cut-up: Schneiden, knüpfen, verknüpfen
Experimentelle Collage-Techniken des Schreibens werden immer wieder auf das Zeitungs-Layout zurückgeführt: Spaltensatz, Mischungen von Text, Bild und den unterschiedlichsten Genres, Meldungen, Anzeigen bilden eine ideale Ausgangslage für die nicht-lineare Leseerfahrung des "Crossreading", bei denen das Auge des Lesers die Grenzen der gesetzten Grenzen von Textspalten überspringt und ungeanhte Querverbindungen erzeugt. So wird in den zahllosen Gebrauchsanweisungen zur Herstellung experimenteller Literatur von oder Buchseiten verlangt, damit die Worte als Material aus dem Kontext gerissen und zur Wiederverwertung freigesetzt werden. Der Schnitt markiert eine gewaltsame symbolische Operation einerseits, aber auch einen konkreten physischen Akt.
Als Methode des Denkens und Handeln geht eine Cut-Up- 'Lebensweise' aber weit über ein einfaches Verschieben von Wortketten hinaus und bezeichnet ganz anschaulich Momente postmodernen (und neuerdings vielleicht auch postsymbolischen) Subjekt-Shiftings.
Paßte die Technik des 'inneren Monologs' zur modernen bürgerlichen Autorenkonstitution - mit den entsprechenden Leseanweisungen, nebst projizierter stellvertretenden Identifikations- und Gegenidentifikationsmomenten der Rezipientinnen, so ist das Cut-Up Ausruck einer grundlegenden Verschmelzung von Rezeptions- und Produktionsmomenten unter den Bedingungen postmoderner Medienkonstellationen.
Schon das Medienformat Zeitung produziert von sich aus eine zerstreute verteilte und vernetzte Rezeptionsweise, die somit jeden Rezipienten in eine Cut-Up-Professional verwandelt.
Während im modernen Roman die Simultanität verschiedener Weltausschnitte und Wahrnehmungsebenen noch künstlerisch produziert werden mußte durch geschliffene schriftstellerische Methoden und die surrealistischen Spiele wie auch die Psychotechniken der Psychoanalyse Assoziationen freizusetzen versuchten durch ein Anzapfen unbewußter Bewußtseinsströme, sind die Sinnesoperationen unter multimedialen Bedingungen von vornherein auf ein permanentes Changieren zwischen Aufnehmen, Verarbeiten und Kommunizieren eingestellt. so etwas wie innerer Monolog oder auch das Cut-Up-Gefühl sind alltäglich geworden. Jeder Mensch ist ein Künstler und lebt wie James Joyce. Dazu braucht man nicht mehr zu lesen oder Textschnipseleien vorzunehmen.
So nimmt Burroughs alltägliche Szenen schon als permanentes Cut-Up wahr - durch die Cut-Up-Methode werden diese Simultaneitäten nur explizit gemacht.
Bei Zeitunglesen folgen die Augen den Text-Spalten zwar in gewohnter aristotelischer Manier anscheinend unter der Bedingung, jeweils immer eine Idee und einen Satz aufzunehmen, aber unter der Oberfläche der Wahrnehmung laufen parallel mehrere Prozesse gleichzeitig ab, Wortfetzen, Bildsegmente aus benachbarten Spalten drängen sich auf, Stimmen von Unterhaltungen in der Nähe sind zu hören, ein Nachrichtenfenster springt auf, eine Sounddatei spiel im Hintergrund, während ich mir gleichzeitig den Source-Code anzeigen lasse, email angekommen ist und ich einen Platz im Zug reserviert habe. Ist das noch Cut-Up - oder schon wieder etwas anderes?
Die Haltung zur Welt, zur Umgebung, zum Kontext ist keine passive mehr - wie die des Romanciers , man kann nichts mehr abschreiben, einschreiben und abspeichern, man bewegt sich einfach in einem System von Querbeziehungen. Cut-Up als eine Methode Intertexualität zu praktizieren erweitert den Raum und die Funktionsweise von Worten in die Welt. Der Cutter lebt darin wie ein Fisch im Wasser, die Beschreibungen von Leben der Avantgarde als ein Kampf um die Vereinigung von Alltagsleben und Kunst sind sein alltägliches Brot, banale Erkenntnis. Das Leben im Cut-up, das Leben als Cut-up.
Und nicht nur die. Im Cut & Paste deutet sich eine Literatur an, die von allen gemacht wird.
.... Insofern hat die Cut-Up Methode nichts mit einem 'freien' Assoziieren zu tun, eher mit zwanghaften, unter starken Einflüssen (unter Drogen oder anderen extremen Wahrnehmungsmanipulationen) ausgeführten Materialschlachten, wie sie unter vernetzten multimedialen Medienbedingungen auf der Tagesordnung eines jeden Users stehen.
