Schwarz Brot Gold

Die Republik malt – und erinnert sich ihres Punk-Pioniers Martin Kippenberger


Ich kann mir ja nicht jeden Tag ein Ohr abschneiden. Martin Kippenberger

Gute Nachrichten am Jahresanfang: Der Patient M. ist wohlauf. Nicht, dass es jemals wirklich anders gewesen wäre. Aber es gibt eine Menge Erbschleicher, die seit geraumer Zeit gebetsmühlenhaft seinen Tod annoncieren. Es wird also gemalt, immer noch, auch und vor allem hierzulande, mehr denn je vielleicht: Die x-te Renaissance des Sofabildes steht bevor oder ist schon eingetreten, kleine, elegische Wohnzimmerformate haben Konjunktur, was mit der viel beschworenen Flucht in die Sachwerte in Zeiten der Rezession zusammenhängen könnte oder mit dem augenfälligen Trend zum Neo-Biedermeier, neudeutsch: Cocooning – oder doch damit, dass Öl auf Leinwand auf einmal wieder Aussagekraft jenseits privatistischer Selbstverwirklichungs-Therapien besitzt.

Heute denken – morgen fertig

Mag diese Potenz sich nun rein restaurativ auf althergebrachte Handarbeits-Mythen oder eher analytisch auf die seherischen Qualitäten berufen, die nun einmal nur Maler besäßen – festzustellen ist, dass in Kürze in Frankfurt gleich zwei Ausstellungen die Wiederkehr der Malerei und ihrer wachsenden Bedeutung für uns Heutige zelebrieren: Die Frankfurter Schirn versammelt unter dem Titel „Lieber Maler, male mir“ figurative Tendenzen der Gegenwart und jüngeren Vergangenheit, die von den elegischen Salongesellschaften eines Alex Katz bis hin zu Bernard Buffets in Comic-Manier gefertigten „Miserabilismus“-Ikonen aus dem Paris Sartres und der Piaf reichen. Diese Ausstellung war zuvor in Paris und Wien zu sehen. Und im Frankfurter Kunstverein, also gleich nebenan, zeigt die Schau „deutschemalereizweitausenddrei“ Arbeiten von fünfzig zeitgenössischen Malern, darunter etwa die schmutzigen Gesamtkunstwerk-Parodien von Jonathan Meese oder die wahnwitzigen Drehwolf-Interieurs von Gunter Reski.

Es scheint zunächst nicht mehr als eine gregorianische Grille zu sein, dass nahezu zeitgleich mehrere Ausstellungen den Künstler Martin Kippenberger feiern, der im März 1997 im Alter von 44 Jahren gestorben ist und in diesem Jahr fünfzig geworden wäre. Neben Schauen in Darmstadt und Braunschweig bildet das Museum für neue Kunst in Karlsruhe die zentrale Anlaufstelle für die erste umfassende Werkschau seit 1999, die anschließend nach Wien und Eindhoven weiterreist; mehr als 500 Arbeiten werden dort zu sehen sein. Es hängt ein wenig der schon leicht säuerliche Kölsch-Geruch der achtziger Jahre über diesen Vorhaben: Ist Kippenberger nicht passé? Dieser selbst ernannte „Lüpertz für die Mittelklasse“, der damals, im zonenbewehrten Kreuzberg der späten Siebziger, das Punklokal „SO 36“ leitete, wo Iggy Pop und Lydia Lunch verkehrten? Der dann in den Achtzigern, als die wilden Kerle des Neo- Expressionismus die Konzeptkunst der vorangegangenen zwei Jahrzehnte vergessen machen wollten, so etwas wie der Spaßkanzler dieser neuen Maler-Republik wurde, der seinen Zeitgenossen ein ums andere Mal mit munteren Anarchismen und Gute- Laune-Slogans („Heute denken – morgen fertig“) vorrechnete, wie peinlich ihre von keiner Reflexion angekränkelten Pinselschwingversuche eigentlich waren? Der „Eiermann“, Besitzer der „Tankstelle Martin Bormann“, Männerbündler, Restaurantinhaber, Nudelexperte, Museumsdirektor und Talar-Tänzer, der schließlich, als sein eigenes, rasantes Malerleben sich dem Ende zuneigte, eher pointenuntaugliche Projekte anleierte, etwa ein weltweites U-Bahn-System, die sperrige Möbel-Inszenierung des „Happy End of Franz Kafka´s Amerika“ oder einen Kunstverein in der Ägäis?

