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Oszillation



Autor: Christiane Heibach
Oszillation Der Begriff Oszillation bezeichnet zunächst generell Schwingungsbewegungen. Als transdisziplinärer Begriff wird er je nach Disziplin unterschiedlich verwendet, charakterisiert aber immer zwei Formen von Bewegung: einerseits Schwingungen zwischen zwei oder mehreren Elementen, andererseits Zustandsveränderungen ein und desselben Elements.
In der Meteorologie bezeichnet Oszillation" die komplexe Wechselbeziehung zwischen Ozean und Atmosphäre, in der Wirtschaft die Auf- und Abwärtsbewegung der Kurse, in der Psychologie die Leistungsschwankungen einer Person. Die Teilchenphysik wiederum versteht unter Oszillation die Transformation eines Neutrinos in einen anderen Typ während seiner Bewegung durch Raum oder Materie. Im ersteren Fall der Meteorologie handelt es sich also um eine Schwingung zwischen verschiedenen Elementen, in den letzteren Fällen um Zustandsveränderungen eines Elements.
Im Sinne von Zustandsveränderungen zwischen zwei Polen kann somit auch der Basisprozess des Computers - das Hin- und Herschalten zwischen 0 und 1 - als Oszillation bezeichnet werden. Gregory Bateson machte den Begriff gleichzeitig zur Charakterisierung der Programmsteuerung fruchtbar ˆ die hier stattfindende ständige Bewegung zwischen Programmablauf und zu verarbeitenden Daten führt zur endlosen Rekursivität der Prozesse: »Der Computer vergeht daher nicht. Er oszilliert nur.«q1/364.
Geht man davon aus, dass die Struktur des Mediums die durch dieses ermöglichten Darstellungs- und Nutzungsformen prägt (medienontologischer Ansatz) und somit Spiegelungsprozesse zwischen seiner Funktionsweise und seinen Effekten bestehen (zum Begriff der Spiegelung vgl. q2/37f), so kann der Begriff der Oszillation nicht nur auf die internen Computerprozesse, sondern auch auf die Darstellungs- und Interaktionsformen der digitalen und Netzkunst bzw. -literatur angewendet werden.q3
Auch hier kann wiederum zwischen Zustandsveränderungen eines Elementes und Oszillationen zwischen unterschiedlichen Elementen differenziert werden. Schon Lanham verwendete in Bezug auf die Darstellungsformen den Begriff der Oszillation zur Charakterisierung der Interaktion zwischen verschiedenen Zeichensystemen, aus deren Bewegungen neue, "dritte" Phänomene hervorgehen: »The digitization now common to letters and shapes creates a mixed text of icons and words in which static and immobile‚ and dynamically mobile cognitive styles toggle back and forth in to a new bistable expressivity«.q4/77 Heibach prägte für solche innovationsschaffenden Formen der computer- und netzspezifischen Oszillation den Begriff der Hyperlektik q3/235.
Im Darstellungsbereich können z.B. folgende Oszillationen unterschieden werden:
//Unter Zustandsveränderungen eines Elements fallen alle Transformationsphänomene, wie die Textersetzung im Hypertext (als schwächste Form), kontinuierliche Texttransformation durch automatische Generierung als radikalere Umsetzung (vgl. Beispiel 1) oder Transformation eines Zeichensystems in ein anderes (vgl. Beispiel 2).
