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Conversatio Politico Philosophica.



Autor: Bernhard Taureck, Oliver Eberl
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Das Feld ‘Politik und Kunst‘ lässt sich mindestens auf zwei Pfaden bewandern. Wie es hier geschrieben steht, denkt man zuerst an die Nazizeit. Dann aber gleichfalls an die neuen Medien, auf diversen Problemhöhen.
Als ‘Kunst und Politik‘ geschrieben betritt man Richtung und Pfad der Künstlerinnen und Künstler. K. Alsleben
BHF Taureck:
Die Conversatio philosophico-politica oder POLITICA entstand im Sommer 2004. Es handelt sich um einen Freundeskreis, der sich unregelmäßig zumeist in Hannover trifft, um mithilfe kleiner Vorträge
politische Themen zu verhandeln und produktiv zu diskutieren. Trotz der ungezwungenen Atmosphäre kommen dabei beachtliche Resultate zusammen, werden Aufsätze und Bücher in ihren Grundzügen diskutiert oder gehen aus diesen Diskussionen hervor, die getragen sind von einem kreativen Geist der Gegenseitigkeit.
Ich - Bernhard H.F. Taureck , Professor für Philosophie an der TU Braunschweig - habe zum Beispiel am 31.4. eine Kleinigkeit zur Menschenwürde vorgetragen, aus der dann das soeben erschienene Büchlein DIE MENSCHENWÜRDE IM ZEITALTER IHRER ABSCHAFFUNG (MERUS-VERLAG HAMBURG) hervorging.

Zielsetzung der POLITICA ist die Vermeidung eines
Politikverständnisses, das hinausläuft auf: "Politik ist die Kunst, die Menschen davon abzuhalten sich in das einzumischen, was sie angeht." (Paul Valéry)
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Oliver Eberl
Dieser Text gehört noch zu den beiden anderen Beiträgen von Bernhard Taureck und Kurd Alsleben in die Vis-á-vis-Affaire
Conversatio Politico Philosophica (kam erst gestern abend)

Oliver Eberl

Kunst - Kommunikation - Politik
Von der heroischen Geste zur Kunst der Kommunikation


Oft teilt die Kunst da, wo sie politisch sein will, mit der Politik die Neigung zur Symbolik. Politik verfährt vielfach symbolisch: Der Kniefall Willy Brandts in Warschau und die "Rote Karte", die dem Rassismus in den Fußballstadien "gezeigt" wird, dient der Vermittlung einer Botschaft in symbolischer Form. Als Träger der Botschaft dient ihr das in der Geste produzierte Bild, das über die Medien an die Empfänger gesendet wird. Das Bild trägt die Botschaft, indem es eine sinnfällige Handlung darstellt, die bei Kenntnis des Hintergrund-Sachverhalts leicht verstanden werden kann: Rassistische Äußerungen beim Fußball sind inakzeptabel, Bundeskanzler Brandt empfindet Scham vor den Opfern des Nationalsozialismus.

Das Bild hat zur Eigenschaft, sich an alle Betrachter gleichzeitig auf je spezifische Weise zu richten und dabei eine jeweils spezielle Botschaft zu vermitteln. Wenn der Demonstrant sich alleine vor den Panzer stellt, um diesen aufzuhalten oder sich mit einer Steinschleuder bewaffnete Jugendliche den ungleich besser ausgerüsteten Soldaten entgegenstellen, dann sollen mindestens drei Botschaften die Empfänger erreichen: Dem Gegner soll seine Ohnmacht bewusst werden, die eigene Gruppe soll sich trotz der materiellen Unterlegenheit ihrer Stärke versichern und die unbeteiligten Dritten schließlich sollen auf Grund der empörend ungleichen Konfrontation Partei ergreifen. Das Bild soll in den Konflikt eingreifen, es ist ein politisches Bild, ein Bild mit politischer Absicht. Daher rührt der Hang der Kunst, politische Botschaften als heroische Geste zu stilisieren.

Doch begann das 20. Jahrhundert mit dem Bankrott des Heroismus. Im Grabenkrieg des Ersten Weltkriegs ging der soldatische Heroismus im Maschinengewehrfeuer unter. Ernst Jünger wurde deshalb so populär, weil er dem Stoßtruppführer einen unverfälschten Heroismus zuschreiben konnte. Wo es im "Nachkrieg" (Ludwig Renn) zu militanten gesellschaftlichen Kämpfen kam, fand der Heroismus noch einmal eine Funktion. Als staatlich geförderte Ideologie trat er in Weimar nicht mehr auf und wurde vom Nationalsozialismus endgültig pervertiert. Aber in den antifaschistischen Kämpfen lebte er auf und fand einen glaubhaften Grund.