Also: Kippenberger, reif für eine gut abgehangene, nicht weiter gefährliche Retrospektive? Historisches Material? Vielleicht doch mehr als das. Vielleicht taugt Kippenberger, der immer intelligenter war als seine besten Einfälle, heute zu so etwas wie einem intellektuellen Korrektiv jüngerer Malergenerationen. Da sind, zunächst einmal, die Nekrologe und die Verrisse zu Lebzeiten („Er war kein guter Mensch“, stand in der taz ). Sie beweisen, in ihrem manchmal ätzenden Hass, dass dieser Künstler wie kein anderer zum Spaltpilz innerhalb einer moralisierenden Kunstkritik avanciert war – einer Kunstkritik, die auf der einen Seite mit heimlichem Voyeurismus seine sozialen Exzesse verfolgte, die sie auf der anderen Seite schön vom künstlerischen Werk und dessen gesellschaftlicher Relevanz geschieden sehen wollte.

Kippenberger jedoch dachte nicht daran, still vor sich hinzumalen. Er mache „keine Kunst für Zahnärzte“. Und, auf Beuys gemünzt: „Jeder Künstler ist ein Mensch.“ Die eigene Misere, als Maler in einer an Malern dürftigen Zeit auszustellen, war für ihn Programm. Die „dumme Scheinwelt des Malens“ garnierte er mit brillanten Einfällen, die Thekensprüchen entlehnt scheinen. Allein die Bildtitel: „Schwarz Brot Gold“ – beißender Spott für die Dreikornrepublik. „Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz erkennen“ – ja, wo denn auch, wenn nicht in diesem Satz? Doch allein das Gerücht reicht, und jeder schaut auf einmal genauer hin. Wer Tabus brechen will, muss auch banal, unseriös und politisch inkorrekt werden dürfen – Kippenberger war Sexist, Trinker, exzessfreudig und monomanisch, ein Ausbeuter der Einfälle anderer, darin Picabia nicht unähnlich: der beste Impresario, den er je hatte. Wer heute wieder blassblaue Aquarelle webt, hat nichts begriffen: Es geht nach Kippenberger nicht mehr, Gegenwartskunst ohne Gegenwartskünstler zu denken, ohne den ganzen Rattenschwanz von abgelebtem Geniekult und artiste- maudit-Tragik, ohne dass man sich der eigenen Lächerlichkeit bewusst wird als Maler, der im Zeitalter der Paintbox immer noch Handarbeit verrichtet und dessen Anarchismen am Ende doch verpuffen und in neue Regelwerke münden. Es sind vielleicht am ehesten Künstler wie Jonathan Meese, der egozentrische Bühnenbesudler John Bock, wie Michael Majerus oder Johannes Wohnseifer, die diese Lektion begriffen haben – und zwar, ohne in die alten Punk-Attitüden zurückzufallen.

Kippenberger war also eine Zeitlang „Punk et Pop“ – doch interessant ist er heute auch deswegen, weil er darüber hinaus auch ein grandioser Manager seiner selbst war, ein Meister der Sehschule ohnedies, zumal an der Frankfurter Städelschule, wo er unter anderem Tobias Rehberger unterrichtete: Der Künstler, der Maler vor allem, ist heute immer auch ein exemplarisch Sehender, ein Vampir der visual culture und Virtuose an der Resterampe. Auf Verrisse reagierte Kippenberger etwa mit einer Eckensteher- Skulptur seiner selbst: „Martin ab in die Ecke und schäm dich“, auf den anhaltenden Boom der Moderne mit der Europaletten-Skulptur „Entwurf für ein Müttergenesungswerk in Paderborn“ und auf einen kastenförmigen Kölner Galeriebau von Oswald Mathias Ungers mit einer ähnlich proportionierten „Hühnerdisco“.

Wen beneiden Sie am meisten?

Doch die zeitgenössischen Maler haben, auf der anderen Seite, ihm die Erkenntnis voraus, dass er vielleicht, mit dem ebenso wichtigen Polke, als Begründer der Spaßgesellschaft durchgeht, auf jeden Fall aber als einer, der rechtzeitig, mit den Arbeiten der späten Jahre, den Absprung in ernstere Gefilde geschafft hat – im Jahr 2000, drei Jahre nach seinem Tod, rief Harald Schmidt den neuen Ernst in der Republik aus. Gute-Laune-Slogans, hinreißend komische Gedanken-Prothesen und Frechheiten sind inzwischen das Terrain von TV- Quotenclowns und diversen Hanswursten. Auch ist klar, dass dieser Künstler keiner für alle war und ist – neuere technische Medien interessierten ihn kaum, es sei denn als absurdes Anschauungsmaterial. Und mit Sicherheit wird er bis heute eher im westlichen Teil der Republik rezipiert – für die Maler der Ex- DDR, ja selbst für diejenigen in Berlin bleibt er noch zu entdecken. Fest steht aber auch, dass die Fragen die er aufgeworfen hat, bleiben. Oder hat jemand spontan eine Antwort hierfür parat: „Was ist Ihre Lieblingsminderheit? Wen beneiden Sie am meisten?“

HOLGER LIEBS