Kulturpolitik

Suchet Trost in Eurem Aquadome

Dana Horáková, Hamburgs Senatorin für Kultur, setzt auf Populismus - mit schlimmen Folgen

Von Christof Siemes

 
Das größte Spektakel des Hamburger Kulturbetriebs im Augenblick ist keine Ausstellung, keine Oper, kein Theaterstück, sondern die Performance der Kultursenatorin. Allein ein Gespräch mit Dr. Dana Horáková, 55, bietet mehr dramatische Wendungen, Verschwörungstheorien, Geheimpapiere und Luftschlösser, als ein Zuschauer versteht. In der ersten Szene schnaubt sie genervt über die immer gleichen Journalistenfragen. Wenig später holt sie eine Umlauf-Akte von ihrem Schreibtisch, um über den ganzen Verwaltungsaufwand zu klagen. Schließlich entfaltet sie einen Zettel: die finanzielle Situation der sieben Hamburger Museen, hoch dramatisch, streng geheim, bloß nicht drüber schreiben. Der Vorhang senkt sich über das Gespräch mit der Frage, ob der gut informierte Besucher nicht eines ihrer Theater übernehmen wolle.

Ob das ein Scherz oder nicht doch bitterer Ernst und damit nackte Verzweiflung ist, bleibt offen wie so vieles in der Amtsführung der früheren Boulevardjournalistin. Zwei Stellen jedenfalls sind frei: Die privaten Kammerspiele suchen einen Intendanten, seit der Vertrag mit dem von der Senatorin protegierten Schauspieler Dominique Horwitz vergangene Woche platzte. Und jetzt muss sie sich auch noch einen neuen Generalmusikdirektor suchen: Ingo Metzmacher wird Hamburg 2005 verlassen (siehe Interview Seite 38). Der Dirigent, der der Staatsoper in den vergangenen Jahren ein unverwechselbares zeitgenössisches Profil gegeben hat, mag nicht mehr in einer Stadt und mit einer Senatorin arbeiten, die nicht weiß, was für eine Oper sie eigentlich will. In München, auf das die Hanseaten so gern hinabblicken, hat man Personalien dieser Dimension soeben ganz dezent für das Jahr 2006 gelöst (und Kent Nagano als Musikchef an die Oper verpflichtet). In Hamburg ist aus der Posse, die Kulturpolitik hier bislang war, unversehens ein Drama geworden, mit der Laiendarstellerin Dana Horáková in der Hauptrolle.

Nur Mitleid für die Senatorin

Zur Erinnerung: Vor einem Jahr wurde die gebürtige Tschechin nach einer peinlichen, drei Monate währenden Suchaktion durch einen Headhunter für das Amt ausgeguckt und von der Regierungskoalition aus CDU, FDP und Schill-Partei inthronisiert (ZEIT Nr. 6/02). Die Kulturszene in Deutschlands zweitgrößter Stadt verfiel in eine Schreckstarre, aus der sie bis heute nicht erwacht ist: So viel Populismus war nie. Von Anfang an hat Dana Horáková einen Begriff aus der Putzmittelreklame zum Kernbegriff ihrer Kulturpolitik gemacht: Glanz. „Event und Avantgarde schließen sich doch nicht aus, sie ergänzen sich! Welche Arroganz einer selbsternannten Intelligenzia steckt eigentlich dahinter, dass alles, was viele Menschen anzieht, keine Kultur sein kann? Wohlgemerkt Menschen, die mit ihren Steuergeldern Kultur bezahlen“, sagt die Senatorin trotzig. Ihr ist alles gleich viel wert; welche Kultur sie mit ihrer Politik fördern möchte, weiß sie eigentlich gar nicht. Mit wem man auch spricht, Künstlern, Intendanten, Aufsichtsratsmitgliedern der städtischen Institutionen oder Vertretern des engagierten Bürgertums – alle reden von Kommunikationsproblemen mit der Senatorin, wenn nicht gar von Chaos, von mitleiderregender Hilflosigkeit.

