Abgrund an VerratDer neue Elementarteilchenroman.Boris Groys verd�chtigt das Mediale und macht dabei eine gro�e Entdeckung: das Submediale von NIELS WERBER
Wer einen Verdacht hegt, vermeidet, selbst f�r naiv gehalten zu werden. Dies gilt zumal im Umgang mit Medien. Jeder Big-Brother-Fan hat es schon siebzigmal gesehen: Hinter den spiegelnden Oberfl�chen stehen die Kameras und dahinter eine anonyme, mal gutm�tige, mal spie�ige Macht, die Aufgaben und Leckereien verteilt, manipuliert und herrscht. Dass sich hinter den Bildschirmen und Interfaces, welche die Medien uns zuwenden, etwas verbirgt, das sich nicht zeigt, ist die zentrale Annahme von Boris Groys "neuem gro�en Buch" (Klappentext). Die Frage seiner "Ph�nomenologie der Medien" lauter daher: Was steckt dahinter? Die Frage er�ffnet einen infiniten Regress: Hinter den Botschaften stehen die "technischen Mittel der Datenspeicherung wie Papier, Film und Computer", hinter diesen technischen Medien verbergen sich "Produktionsprozesse, Elektrizit�tsnetze und wirtschaftliche Vorg�nge". Und auch dahinter, hinter den "Netzen und Prozessen", steckt etwas anderes. Groys nimmt an, dass das R�tsel der R�ckseite der Medien niemals gel�st werde, aber zu der sicheren �berzeugung f�hre, dass sich "hinter der Zeichenoberfl�che" ein "dunkler, submedialer Raum" er�ffne, "in dem absteigende Hierarchien von Zeichentr�gern in dunkle, undurchsichtige Tiefen f�hren". Da dieser "submediale Raum" sich jeder Beobachtung entziehe, werde er f�r uns zum "dunklen Raum des Verdachts". Die von Groys so genannte "medienontologische Frage", die wie die Heideggers nach dem Sein des Seienden immer ohne definitive Antwort bleiben wird, f�hrt zwangsl�ufig zu einer paranoiden Medientheorie, die alle Fesseln der Wissenschaft abstreift, weil sich der "Verdacht nicht widerlegen, aber auch nicht best�tigen l�sst". Vornehme Philosophie h�tte Kant solche Thesen genannt, die nicht auf falsifizierbaren Argumenten, sondern auf Intuitionen beruhen. Groys Eingebung, von der er annimmt, dass "wir" sie teilen, lautet: "Hinter der Zeichenoberfl�che der �ffentlichen Archive und Medien vermuten wir in der Tat unweigerlich Manipulation, Verschw�rung und Intrige." Bei "uns allen" lauere "die Angst vor einer verborgenen und insgeheim alles lenkenden Manipulation". Auf dem Umweg �ber den Verdacht kommt Groys dann wieder - wie Descartes bei seinem Umweg �ber den Zweifel - zu ganz sicheren �berzeugungen, die All- und Seinsaussagen gestatten: "Der Verdacht kann niemals entkr�ftet, abgeschafft oder untergraben werden, denn der Verdacht ist f�r die Betrachtung der Oberfl�che konstitutiv: Alles, was sich zeigt, macht sich verd�chtig." Universale Annahmen haben den Vorzug, auf alles zu passen. Unter Groys Verdacht werden Mikrokosmos wie Makrokosmos zu einer medialen Projektionsfl�che, die vieles verbirgt, indem sie manches zeigt. So h�ren wir vom "submedialen, kosmischen Raum, der �blicherweise hinter der medialen Oberfl�che des Himmels verborgen bleibt", und vom submedialen Raum hinter "Menschen, Gesellschaften und Staaten", die "bekanntlich wie andere Zeichentr�ger auch aus Protonen, Elektronen und anderen Elementarteilchen bestehen". Vom subatomaren bis zum interstellaren Bereich zieht sich die unendliche Kette der "medialen Oberfl�chen" und ihre dunkle, "strukturell entzogene", andere