochemikerin Dr. Ida Rolf. Neben ihrer wissenschaftlichen Erforschung physikalischer und chemischer Eigenschaften des Bindegewebes hatte sie jahrelang Yoga und andere Methoden studiert, die Form und Flexibilität des Körpers fördern.
     Sie untersuchte den Zusammenhang zwischen Körperform und Schwerkrafteinwirkung und fand heraus, daß das Bindegewebe, vor allem die Faszien (Muskelhäute), dem Körper seine Gestalt verleihen. Das Bindegewebe, welches den ganzen Körper wie ein dreidimensionales, kontinuierliches Netzwerk umgibt und innerlich durchzieht, bestimmt nämlich durch seinen jeweiligen Spannungszustand die Stellung der Knochen und der Körperteile zueinander. Die Faszien sind auch grundlegend für die muskuläre Balance im Körper, also für ein ausgewogenes Spannungsverhältnis zwischen verschiedenen Muskeln. Ida Rolf bezeichnete deshalb das Bindegewebe als ,,Organ der Struktur“.
     Das Bindegewebe ist in seinen räumlichen Beziehungen und Spannungsverhältnissen plastisch und formbar. Diese Tatsache ist einerseits ursächlich für Strukturveränderungen negativer Art. Andererseits kann man die Formbarkeit des Bindegewebes für positive Wandlungsprozesse nutzen.
     In jahrzehntelanger Arbeit entwickelte Ida Rolf eine bestimmte Art der Bindegewebsbehandlung, verbunden mit einer sensibilisierenden Unterweisung des Körperbewußtseins über das Nervensystem, die es ermöglicht, die Körperstruktur systematisch in Richtung auf ein optimaleres Gleichgewicht zu beeinflussen. Ihre Behandlungsmethode nannte sie ,,Strukturelle Integration“, heute nach ihrem Namen meist Rolfing® genannt. HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Zum_Begriff_Korperstruktur/" \l "a3" 3 HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Zum_Begriff_Korperstruktur/" \l "a3" )
     Zur Veranschaulichung ihres Konzeptes wählte Ida Rolf ein Klötzchenmodell (Abb.). Es stellt die verschiedenen Segmente des Körpers dar. Wenn die Schwerpunkte der Segmente bei stehender Haltung des Menschen senkrecht übereinander angeordnet sind, ist die sie verbindende Vertikalachse des Körpers nahezu identisch mit der Schwerkraftlinie. Die Stützkraft, also der durch den Boden hervorgerufene - ebenfalls vertikal gerichtete - Gegendruck gegen das Körpergewicht, neutralisiert in diesem Fall die Schwerkraft. Weil somit also die Richtung der Stützkraft vom Boden her zusammenfällt mit der Schwerkraftlinie des Körpers, braucht der Mensch nur wenig aktive Muskelkraft, um sich aufrecht zu halten. Die Gesamtstruktur ist optimal ausbalanciert (Abb., rechts).
     Sobald die Segmente jedoch nicht mehr vertikal übereinander stehen (Abb., links), müssen das fasziale Netzwerk und die Muskulatur den Körper stabilisieren. Kurzfristig sind es die Muskeln, die dann mit erhöhtem Energieaufwand ein hinreichendes Gleichgewicht aufrechterhalten. Langfristig jedoch wird dies durch Verstärkungen und Verkürzungen in bestimmten Bindegewebsabschnitten und -schichten bewirkt.
     Kennzeichnend für eine ungünstige Körperstruktur ist, daß der Körper ein System von Kompensationen aufbaut, um sich in einem - allerdings energieaufwendigen - Gleichgewicht zu halten. Diese Kompensationen durch Kippungen und Rotationen der Segmente bedingen sich gegenseitig.
     Ein so oder anders aus dem Lot geratener Organismus kann sich nur unter erheblichem Kraftaufwand gegen die Schwerkraft behaupten, oft begleitet von Verspannungen und Schmerzsymptomen, z.B. im Kreuz- oder Schulterbereich.
     Ida Rolfs Beobachtung war, daß die meisten Menschen eine unausgewogene Körperstruktur aufweisen
     Vielfältige Einflüsse können im Laufe des Lebens den Körper aus dem Gleichgewicht bringen. Verletzungen, Krankheiten, traumatische Erlebnisse, ungesunde Schuhe und Stühle, sozio-kulturell oder familiär bedingte Haltungs- und Bewegungsformen, ein ungünstiger Gebrauch des Körpers in Sport und Arbeit usw. Unter dem ständigen Wirken der Schwerkraft überlagern und kombinieren sich alle diese Einflüsse im Laufe der Lebensgeschichte zu strukturellen Mustern, d.h. die räumlichen und Spannungsverhältnisse im myofaszialen Gewebe verfestigen sich.
     Es ist sinnvoll, die Struktur eines Menschen von seiner Haltung/ Bewegung abzugrenzen. Während sich die Haltung in erster Linie aus dem Tonus diverser Muskeln ergibt, wird die Struktur vor allem durch die passive Eigenspannung aller mechanisch relevanten Bindegewebsmembranen (Muskelfaszien, Organumhüllungen, Sehnen, Bänder, Knochenhaut) hervorgerufen.
     Körperhaltungen sind willentlich beeinflußbar und können schnell wechseln. Die Struktur ist der relativ stabile Bezugsrahmen hinter wechselnden Haltungen/Bewegungen. Sie gibt den Spielraum für die Haltungen/Bewegungen vor. Struktur manifestiert sich in stabilen Beziehungen der Segmente untereinander oder der Teile eines Segments zueinander. Diese Beziehungen können von Haltungsveränderungen lediglich überlagert werden. Über längere Zeiträume hinweg eingenommene Haltungs- und Bewegungsmuster können sich freilich zur Struktur verfestigen. Dies kann sogar bis zu einer Veränderung des Skeletts (Knochenformen) gehen.
     Die Körperstruktur definiert aber nicht nur Bewegungsabläufe, liegt nicht nur eingenommenen Haltungen zugrunde, sondern sie hat generell einen enormen Einfluß auf körperliches und seelisches Wohlbefinden.
     Gelenke nutzen sich weniger ab, wenn sie frei beweglich sind und ihr Stoffwechsel nicht beeinträchtigt ist. Ungehinderte Atmung braucht ein flexibles Körpervolumen, innere Organe und Nerven benötigen genügend Raum für optimales Funktionieren, ein gesunder Stoffwechsel braucht durchlässiges und flexibles Bindegewebe. Ein beweglicher Organismus fördert seelisch-geistige Flexibilität, ein aufrechter Mensch erlebt seine Umwelt selbstbewußter, aufmerksamer und mit einem besseren Orientierungsvermögen. Weniger aufzuwendende Energie für Alltagsbewegungen bedeutet ein Mehr an verfügbarer Lebensenergie. Für eine gut funktionierende Physiologie und eine gelassene Psyche ist eine ausgeglichene Körperstruktur allein zwar nicht ausreichend, aber eine notwendige Bedingung.
Merkmale einer optimalen Körperstruktur
Im Folgenden einige Kennzeichen einer idealen Körperstruktur beim ruhig stehenden Menschen:
Die Körpersegmente organisieren sich so um eine gedachte innere Vertikalachse herum, daß diese innere Achse annähernd mit der Schwerkraftlinie zusammenfällt. Die innere Linie ist ein Organisationsprinzip, von dem die Bewegungen ausgehen und zu dem sie zurückkehren.? 
Gleichgewicht zwischen Körpervorderseite und -rückseite. Vor und hinter einer gedachten seitlichen Linie durch die Schwerpunkte der einzelnen Körpersegmente sollte sich anähernd das gleiche Körpervolumen befinden.? 
Spannungsgleichgewicht zwischen dem Gewebe von Streck- und Beugeseite des Körpers oder einzelner Körperteile. Eine Voraussetzung dafür ist die ausreichende Flexibilität und Elastizität des myofaszialen Gewebes (= Binde- und Muskelgewebe).Wesentlich ist auch ein ausgeglichener Spannungszustand zwischen oberflächlichen und tieferen Schichten des Gewebes.
Eine relative Symmetrie beider Körperhälften. Dies bedeutet ein annäherndes Glichgewicht beider Körperseiten, was freilich durchaus ein gewisses Maß an Asymmetrie beinhaltet. Denn die Hälften sind im Innern organisch unterschiedlich aufgebaut. Auch das Faktum von Rechts- oder Linkshändigkeit schließt eine absolute Symmetrie aus.? 
