Autor: Peter Schefe | |
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Visualisierung VISUALISIERUNG UND BERECHNUNG Visualization is a method of computing. It transforms the symbolic into the geometric, enabling researchers to observe their simulations and computations.Visualization offers a method for seeing the unseen. Visualisierung bietet Einsicht in eigentlich nicht Einsehbares, macht Unwirkliches gleichsam wirklich, läßt Abstraktes konkret werden.q1 Ist aber das Rechnen selbst nicht nur durch Visualisierung zu begreifen? Durch Rendering? Man sollte anfänglich wohl denken, daß die Ansicht, daß 7 + 5 = 12, eine bloß analytische (abstrakte) sei, die nach der Einbildung einer Summe von Sieben und Fünf nach der Sicht des Ausschlusses erfolge. Und mag ich meine Einbildung von einer solchen möglichen Summe noch solange zergliedern, so werde ich doch darin die Zwölf nicht antreffen. Ebensowenig ist irgend eine Zusammenbildung von Gestalten analytisch. Man muß über diese Einbildungen hinausgehen, indem man das Rendering zur Hilfe nimmt, die einem von beiden korrespondiert, etwa seine fünf Finger - going digital - und so nach und nach die Einheiten der in dem Rendering gegebenen Fünf zu der Einbildung der Sieben hinzutut.q2 Visualisierung ist digitales Rendering, also Berechnung, Berechnung selbst auf Visualisierung angewiesen. DARSTELLUNG Die Visualisierung, wie man sie im Bereich elektronischen Gestaltens versteht, basiert wesentlich auf dem Computer, genauer: auf Darstellung durch den Computer. q3 Was hier gemeint zu sein scheint, ist nur die letzte Phase der Verbildlichung nach der Berechnung des Bildes bzw. seiner Elemente, der Pixel: ihre Ausgabe, ihre physische Darstellung auf dem Monitor. Was die Lateiner mit "moneo" bezeichneten, geht auf einen alten Stamm zurück: "mana", die Mahne. Es gemahnt, es ruft ein Bild hervor, zeigt sich an, läßt etwas sehen. Der Monitor ist nicht das bloß Erscheinende, sondern das eigentlich Bildende: Die Mahne ist die Bilde als die Zeige. In allem, was uns entgegenbildlicht, was uns als Bebildertes und Gebildetes trifft, was sich uns zubildet, was als Unverbildlichtes auf uns wartet, aber auch in dem von uns vollzogenem Verbildlichen waltet das Zeigen, das Anwesendes erscheinen und Abwesendes entscheinen läßt.q4 SIMULIEREN ODER GESTALTEN Berechnen und physisch Darstellen ist die Sache der Technik. Die Techniker, die Computergraphiker, simulieren das Sehen. Ziel ist: an image that is perceptually indistinguishable from an actual sceneq5 Sie bedienen damit auch einen alten Wunsch: Mimesis. Wie schon andere technische Mittel der Reproduktion imitieren sie nur Wirklichkeit, sie simulieren sie, sagen sie voraus. Ist Realismus eine Eigenschaft des Sehens, des wahren Modells des Sehens? Die Anwender, die Künstler zumal, gewinnen dadurch ein neues Potential der Gestaltung, d.h. sie programmieren neue Welten, die über das bisherige hinausgehen: Hypertext, Hypermedia, Hyperart. Die Gestaltung gewinnt Über-Dimensionen: der Text verwächst sich zu einem Textnetzwerk von Verweisungen, das einfache Medium mutiert zum multimedialen Metamedium, der flache Bildschirm der Visualisierung fungiert als Fenster eines Raumschiffs für den gestaltbaren, programmierbaren Cyberspace: 'Wille zur Wahrheit' heißt ihr's, ihr Weisesten, was euch treibt und brünstig macht? Wille zur Programmierbarkeit alles Seienden: also heiße ich euren Willen! Aber es soll sich euch fügen und biegen! So will's eurer Wille. Glatt soll es werden und dem Geiste untertan als sein Spiegel und Widerbild. Schaffen wollt ihr die Welt, vor der ihr knien könnt: so ist es eure letzte Hoffnung und Trunkenheit. Einst sagte man Kunst, wenn man auf eine Darstellung blickte, aber ich lehrte euch zu sagen: Überkunst. Könntet ihr Kunst programmieren? So schweigt mir doch von der Kunst. Wohl aber könntet ihr die Überkunst programmieren. Ach, es ist so viel Lüsternheit in der Programmierung!q6 SEHEN, DENKEN UND HANDELN Allen Visualisierungen liegen Daten zugrunde. Ihre Rolle kann im Verborgenen liegen, nur Mittel sein zum Zweck wie in der Darstellung eines Gebäudes oder einer Szene. Daten können aber auch selbst