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Aufzeichnungen auf einer Reise nach Paris, … vom 28.12.2001 bis 3.1.2002




Aufzeichnungen auf einer Reise nach Paris, mit Stationen in Ermenonville, Auvers-sur-Oise, la forêt de Montmorency und Vorbeigleiten an dem im vorabendlichen Wintersonnenlicht irr realen château von Chantilly, in dem mittelalterlich winkligen Senlis und dem bombastischen Compiègne vom 28.12. 2001 bis 3.1.2002

© taureck, veilchenstr. 2a, 30 175 hannover
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Ursprünge für Metaphysik und Materialismus
Dass du existierst, beruht auf einer Reihe von Zufällen, und nicht etwa auf einem einzigen Grund: dieses Sperma war schneller als andere, deine Eltern lernten einander zufällig kennen. Sie zeugten dich zufällig.
Anders mag es sich mit dem All verhalten. Ist es angesichts seiner makro- und mikrokosmischen Symmetrien nicht eher notwendig, das heißt auf eine einzige Ursache zurückgehend?
So fällt unser Wirklichkeitsverhältnis offenbar auseinander in eine Vielheit von einander unabhängigen Ursachen einer- und in ein Zusammenlaufen in eine Ursache andererseits. Das All ist metaphysikverdächtig. Die Vielheit und Unbekanntheit der uns umgebenden Ursachen ergibt dagegen irgendeinen Materialismus.

Glück lässt sich nicht einmal anstreben
Was bedeutet Glück: einen Zustand unverändert so wollen, wie er sich unerwartet darstellt, oder in einem Zustand zu wissen, was man erreichen will? Oder schließlich einen Zustand unverändert so wollen, weil er etwas Angestrebtes darstellt?
In diesen Fragen erscheint Glück erstens als unerwarteter und kaum beschreibbarer Zustand, zweitens als Zustand der Entdeckung eines Wissens von einem Lebensziel und drittens als Zustand des Erreichens von etwas Angestrebtem. Glück bildet am ehesten den ersten Zustand. Denn der der zweite Zustand kann bereits mit Schmerzen verbunden sein, die man nicht zum Glück rechnen möchte. Im dritten Zustand lässt sich Angestrebtes durchaus als etwas Erreichtes erleben, doch es kann dafür ein so hoher Preis gezahlt werden, dass der Betroffene sich alles andere als glücklich fühlt. So scheint zu folgen: Glück ist ein unerwarteter und kaum beschreibbarer Zustand. Lässt er sich anstreben oder nur erhoffen?
Offenbar wird er allseitig angestrebt, jedoch mit einem fatalen Irrtum: Wir streben an, dass uns etwas zustößt. Was uns zustößt, ist jedoch nicht anders definierbar als, was uns unabhängig von unserem Streben geschieht. Wenn wir also anstreben "Glück, stoße uns zu!", so streben wir an, dass wir Glück nicht anstreben oder dass es uns nicht zustößt.
Kant bemerkte, wir könnten nicht angeben, worin Glück besteht, es sei etwas Unbestimmtes. Hinzuzufügen ist: wir können es nicht einmal anstreben. Wären wir jedoch fähig, es zu akzeptieren, wenn es uns zustößt? Das ist nicht sicher. Träte nämlich das Glück eines Tages vor uns hin und ließe uns wählen zwischen seiner rechten und seiner linken Hand hinter seinem Rücken, wären wir dann nicht so geblendet, dass wir um "die mittlere" bäten?

