View this PageEdit this PageUploads to this PageHistory of this PageTop of the SwikiRecent ChangesSearch the SwikiHelp Guide

Meisterwerke von Chris Regn

Ulrike Bergermann, HfbK Hamburg, 7.7.2005

Chris Regns Meisterwerke

Ein Meister zu sein, und diese Meisterschaft zu beweisen in einer Ausstellung dadurch, dass man nicht selber ausstellt, gibt schön zu denken: Was ist selber ausstellen, was ist selber machen, ist nicht das Kuratieren auch Kunstproduktion, wäre es typisch weiblich, eine Meisterschaft im Präsentieren anderer zu erwerben, oder Meisterschaft im Knüpfen sozialer Netze zu sehen?

Bevor ich mich der Arbeit/Nichtarbeit/Arbeit von Chris Regn zuwende, möchte ich kurz zwei aktuelle Positionen zitieren, die sich gerade der Frage nach dem Ausstellen der eigenen Meisterschaft anders gewidmet haben. Einmal geht es um das Verhältnis zu einer Institution Hochschule, die Meisterkünstler produzieren will, um die Frage nach Autonomie oder Angeschlossensein, beim zweiten Beispiel geht es um den großen Kunstmarkt und das Sicheinschreiben in die Kunstgeschichte über ein auktoriales Spiel mit fremden Meisterschaften.

In der ZEIT der vorletzten Woche, erstens, war folgendes von der Ausstellung der Meisterklasse an der Universität der Künste Berlin zu lesen: "Da hockte ein nackter Mann mit dem Gesicht zur Wand auf einem Brett über ihren Köpfen. In seinem After steckte ein Stromkabel, das zum Boden hing." Student Winfried Witt sagt über seine Performance: "Die Steckdose und der Stecker stehen für die künstlerische Lehre der UdK und den an die Institution angeschlossenen Studenten. Die Institution degradiert den von ihr abhängigen Studenten und seine Kunst zu einem bloßen, einseitig gespeisten Anschlussobjekt.' Der Student sei der Willkür seiner Betreuer ausgeliefert, metaphorisch spricht Witt gar von 'Elektroschocktherapie'."

Und in der Siegessäule vom Juli, zweitens, wird Douglas Gordons Ausstellung von Selbstbildnissen in der Deutschen Guggenheim Berlin kommentiert:
Douglas Gordon macht ein komplexes Selbstportrait: "Er wählte bis auf drei Ausnahmen nicht seine eigenen Werke aus, sondern versammelt über 30 Skulpturen, Installationen und Fotografien aus den letzten 80 Jahren. Zudem ergänzt ein von Gordon zusammengestelltes Filmprogramm die Selbstbeschau thematisch. Insgesamt lässt Gordon 13 Künstler für sich sprechen, natürlich alles geborene Selbstdarsteller wie Marcel Duchamp, Man Ray, Jeff Koons, Robert Mapplethorpe und Andy Warhol.
Ganz schön clever: Über die Auswahl der verschiedenen Kunstwerke kann man sich zusammenreimen, wie Gordon gerne gesehen werden möchte und/oder wie er sich selbst sieht: als Kurt Cobain, Andy Warhol oder Marilyn Monroe, wie seine gleichnamige Arbeit nahelegt und heißt. Was auffällt, ist der Umstand, dass seine Vorbilder tot sind. Das lenkt den Blick auf die Vegänglichkeit alles Irdischen, dem die abendländische Kunst und Dichtung seit je nachspürt. Doch die Zeit schreitet unerbittlich voran. Was bleibt, ist ein Zeichen für die Nachwelt zu setzen: Ich war hier – und so sollt ihr mich nach meinem Tode sehen."

Dem Erstgenannten kann z.B. erwidert werden, dass seine Kritik zu stark in der Affirmation hängen bleibt, dass der Stecker, der mit seinem After verbunden ist, ihn ja tatsächlich bis in die Abschlussprüfung hin speist! Dass er also an seiner eigenen Abhängigkeit mitarbeitet.
Douglas Gordon komponiert sich selbst aus Meistern seiner Wahl, er überlässt das Fremde in dieser Wahl also nicht anderen. Wenn also Künstler "für ihn sprechen", wie es heisst, dann hat er sich die Worte schon ausgesucht, die über ihn gesagt werden.

Das alles ist recht anders in Hamburg, an der HfbK, in der diesjährigen Meisterklasse, in der Abschlussarbeit von Chris Regn, die andere gebeten hat, ihre –deren- Meisterwerke auszustellen.