//Oszillationen zwischen verschiedenen Elementen umfassen hypermediale Effekte (die Interaktion zwischen verschiedenen Zeichensystemen, vgl. Beispiel 3) oder die kommunikative Interaktion zwischen Benutzern (z.B. in virtuellen Welten). Oszillationen finden jedoch nicht nur zwischen Elementen gleichen Typs, sondern auch zwischen Elementen verschiedener Systeme statt. Daher kann einerseits zwischen horizontalen Oszillationen artgleicher Elemente (z.B. der Zeichensysteme), andererseits zwischen vertikalen Oszillationen verschiedenartiger Systeme (z.B. Mensch-Maschine-Oszillation, bei denen neue Darstellungsformen auch neue Kognitionsmechanismen zur Folge haben, oder Mensch-Maschine-Mensch-Oszillation in der computervermittelten Kommunikation) unterschieden werden, wobei erstere ohne letztere nicht denkbar sind.
Innovative Effekte der Oszillation umfassen also:
//neue, durch Bewegung und Transformation gekennzeichnete Erscheinungsformen der traditionellen Zeichensysteme (als Resultat der Zustandsveränderung eines Elements oder Oszillation zwischen verschiedenen Elementen gleichen Typs) und, daraus folgend
//neue Muster der psychischen Verarbeitung von Sinneswahrnehmungen (deren neuronale Verarbeitung in der Neurophysiologie ebenfalls mit dem Begriff der Oszillation charakterisiert wird) als Resultat der Oszillation zwischen Elementen verschiedenen Typs (Mensch-Maschine-Interaktion)
//sowie neue soziale Organisationformen wie z.B. die virtuelle Communitybildung als Resesultat der Oszillation zwischen Elementen verschiedenen (Mensch-Maschine einerseits) und gleichen Typs (Mensch-Mensch andererseits).
Beispiel 1: Simon Biggs (1998): The Great Wall of China" basiert auf einer (unvollendeten) Erzählung von Franz Kafka, "Beim Bau der Chinesischen Mauer", deren gesamter Text in eine Datenbank eingegeben wurde. Per Textgenerator und mittels eines komplexen Syntaxprogrammes werden aus dieser Kafka-Datenbank durch Interaktion des Benutzers ständig neue Satz-Kombinationen generiert ˆ in einer Geschwindigkeit, die das Lesen unmöglich macht. URL:
Beispiel 2: Christa Sommerer/Laurent Mignonneau (1999): “Verbarium": Die Weboberfläche fordert zur Eingabe von Texten auf, die nach dem Absenden in eine Pflanze transformiert werden. Neben dem vom einzelnen Benutzer erzeugten Gewächs wird dieses gleichzeitig dem “Urwald" aller bisherigen Texte hinzugefügt. Die Gestalt von Zeichen nicht mehr festgelegt, ihre Funktion wird verfremdet. URL:
Beispiel 3: Servin, Jacques (1997): BEAST" ist ein komplexes hypermediales Projekt, das zunächst ein sich ständig fortschreibendes Textfeld zeigt, das von verschiedenen Tonelementen begleitet wird. Nach einer gewissen Zeit öffnet sich ein navigierbares zusätzliches Fenster mit "floating images" - Symbolen, deren Generierung von den Inhaltsschwerpunkten der bisher erschienenen Texte abhängt. Jedem Symbol ist wiederum ein Tonelement zugeordnet - klickt der Benutzer auf eines der Symbole, fixiert er es und löst damit gleichzeitig das dazugehörige akustische Feature sowie die Generierung eines thematisch mit dem Symbol korrelierten Textsegments aus; gleichzeitig erscheint eine "Karte", die das Symbol erklärt. Die programmgesteuerte Text-, Bild- und Tongenerierung ist somit reziprok in Abhängigkeit voneinander gekoppelt. URL: http://home.earthlink.net/~jservin/Beast/


q1 Bateson, Gregory: Ökologie des Geistes. Anthropologische, psychologische, biologische und epistemologische Perspektive. Frankfurt am Main 1983.
q2 Giesecke, Michael: Der Buchdruck in der frühen Neuzeit. Eine historische Fallstudie über die Durchsetzung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien, Frankfurt am Main 1994.
q3 Heibach, Christiane: Literatur im Internet. Theorie und Praxis einer kooperativen Ästhetik. Berlin 2000.
q4 Lanham, Richard: The Electronic Word. Democracy, Technology, and the Arts. Chicago 1994.

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