Ermenonville
Ermenonville, wo Rousseau die letzten zweiundvierzig Tage seines Lebens verleben durfte. Er hatte einen Rundbrief verschickt mit der Bitte, eine gute Seele möge ihm und Thérèse ein Asyl geben, um dort in Frieden ihr Leben zu beenden. Der marquis René de Girardin bot es ihnen an. Er gehörte zu jenen zahlreichen Aristokraten, die Rousseau verehrten.
Der Ort elegant und charmant und selbstverständlich mit einem sanft schimmernden Schloss ausgestattet, unerwartet in einer Senke nach einer öden Landschaft auftauchend. Der große Park mit der île des peupliers nur halb erspähbar hinter grünem Gitter, Bäumen und Gestrüpp. Grund für eine Wiederkehr in warmer Jahreszeit.
Der Ort entwickelte sich zu einem Kult, der Garten wurde in Wörlitz kopiert. Marie-Antoinette, Napoléon kamen, Gerard de Nerval machte Ermenonville in seinen Filles de feu zu einem magischen Ort. Auch bestritt man am Ende des 19. Jahrhunderts, dass Rousseaus Leichnam 1794 wirklich in das Pantheon überführt wurde. Das Grab wurde geöffnet und es war leer. Doch ein Menschenknochen wurde gefunden, der in den Fuß der Rousseau-Büste eingemauert wurde. All dies hat mit der aufgeklärten Leidenschaft Rousseaus nichts zu tun, es ist ein magischer, neo-medievaler Materialismus. Anders die Weite des damals noch weitaus größeren englischen Gartens des marquis de Girardin.
Wem sollte sonst eine Reise des Angedenkens gelten, wenn nicht Rousseau? Goethe wurde vom Tourismus enteignet (und hat überdies klare Rousseau-Motive in seinem Faust in unklare oder zumindest sehr opake Kontexte gebracht.) Es gibt noch zwei Personen-Orte, die eine Reise erfordern, das Montaigne-Schloss bei Bordeaux und das Grab von Marx in Highgate. Rousseau bleibt infolge seiner immensen Spannung zwischen einem allgemeinen und einem individuellen Selbst noch immer das wichtigste Ereignis.

Geld als Geist

Bisher war das Machtmonopol immer auch Münzmonopol. Geld war kein Geist für sich, sondern unterstand der Macht. In Europa soll das Geld jetzt mit Eigenmacht, Eigenwert, Eigendynamik ausgestatteter Geist werden. Nie zuvor waren die Besitzenden idealistischer als bei der Erfindung des Euro.
Ich zahle am 31. 12. 2001 um 15.30 bei Sonnenschein und Kälte im Café italien der Pariser Rue Mouffetard 2,90 € für einen café crème. Es ist meine erste Zahlung in dieser Währung, noch vor 24.00. Für die patronne ebenfalls. Wir sind uns beide des komischen Ernstes bewusst und lachen. Also doch esprit beim Zahlen. Bei Francwährung wäre ohne ein Wort über die Währung gezahlt worden.

Ritter des Glücks, der Seinsgrund der Vereinigten Staaten
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Warum leben, wie Thoreau meint, die meisten in stiller Verzweiflung? Der Grund mag darin liegen, dass wir das Glück nicht einmal anstreben können (vgl. die obige Bemerkung). Was wir anzustreben vermögen, ist: nicht unglücklich zu sein. Diesbezüglich scheint zwischen den USA und Europa ein traditionelles Missverständnis vorzuliegen. Die USA nahmen die Verfolgung des Zieles der Glückseligkeit (persuit of happiness) neben Gleichheit und Freiheit in ihr Gründungsdokument auf. Auch wenn es eine Antikenreminiszenz darstellt (Streben als Streben nach Eudaimonia), so klar, was damit angelegt war: Entfaltung der Freiheit nicht nur auf Kosten der Gleichheit, sondern im Namen der ungleichen Freiheit. Persuit of happiness ist eine Umschreibung der Außerkraftsetzung der Gleichheit im Namen freier Selbstentfaltung. Werde Millionär! Sei ein Ritter des Glücks!
Die europäischen Verfasser von Grundrechten haben, vielleicht im intuitiven Verdacht auf Freisetzung von Pleonexie (Mehrhabenwollen) keinerlei Glücksstreben in den Grundrechten erwähnt. Eher ging es ihnen um Gemeinnutzen oder gar um volonté générale.
Die US-amerikanische Demokratie mit ihrer Verweigerung der Etablierung unternationaler Rechtsstrukturen ist also gar nicht degeneriert, sondern folgt dem ursprünglichen Gedanken der
Suspendierung der Gleichheit im Namen des Glücksrittertums.
Und wo bleibt die von dem feinen Analytiker Tocqueville diagnostizierte égalité der Vereinigten Staaten? Antwort: Alle, alle sind gleichberechtigt, Ritter des Glücks zu sein. Wenige werden es schaffen, doch alle dürfen. Es ergeht ihnen wie den Spermien.