Im Zusammenhang mit dieser Balance der Körperhälften steht die waagerechte Anordnung der paarigen Gelenke beider Seiten: Sprung-, Knie-, Hüft-, Hand- und Ellbogengelenke, Schultern und Bißebene der Kiefergelenke sollten sich auf jeweils horizontalen Ebenen befinden. Diese Horizontalen stehen senkrecht auf der zentralen Vertikalen, sie bilden mit ihr rechte Winkel. So wie die Vertikale sich zur Erde im rechten Winkel befindet.
Merkmale ökonomischer Bewegung
Diese zunächst recht statisch anmutenden Strukturprinzipien führen uns nun zu bestimmten dynamischen Bewegungsprinzipien. Bei Struktur- und Bewegungsmustern des Menschen haben wir es mit einem dialektischen Wechselspiel von Form und Funktion, von Statik und Verhalten zu tun: Bewegungsmuster prägen Strukturmuster und umgekehrt.
     Wir können u.a. folgende Kennzeichen eines idealen Bewegungsablaufes definieren:
Wenn man von einer ruhigen Haltung im Stehen oder Sitzen usw. ausgeht, bedeutet jede Bewegung eine „Störung“ des Gleichgewichts der Kräfte. HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Zum_Begriff_Korperstruktur/" \l "a4" 4 HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Zum_Begriff_Korperstruktur/" \l "a4" ) Daraus ergibt sich die Forderung, diese „Störung“ minimal zu halten. Diejenige Bewegungsform, die das leistet und daher den geringsten Energieaufwand erfordert, ist die ökonomischste. HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Zum_Begriff_Korperstruktur/" \l "a5" 5 HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Zum_Begriff_Korperstruktur/" \l "a5" ) Dieses Prinzip ist den folgenden übergeordnet.? 
Bei jeder Bewegung wird ein Teil des Körpers vom Rest des Körpers weg oder zu ihm hin bewegt (Aktion). Der Rest des Körpers erfährt eine Massebeschleunigung in entgegengesetzter Richtung als Reaktion auf die Bewegung. Ein Teil der Bewegungsenergie wird durch diese Reaktion intern neutralisiert. So wird beim Gehen der Impuls des nach vorne schwingenden Beines, der das Gleichgewicht stört, durch das Zurückschwingen eines Armes z.T. neutralisiert. Ein Rest der Bewegungsenergie wird in die Erde abgeleitet und ist dort durch ,,Reibung“ ausbalanciert. ? 
Um den Energieaufwand zur Wahrung des Gleichgewichts minimal zu halten, sollte auch die für die Reaktion aufgewendete Energie minimal sein. Hierzu müssen bei der Bewegung alle Teile des Körpers mit der beabsichtigten Bewegungsrichtung harmonieren, indem sie durchlässig - d.h. ohne Blockierung - für die Bewegungsenergie sind. Sonst arbeiten verschiedene Körperteile gegeneinander statt miteinander. Ein Negativbeispiel: Ich strecke jemandem die Hand zur Begrüßung entgegen, ziehe dabei aber die Schultern nach oben und den Brustkorb zurück.? 
Die Muskulatur kann in tiefe (= intrinsische) und äußere (= extrinsische) eingeteilt werden. Weil die extrinsischen Muskeln größere Hebel haben und weiter von den Gelenkachsen entfernt sind, haben sie die Tendenz, den Körper zu stauchen und die Gelenkgeometrie zu stören. Die intrinsischen Muskeln tun dies weniger, sie halten vielmehr die Gelenke zentriert. Darüberhinaus erfordert die Aktivität der intrinsischen Muskeln weniger Energie als die der extrinsischen.? 
Deshalb wird Bewegung am besten zuerst von der tiefliegenden Muskulatur eingeleitet und dann erst von der äußeren Muskulatur aufgenommen. Die Bewegung geht also mehr vom Raum um die innere Linie aus, besonders von Muskeln im Innern des Beckens und darüber. Die Bewegung kommt aus der Mitte des Menschen und übersetzt sich dann erst in Arme und Beine.?.
Integrität der inneren Linie im Sinne eines dynamischen Gleichgewichts des Körpers. Wenn die innere Linie optimal ausbalanciert ist, gewährleistet dies, daß die jeweils oberen Segmente bei jeder Bewegung eine ausreichende  Unterstützung durch die darunter liegenden Segmente erfahren. Bei gehender Fortbewegung z.B. sollte sich der Schwerpunkt gleichmäßig horizontal bewegen, also nicht übermäßig hin und her oder ruckartig. Bei Bewegungen auf der Stelle, wie z.B. beim faltenden Bücken (Abb.), sollte die innere Linie gleichmäßig und harmonisch, ohne Verkürzungen gebogen sein. Der Körperschwerpunkt  bewegt sich möglichst vertikal auf- und abwärts.? 
Extensionsmodus (Ausdehnungsmodus) Bei der bislang in Medizin und Sport vorherrschenden Anschauungsweise sieht das Bewegung erzeugende muskuläre Zusammenspiel von Agonisten und Antagonisten meist so aus: Bewegung wird primär initiiert durch eine Kontraktion (Tonuserhöhung) der Agonisten. Bei diesem Flexionsmodus sind die Antagonisten von sekundärer Bedeutung, weil sie durch passive Verlängerung (Tonusherabsetzung) lediglich der Initiative der Agonisten folgen. Und tatsächlich ist dieser Bewegungsstil bei den meisten Menschen vorherrschend. Die Praxis hat jedoch gezeigt, daß es eine andere Möglichkeit gibt, den Extensionsmodus. Bei diesem sieht der Ablauf von Bewegungsauslösung so aus: Das für die Initiierung von Bewegung erforderliche Ungleichgewicht der Kräfte wird bewirkt durch eine selektive Entspannung (Tonusherabsetzung) der Antagonisten und der Muskulatur insgesamt. Die Schwerkraft wirkt dabei verstärkend. Die Agonisten nehmen dann die Initiative der Antagonisten auf, verstärken sie durch geringstmöglichen Arbeitsaufwand und setzen die so begonnene Bewegung fort. Die Bewegungs initiierung ist deshalb für einen ökonomischen Bewegungsablauf so wesentlich, weil entsprechend dem Trägheitsgesetz diese - wenn auch oft sehr kurze - Phase im allgemeinen den größten Energieaufwand erfordert. Hinzu kommt, daß es sich schon zu Beginn einer Bewegung entscheidet, ob die Antigravitationsmuskeln reflexartig übertonisiert werden oder nicht. Die elastische Kraft der Faszien spielt beim Extensionsmodus eine entscheidende Rolle. Durch eine Dehnung der Faszien auf der Antagonistenseite kann nämlich die in den Faszien gespeicherte potentielle Energie in kinetische Energie umgewandelt werden.? 
Alle Bewegung erfolgt im rechten Winkel. Für eine möglichst ökonomische Bewegung ist aber nicht allein der Modus der Bewegungsauslösung entscheidend, sondern auch die Frage, welchen Weg die Bewegung nimmt. Energiesparend ist eine Bewegung im allgemeinen nur dann, wenn sie auch den kürzesten Weg vom Ausgangs- zum Endpunkt einer Bewegung(sphase) nimmt, weil: Energie = Kraft x Weg.
     Alle beschriebenen Struktur- und Bewegungsprinzipien hängen selbstverständlich eng miteinander zusammen und beziehen sich aufeinander. Sie sind aus jahrzehntelanger praktischer Erfahrung gewonnen worden.
     Mit ihrer Hilfe kann die Darstellung des Menschen in der ägyptischen Kunst untersucht werden.? 
Anmerkungen
Zu Dr.Ida Rolfs Leben und Werk siehe:??Rosemary Feitis, Einleitung zu: Ida Rolf, Rolfing im Überblick, Paderborn 1993??Rosemary Feitis / Louis Schultz (Hrsg.), Remembering Ida Rolf, Berkeley und Boulder 1996 HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Zum_Begriff_Korperstruktur/" \l "1" (zurück zum Text)? 