zum Gegenstand der Abbildung werden, zur grafischen Darstellung und zur Cybermap. Visualisierungen wenden sich an den Gesichtssinn: den Hauptbereich des Denkens. Was das Sehen zu bieten hat, steht dem Geist nicht nur zur Verfügung, sondern ist unentbehrlich für ihn.q7 Grafische Unterstützung des Denkens hat eine lange Tradition. Daten werden verräumlicht, erscheinen geometrisiert als Linien, Flächen, Färbungen, Texturen, Glyphen, geometrischen Figuren und Objekten in Diagrammen, Karten, Strukturen und Räumen. Die Sémiologie graphiqueq8 weist den analogen Gebilden symbolische Bedeutung zu. Die grafische Programmierung eröffnet neue Möglichkeiten des Erkennens von Zusammenhängen, unterstützt die Handhabung von komplexen Strukturen und erweitert den Umfang des zu untersuchenden Datenvolumens. Auch hier erweitert sie die Fläche zum Cyberspace, dem neuen Hypermedium des Erkennens: Hier ist also Konstruktion, die auf Gesetzen beruht, welche die Einbildung a priori erkennt, und zwar vornehmlich aus allgemeinen Prinzipien der Bestimmung des Raums. Nun frage ich: liegen diese Konstruktionsgesetze im Raume oder lernt sie die Einbildung, indem sie den reichhaltigen Sinn, der in jenem liegt, nur zu erforschen sucht, oder liegen sie in der Einbildung und in der Art, wie diese den Raum nach den Bedingungen der synthetischen Einheit, darauf seine Einbildungen insgesamt auflaufen, bestimmt?q9 Das Sehen ist eine Form des Denkens auch als ein Mittel, das logische Denken zu leiten und seine Ergebnisse zu überprüfen. Umso mehr als computergestützte Visualisierungen nicht nur statisch wie Grafiken auf Papier betrachtbar, sondern dynamisch betretbar und interaktiv benutzbar sind. Die Daten werden zum Bild, das Bild wird zur Welt, die Welt zur Information, in der man sich bewegen kann, die man verändern kann. Erkennen braucht jetzt Handeln. GRENZEN Was kann visualisiert werden? Alles was verdatet werden kann. Grundlage für eine Visualisierung von Zukünftigem wie Genwärtigem sind immer Entwürfe, die sich in Daten niederschlagen. Das Verdaten, das Speichern im Datenmodell, geht allem Rendern und Darstellen voraus: Was sich überhaupt verdaten läßt, läßt sich klar verdaten; und wovon man keine Einträge herstellen kann, das muß man auslassen. Das Datenmodell will also der Verdatung eine Grenze ziehen, oder vielmehr - nicht dem Verdaten, sondern dem Eintragen von Daten: Denn um dem Verdaten eine Grenze zu ziehen, müßten wir beide Seiten dieser Grenze verdaten können (wir müßten also verdaten, was sich nicht verdaten läßt). Die Grenze wird also nur im Datenmodell gezogen werden können und was jenseits der Grenze liegt, wird einfach Unsinn sein. P.S. Bildnachweise (in der Reihenfolge des Auftretens): Michelangelo: Zwei Hände (Ausschnitt, bearbeitet vom Autor) Unbekannt: Ornament aus der Originalausgabe von Kants Prolegomena (bearbeitet vom Autor) David R. Nadeau: Example from VRML-Tutorial, http://www.sdsc.edu/~nadeau I. Thomsen, T. Stendel: Frame aus HMP3-Film-Projekt, LEM Hamburg Zeichnung des Autors R. Xiong: Chat visualization, MIT Media Lab, Atlas of Cyberspace 2001 T. Munzner: Hyperbolic Space, Stanford Univ., Atlas of Cyberspace 2001 S. Adler, J. Heise, M. Mayer: Cyberspace Visualization Project, HfBK Hamburg B. Fry: Information visualization, MIT Media Lab, Atlas of Cyberspace 2001 q1 McCormick, B., DeFanti, T., Brown, R. (Eds.): Visualization in scientific computing and computer graphics, ACM SIGGRAPH, 21,6 (November 1987) q2 Man vergleiche: I. Kant: Prolegomena. Riga 1783 q3 J. Claus: Elektronisches Gestalten in Kunst und Design. Reinbek (Rowohlt) 1991 q4 Der wohlmeinende Leser vergleiche M. Heidegger: Der Weg zur Sprache. In: Bayr. Akad. d. Schönen Künste (Hrsg.): Die Sprache. Darmstadt 1959 q5 D.P. Greenberg: A framework for realistic image synthesis. CACM 42, No. 8 (August 1999) q6 Man vgl. F. Nietzsche: Also sprach Zazathustra. Stuttgart 1951, zuerst 1885 q7 R. Arnheim: Anschauliches Denken. Zur Einheit von Bild und Begriff. Köln (DuMont) 1972 q8 J. Bertin: Sémioloque graphique. Paris 1967 q9 Vgl. Anm. 2 q10 Man vgl. L. Wittgenstein: Tractatus logico-philosophicus. Annalen der Naturphilosophie 1921 |