In diesen Kämpfen spiegelt sich stets eine Entscheidung wider: sie oder wir, Faschismus oder Revolution, Kommunismus oder Klassengesellschaft. Diese Konflikte ordnen sich in ihrer Entweder-Oder-Struktur einem Freund-Feind-Schema unter, zu dem der Heroismus sehr angemessen passt. Indem die Kunst als Kunst Partei ergreifen will, übernimmt sie (auf Seiten der Sieger und Verlierer) von der Politik die heroische Geste und stellt sie künstlerisch dar. Die Geste der Kunst wird politisch, indem sie heroisch wird. In einer von Zwei-Parteien-Kämpfen geprägten Politik ist die Darstellung der heroischen Geste einer Seite selbst Politik – und selbst heroisch, weil in ihr die Parteinahme abgebildet wird.

Davon sind unsere Denk- und Wahrnehmungsweisen bis heute geprägt. In der Demokratie jedoch (das meint vor allem im demokratischen Denken) treten Politik und Heroismus bis zu ihrer Entgegensetzung auseinander: Politische Ziele müssen nicht wie die Revolution heroisch erkämpft, sondern diskursiv erstritten werden. Die heroische Geste scheint wenn überhaupt nur noch in einer Situation der Konfrontation mit dem Sicherheitsstaat angemessen. Daher rührt das Bedürfnis einiger Protest-Bewegungen, solchen Konfrontationen bewusst nicht auszuweichen. Denn genau dann entstehen jene Bilder heroischer Gesten, derer es für eine Botschaft (oft besonders an die eigenen Anhänger) bedarf.

Demokratische Politik ist die Überwindung des politischen Heroismus. Politischer Heroismus ist einem auf egalitärer Beteiligung und individueller Freiheit beruhenden System der diskursiven Meinungs- und Willensbildung notwendig fremd. Da Entscheidungen in einem System von Verhandlung, Kompromiss und Diskussion getroffen werden, fehlt ihm der Resonanzraum. Wo Gewerkschaftsführer diese Haltung einnehmen, wirkt sie schal, wo Bauernführer heroisch protestieren, antiquiert. Wer selbst am Verhandlungstisch sitzt und wer seine Fürsprecher im Parlament und den Parteien hat, dem ist die Geste des heroischen Protestes verwehrt. Gestrandeten Flüchtlingen ohne Fürsprecher dagegen fehlt die Kraft zum politischen Heroismus, den sie individuell längst bewiesen haben.

Opposition in der Demokratie kann, wenn sie den Rückfall in das heroische, vordemokratische Denken vermeiden will, kaum mehr auf jene heroischen Gesten zurückgreifen, die die politischen Auseinandersetzungen stets begleiteten. Aus dem wir gegen die Anderen ist ein wir alle geworden. Daher hat Opposition die Möglichkeit, die Demokratie beim Wort zu nehmen, sie an ihre eigenen Annahmen und Voraussetzungen zu erinnern und sich auf diese zu berufen. Man muss nicht mehr wie bei John Locke den Himmel anrufen, wenn man für mehr Demokratie eintritt, sondern kann sich auf Demokratie selbst beziehen.

Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichheit, Solidarität bleiben auch in der Demokratie stets zu erstreiten, man bekommt sie nicht geschenkt. Daher hat Kunst immer noch häufig das Bedürfnis, Partei zu ergreifen und Position zu beziehen. Aber eine Kunst, die sich nicht in der Stellungnahme zu diesen Werten erschöpft, hat es schwer. In einem System, das auf Diskussion, Öffentlichkeit, Meinungsaustausch und -bildung ausgerichtet ist, reicht es nicht mehr aus, allein ein Symbol für das zu finden, wofür man steht und eintritt. Ästhetische und symbolische Diversifizierung verhindern oft das Erkennen der Stellungnahme.

Daher erscheint eine Kunst, die sich der Form der Kommunikation selbst zuwendet, eher offen für demokratische Politik. Sie kann Formen der Kommunikation finden, wieder finden und erfinden, in denen die Werte und die Form der Demokratie, das sind Diskurs, Partizipation und Gleichheit in einer Praxis der Mutualität vereinigt sind und diese in künstlerisches Tun übersetzen.

Wie sehr sich darin auch die Inhalte finden, erweist der Blick auf einen Vorläufer der Kunst der Kommunikation: Schon die Salongesellschaften der Aufklärung sahen bewusst von allen Standesunterschieden unter ihren Teilnehmerinnen und Teilnehmern ab und etablierten so Refugien der egalitären Diskussion, Aufklärung und Bildung. Bereits die Erinnerung an diese Praxis durch eine Kunst, die sich der Kommunikation in all ihren Spielarten widmet und ihre egalitären, kognitiven und ästhetischen Gehalte untersucht, japanische Kettengedichte und antike Konversationskunst ebenso wie moderne Diskettenbriefe und Netzkunst in die künstlerische Betrachtung und Praxis einschließt, informiert die demokratische Gesellschaft über ihren Kern: die Inklusion aller in Kommunikation. Insofern schlage ich vor, die Affairen als demokratischen Salon, als Aufklärungs- und Praxiswerkstatt zu begreifen. Heroische Geste und symbolische Politik gehen dann ganz in der Praxis der Kommunikation auf.

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