Ich benutze im wesentlichen Newton’s Konzept von der Schwerkraft und der ihr entgegengesetzten Stützkraft. Mir ist sehr wohl bewußt, daß dieses Modell seit Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie als weitgehend überholt angesehen wird.?     Einstein beschrieb die Gravitation als Folge einer Krümmung des Raumes (genauer: des Raum-Zeit-Kontinuums). D.h., durch die Verlangsamung der Zeit in der Nähe einer großen Masse (z.B. der Erde) beginnt die ursprünglich allein durch die Zeit gerichtete Bewegung eines Objekts (z.B. eines Menschen) in Ruhelage sich allmählich auch durch den Raum gerichtet zu finden. Das Objekt kommt in einen anderen Teil des Raumzeit-Diagramms. In Erdnähe ist die RaumZeit annähernd vertikal gekrümmt (die Zeit ist verlangsamt, die Geschwindigkeit erhöht).?     Die Theorie von Newton hat als Darstellung des „Spezialfalles“ (Einstein) irdischer Gesetzmäßigkeiten ihre Bedeutung jedoch keineswegs verloren. Denn Berechnungen auf Grund der Einsteinschen Theorie wären viel aufwendiger als solche auf der Grundlage von Newton’s Modell und in Bezug auf die praktische Anwendung unter irdischen Bedingungen von sehr geringer Aussagekraft. Ein Beispiel: Weiter oben wurde darauf hingewiesen, daß in Erdnähe die Zeit verlangsamt ist, was zur Raumzeitkrümmung beiträgt. Nun ist aber die Geschwindigkeit der Zeit zu meinen Füßen lediglich rund 0,00000000000001 % geringer als die Geschwindigkeit der Zeit in Höhe meines Kopfes. Eine offensichtlich zu vernachlässigende Größenordnung. Hinzu kommt, daß die Physiker bis heute keine Übersetzung der hier zur Debatte stehenden Phänomene von Schwere, Leichtigkeit usw. in die Relativitätstheorie geleistet haben. Solange dies nicht geschehen ist, werden wir mit der - in der modernen Wissenschaftsgeschichte durchaus nicht ungewöhnlichen – Tatsache leben müssen, daß wir uns bei der Beschreibung von erlebbaren Phänomenen eines Verständnisses und einer Sprache bedienen, welche nur in eingeschränktem Umfang Gültigkeit besitzen.?     Um das Phänomen der Leichtigkeit zu erklären, postulierte Newton eine Stützkraft vom Boden her als Antigravitationskraft. Einstein ging ebenfalls vom Vorhandensein einer Antigravitationskraft aus. Eine jüngst von Wissenschaftlern formulierte Hypothese, die auf kosmologischen Untersuchungen basiert, kommt zu dem Schluss, dass es im Kosmos eine noch nicht bekannte Form der Materie oder eben jene Antigravitationskraft geben müsse. (Quelle: University of Arizona, Center for Astrophysics 27.10.98) An anderer Stelle (Wahrnehmungsf¥higkeit...) werden wir ein Denkmodell kennenlernen, das auf der Annahme der Levitation als einer nichtmateriellen – der Schwerkraft entgegengesetzten - Wirksamkeit beruht HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Zum_Begriff_Korperstruktur/" \l "2" (zurück zum Text)? 
Zu Theorie und Praxis der Rolfing®-Methode der Strukturellen Integration siehe:??Ida Rolf, Rolfing. Rolfing, Strukturelle Integration. Wandel und Gleichgewicht der Körperstruktur, München 1997??Ida Rolf, Rolfing im Überblick, Paderborn 1993??Hans Georg Brecklinghaus, Rolfing. Was es kann, wie es wirkt und wem es hilft, Freiburg 1999??Hans Georg Brecklinghaus, Strukturelle Integration (Rolfing), in: Naturheilverfahren, Hrsg. M.Bühring/ F.H.Kemper, Heidelberg 1995??Hans Flury, Die neue Leichtigkeit des Körpers, München 1995 HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Zum_Begriff_Korperstruktur/" \l "3" (zurück zum Text)? 
Natürlich ist auch „bewegungsloses“ Stehen in Wahrheit nicht bewegungslos, sondern erfordert ununterbrochen minimale Ausgleichsbewegungen, um das Gleichgewicht zu erhalten. Dennoch ist es sinnvoll, zwischen statischer Körperposition und Bewegung zu unterscheiden. HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Zum_Begriff_Korperstruktur/" \l "4" (zurück zum Text)? 
Dr. Valerie Hunt fand in einer Untersuchung heraus, daß Menschen nach der Rolfing-Behandlung der Strukturellen Integration ihre Muskeln beim Gehen, Aufstehen und anderen Bewegungen kürzere Zeit und mit niedrigerem Tonus aktivierten als Unbehandelte.?V.Hunt, A Study Of Structural Integration from Neuromuscular,  Energy Field, and Emotional Approaches, Los Angeles 1977 HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Zum_Begriff_Korperstruktur/" \l "5" (zurück zum Text)


Körperstruktur und Bewegung des Menschen in der altägyptischen Kunst

Jede Kunstepoche kann unter den verschiedensten Aspekten betrachtet und kontrovers diskutiert werden: Ästhetik, Stil, Werkverfahren, handwerkliche Qualität, kunst- und geistesgeschichtliche Zusammenhänge des jeweiligen Menschenbildes usw.
    Zum Menschenbild gehört auch das Verhältnis zur eigenen Körperlichkeit. Wenn wir verschiedene Kulturen und Zeitalter an uns vorüberziehen lassen, können wir feststellen, daß die dargestellten menschlichen Körper sich nicht allein stilistisch, sondern vor allem auch in ihrer physischen Form, ihrer Gestalt unterscheiden. Ganz bestimmte Haltungen und Bewegungsmuster werden dementsprechend jeweils bevorzugt dargestellt.
    Diese unterschiedlichen Formprinzipien tendieren entweder zu einer ausgewogenen Ausrichtung des Körpers im Schwerefeld der Erde oder zu einer in diesem Sinne mangelhaften Körperstruktur.
    In der einschlägigen ägyptologischen und          kunstgeschichtlichen Literatur fehlt dieser Aspekt der Kunstbetrachtung - der Aspekt der Körperstruktur also - fast vollständig.
    Im vorliegenden Beitrag geht es um diese Frage nach den körperstrukturellen Zusammenhängen bei den ägyptischen Kunstwerken. Ich bin dabei vom HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Zum_Begriff_Korperstruktur/zum_begriff_korperstruktur.html" Konzept Dr. Ida Rolfs , der Begründerin der Methode der „Strukturellen Integration“, ausgegangen und habe unter diesen Aspekten altägyptische Skulpturen und Flachbilder betrachtet. Die Aussagen, die daraus gewonnen werden, lassen sich unmittelbar aus dem Kunstwerk selbst ablesen.
Exemplarische Besprechung einiger Kunstwerke
Für das Erfassen von Körperbau- und Bewegungsprinzipien ist es hilfreich, die Abbildungen nicht nur analytisch mit dem Auge zu erfassen, sondern mit dem ganzen Körper zu erspüren und so auf sich wirken zu lassen.
    Ein schönes Beispiel für strukturell ausgewogene Schreit-Stand-Rundbilder sind die der DienerInnen von Abb.1.
    Die Figuren weisen eine aufrechte Haltung auf. Die seitliche Lotlinie kann mühelos vom Fußknöchel des Standbeins über Knie und Hüftgelenk, Ellbogen und Schulter bis zum Ohr verfolgt werden. Die einzelnen Körpersegmente werden von den jeweils darunterbefindlichen Segmenten optimal unterstützt. Gleichzeitig dehnt sich der Körper mühelos nach oben aus - sichtbar an der Extension des Kopfes aufwärts.
INCLUDEPICTURE "http://www.altaegypten.com/Korperstruktur_in_der_Kunst/Abb.0019-G_ttin_sitz_NR.jpg" \ MERGEFORMATINET  
  Abb.2: Göttin (Neues Reich)
    Viele ägyptische Kunstwerke zeigen Menschen bei der Arbeit, beim Sport oder spielend. Daher sind Motive verschiedener Bewegungsvorgänge sehr zahlreich in der altägyptischen Kunst. Das weitverbreitete Vorurteil, altägyptische Kunst sei statisch, ist also unzutreffend.
    Wenn wir die Art der dargestellten Bewegung bei altägyptischen Rund- oder Flachbildern betrachten, so fällt der öknonomische, also kraftsparende Gebrauch des eigenen Körpers auf.