Das ist ja für manche möglicherweise schnell verdaulich, schliesslich kennt man Chris Regn als Konzept- und Sozialarbeiterin, ihr Projekt Schleuse interessierte sich mehr für die Übertragung zwischen Orten als für die Orte in erster Linie selbst, sie hat bei Thealit Bremen in Ausstellung Eingreifen im Jahr 2002, als Künstlerin eingeladen, ihren Beitrag zu dem einer Galeristin gemacht und andere Künstlerinnen ausgestellt (und damit in die Auswahl der Programmacherinnen eingegriffen). Wer Regns Arbeitsweise kennt, ist also nicht wirklich überrascht von diesem Meisterprodukt; der Diskurs über Kuratieren als Produktionsform etc. ist ja auch in der letzten Zeit breiter diskutiert worden. Was also ist speziell an Regns Arbeit mit dem Titel "Meisterwerke"?

Ich zitiere aus einem Teil des Werks, nämlich der Anfrage an die beteiligten Künstlerinnen:
"Mich interessiert, wie Du eines meiner Produkte formulieren würdest!
Mein Wunsch ist, dass Du zum Beispiel auf der Grundlage meiner Person und meines Seins, meiner Ideen und Materialien eine Arbeit produzierst, die für Dich ein Produkt (als Krönchen meiner Produktion) darstellt. Ein Produkt, wie Du es Dir von mir wünschen würdest.
Dieses Produkt werde ich als ernsthafte Vorlage für meine zukünftigen Produkte nehmen."

Lesen wir genau: Wie würde die Angefragte ein Produkt von Chris Regn "formulieren"? und gleichzeitig: Was würde sich die Angefragte von Regn für ein Produkt "wünschen"? und drittens: was wäre für die Angefragte ein Produkt, wie es Regn genausogut selbst machen könnte ("auf der Grundlage meiner Person und meines Seins, meiner Ideen und Materialien")? Unklar bleibt der Status von Regns eigener Arbeit, ob es eine vorhergehende gegeben hat, auf die sich weiterführend Bezug nehmen liesse, die es nur umzuformulieren gälte, oder ob ein Regn-Produkt sich nur im ewigen Aufschub denken lässt.
Weiter wird unterschieden zwischen Produktion und Produkt, das Produkt der Angefragten wäre das Krönchen von Regns Produktion... und schließlich sollen dann doch wieder Produkte von Regn als Antwort auf die Produkte der Angefragten entstehen. Mit dem letzten Dreh entkommt Regn dem Verdacht, das Verfahren in Idee und Realisation aufzuspalten und letzteres den anderen zu überlassen.
Der Rest ist Paradox: Gibt es jetzt eine Meisterschaft von Regn, die sich aus Wünschen herstellt, die sich auch durch andere Hände formulieren lässt, die von verschiedenen herstellbar ist? Hier handelt es sich nicht um eine schlichte Entstellung (keine Kritik am institutionalisierten Produzieren wie beim UdK-Meister, keine Anhäufung von zitiertem Ruhm wie bei Gordon), das Ganze bleibt unauflösbar.

Diese Arbeitsweise braucht einen bestimmten mittleren Abstand. Was konzeptionell-strategisch überzeugend sein kann, die Problematisierung von Autorschaft, Meisterschaft, Produktion an einer Ausbildungsstätte etc., kann tatsächlich schwierig sein, wenn es um die Frage nach Zuständigkeit, Veranwortung, Ansprechbarkeit etc. geht. Diese Künstlerin ist eine, die es nicht gewesen sein will. Im Zweifelsfall nennt sie sich im einen Satz Galeristin und im nächsten Künstlerin. Sie stiftet Korrespondenzen, gibt aber keine Antworten. Sie verweist auf andere, bringt Dinge in Bewegung, Menschen zueinander, nennt sich ständig zwischen Regn und Broll (d.i. Regns Galeristin) um, sagt an Orten wir, an denen vollkommen unklar bleiben muss, welches wir jetzt gemeint sein kann, und boykottiert das Ich. Das ist nicht immer schön. Insofern ist sie keine Mutter Theresa des Ausstellungswesens, die nur für andere zurücktreten will, sondern ihre Störung setzt genau da an, wo der Rückzug stattfindet, die Ersetzungsbewegung vorgenommen wird. Das geht nicht glatt, das geht nicht auf. Das stört auch das schöne bekannte Nachdenken über die Kritik an Autorschaft /Meisterschaft im Kunstbetrieb nachhaltig.

