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Direct Cinéma

Um 1960 änderten sich die Produktionsbedingungen radikal. Verschiedene Gruppen arbeiteten erfolgreich an neuen Techniken, die eine synchrone Tonaufnahme ermöglichten. Versuche mit einem synchronen Pilotton, der authentische Tonaufnahmen vor Ort ermöglichte, gab es schon vorher. Beispielsweise entwickelte der NWDR/NDR-Kameramann Carsten Diercks schon Mitte der 50er Jahre eine ähnliche Technik. Aber zu einem weltweit beachteten Arbeitsverfahren und Stil wurde der mobile Ton-Film durch eine Gruppe in den USA, zu der Robert L. Drew, Richard Leacock und Donn Allen Pennebaker gehörten.
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Hartmut Miesbach versuchte bei "Fernsehfieber" (SDR 1963)
originelle Aufnahmen zu bekommen und ließ sich dafür einige Tricks einfallen.

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Dreharbeiten zu "Tortur de France" (SDR 1963). Das Bild zeigt sehr anschaulich die Bedeutung des Begriffs "entfesselte Kamera".
Es bildete sich der neue Stil des "Direct Cinema" heraus, bei dem es nicht mehr um die perfekte Bildkomposition ging, sondern um eine Direktheit der Bilder. Mit 16mm-Kameras, Zoomobjektiven, Richtmikrofonen, lichtempfindlichem Material und dem weitestgehenden Verzicht auf künstliches Licht konnte die Illusion aufgebaut werden, dass der Zuschauer nun direkt dabei sei. Ziel war, das Geschehen möglichst unauffällig aufzunehmen und nicht einzugreifen.
Eine Bedingung dafür war es, dass das Team seine störende Anwesenheit auf ein Minimum reduzierte. Dies wurde durch die neue Technik im Prinzip ermöglicht.

Auf der anderen Seite ist es eine Illusion zu glauben, man würde in diesen Filmen wirkliches Leben ohne den Einfluss des Teams sehen können. Denn bei aller Direktheit der Bilder konzentrierte sich die Gruppe auf Themen, die spannend waren (z.B. Wahlkampf, Fußballmatch, Autorennen, Todesstrafe), d.h. dramaturgisch von selbst auf einen natürlichen Höhepunkt zuliefen. Zum anderen wurde enorm viel Material gedreht und die eigentlichen Qualitäten der Filme entstanden beim anschließenden Schnitt.

Wie gekonnt der spätere amerikanische Präsident John F. Kennedy die Medien und insbesondere den Film für seine Kampagne nutzte, beweist der Film "Primary" (USA 1960). Er porträtierte den Vorwahlkampf zwischen Senator Hubert Humphrey und Kennedy und war ein früher Versuch, den Stil des "Direct Cinema" zu realisieren. "Primary" wurde im März 1960 gedreht, und aus rund 20 Stunden Material wurde eine 50minütige Endfassung herausdestilliert. In einer Analyse schreibt Frank Unger dazu: "Offensichtlich war es eine der selbstgesetzten Aufgaben des Drew-Teams, die besondere Delikatesse dieses Aufeinandertreffens zweier politischer Welten sichtbar werden zu lassen:
Auf der einen Seite der etwas dröge Humphrey, ein gestandener Politiker der New-Deal-Schule, der immer Wert darauf gelegt hatte, 'aus dem Volke' zu kommen und folglich dessen Sprache zu sprechen, der Freund und Anwalt der 'kleinen Leute' (im konkreten Fall der Kleinfarmer), der an Sachfragen interessiert war und die Probleme seiner Klientel einschließlich praktischer Fragen der Viehzucht bis in die Einzelheiten kannte, der zu den Leuten hinging, um sie in deren eigenem Interesse für sich zu gewinnen.

Auf der anderen Seite die 'Lichtgestalt' John F. Kennedy, 'Jack' für seine Familie und engsten Freunde, ein erst in jüngster Zeit sich als 'Liberaler' präsentierender Sohn eines umstrittenen irisch-katholischen Millionärs, von dem nicht nur eine zweifelhafte Haltung gegenüber Adolf Hitler zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs, sondern auch seine rhetorische Frage überliefert war: 'What's a hundred million if it will help Jack?' Kennedys Kampagne war bis in die Einzelheiten durchorganisiert und wurde von der ganzen Familie einschließlich der Mutter Rose mit persönlichem Einsatz unterstützt. (...) Der Film protokolliert und dokumentiert auch den Eintritt eines neuen Typs in die politische Kultur Amerikas: des Politikers als 'Superstar'" (Frank Unger, 1991, S. 94f.).

Interessanterweise war das Team - wie inzwischen Richard Leacock bekannte - wegen der politischen Vergangenheit des Kennedy-Clans - eigentlich auf der Seite Humphreys. Doch am Ende zeigt der Film Kennedy als Verkörperung eines neuen, jungen und starken Amerikas. Humphrey muss seinen Wählern regelrecht hinterherrennen, erreicht hauptsächlich ältere Leute und konzentriert sich bei seinem Wahlkampf auf das flache Land. Kennedy dagegen wählt die Städte, wird von fröhlich strahlenden Menschen umjubelt, setzt auf diese Ausstrahlung und symbolisiert frischen Wind in der Politik. Das Team durfte seinen Auftritt in einem polnisch-katholischen Viertel drehen, in dem Kennedy natürlich der Star war. Von daher ist "Primary" auch ein gutes Beispiel, wie sich Politiker inszenieren, und wie sie Filmemacher für ihre Ziele instrumentalisieren können. Donn Allen Pennebaker begleitete in "The War Room" 1992 übrigens mit einem Team den Wahlkampf des damaligen demokratischen Herausforderers Bill Clinton. Ein Vergleich zu "Primary" bietet sich förmlich an. © Landesmedienzentrum Baden-Württemberg


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