INCLUDEPICTURE "http://www.altaegypten.com/Korperstruktur_in_der_Kunst/image008.jpg" \ MERGEFORMATINET Abb.3: Schreiner (18.Dynastie)
    Abb.3 zeigt zwei Schreiner bei der Arbeit. Beide Männer nutzen optimal das eigene Körpergewicht aus, um den für ihre Arbeit nötigen Kraftaufwand gering zu halten. Die eine Voraussetzung dafür ist mit der Unterstützung der oberen Segmente durch die unteren schon genannt. Wir finden dies auch bei dem zweiten Mann (links) gegeben, denn sein Gewicht wird durch das weit vorgestellte Bein aufgefangen. Gleichzeitig - und das ist die zweite Voraussetzung - ermöglicht das vorgebrachte Bein eine nach vorn gerichtete Gewichtsverlagerung und Kraftübertragung.
    Die aufrechte Haltung des Mannes rechts im Bild hat seinen Grund darin, daß der Rumpf sich auf dem leicht nach vorn gekippten Becken mühelos aufrichten kann. Die Folge ist, daß der innere Raum des Oberkörpers nicht komprimiert ist, Atmung und innere Organe finden genügend Raum.
    Die Skulptur der Abb.4 stellt einen Bierbrauer dar. Er arbeitet in einer faltenden Bückhaltung. Knie, Becken und Rumpf balancieren sich gegenseitig aus. Dank dem Ausdehnungsmodus von Bewegung sind Körpervorderseite und -rückseite offen und weit. Fussgelenke, Knie und Hüftgelenke bleiben flexibel. Die Kraft überträgt sich vom Boden in die Körpermitte und von dort in die Arme. Die Aufmerksamkeit des Mannes ist auf die Umgebung gerichtet und gleichzeitig im Boden verwurzelt.
INCLUDEPICTURE "http://www.altaegypten.com/Korperstruktur_in_der_Kunst/image010.jpg" \ MERGEFORMATINET  
 Abb.4: Bierbrauer (2450 v.Chr.)
Auseinandersetzung mit herkömmlichen Auffassungen
Die vorbildlichen Bewegungsmuster von Menschen in der altägyptischen Kunst erwecken beim Betrachter den Eindruck von Leichtigkeit und Mühelosigkeit. Dieser typische Eindruck hat in der Literatur häufig verdrehte Begründungszusammenhänge gefunden.
    So schreibt etwa Walther Wolf:
    ,,Nun gibt es eine Unmenge tätig bewegter Gestalten in den Flachbildern (...) Wir denken da besonders an die Bilder arbeitender Handwerker. Aber wie mühelos scheint ihre Arbeit vor sich zu gehen! Die einzelnen Glieder des  Körpers (...) sind in ihrer Stellung als wesentlich und kennzeichnend für die ausgeübte Tätigkeit wiedergegeben; doch sie scheinen sich nicht gegenseitig zu beeinflussen oder aufeinander zu wirken.“ (Hervorhebung von mir) HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Korperstruktur_in_der_Kunst/" \l "1" 1)
    Wolf meint, das altägyptische Rundbild habe kein Lebenszentrum, von dem aus die Glieder bewegt und zueinander in Beziehung gesetzt werden. An die Stelle des Gleichgewichts zwischen dem Ganzen und seinen Teilen trete der Vorrang der Teile vor dem Ganzen. Dies bedeute einen Verzicht auf die Herausarbeitung des Funktionalen.
    Ähnlich urteilt Heinrich Schäfer HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Korperstruktur_in_der_Kunst/" \l "2" 2), wenn er die Vokabel ,,schein-organisch“ gebraucht und behauptet, daß die ägyptische Auffassung des Organismus die Teile  nicht einander helfend unterordne, sondern sie ohne innere wechselweise Beziehung aneinandersetze.
    In Wahrheit ist es jedoch genau umgekehrt: Die Bewegung von der Körpermitte aus und ein optimales Aufeinanderbezogensein der Körpersegmente ermöglichen das Leichte und Spielerische der Bewegung bei den in altägyptischen Flachbildern dargestellten Personen. Tatsächlich sind die Einzelteile des Körpers bei den Skulpturen klar voneinander differenziert. Dies geschieht aber in einer strukturell und funktional sehr genau aufeinander abgestimmten Weise, so daß sich insgesamt eine integrierte Gesamtform des Körpers im dreidimensionalen Raum ergibt.
    Emma Brunner-Traut argumentiert ähnlich wie Wolf, wenn sie kein ,,funktionales Ineinandergreifen“ im Ausdruck der Bewegung erkennen kann. Sie sieht nur ,,normierte Gebärden“ und meint, daß Bewegung oder Tätigkeit bei den Ägyptern nicht tatsächlich dargestellt, sondern lediglich zeichenartig dargestellt worden sei: diese Person arbeitet gerade dies und eine andere gerade jenes. HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Korperstruktur_in_der_Kunst/" \l "3" 3)
    Selbst wenn man von normierten Gebärden sprechen möchte, so bleibt doch die Tatsache bestehen, daß uns eben nicht nur die spezielle Tätigkeit signalisiert wird, sondern auch das körperfunktionale Wie der Ausübung. Und das Faszinierende ist, daß auf das Wie der Bewegung nicht irgendeine, sondern die bestmögliche Antwort  gegeben wurde.
    Zu Recht schrieb Dr. Ida Rolf, die Begründerin der körperpädagogischen Methode der „Strukturellen Integration“:
    „Es gibt in der Welt verschiedene Vorstellungen von einem Gleichgewicht  (des menschlichen Körpers, d. Verf.). Wir definieren eine Vorstellung, die über Jahrhunderte hinweg nicht mehr vorgebracht wurde. Ich vermute, daß diese Vorstellung zur Zeit der alten Ägypter bekannt gewesen ist. (...)
    Unser Gleichgewicht - die Horizontalen, die wir erreichen möchten - ergibt sich aus der Wechselwirkung von Bewegung in drei Ebenen (…) Nur wenn alle drei Ebenen in einer ausgewogenen Beziehung zueinander stehen, kann ich das Ergebnis als Gleichgewichtszustand akzeptieren.“ HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Korperstruktur_in_der_Kunst/" \l "4" 4)
Schluß
In der Geschichte hat es über so lange Zeit kaum eine Kunst gegeben, die, wie die ägyptische, in solch prägnanter Klarheit, auf hohem Niveau, ideale strukturelle Formprinzipien des Körperbaus und entsprechend vorbildliche Bewegungsprinzipien bei der Menschendarstellung wiedergegeben hat.
    Diese Tatsache macht altägyptische Skulpturen und Flachbilder als Ausdruck eines pädagogischen Körper-Ideals für den heutigen Betrachter hochinteressant, insbesondere für Fachleute und interessierte Laien auf den Gebieten der Bewegungskunst, Körpertherapie und -pädagogik.
    Zusätzlich erschließen sich über den Strukturaspekt der Körperdarstellung zusätzliche Erkenntnisse über die Zeit der Pharaonen ( HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Bewegung_im_Alltag/bewegung_im_alltag.html" Körperbewußtsein...), besonders über das geistige HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Geistiges_Menschenbild/geistiges_menschenbild.html" Menschenbild der alten Ägypter.
 
Anmerkungen
1) Walther Wolf, Die Kunst Ägyptens, Stuttgart 1957,?     S.62 ff. und 270 f.?     ( HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Korperstruktur_in_der_Kunst/" \l "Anm1" zurück zum Text)
2) Heinrich Schäfer , Von ägyptischer Kunst, Wiesbaden?     1963, S.347 f.?     HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Korperstruktur_in_der_Kunst/" \l "Anm2" zurück zum Text)
3) Emma Brunner-Traut in einem Nachwort zu: H.Schäfer,?    Von ägyptischer Kunst, a.a.O., S.410 f. ( HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Korperstruktur_in_der_Kunst/" \l "Anm3" zurück zum Text)
4) Ida Rolf, Rolfing im Überblick, Paderborn 1993,?    S.76 f. und S.125 f.



Die Kunstschaffenden und die Rolle der Kunst?im alten Ägypten
INCLUDEPICTURE "http://www.altaegypten.com/Rolle_der_Kunst/a_image002.jpg" \ MERGEFORMATINET Ein Kunstwerk hat einen Urheber, und dennoch, wenn es?vollkommen ist, eignet ihm etwas wesenhaft Anonymes.? Es ahmt die Anonymität der göttlichen Kunst nach.