Seite: das Submediale. Groys verzichtet darauf, seine Beobachtungen und Behauptungen am aktuellen Stand der medientheoretischen Debatte zu messen. Zwar wird gelegentlich auf die "Theorie von heute" verwiesen, aber es bleibt v�llig offen, wer damit gemeint sein soll. Im Duktus von "einige behaupten . . .", "bekanntlich ist . . ." spielt Groys vage auf die eine oder andere Position an, ohne Autoren zu nennen oder gar Texte zu zitieren. Dass es etwa aus konstruktivistischer und systemtheoretischer Sicht erhebliche Einw�nde gegen die �berdies ziemlich gel�ufige Manipulationsthese g�be, dass seine Unterscheidung medial/submedial wie eine Travestie der luhmannschen Differenz von Medium und Form wirkt, bleibt Groys oder seinem Text verborgen. Die dutzendfache Selbstwiederholung - "wie schon gesagt" - macht die Lekt�re des Textes nicht erfreulicher. Solche stilistischen und formalen M�ngel kann sich wohl nur ein Autor leisten, der so gro�artige B�cher wie "Gesamtkunstwerk Stalin" oder "�ber das Neue" geschrieben hat. Zum Submedialen des neuen Buches geh�rt vor allem Martin Heideggers ber�hmter Aufsatz �ber den "Ursprung des Kunstwerks", der unterstellt, dass sich unserer Sicht auf die Welt immer etwas Entscheidendes entziehe. Hinter der allzu evidenten Funktion der Sachen oder auch hinter dem Nachrichtenwert der Sprache bleibe ihr eigentliches Sein verborgen. Die Kunst aber, die das Ding von allen pragmatischen Bez�gen abl�st und sein l�sst, wie es ist, entbergt sein Seiendes und er�ffnet f�r einen Moment eine "Lichtung". Das Paar Schuhe im Bild van Goghs dient einmal nicht als Instrument ("Zeug"), sondern zeigt sich in der Kunst im "Lichte seines Seins", das sonst, wenn die Schuhe einfach benutzt werden, stets verborgen bleibt. Was immer man von Heidegger halten mag, Groys nutzt nicht nur seine Semantik des Verbergens und Entbergens, sondern weist auch der Kunst eine entsprechende Sonderrolle zu. Es sind die Werke der "Avantgarde wie das ,Schwarze Quadrat' von Malewitsch oder der ,Springbrunnen' von Duchamp", die keine Botschaften transportieren oder Inhalte repr�sentieren, sondern sich zum "Botschafter" ihres "Mediums" machen und so "auf das Submediale, Verborgene, unter der Oberfl�che Liegende" verweisen. W�hrend die Sujets der �blichen Kunst das Submediale verdecken, versetzt die "Avantgarde das Kunstwerk in einen Ausnahmezustand", in dem sich der Kern des Mediums f�r einen "Moment" zeigt. Das "Schwarze Quadrat" zeigt sich "als eine pl�tzliche Offenbarung des verborgenen Bildtr�gers". Heidegger h�tte hier von "Lichtung" gesprochen. So entbirgt sich Groys "Ph�nomenologie der Medien" als Variation �ber Heideggers "Kunstwerk"-Aufsatz, und der Preis f�r diesen R�ckgriff auf die Ontologie ist hoch: der Verzicht n�mlich auf eine genaue Analyse der verschiedenen Medientechnologien und ihrer spezifischen Nutzungsm�glichkeiten zugunsten der allzu pauschalen Unterstellung, dass "alles, was sich zeigt, automatisch unter Verdacht steht", etwas "anderes hinter sich zu verbergen", und der vagen Hoffnung, dass dies sich bisweilen offenbart. Boris Groys: "Unter Verdacht". Hanser Verlag, M�nchen, Wien 2000, 232 Seiten, 36 DM
Rezension taz Nr. 6145 vom 18.5.2000 Seite 15 Kultur 211 Zeilen Kommentar NIELS WERBER � Contrapress media GmbH Vervielf�ltigung nur mit Genehmigung des taz-Verlags |