Die Schnittstellen im cut-up
Hier haben wir wieder die wundersame und wunderbare Benutzung von Worten als Schnittstelle und finden verstreut im weiteren Werk von Burroughs auch jede Menge Gebrauchsanweisungen, Anleitungen und Tips für die eigene Hand-Habungen, Wörter zu berühren, mit ihnen in Kontakt zu treten:
Das einfachste cut-up mit dem Tonbandgerät bekommt man, wenn man aufs Geratewohl in bereits aufgenommenes Material neue aufnahmen einfügt: die Wörter an den Schnittstellen werden natürlich gelöscht, man erhält Überlagerungen, interessante Nebeneinanderstellungen. Im Medium des Sounds lassen sich einfacher als mit dem gedruckten Wort (etwa durch mehrspaltiges Layout) Effekte der Gleichzeitigkeit erreichen: Echos, Beschleunigungen, Mischungen.
Was Burroughs in seinen Experimenten erahnte, ist heute die strategisch wichtigste Operation im Netzschreiben geworden:
copy & paste als Waffe im Medienkrieg
"Die Schnittpunkte sind sicherlich sehr, sehr wichtig. Beim Zerschneiden bekommt man einen Schnittpunkt, wo sich das neue Material, das man eben erhalten hat, auf sehr präzise Weise mit dem bereists vorhandenen überschneidet, und das ergibt dann einen neuen Ausgangspunkt."
(William S. Burroughs: Der Job. Gespräche mit Daniel Odier, Frankfurt am Main 1986, S. 16)
Massenhaft angewendet erscheint die cut-up-Methode als eine revolutionäre Waffe nach Art der Kommunikations-Guerilla. Möglich erscheinen Events, Festivals, Konzerte, Demonstrationen, Aufmärsche, in denen die Masse der Teilnehmenden - ausgerüstet mit walkmen als persönliche kleine Wunschmaschinen - durch abwechselndes Betätigen der RECORD und PLAY-Taste wirklich zu Produzenten werden:
"[...] wenn tausende von Leuten mit Tonbandgeräten Informationen ausstreuen wie durch ein Netz von Buschtrommeln: eine Parodie auf die Rede des Präsidente, die Balkone rauf und runter, durch Fenster rein und raus, durch Wände, über Hinterhöfe, aufgenommen und weitergetragen von Hundegebell, brabbelnden Pennern, Musik [...]
(William Burroughs: Die elektronische Revolution, Expanded Media Edition, S. 27)
Der eigentlich Kick dieser Operationen ist, daß - im Unterschied zu den meisten künstlerischen Klang-Experimenten à la Cage eine Rückkopplung in den sozialen Kontext vorgenommen wird, aus dem die Materialien entnommen worden sind, und daß genau durch diese Feedback-Schleifen ein Aufschaukeln, Übersteuerungen und Momente des Außer-Kontrolle-Geratens initiiert werden:
"Demonstraten sind aufgefordert, friedlich zu demonstrieren [...]. Zehn Tondbandagenten mit Tonbändern unter der Jacke, Aufnahme und Wiedergabe gesteuert durch Bedienungsknöpfe am Revers. Sie haben Bänder von Aufnahmen von Kravallen in Chikago, Paris, Mexico-City, Kent State/Ohio. Wenn sie den geräuschpegel ihrer Aufnahme dem der jeweiligen Umgebung anpassen, wird man ihnen nicht auf die Spur kommen. Rempelei zwischen Polizisten und Demonstranten. Die Tonbandagenten ziehen sich am Ort des Geschehens zusammen, spielen Chikago ab, nehmen auf, gehen weiter zur nächsten Rempelei, nehmen auf, spielen weiter. Die Sache wird langsam heiß [...]".
(William Burroughs: Die elektronische Revolution, Expanded Media Edition, S. 28)
Also einfache Umwandlung eines kalten Mediums in ein heißes. Dekonstruktion und Deregulierung aller Sinne einmal ganz platt und wirksam, Medienkritik praktisch durch zerschneiden festgeleger Assoziationsverbindungen. Könnte etwa so geklungen haben:
"Gestern stürmte Präsident Johnson 26 Meilen nördlich von Saigon in ein Nutten-Apartment und hielt drei Mädchen die Knarre vor." (S. 29)
Das Programm ist ganz klar auch ein politisches, erfrischend anders als die reinen Materialschlachten der Avantgarde oder des Techno:
"Mit einem Tondbandgerät läßt sich das hypnotische Gemurmel der Massenmedien schneiden und in veränderter Form auf die Straße bringen." (S. 29)
idensen@hyperdis.de
http://www.hyperdis.de/cutup/
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