Simone Weil HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Rolle_der_Kunst/" \l "a1" 1 HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Rolle_der_Kunst/" \l "a1" )
Es ist nur wenig überliefert, was die soziale Stellung sowie das persönliche und berufliche Selbstverständnis der Künstler im alten Ägypten betrifft. HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Rolle_der_Kunst/" \l "a2" 2 HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Rolle_der_Kunst/" \l "a2" ) Die Kunst war weitgehend anonym: Wir kennen kaum mehr als ein Dutzend Namen von Künstlern. Eigentlich gibt es den Begriff des Künstlers im alten Ägypten noch gar nicht. Schon im Alten Reich gab es für den „Künstler“ und den ,,Handwerker“ nur einen gemeinsamen Begriff. Das entsprechende Wortzeichen ist die einem Steinbohrer nachempfundene Hieroglyphe.
    Der Künstler wurde also als ein Kunst-Handwerker angesehen. Er arbeitete nach Vorlagen, unterstand dem Tempel bzw. der staatlichen Verwaltung, arbeitete auf Bestellung für einen bestimmten Zweck und signierte in der Regel seine Arbeit nicht. Neben anderen Handwerkern arbeitete er in der Werkstatt, mal ein Tischbein, mal eine Holzfigur schnitzend. An Statuen und Reliefs haben mehrere Künstler verschiedene Arbeitsgänge nacheinander ausgeführt (Abb.1). HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Rolle_der_Kunst/" \l "a3" 3 HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Rolle_der_Kunst/" \l "a3" )
INCLUDEPICTURE "http://www.altaegypten.com/Rolle_der_Kunst/image003.jpg" \ MERGEFORMATINET Abb.1: Bildhauerwerkstatt (ca. 1440 v.Chr.)
    In den allgemeinen Werkstätten der Künstler des Alten Reiches gingen Bildhauer, Maler, Kunstschreiner und Balsamierer (!) gemeinsam ihrer Arbeit nach und bildeten dort ihre Schüler aus. ,,Lebenshaus“ nannte man diese Stätten. Dort fand übrigens auch die Ausbildung von Ärzten statt.
    In späterer Zeit gab es freilich Ateliers, die von einzelnen Künstlern geführt wurden. Dort scharten die ,,Oberbildhauer“ ihre Schüler um sich und unterwiesen sie. Überhaupt gab es eine streng hierarchisch aufgebaute Standesorganisation. Da gab es ,,Bildhauergehilfen“, ,,gemeine Bildhauer“, ,,Aufseher der Bildhauer“ und eben die ,,Oberbildhauer“.
    Trotz seiner Einordnung ins Handwerk und obwohl der Künstler in seiner Kreativität eingeschränkt war durch das Regelwerk des Kanons und durch funktional gebundene Vorgaben, welche die Kunst weitgehend zur Dienerin religiös-kultischer Zwecke machte - trotz alledem ist auch der Künstler im alten Ägypten tatsächlich ein Künstler gewesen.
    Denn erstens ist bei der Durchführung eines größeren Auftrags - etwa bei der Dekorierung eines Grabes oder eines Tempels - eine künstlerische Gesamtleitung Voraussetzung. Zum zweiten sind bei aller kanonischen Gleichförmigkeit die Gräber und Tempel unterschiedlich gestaltet. Immer wieder treten Innovationen und individuelle Gestaltung von Motiven, Kompositionen und Stilelementen einzelner Kunstwerke auf. Besonders im Bereich der Rundplastiken sind künstlerische Einzelleistungen, individuelle künstlerische ,,Handschriften“ nachweisbar. Und drittens läßt sich aus der unterschiedlichen Qualität vieler Kunstwerke schließen, daß es sowohl den künstlerisch Begabten wie den einfachen Kopierer gab. Daß die Künstler weitgehend anonym geblieben sind, widerspricht nicht der Tatsache, daß es eine Fülle genialer Künstler gegeben hat. HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Rolle_der_Kunst/" \l "a4" 4 HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Rolle_der_Kunst/" \l "a4" )
    Die Übersetzung des ägyptischen Wortes für ,,Bildhauer“, s-ankh , bedeutet: ,,der lebendig macht“, und es wird von ihm gesagt: ,,Ohne seine Kunst ist kein Weiterleben“ (nach dem Tode, d.Verf.). Das Erschaffen einer Statue wurde mit dem Begriff für ,,Gebären“ bezeichnet. Dies gibt dem Künstler eine über das Handwerkliche hinausgehende Bedeutung und weist klar auf einen geistig-religiösen Auftrag der Kunst hin. Und in der Tat ist bis zum Neuen Reich Kunst überwiegend religiöse Kunst gewesen. Selbst wenn sie weltliche Inhalte zur Darstellung brachte, diente sie einem spirituellen Zweck.
    Der Künstler diente einer göttlichen Aufgabe, er war Ausführender eines überpersönlichen Kunstschaffens. Erst die direkte oder imaginative Durchlässigkeit für die geistige Welt, für das Göttliche, gab der Kunst die Möglichkeit, eine Welt lebendiger Ordnungen widerzuspiegeln. Der Schutzgott der Künstler ist nicht von ungefähr der Ur- und Schöpfergott Ptah, der Gott aller formbildenden Kräfte, die im menschlichen wie im göttlichen Schaffen zur Offenbarung kommen.
    So gesehen ist die Anonymität der meisten Künstler nicht verwunderlich, da sie in ihrem Bewußtsein noch nicht als ich-starke Individuen existierten. Nur vereinzelt und erst ab dem Mittleren Reich treffen wir auf individuelle Selbstdarstellungen oder Signaturen von Kunstwerken. Die Person des Künstlers tritt noch weitgehend hinter die ,,Gruppenzugehörigkeit“ (Ken Wilber) und hinter den göttlichen Auftrag zurück.
    Ägyptologen wie Heinrich Schäfer vermuten, daß die Kunst im nördlichen Landesteil entstanden ist, weil dort die Ursprünge der ägyptischen Kultur insgesamt zu finden seien. Dies stimmt überein mit der Aussage Rudolf Steiners, daß die entscheidenden Kulturimpulse durch das im Norden entstandene Mysterienwesen gegeben wurden. Schäfer nimmt die Stadt Memphis als die in den Anfängen führende Kunstmetropole an. Denn der Gott dieser Stadt, der Weltschöpfer Ptah, war schon früh zum Schutzherrn der Künstler und Handwerker im ganzen Land geworden. Sein Hoherpriester trug den Titel ,,Oberleiter der Künstler“.
    Die Götterlehre der ,,großen Neunheit“ der Götter, an deren Spitze Ptah stand, wurde freilich nicht direkt in Memphis, sondern im nahe gelegenen Sonnen-Heiligtum Heliopolis begründet. Dort gab es eine große Tempelschule und gewisse Zentralmysterien.
    Bekanntlich waren es die Pharaonen bzw. Weise aus ihrer unmittelbaren Umgebung, die alle entscheidenden Kulturimpulse einleiteten, also auch die Entwicklung der spezifisch ägyptischen Kunst. In vielen Fällen ist dies durch schriftliche Quellen gut belegt. HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Rolle_der_Kunst/" \l "a5" 5 HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Rolle_der_Kunst/" \l "a5" )
    Offenbar waren neben dem Pharao und höheren Weisen auch die führenden Künstler zumindest in niedrige Mysteriengrade eingeweiht oder hatten Anteil an geheimem Wissen. Denn die kanonischen ,,Musterbücher“ waren Bestandteil geheimen Wissens, das als heilig galt. Der Ägypter bezeichnete sie daher auch als ,,Gottesbücher“, die im ,,Lebenshaus“ von Priestern aufbewahrt wurden, wo auch die jüngeren Künstler ausgebildet wurden (Abb.2).