Konspiration
Ich sitze unter dem Pariser Panthéon in einem kleinen, fahrbaren Arbeitszimmer und notiere dies und andere Überlegungen an dieser Stelle. Dieser Innenraum könnte jedoch auch eine Zelle sein, in welcher der Untergang von Ordnungen vorbereitet wird. Wer konspirativ arbeiten will, braucht nur die garantierten Freiheiten zu nutzen. Die Garantie negativer Freiheit kann als Entfremdung, als verzweifelte Einsamkeit, als Chance zur Daseinsintensivierung, jedoch auch als Chance zur Konspiration genutzt werden. Das alles deckende Wort ist: Anonymität.

Warum Schreiben lustqualvoll bleibt
Was das Schreiben so lustqualvoll macht, ist die Tatsache, dass die fixierten Sätze perfekter zu sein beanspruchen als jene Leere des Ungeschriebenen, die du dir zu füllen noch vorgenommen hast.

Der Pariser Jardin du Luxembourg, nach fast vierzig Jahren erst verstanden

Dieser Park ist Beweis für eine ungewöhnliche Gesamtharmonie, die aus vergleichsweise gewöhnlichen Teilen hervorgeht. Seit 1962 habe ich diesen Zusammenhang irgendwie erlebt und erst heute am letzten Tag des Terror-Jahres 2001 glaube ich den Grund zu wissen: das kreisförmige Zentrum mit dem oktogonalen Becken liegt etwa zehn Meter tiefer als die auf es hinführenden Alleen. Diese Tieflage ist der erst jetzt entschleierte Grund der fesselnden Gesamtharmonie. Er bietet die Geborgenheit einer Senke, eines Tales, die Geborgenheit eines Schutzes vor: dem tödlichen Pariser Verkehr, dem raschen Entdecktwerden, der Trivialität und am Ende auch der Vergänglichkeit.

Auvers-sur-Oise, Wendepunkt zum Imaginären
In der Dunkelheit Einfahrt in das für die Malerei (vor van Gogh: Cézanne) von dem Barbizon-Maler Daubigny entdeckten Dorf Auvers. Plötzlich zeichnen sich, dezent bestrahlt, die Umrisse jener Kirche ab, die van Gogh in seinen letzten Schaffenswochen zwischen Mai und Juli 1890 in tiefes Blau getaucht hat. Eine mir bisher nicht vergönnte Reise an den Wendepunkt zum Imaginären, der in Ermenonville nicht möglich ist, denn die dortigen Wahrnehmungen müssten mit Texten verglichen werden.
In Arles, in den Alpilles existieren teils die Gebäude nicht mehr in der von van Gogh gemalten Form. Die Klinik in Saint-Rémy – so musste ich vor Ort 1986 schmerzvoll erfahren – hat van Goghs Zelle aufgelöst und es stellt sich im Park dort nicht das Bewusstsein einer Schnittstelle zwischen Wahrnehmung und Malerei ein.

Das Gegenteil zu "einsam"

Was folgt aus dem Satz, man sei am einsamsten in der Menge oder zu zweit? Dass man allein nicht einsam ist? Die Fragen zeigen bereits, dass niemand nirgendwo nicht einsam sein kann. Was ist das Gegenteil zu einsam? Wenn es gemeinsam nicht ist, dann scheint zu gelten: es gibt kein Gegenteil zu einsam.
Was bedeutet einsam? Dass man kommunikativ isoliert ist. Normalerweise wird dies damit verwechselt, dass man niemanden hat, mit dem man spricht. Doch wer sich zum Lesen oder Schreiben zurückzieht, ist in hohem Maße kommunikativ verbunden. Daraus folgt: zu einsam gibt es nur dann ein Gegenteil, wenn es als kommunikativ isoliert verstanden wird. Dieses Gegenteil lautet: kommunikativ verbunden.

