Die Moral verliert

Warum die Kunst die Flick-Vergangenheit nicht verdrängen kann


Wenn sich mal eine Gelegenheit bietet, heißt es, zugreifen, ehe es zu spät ist, einsteigen, bevor der Zug abgefahren ist. Mit melancholischen Idealisten ist kein Staat zu machen. Deshalb ist es nur konsequent, dass im rot-rot-regierten Berlin der Steueremigrant Friedrich Christian Flick („Mick“) nach langer, vergeblicher Suche quer durch Europa endlich ein Domizil für seine Sammlung zeitgenössischer Kunst gefunden hat. Was von den Lokalgrößen in wohlgesetzten und bedeutsam klingenden Worten als großer Schritt auf dem Weg zu einer Kulturmetropole gefeiert wird, entpuppt sich, von den schmückenden Beiworten gereinigt, als Abweg und Heuchelei. Ein reicher Mann bekommt ein Denkmal gesetzt und darf den Familiennamen reinigen. Ein Politiker der PDS verteidigt das Unternehmen mit dem Verweis, es handele sich um einen Anstoß zur Diskussion über deutsche Vergangenheit. Braucht Berlin noch eine Leni-Riefenstahl-Sammlung?

Er sei davon „überzeugt“, hat Mick vor Jahren seinem Onkel Friedrich Karl Flick (auch ein bekennender Steuerflüchtling) geschrieben, dass mit einer solchen „kulturellen Leistung der Name Flick auf eine neue und dauerhaft positive Ebene gestellt“ wird. Straßburg, Dresden, Zürich wurden als Ausstellungsorte genannt, München auch. Daraus wurde nichts. Denn der Name Flick (daran muss ein paar Tage vor dem 60. Jahrestag der Machtergreifung durch die Nazis noch einmal erinnert werden) steht für Geld, das nach Blut und Schweiß riecht. Micks Großvater Friedrich Flick sen. war Hitlers wichtigster Rüstungslieferant und hat Tausendschaften von Sklavenarbeitern in seinen Fabriken zu Tode schuften lassen. Dem Reichsführer der SS, Heinrich Himmler, war er regelmäßig mit Barem behilflich.

Mick Flick hat ebenso wie andere Familienmitglieder von dem Alten ein riesiges Vermögen geerbt, und die üble Herkunft eines Teils des Geldes zumindest ließ sich nie verbergen. Als Mick seine Bildersammlung in Zürich ausstellen wollte, gab es eine erregte Debatte in der Zwingli-Stadt, ob man diese Gabe von einem Flick annehmen dürfe. Dutzende Kulturschaffender fertigten einen Aufruf und protestierten gegen Flicks „private Ablasswährung“, die Kunst. In Oxford scheiterte Micks Bruder Gerd-Rudolf („Muck“) am öffentlichen Widerstand, als dieser vergeblich versuchte, einen Lehrstuhl zu initiieren, der den Namen Flick tragen sollte.

Nun dürfen Enkel nicht mit den Sünden der Großväter belegt werden, aber bei den Flicks fällt auf, dass sie sich ihrer Familienvergangenheit nie gestellt haben. Anders als die Krupps, die Quandts oder die Siemens-Sippe haben sie ihre Familienarchive nie geöffnet und sind mit ihrer Geschichte nicht angemessen umgegangen. Während viele andere Privatpersonen Millionensummen in den Fonds für Zwangsarbeiter zahlten, haben sich die Flicks geweigert. Nur unter Druck hat Mick eine eigene Stiftung gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz gegründet.

Dass eine Flick-Collection ausgerechnet in der alten Reichshauptstadt ihren Platz finden soll, ist kurios und gleichzeitig eine Zustandsbeschreibung der Berliner Gesellschaft. Andererseits: Insbesondere der organisierten Linken haben Leute mit wirklich viel Geld immer schon mächtig imponiert. Aber alles ist an seine Zeit gebunden. Vielleicht kann auch ein Flick einen Neuanfang machen. Mick ist 1975 in die Schweiz gezogen und hat in dem Steuerparadies als „private investor“ sein Vermögen vermehrt, das heute auf 500 Millionen Euro geschätzt wird. Grob über den Daumen gerechnet hat der 58-Jährige pro Jahr etwa fünf Millionen Euro an Steuern in Deutschland vermieden. Die Vermögenssteuer nicht berücksichtigt, hat er den deutschen Steuerbehörden etwa 125 Millionen Euro vorenthalten. Das ist etwa der Wert seiner Sammlung.