INCLUDEPICTURE "http://www.altaegypten.com/Rolle_der_Kunst/image004.jpg" \ MERGEFORMATINET Abb 2.: Symbol für das Lebenshaus (aus dem Papyrus Salt 825)
    Führende Künstler sind auch als Priester ausgewiesen, wie z.B. auf einer Stele aus dem Mittleren Reich, wo es heißt: ,,O all ihr Priester, die ihr in die Gottesworte eingedrungen und der Schrift kundig seid, ihr seid es, die im Lebenshaus erhellt wurden... und in die Schriften des Bücherhauses eingedrungen sind... ihr, die ihr das Grab dekoriert...“ HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Rolle_der_Kunst/" \l "a6" 6 HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Rolle_der_Kunst/" \l "a6" )
    Interessant ist die Biografie des Hof- und Oberbildhauers Irtisen aus der Anfangszeit des Mittleren Reiches, gefunden auf seiner Stele am Osiris-Tempel in Abydos. Er sagt da: ,,Ich kenne das Geheimnis der Gottesworte.“ Gemeint ist damit offensichtlich eine geheime, esoterische Bedeutung von Hieroglyphen und Bildern. Er zählt dann seine künstlerischen Fertigkeiten auf und fährt fort: ,,Es gibt keinen, der Kunde darin erlangt hätte unter allen Leuten, außer mir allein und meinem ältesten leiblichen Sohn, nachdem der Gott befohlen hatte, daß er für ihn darin kundig sein sollte.“ HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Rolle_der_Kunst/" \l "a7" 7 HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Rolle_der_Kunst/" \l "a7" )
    Wenn aber nicht nur der tiefere Inhalt der Kunst und sein Zweck der Geheimhaltung unterlagen, sondern auch der spirituelle Sinn des Kunstkanons und grundlegende künstlerische Fertigkeiten, so war also auch der Stil in erster Linie geistig-inhaltlich und nicht einfach formal bestimmt, wie manchmal behauptet wird.
    Der Kunststil war die Sichtbarmachung des Unsichtbaren, eines geistigen Inhalts ( HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Geistiges_Menschenbild/geistiges_menschenbild.html" Das geistige Menschenbild... ). Das Werkverfahren und die formalen Mittel der Kunst waren die Hilfsmittel, mit denen nachgeordnete Künstler und Gehilfen die geistigen Inhalte umsetzen konnten, ohne ihren tieferen Inhalt ganz verstehen zu müssen.
Anmerkungen
1) Simone Weil , christliche Philosophin und Mystikerin (1909-1943)?    Zitat aus: S.Weil, Schwerkraft und Gnade, München 1981, S.202?    HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Rolle_der_Kunst/" \l "1" (zurück zum Text)
2) Siehe hierzu:?    ?    Claude Vandersleyen , Das alte Ägypten. Kunst und Kultur, Berlin 1985, S.92 ff.
    Walther Wolf, Das Problem des Künstlers in der ägyptischen Kunst,?    Hildesheim 1951, S.29, 37 ff., 46 und 51
    Philipp Vandenberg, Nofretete, München 1984, S.47 ff.
    Heinrich Schäfer, Von ägyptischer Kunst, Wiesbaden 1963, S.68 und 70 f.
    Gottfried Richter , Ideen zur Kunstgeschichte, Frankfurt/M. 1983, S.30 f.?    HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Rolle_der_Kunst/" \l "2" (zurück zum Text)
3)  An einem Relief arbeitete zuerst der Umrißzeichner, dann der Bildhauer, der die?     Konturen ausmeißelte, schließlich der Maler, der Schrift und Bild  farbig machte.?     An einer Plastik haute zuerst der Steinarbeiter den Block roh zu, dann meißelte?     der Statuenmacher die Figur, ein anderer polierte, der letzte bemalte sie.?     Meistens stand am Beginn jeder komplexen Arbeit  ein leitender Künstler, ?     der die Gesamtkomposition entwarf. HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Rolle_der_Kunst/" \l "3" (zurück zum HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Rolle_der_Kunst/" \l "3" Text)
4)  Auch die abendländische Kunst bis ins Hochmittelalter ist anonym. Freilich tritt ?     hier der einzelne Künstler schon deutlicher in Erscheinung: Die Kunstwerke ?     lassen sich einzelnen Künstlern klarer zuordnen als bei den Ägyptern. ?     HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Rolle_der_Kunst/" \l "4" (zurück zum Text)
5)  Auf dem Gebiet der Baukunst war es in der 3.Dynastie der große Weise?     Imhotep, der die siebenstufige Pyramide des Pharao Djoser kreierte.?    ?         Auch für spätere Zeiten ist es nachweisbar, daß die Pharaonen direkt oder ?     über Beauftragte Einfluß auf den künstlerischen Stil nahmen und Neuerungen?     einführten: Amenhotep-Sohn-des-Hapu, der Wesir und Oberbaumeister des ?     Pharao Amenophis III. sowie Lehrer Echnatons , gab der Kunst am Vorabend ?     der Amarna-Zeit entscheidende Impulse. Von ihm heißt es auf der Rückseite ?     einer Stifterfigur: ,,Ich wurde eingeführt in das Gottesbuch; ich erblickte die ?     Vergeistigungen des Thoth und wurde vertraut gemacht mit ihren Geheimnissen.“?     (Zitat: Ph. Vandenberg, Nofretete, a.a.O., S.89) Echnatons ,,Oberster der Bild-?     hauer“ mit Namen Bak bezeichnete sich auf einer Stele als „einer, den seine ?     Majestät selbst unterwiesen hat“. HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Rolle_der_Kunst/" \l "5" (zurück zum Text)
6)  Zitiert nach: Arne Eggebrecht, Das alte Ägypten, München 1984, S.410?     HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Rolle_der_Kunst/" \l "6" (zurück zum Text)
7)  Zitiert nach: Wolfgang Schenkel, Memphis. Herakleopolis. Theben, in: Ägyp-?     tologische Abhandlungen, Wiesbaden 12/1965 HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Rolle_der_Kunst/" \l "7" (zurück zum Text)

Wahrnehmungs- und Ausdrucksfähigkeit der Künstler im alten Ägypten
INCLUDEPICTURE "http://www.altaegypten.com/Kunstlerische_Fahigkeiten/image003.jpg" \ MERGEFORMATINET Nur das Ewige ist unverletzbar durch die Zeit. Soll ein?    Kunstwerk immer Bewunderung finden - so bedarf es ?    einer Eingebung, die von jenseits des Himmels herabsteigt.
Simone Weil HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Kunstlerische_Fahigkeiten/" \l "a1" 1 HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Kunstlerische_Fahigkeiten/" \l "a1" )
Übersinnliche Wahrnehmung und Menschenbild
Um zu verstehen, wie die Künstler die abzubildende Welt wahrgenommen haben, muß man wissen, welche hauptsächlichen Wesensanteile die alten Ägypter bei sich selbst wahrgenommen haben.
     Die folgende Übersicht gibt die wichtigsten Wesensanteile wieder, welche die Ägypter in ihrem Mensch-Sein unterschieden haben:
     Wesensanteile im ägyptischen Menschenbild:
     Chat: stofflicher Leib
     Ka : Lebenskraft, Träger von Fortpflanzung, Formbildung und Wachstum
     Ba: repräsentiert die Körperhaftigkeit der Seele (Instinkte, Sinnesempfindungen,?            Leidenschaften, Triebe)
     Ach: geistiges Urbild des Ba; unsterblicher geisterfüllter Seelenanteil
     Man beachte, daß die Ägypter demnach keinen Ich-Anteil in der Vorstellung über sich selbst bessaßen.
     Der Ka des Menschen wird in der Menschenkunde der Geisteswissenschaft Rudolf  Steiners „Ätherleib“, oder „Lebensleib“ bzw.  „Bildekräfteleib“ genannt. Steiner steht mit der Annahme eines solchen Wesensgliedes in einer Tradition abendländischen Denkens, die u.a. von Aristoteles über Paracelsus bis zu I.H. Fichte reicht. HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Kunstlerische_Fahigkeiten/" \l "a2" 2 HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Kunstlerische_Fahigkeiten/" \l "a2" ) Der Begriff (Äther)-„Leib“ sollte übrigens nicht als eine Art materieller Körper mißverstanden werden. Es handelt sich vielmehr um einen Hilfsbegriff, der Kräftewirksamkeiten übersinnlicher Natur beschreibt. Dies gilt auch für den „Seelenleib“ (R. Steiner), den die Ägypter Ba nannten.