Die angefragten KünstlerInnen haben darauf verschiedenste Variationen geliefert: von einem dokumentarischen Zurückspiegeln bestehender Regnscher Arbeiten (die Ausschnitte aus ihren Videointerviews von Muda Mathis/Sus Zwick; dem Zitieren aus ihren Texten zusammen mit ihrem bewegten Bild von Barbara Naegelin) über ein Geschenk anläßlich der gemeinsamen Liebe zum Essen (Haimo Ganz) und ein Baumhaus als Geschenk, Antwort auf einen langgehegten Wunsch (von Lena Eriksson), geht es weiter zu Kommentaren auf die Arbeitsweise von Regn im allgemeinen (als konzeptionell, dreigliedrig, strukturell unabgeschlossen und vernetzend gesehen bei Andrea Saemann und Monika Dillier); mehrfach angesprochen wird die Frage nach dem Konzentrieren, Destillieren (Mathis/Zwick, Naegelin, vielleicht auch im Korn, einem Samenkorn?, in der Hand, bei Martina Gmür); metaphorisches Vernetzen kann man aus den schwarzen Schnüren sehen (die ebenso einen Durchgang versperren wie sie eine Brücke bilden); räumlich wie konzeptionell diagonal dazu erklären sich einige Zeichnungen und Bilder von Monika Dillier mit ihrem Bezug auf die Anfrage vielleicht nur derjenigen, für deren Arbeit sie ein Krönchen darstellen; Dillier formuliert, ein Meisterwerk sei, was "zum Handeln verführt" – innsofern hat Regn eins gemacht. Dass die Arbeiten in einem Raum zu sehen waren, der selbst ungewollt die reinste Schleuse ist, hat mit seinen Vor- und Nachteilen die Realisation des ganzen Meisterwerks kommentiert: immerzu offen sein, durchlässig, im Kontakt mit vielen Leuten, aber darin produzieren, kondensieren, Punkte setzen...

Ich glaube, Chris Regn und ich halten beide eine Frau für eine Meisterin, nämlich Gertrude Stein, und daher möchte ich zum Schluss aus ihrem Text "Annäherung an Meisterwerke" zitieren. Das braucht keine weitere Interpretation, wenn Sie dabei die Werke betrachten. Ich trete also selber zurück hinter ein anderes Meisterwerk:
"Es gibt keinen Zweifel daß die menschliche Natur nicht interessant ist obwohl der Geist des Menschen immer versucht hat sich damit zu befassen und die menschliche Natur interessant sein zu lassen und der Geist des Menschen hat sich so viel Mühe gemacht das tut er immer und versucht es für sich selber so zumachen daß die menschliche Natur interessant ist aber sie ist es nicht und deshalb glätten die Meisterwerke sie immer aus, glätten die menschliche Natur aus..."
"Es gibt Meisterwerke es hat sie immer gegeben aber schaffen sie Identität für einen. Sie schaffen keine bestimmte Zeit das ist gewiß und Identität man kann also versucht sein sie in Identität zu verwandeln.
Aber wenn man es tut.
Niemand tut was sie tun."
"Wenn der kleine Hund den Ball will vergißt er ihn zu holen wenn er nicht gefallen will und wenn er es tut und ihn doch holt ist dann seine Identität ein Publikum. ...
Das Meisterwerk hat bestimmt nichts zu tun mit Identität weil der Identität wenn sie ein Publikum hätte nichts daran gelegen wäre ein Meisterwerk zu sein.
Nicht irgendetwas sich selbst überlassen das ist es nicht was ein Meisterwerk tut.
Aber wirklich was ich gerne wüßte ist warum die sehr guten Dinge die jeder sagt und jeder weiß und jeder schreibt keine Meisterwerke sind ich wüßte wirklich sehr gerne weshalb sie es nicht sind. Und wenn ich sage Identität ist es nicht ja da liegt immer etwas darin das nicht da ist."
"Ich erkenne so leicht daß Identität nichts mit Meisterwerken zu tun hat obgleich sie gelegentlich und sehr unvermeidlich immer mehr oder weniger hineinkommt."

Stein hätte vielleicht gesagt: ja, es sind Meisterwerke von Chris Regn, aber das ist auch egal, denn: niemand tut was sie tun. Und sie tun.


Auszüge:
Andreas Unger, Wie es euch gefällt, ZEIT Chancen, Juni 2005, S. 17.
Andreas Hergeth, Ich war hier. Douglas Gordon und seine seltsamen Selbstbildnisse im Deutsche Guggenheim, in: Siegessäule, Juli 2005, S. 30.
Gertrude Stein, Annäherung an Meisterwerke, in: Lesebuch zum allmählichen Kennenlernen von Gertrude Stein, hg. von Robert Bartlett Haas, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1994) 202-217, hier S. 203, 204, 205, 216.










































Dies ist die elektronische artbasis Arbeitsplattform (Swiki)
This is the artbasis electronic working platform (Swiki)
La plataforma electrónica (Swiki) de artbasis
More information about how to use the SWIKI...

Link to this Page