Formules d’Ecartisme (contraire de Cartésianisme)

Je bois, donc je pisse.
Je pense, donc je ne parle pas.

Der irrtümliche deutsche Begriffsdünkel

Das deutsche politische Selbstverständnis gegenüber Frankreich lautete traditionell und jenseits von nationalistischen Primitivismen: Sie agieren, wir dagegen bringen auf den Begriff, worum es in der Geschichte eigentlich geht. Sie haben Robespierre und Napoléon. Wir haben Hegel und Marx. Sie haben Revolutionen, wir haben die wissenschaftliche Logik der Geschichte. In dieses deutsche politische Selbstbild haben sich verschiedene Irrtümer eingeschlichen. 1. Die Begrifflichkeit war in Frankreich eher ausgebildet und führte bei Rousseau zu einer Konzeption von Volkssouveränität, die von keinem deutschen Philosophen ignoriert, aber auch nicht weiterführend bearbeitet wurde. Im Gegenteil, Hegel will den Ständestaat umbasteln, und Nietzsche glaubt ernstlich, er könne es mit Rousseau aufnehmen, indem er zurück will zur vorrevolutionären Herde. 2. Wenn man Hegels historische Theodizee mit ihrer preußischen Staatsapotheose liest, lernt man über Deutschland mehr Ablenkendes, als dienlich ist. Erst bei Tocqueville (L’ancien régime et la révolution von 1856) erfahren wir, dass in Deutschland jene Knechtschaft (mit ihrer willkürlich-persönlichen Jurisdiktion, der Kontrolle der Heirat, ihrem Verbot, den Beruf und die soziale Stellung zu wechseln, ihrer zu Teilen dem Adel zufallenden Erbschaft) in einer Zeit fortbestand, als es sie im ancien régime bereits längst nicht mehr gab. Uns macht man dagegen glauben, die französische Revolution sei Folge einer Unterdrückung, die hierzulande nicht stattfand.
Hegel war der Ansicht, Luthers Reformation sei der Versöhnungspunkt der Weltgeschichte, der noch politisch abgearbeitet werden musste. Die Franzosen erlagen seiner Auffassung nach dem Irrtum, man könne eine erfolgreiche Revolution nicht ohne eine religiöse Reformation machen. Es wird hier der Reformation eine politische Versöhnungsarbeit zugesprochen, die sie nicht geleistet hat, auch nicht als Utopie. Die Zeit eines politisierten Luther war das Zweite Deutsche Reich. 3. Der Marxsche Anspruch auf wissenschaftlichen Sozialismus leidet unter einer doppelten Schwäche. Er versteht unter Wissenschaftlichkeit die Hegel-Dialektik, die methodologisch umstritten bleibt. Und er entfernt sich von der 11. These ad Feuerbach, wonach die Welt nicht nur verschieden interpretiert, sondern verändert werden soll.
Somit ist der traditionelle deutsche Begriffsdünkel angesichts der Überlegenheit der Rousseau-Theorie, angesichts der deutschen sozialen Rückständigkeit gegenüber dem ancien régime und der falliblen Marx-Theorie eher ein Asyl der Ignoranz.