Einer wie Flick darf im Land der Steueramnestie nicht heimatlos in der Fremde bleiben. „Ich bin Deutscher. Da sind meine Wurzeln. Heimat, Beständigkeit, Halt“ hat Flick neulich gesagt. Da „sind Werte, mit denen ich aufwuchs und die mich heute beschäftigen“. Er soll wiederkommen und dem Fiskus geben, was des Fiskus ist. Bei dieser Gelegenheit könnte er auch noch ein paar andere Kleinigkeiten ordnen. Neben seiner Sammlung sollte ein Dokumentationszentrum eingerichtet werden, das der Familiengeschichte und der Vergangenheit gewidmet ist. Auch sollte es nicht bei der Leihgabe bleiben. Wahre Mäzene (wie das Ehepaar Inge und Peter Ludwig) leihen nicht, sondern schenken. Denn ansonsten darf an der Uneigennützigkeit des Gebers gezweifelt werden. Durch die Präsentation im Museum wird der Wert einer Sammlung gesteigert, was für den Verleiher profitabel ist. Solcher Vorverdacht wäre Flick doch sicherlich unangenehm. Auch stört Außenstehende, dass bei den Verhandlungen in Berlin eine mit Mick Flick verbandelte Firma eine Rolle spielte, die in einer Steueroase residiert. Auch wenn das Stil im Hause Flick ist – es gibt Grenzen des Zumutbaren.

HANS LEYENDECKER
  
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Kunst ist nicht nur Kunst

Alice Ströver kritisiert die Berliner Schwamm-drüber- Mentalität


Alice Ströver, die kulturpolitische Sprecherin der Berliner Grünen, hat mit ihrer Kritik an der Übergabe der Sammlung Flick die Debatte um die Vergangenheit der Flicks nun auch in Berlin entfacht.

SZ: Kultursenator Flierl hat erklärt, die Flick-Collection mache die „historischen Brüche, mit denen Berlin und die ganze deutsche Gesellschaft lebt, zum Gegenstand der öffentlichen Auseinandersetzung.“

Alice Ströver: (lacht) Aber genau dieser Auseinandersetzung ist er bisher strikt aus dem Weg gegangen.

SZ: Sie haben nach der Qualität der Sammlung gefragt. Steht die nicht außer Zweifel?

Ströver: Ich kann die Qualität nicht beurteilen. Ich gehe davon aus, dass es sich um eine hochrangige Sammlung handelt. Meine Frage: Wie passt sie in den Berliner Kontext? Bürdet man Herrn Schuster (Generaldirektor der Staatlichen Museen), der schon jetzt seine Aufgaben nicht bewältigt, nicht noch mehr Lasten auf? Die Museen in Dahlem und am Kulturforum sind sich selbst überlassen. In der Neuen Nationalgalerie erleben wir nichts mehr an innovativen Ausstellungen. Was will man mit einer weiteren Ausstellung?

SZ: Um welche Lasten geht es?

Ströver: Flick stellt die Sammlung zur Verfügung und restauriert die Halle. Miete, Betriebs- und Personalkosten müssen wir selbst aufbringen.

SZ: Warum ist Berlin als Ort für diese Sammlung so problematisch?

Ströver: Dass Herr Flick einen repräsentativen Ort sucht, ist legitim. Doch die Hauptstadt der NS-Verbrechen hat eine besondere historische Verantwortung. Man nimmt in Kauf, dass ein Unrechtsname rehabilitiert wird. Ich habe nie gesagt: Niemals die Flick-Sammlung in Berlin – aber man kann die Geschichte nicht leugnen.

SZ: Hat sich das Verhältnis von Kunst und Moral nicht gewandelt?

Ströver: Ich finde diese Frage legitim. Ich würde auch nicht sagen: Diese Kunst ist schmutzig. Aber diese Sammlung ist mit einem Erbe erworben worden, das zu einem substanziellen Teil durch den Profit aus illegaler Zwangsarbeit entstanden ist, vor allem der von jüdischen Frauen bei Dynamit Nobel. Man kann nicht, wie Christoph Stölzl, einfach sagen: Kunst ist Kunst. Dass diese Fragen in Zürich, aber nicht in Berlin diskutiert werden, zeigt, wie stark die Schwamm-drüber-Mentalität hier schon verbreitet ist.

SZ: „Mick“ Flick hat ja eine Stiftung für Zivilcourage gegründet.

Ströver: Das finde ich ausgesprochen redlich. Mein Problem ist nicht Herr Flick. Was soll der arme Mensch machen? Nachkommen von Verbrechern haben nun mal ein Problem. Aber er hat die Stiftung natürlich erst auf öffentlichen Druck hin gegründet.

SZ: Warum gibt sich gerade ein Mitglied der PDS so locker im Umgang mit der Geschichte?

Ströver: Flierl steht unter dem Druck des Senats und des Bürgermeisters, der sich im Glanze von Flick und seiner Sammlung sonnen will. Dass sich Flierl der Debatte bisher feige entzogen hat, zeigt, dass er gegen seine innere Überzeugung argumentiert.

Interview: Jörg Häntzschel