     Wir wissen, daß der HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Zum_Begriff_Korperstruktur/zum_begriff_korperstruktur.html" menschlichen Struktur des materiellen Körpers elektromagnetische Feldstrukturen entsprechen. Seit einigen Jahren spielt dieses bioelektrische Kommunikationssystem des Organismus in der biophysikalischen Forschung eine immer größere Rolle. Elektrische und magnetische Energie, von einigen Wissenschaftlern als materiell-energetische Derivate einer ätherischen Lebenskraft angenommen, fließen in einem rechten Winkel zueinander, z.B. die schwachen Elektronenströme entlang der Proteine des Bindegewebes, die in der chinesischen Medizin als Meridiane bekannt sind. Vielleicht besteht eine Analogie zwischen dieser von den Ägyptern geschauten Gesetzmäßigkeit und ihrer Betonung des rechten Winkels in der Menschendarstellung.
     Bei der Schilderung des physiologischen Wissens in der Heilkunde des alten Ägypten hatte ich darauf hingewiesen, dass die ägyptische Bezeichnung des Herzens als Sitz des Denkens (im Papyrus Ebers) vielleicht eine bestimmte Beziehung zwischen geistiger und physischer Ebene andeuten sollte HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Korperstrukturelles_Wissen_/korperstrukturelles_wissen_.html" (Was wußten... ). Es könnte, wenn wir entsprechenden Ausführungen Rudolf Steiners folgen, die Funktion des ätherischen Herzens als „unterbewußtem Wahrnehmungsorgan“ (R. Steiner) des Seelisch-Geistigen für das Physische gemeint sein. Diese ätherische Herzfunktion dient dazu, so Steiner, daß der geistige Mensch den irdischen Körper dauernd wahrnimmt, um den Leib als Grundlage für Seelisch-Geistiges bis in die Stoffwechselprozesse hinein zu gestalten. HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Kunstlerische_Fahigkeiten/" \l "a3" 3 HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Kunstlerische_Fahigkeiten/" \l "a3" ) Daß dies für die Ägypter von besonderer Bedeutung war, ist nicht verwunderlich, ging es doch bei ihrer Bewußtseinsentwicklung u.a. darum, sich in ihren physischen Körper einzuleben ( HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Stellung_Altagyptens/stellung_altagyptens.html" Die Stellung...).
     Während heute, so Rudolf Steiner , Ätherleib (Ka) und Astralleib (Ba) fest an den physischen Leib (Chat) gebunden sind, war diese Verbindung der Leibesebenen bei den Ägyptern noch nicht so eng. Daher konnten Äther- und Astralleib den physischen Körper mehr beherrschen, was eine gleichsam natürliche Imagination und Inspiration möglich machte.
     Auf der anderen Seite stand der physische Leib für die Ägypter noch in inniger Verbindung mit den Kräften der Erde. Es gab im Bewußtsein keine Trennung zwischen Körper und Seele, zwischen Erde und Mensch.
     Die Ägypter stellten sich die Erde als gleichsam organisches Wesen vor, und die Kräfte der Erde wirkten in den Leib hinein durch ihre formbildenden Ätherkräfte. Wenn der Leib krank ist, so ist sein Verhältnis zur Erde gestört, da er ja aus ihren Elementen (vor allem aus Wasser, aber auch aus Erde, Luft und Wärme) genommen ist. Daher auch der hohe Stellenwert der körperlichen Reinigung durch das Element Wasser bei den Ägyptern.
     Der anthroposophische Kunstgeschichtler Ernst Uehli sagt: So wie das menschliche Bewußtsein im Laufe langer Zeiträume eine Veränderung durchgemacht habe, so habe auch das menschliche Auge als Sehorgan eine solche Veränderung erfahren. HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Kunstlerische_Fahigkeiten/" \l "a4" 4 HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Kunstlerische_Fahigkeiten/" \l "a4" )
     Der vordere Teil des Auges, welcher die Sinneseindrücke empfange, sei zur Zeit des alten Ägypten bei den Menschen noch viel lebendiger gewesen, als dies später und heute der Fall ist. Das Auge war noch von Lebens- und Bildekräften durchzogen. Ein solches Auge empfand die in der Erscheinungswelt wirkenden Lebens- und Bildekräfte, also den Ätherleib lebendiger Wesen, mit. Der Schutzgott der Künstler war Ptah, Gott der schöpferischen Bildekräfte.
     Daher - und nicht etwa, weil sie der intellektuellen Abstraktion fähig gewesen wären - konnten die ägyptischen Kunstschöpfer noch das Wesenhafte des Menschen erkennen und in der Kunst zur Darstellung bringen.
     Je mehr und ausschließlicher sich der Mensch später, beginnend mit den Griechen, den äußeren Sinneseindrücken hingab, um diese in ihren Gesetzmäßigkeiten verstandesmäßig zu erkennen und dadurch auch technisch zu beherrschen, desto mehr zogen sich die Lebenskräfte in das hintere Auge zurück.
     Sollte Ernst Uehli recht haben, könnten die alten Ägypter - jedenfalls die Schöpfer der Kunst in der Anfangszeit - bei der Wahrnehmung des Menschen den formgebenden Ätherleib (Ka), als Grundlage der materiellen Körperstruktur erlebt haben.
INCLUDEPICTURE "http://www.altaegypten.com/Kunstlerische_Fahigkeiten/image004.jpg" \ MERGEFORMATINET Abb.: Der Ka des Pharao Horus Dachur, 13.Dynastie
     Diese Deutung wird noch erhärtet durch das Wort ,,Mkat“ (Ka mit m als Präfix) , was ,,Basis“ oder ,,Unterlage“ bedeutet; also einen Bauteil bezeichnet, der etwas zu tragen hat. Auch ein Verb, das aus Ka gebildet wird, nämlich ,,kawt“, hat die Bedeutung ,,tragen“, „hochheben“. Im Ka (Ätherleib) wurde also von den alten Ägyptern eine Kraftrichtung als wirksam erlebt, die der Erdenschwere entgegengerichtet ist. Die Haltung der beiden Ka-Arme (senkrecht nach oben) deutet in dieselbe Richtung (s.Abb.).
     Für die alten Ägypter war der menschliche Ka Teil eines kosmischen Ka.
     Wir finden zum Beispiel viele Darstellungen, wo der kosmische Ka die Sonne aus dem Dunkel der Nacht an den Tageshimmel emporhebt (!) und dadurch erscheinen lässt. HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Kunstlerische_Fahigkeiten/" \l "a5" 5 HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Kunstlerische_Fahigkeiten/" \l "a5" ) Der kosmische Ka wird also u.a. als Träger des Lichtes gedeutet.
     In Bezug auf die menschliche Aufrichtung hat für die alten Ägypter die Sonne eine vermittelnde Rolle gespielt zwischen kosmischem Ka und menschlichem Ka. Dies kommt in vielen Texten zum Ausdruck. So heißt es im Sonnengesang des Echnaton: ,,Am Morgen bist du aufgegangen am Horizont und bist strahlend als Sonne des Tages... Die Menschen sind erwacht und stehen auf den Füßen, du hast sie aufgerichtet.“ HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Kunstlerische_Fahigkeiten/" \l "a6" 6 HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Kunstlerische_Fahigkeiten/" \l "a6" )
     Wenn wir diesen Vorstellungen der Ägypter über den Zusammenhang zwischen Körperstruktur, menschlichem Ka, kosmischem Ka und der Sonne neuzeitliche Auffassungen gegenüberstellen, können wir auffällige Parallelen feststellen.