Voltaire, odi et amo
Voltaire, ein Rätsel, zunehmend hassens- und verehrenswert. Am 17. Juni 1762 schreibt er an d’Alembert, Rousseau habe alle seine Söhne zu den Enfants-trouvés gegeben. 1764 veröffentlicht er seine dreifache Infamie, Rousseau habe seine Kinder vor die Tür einer Klinik gelegt, Thérèses Mutter zu Tode kommen lassen und das Angebot einer Person ausgeschlagen, die Kinder zu übernehmen. Er wusste also 1762, dass Rousseau seine Kinder bei den Anfants-trouvés abgegeben hatte. Zu welchem Ende verhielt sich Voltaire derartig infam und monströs? War er der Ansicht, er habe eine Kritik als Vernichtung von Kritikern der Philosophie erfunden und das Recht, sie einzusetzen? Rousseau wird in demselben Brief als ein Hund bezeichnet, der von dem Bastardbruder des Diogenes-Hundes abstamme. Der Satz vom Unglück des Philosophieabtrünnigen scheint das Recht zur Kritik als Vernichtung zu rechtfertigen: "Seien Sie [d’Alembert] sicher: Wer sich von der Philosophie abwendet, wird unglücklich enden." (Soyez sûr que quiconque abandonne les philosophes fera une fin malheureuse).
Dasselbe destruktive génie spricht sich, im Unterschied zu Rousseau, gegen die Todesstrafe aus. In seinem "Commentaire sur Beccaria" (Nr. X) schreibt er: Falls das Gesetz die Tötung erlaubt, so solle "l’humanité plus forte que la loi" das Leben erhalten. Und wer hätte jenes sonst gern als Alibi verwendete Wort "tolérance" sinnfälliger begründet als Voltaire? Er leitet die Toleranzforderung aus unserer Fehlbarkeit her und verdichtet sie zum Gleichnis von zwei Schilfrohren (La Fontaine und Pascal nutzten das Schilfrohr als anthropologisches Gleichnis für die Kraft der Schwäche): Intoleranz sei, als würde ein Schilfrohr von einem anderen Schilfrohr verlangen sich in genau dieselbe Richtung zu biegen wie es, andernfalls werde es dafür sorgen, dass es ausgerissen und verbrannt werde.
Am 30.Januar 1766 schreibt er aus Ferney an Pierre Lullin, er sage öffentlich, was er von Rousseaus Werken halte, doch er dulde es nicht, dass man ihn der Verfolgung Rousseaus ( in Neuchâtel) beschuldige. Er verfolge niemanden, er diene nicht der Unterdrückung eines "homme de lettres". Klingt überzeugend. Doch nur für den Augenschein. Die Schmähschrift Le sentiment des citoyens war 1764 erschienen.
Vermutlich versuchte Voltaire auch seine frühe Schmeichelei gegenüber Rousseau vergessen zu machen. Rousseau sollte nämlich 1745 auf des Herzogs von Richelieus (Großneffe des Kardinals) Vorschlag Voltaires Drama La Princesse de Navarre mit der Musik Rameau neu arrangieren. Rousseau hatte deshalb an Voltaire geschrieben und erhielt eine Antwort, die mit den Sätzen beginnt: "Vous réunissez, monsieur, deux talents qui ont toujours été séparés jusqu’à présent. Voilà déjà deux bonnes raisons pour moi de vous estimer, et de chercher à vous aimer. » Rouseau zitiert diesen Brief im 7. Buch seiner Confessions und kommentiert entlarvend : « « Qu’on ne soit pas surpris de la grande politesse de cette lettre comparée aux autres lettres demi-cavalières qu’il m’a écrites depuis ce temps-là. Il me crut en grande faveur auprès de M. de Richelieu, et la souplesse courtisane qu’on lui connaît l’obligeait à beaucoup d’égards pour un nouveau venu jusqu’ à ce qu’il connût mieux la mesure de son crédit. »
Voltaire hat Rousseaus Kritik der soziales Unrecht duldenden Philosophen nicht verstanden (und Rousseau: hat er Voltaires Kampf gegen Kirche und Justiz in den Affären Calas, Lally, Sirven, de la Barre verstanden?) und er hat Rousseaus Entdeckung einer anderen, längsten, vorzivilisatorischen Seite des Menschen verleugnet. Am 19. Juni 1767 schreibt er an d’Alembert: Wenn gilt, der "homme sauvage est sot, pédant et barbare, nous connaissons l’original [gemeint: Rousseau]. Dann folgt als Briefschluss der Satz: "Alles was bei uns ist, macht Ihnen die zärtlichsten Komplimente; wir sind in Wahrheit weder Wilde noch Barbaren (nous ne sommes, en vérité, ni sauvages ni barbares.)"



