Eisenstahl und Riefenstein

Hilmar Hoffmann vergleicht Nazifilm und Sowjetkino

Von Katja Nicodemus

Im Grunde haben wir uns schon daran gewöhnt. Seit ein paar Monaten überschlagen sich unsere Politiker geradezu in der Produktion nationalsozialistischer Vergleiche. Sie werden dafür kritisiert, sie entschuldigen sich und nehmen die unpassende Analogie zurück. Aber tatsächlich sind die inflationierten Vergleiche nicht einfach nur Entgleisungen, sondern Symptome einer politischen Kultur. Sie sind gewissermaßen das ideologische Schmirgelpapier, mit dem das Profil der NS-Verbrechen heruntergeschliffen wird, bis es auf diffuse Weise in gegenwärtigen Phänomenen aufgeht.

Unter Historikern ist die früher gern geübte Analogie von Nationalsozialismus und Bolschewismus etwas aus der Mode gekommen. Verlockend scheint aber offensichtlich immer noch die Gleichsetzung von Leni Riefenstahl und Sergej Eisenstein, den beiden herausragenden filmischen Propagandisten ihrer Regime, für die Hilmar Hoffmann kürzlich wieder bei der Eröffnung einer Riefenstahl-Ausstellung im Bonner Haus der Geschichte das Wort ergriff. Natürlich ist es albern, über Kunstwerke, nur weil sie zu Zeiten des Nationalsozialismus entstanden, ein moralisch-ästhetisches Verdikt zu verhängen. Andererseits ist es genauso albern, ausgerechnet der „begabtesten Propagandistin des Herrenmenschentums“ (Margarethe Mitscherlich) ein Hintertürchen ins vorgeblich ideologiefreie Pantheon der Filmkunst zu öffnen – und damit einer Filmemacherin, die jede Aufarbeitung ihrer Propagandistenrolle bis heute durch eine strikte Zensur ihrer in Ausstellungen gezeigten Filme verhindert.

Zur ästhetisch-moralischen Bewertung der Filme Eisensteins und Riefenstahls sind gerade jüngst einschlägige Arbeiten erschienen. Anlässlich der Potsdamer Ausstellung arbeitete Oksana Bulgakowa noch einmal die unterschiedliche Darstellung der Masse in beiden Werken heraus, der Riefenstahl-Biograf Rainer Rother formulierte grundlegende formale Unterschiede – Verstörung, Brechung, Provokation und reflektierte Nichteinheit mit dem Gegenstand bei Eisenstein, Affirmation, Harmonie und totaler Illusionismus bei Riefenstahl.

Skandalös an dem erneuerten Vergleich ist aber weniger die Unkenntnis des filmhistorischen Forschungsstandes, sondern der Versuch, Leni Riefenstahl die Opferrolle einer von Linksintellektuellen verkannten Regisseurin zuzuweisen, die es endlich unvoreingenommen zu entdecken gilt. Tragen wir den Triumph des Willens und Sieg des Glaubens in die Cinemaxxe! Nieder mit den Begleitvorträgen! Wenn der hessische Ministerpräsident Deutschlands Milliardäre für die wiedergeborenen Opfer des Faschismus hält, dann unterscheidet sich Riefenstein auch nicht von Eisenstahl. Das ist die frohe Botschaft der neuen Analogien: Kinders, so schlimm kann es doch unter Hitler nicht gewesen sein. Katja Nicodemus