     Ida Rolf schrieb: Bei Lebewesen „mit zunehmenderr Herausbildung von Ordnung definiert sich eine strukturelle Organisation bezüglich Gravitation und Antigravitation, und diese grundlegende, in der Erde verwurzelte Polarität drückt sich im vertikalen Auftrieb aus... Die vertikale Ausrichtung des Menschen bringt einen energetischen Bezug zwischen Sonne und Erde zum Ausdruck....“ HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Kunstlerische_Fahigkeiten/" \l "a7" 7 HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Kunstlerische_Fahigkeiten/" \l "a7" ) Denn ,,durch seine vertikale Ausrichtung wird der Mensch zwei unterschiedlichen Energiesystemen ausgesetzt, und zwar dem System der Sonne und dem der Schwerkraft. Somit werden zwei verschiedene Grundbedürfnisse des Körpers befriedigt. Ein Körper ‘ernährt’ sich von Energie. Diese Art der ,Nahrung’ hat viele unterschiedliche Quellen. Wenn man sich der Energie des Sonnenlichts aussetzt, ergeben sich deutlich erkennbare Veränderungen in der chemischen Zusammensetzung des Blutes und der Zellen. Setzt man sich den positiven Auswirkungen der Schwerkraft aus (ungehinderte Aufrichtung ohne Blockaden), so ändert sich der Flüssigkeitsaustausch (und damit die chemische Zusammensetzung) in den Myofaszien und im mesodermalen Gewebe des gesamten Körpers.“ HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Kunstlerische_Fahigkeiten/" \l "a8" 8 HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Kunstlerische_Fahigkeiten/" \l "a8" )
     Ida Rolf nimmt also in Bezug auf Wachstum und Aufrichtung des Menschen einen „energetischen Bezug zwischen Sonne und Erde“ an, eine „polarisierte Vertikale“. In diesem Zusammenhang macht sie besonders auf die Wirkung aufmerksam, welche Sonne und Schwerkraft auf das Blut und die Körperflüssigkeiten haben, und zwar besonders im Hinblick auf das mesodermale Gewebe (Myofaszien usw.). Dieses mesodermale Gewebe hat Ida Rolf als das Organ der Struktur beim Menschen angesehen. Es ist in unserem Kontext wichtig festzuhalten, dass die sie die Antigravitation der Schwerkraft zuordnet und nicht der Sonne. Denn mit Antigravitation meint sie offensichtlich die Stützkraft vom Boden her, die durch die Schwerkraft hervorgerufen wird. Sie verbleibt hier also im Newton schen Denkmodell von Schwere und Leichte.
     In seinen humanphysiologischen Schriften und Vorträgen macht Rudolf Steiner zunächst ganz ähnliche Zusammenhänge geltend. Für ihn ist der Ätherleib/Bildekräfteleib wesentlich an der Gestaltbildung des Menschen beteiligt, vor allem die flüssigeren Anteile des Bindegewebes und das Blut. Als unterstes übersinnliches Wesensglied wirken die Formprinzipien des Bildekräfteleibs in den physischen „Ausfüllungsmaterialien“.
     Im Unterschied zu  Rolf gibt Steiner jedoch noch etwas zu bedenken. Nach seiner Auffassung, die von anthroposophisch orientierten Wissenschaftlern aufgegriffen und weitergeführt wurde, sind der Raum und alle Lebensprozesse von einer fundamentalen Polarität zwischen Ausdehnung und Zusammenziehung gekennzeichnet. Daher müsse das Konzept der Schwerkraft durch die zu ihr polare nichtphysikalische Kraft, die „Leichte“ (Levitation) ergänzt werden. HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Kunstlerische_Fahigkeiten/" \l "a9" 9 HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Kunstlerische_Fahigkeiten/" \l "a9" ) Die Leichte ist ein Ergebnis der Ätherkräfte, die als „negative Materie“ von der Peripherie des Kosmos her saugend und damit auf den Organismus ausdehnend wirken, während die „positive Materie“ drückend und zusammenziehend wirkt.
     Vor allem die flüssigeren Anteile des Bindegewebes und das Blut vermitteln auf- und absteigend im Körper zwischen den zusammenziehenden Erdkräften und den lösenden Ätherkräften, die vom Kosmos her einstrahlen. Neueste bio-physikalische Denkmodelle gehen ebenfalls davon aus, dass ein Auftriebs-Feld des Blutes zwischen der absteigenden Aorta und der aufsteigenden vena cava existiert, das durch einen Gegenstrom-Energieaustausch der Wassermoleküle im Blutplasma entsteht. Das Auftriebs-Feld (Leichte-Feld) reduziert demnach die Trägheit des venösen Blutes, erleichtert somit dessen Rückfluß zum Herzen. Die relative Leichtigkeit des Blutstroms durch die ebenfalls spiralig angeordneten myofaszialen Gewebestrukturen des Körpers macht den Organismus als Ganzes leichter. HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Kunstlerische_Fahigkeiten/" \l "a10" 10 HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Kunstlerische_Fahigkeiten/" \l "a10" )
     Neben Bildekräfteleib und kosmischem Äther ist – so Steiner - ein drittes Element an der strukturellen Aufrichtung des Menschen beteiligt. In die Ätherkräfte, die von der unendlich fernen Raumesperipherie, aus einer Art „Gegenraum“ kommen, mischen sich die Astralkräfte der Sonne und anderer Planeten. Sie regen im Ätherischen die Bildekräfte an, welche die physische Form hervorbringen, und üben eine hebende, hinaufziehende Wirkung auf den Menschen aus. HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Kunstlerische_Fahigkeiten/" \l "a11" 11 HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Kunstlerische_Fahigkeiten/" \l "a11" )
     Das Licht wird als die „negative Gravitation“ angesehen, es ist als Sonnenlicht astralen Ursprungs. Somit ist das Astralische in Form der Sonne das dritte, ausgleichende Element zwischen den Polen Schwere (Materie) und Leichte (Äther). Positive und negative Materialität durchdringen sich im Menschen, im Zusammenspiel zwischen physischem Leib und Lebensleib.
     Steiner ist heute näher bei modernen physikalischen Kosmologien, als es noch zu seiner Zeit den Anschein hatte. Nachdem zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts die Vorstellung eines „Äther-Raumes“ von der Physik fallengelassen worden war, diskutieren namhafte Physiker und Biologen inzwischen wieder Vorstellungen von einem „Quantenäther“ oder von einem „morphogenetischen (=form-gebenden) Feld“ als Manifestation einer dahinterstehenden Lebensenergie. Erinnert sei auch an die jüngst von Wissenschaftlern formulierte Hypothese, dass es im Kosmos entweder eine noch nicht bekannte Form der Materie oder eine Antigravitationskraft geben müsse. Damit gelangt die moderne Physik in jenen Grenzbereich zwischen materiell verdichteter Welt und jener ätherischen Welt, von der der Ätherleib (Ka) des Menschen ein individualisierter Teil ist. HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Kunstlerische_Fahigkeiten/" \l "a12" 12 HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Kunstlerische_Fahigkeiten/" \l "a12" )
     Zusammenfassend kann man sagen, dass die alten Ägypter in Bezug auf die Aufrichtung des Menschen in ihrer Kunst eine tiefe Einsicht in Zusammenhänge zum Ausruck brachten, die erst in unserer Zeit wieder in Umrissen sichtbar werden.
Sinnliche Wahrnehmung
Wie genau die Ägypter sinnliche Phänomene der Natur sowie deren übersinnliche Urphänomene beobachtet und wiedergegeben haben, können wir an Beispielen der Tierdarstellung belegen. Emma Brunner-Traut schreibt dazu: ,,Die vortreffliche Beobachtung der Fauna schlägt sich... nieder in der... bildlichen Darstellung der Tiere. Bei aller Abstraktion steht die Gestalt doch vollkommen da, mit einem einzigen Schwung prägnant und formensicher umrissen, determinierend abgegrenzt gegen den nächsten Verwandten, aber ohne das geringste überflüssige Detail. ... Nur der kann ein Tier so zeichnen, der ständig mit ihm umgeht und sich in sein Wesen einlebt... Der Höhepunkt der Tierdarstellung liegt unbestritten in den fast naturwissenschaftlich genau zu nennenden Bildern des Alten Reiches.“ HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Kunstlerische_Fahigkeiten/" \l "a13" 13 HYPERLINK "http://www.altaegypten.com/Kunstlerische_Fahigkeiten/" \l "a13" )
     Diese Beurteilung läßt sich durchaus auf die Menschendarstellung der ägyptischen Künstler übertragen.
     Es gibt eine erhaltene Selbsteinschätzung durch einen der Künstler, die sich auf seine Fähigkeiten zur Beobachtung und Wiedergabe menschlicher Bewegung bezieht. Es handelt sich um den bereits erwähnten Oberbildhauer Irtisen aus dem Mittleren Reich. Auf seiner Stele sagt er von sich: ,,Ich kenne das Gehen einer Männergestalt und das Schreiten einer Frauenfigur; den ungestümen Lauf dessen, der einen Einzelfeind erschlägt...; das Heben des Arms von einem, der auf ein Nilpferd (die Harpune, d.Verf.) wirft; den Schritt eines Laufenden.“


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