Van Goghs Grab und inwiefern alles aus Licht bestehen kann

Am trüben, trockenen, eisigen Neujahrsvormittag - van Gogh kannte, bevor er sich am 27. Juli 1890 hinter dem Schloss in die Brust schoss und, da die Kugel nur die Zone unter dem Herzen traf, erst am 29. verschied, nur die warme Jahreszeit vom 20. Mai bis 27. Juli - Suche nach dem beschilderten Friedhof, wo Vincent und Theo van Gogh bestattet sind. Der Friedhof liegt oberhalb von Auvers, eine schmale, steile Straße hinter der von Vincent gemalten Kirche schlängelt sich zu ihm hinauf. Die Grabstelle ist nicht zu finden. Ein Besucher gibt mir den Hinweis: dort, neben dem Tannengewächs, dicht an der Mauer. Ein breites Efeugrab mit zwei unveränderten, kleinen Grabsteinen aus jener Zeit, mit derselben Inschrift Ici repose… Eine Art Ehebett mit zwei verwitternden Steinen anstelle der Kissen, genügend Abstand zwischen beiden. Die taktvollen Franzosen haben, ebenso wie bei van Goghs Unterkunft in Auvers, jede touristische Aufpolierung vermieden.
Armer Vincent! In Auvers dringt Chaos aus deinen Bildern. Nur einmal hat er das Château von Auvers gemalt, blaugrün und halbfern zwischen den Bäumen schimmernd, vergleichbar dem irr realen Schloss in Kafkas gleichnamigem Roman. Wenig später wählte er sich dieses Schloss als Ort, um sein Leben zu beschließen. Noch immer zu wenig beachtet ist jenes Bild Weizenfeld unter dem Himmel ohne Baum, ohne Gebäude, eine Zwiesprache der Erde mit dem Unendlichen auf der Suche nach ihrem Rhythmus.
Wie wehleidlos du deine Krankheit ertrugst, erst in Saint-Rémy, dann in Auvers. Noch am 6. Juli 1890 hat bei deinem Besuch in Paris Toulouse-Lautrec mit dir gescherzt. Bis zuletzt entsteht ein Leuchten in deinen Bildern jedes Mal neu. Wer an dein Schicksal denkt, sollte weinen (wie jener Docteur Gachet, der unter Tränen an deinem Grab zunächst kein verständliches Wort zu sprechen vermochte), wer deine Briefe liest, sie eifrig studieren. Wer deine Bilder sieht, wird Zeuge, dass alles aus Licht be- und entstehen kann, auch das Dunkel selbst.

Plusquamperfekt
Mehr als perfekt ist: Plusquamperfekt. Wer vollkommener als vollkommen sein wollte, müsste es schaffen, rückwärts zu handeln.

Täglich erleben wir eine Geburt unseres Selbst
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Niemand, so die elementare Überlegung, könne sich seine eigene Geburt vorstellen. Die eigene Geburt gilt uns als unvordenklich passiver Akt des eigenen Daseins. Von Geburt reden viele daher in rätselhaften Wendungen. Sie lassen dabei fort, dass vermutlich jeder Mensch im Übergang seiner Reifungsentwicklungen eine Art Geburt erlebt. Sie übersehen ebenfalls die Geburt, die uns Lebewesen von einer ebenso gütigen wie unbeachteten Natur geschenkt wurde: das Erwachen, besonders das Erwachen nach erquickendem Schlaf in Zeiten der Überanstrengung. Dieses und jedes Erwachen ist eine Geburt. Wenn, wie oben beschrieben, wir das Glück nicht anstreben können, so haben wir morgendlich Gelegenheit es zu schmecken. Jedes Erwachen ist eine Geburt, aber nicht jedes Erwachen ist ein Glück. Faust erlebt (bei Goethe) nach seiner Erstbegegnung mit dem Teufel ein qualvolles und zu Beginn des Zweiten Teiles die Geburt eines glücklichen Erwachens.
Ist das Erwachen jedoch nicht nur eine Art Geburt? Finden wir in ihm nicht zur Kontunuität des Selbst zurück? Eben: Wir finden zu ihr zurück, also war sie unterbrochen. Eine unterbrochene Kontinuität ist jedoch keine Kontinuität.



Und wieder Deutschland
Deutscher architektonischer Frühsurrealismus aus dem Zweiten Reich: Windmühle und gehäuteter Fisch in einem – die Porta Westfalica.

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