Nicht neugierig sei sie, könne nicht zuhören; im Kulturausschuss begnügt sie sich mit dem Vortrag vorbereiteter, kurzer Statements. Obwohl auch in ihrem Wortschatz das kulturpolitische Zauberwort von der Private-Public Partnership eine zentrale Rolle spielt, hat sie potenzielle und potente Geldgeber wiederholt verprellt. Aber die Geschichte dieser Kultursenatorin ist mehr als die Geschichte einer Überforderung: Sie ist das Debakel einer Kulturpolitik, die Kunst in erster Linie als ein Produkt begreift, das sich rechnen muss, als Standortvorteil im Wetteifern der Städte um Touristen, als Marketingmaßnahme.

Dass sie ihre Probleme mit den Kulturschaffenden der Stadt hat, ist Dana Horáková natürlich nicht verborgen geblieben. „Dialog“ schreibt sie sich während des Gesprächs auf einen Zettel und zieht einen energischen Kreis um das Wort, darüber will sie reden, da kann der nächste Termin ruhig warten. Bis zu ihrem Amtsantritt war es guter Brauch, dass der Kulturetat, mit gut zwei Prozent des Gesamthaushalts seit eh und je knapp bemessen, von allen Parteien gemeinsam verabschiedet wurde. Diesen Konsens haben SPD und Grüne nun aufgekündigt. „In vierzig Jahren SPD-Regierung ist hier eine rote Kulturszene gewachsen, die Probleme damit hat, die neue demokratisch gewählte, politische Konstellation anzuerkennen“ sagt die Senatorin und wettert noch lieber gegen den kulturbürgerlichen Dünkel einer bestimmten Szene, die mit „der Christina“, ihrer Amtsvorgängerin, der jetzigen Staatsministerin für Kultur, Christina Weiss, gut befreundet sei. Was sie dann noch über einen bestimmten Typus rothaariger Frauen im Kulturbetrieb sagt, möchte sie nicht gedruckt sehen.

Verfolgt fühlt sich Dana Horáková auch von ihren ehemaligen Kollegen, den Journalisten. Obwohl die Lokalpresse mit Hamburger Abendblatt und den Lokalausgaben von Bild und Welt fest in Springer-Hand ist, sieht sie in den vorsichtig kritischen Kommentaren zu ihrem einjährigen Dienstjubiläum einen Beleg für eine Kampagne. Dabei wird wohl eher umgekehrt eine Schlagzeile daraus: Übereinstimmend berichten Springer-Journalisten von einem „übergriffigen“ Verhältnis der früheren Bild-Kolumnistin zum alten Arbeitgeber. Ehemalige Weggefährten setzen eine Schonzeit für die politische Novizin durch, in Interviews und bei regelmäßigen Fototerminen mit Bild darf sie die Erfolge ihrer Arbeit ausbreiten. Die Regierung dankt Springer den publizistischen Flankenschutz in allen Ressorts großzügig. Jüngst durfte erstmals ein Paar im Hamburger Rathaus heiraten – der Bild-Chefredakteur Kai Diekmann und seine Klatschkolumnistin Katja Kessler, Trauzeuge war Helmut Kohl.

Dies ist vielleicht nur der schlechte Stil einer Stadtregierung. Aber auch bei den Personalentscheidungen beweist Dana Horáková bislang wenig Geschick. Nicht nur Metzmacher mag nicht mehr, die Senatorin hat auch ihren persönlichen Referenten nach nur einem Jahr verschlissen. Die Verträge mit dem umstrittenen Schauspielhaus-Intendanten Tom Stromberg und mit Ulrich Khuon, Chef am Thalia Theater, enden 2005. Stromberg will nach den öffentlichen Scharmützeln mit seiner Aufsichtsratsvorsitzenden zwar erst im Frühjahr über seine Zukunft entscheiden, rechnet sich aber selbst kaum noch große Chancen aus: „Wechsel ist doch ein Theaterprinzip…“ Doch wer wird das wichtigste Theater in einer Stadt übernehmen wollen, deren oberste Kulturpolitikerin nicht gern Zuwendungsgarantien gibt, sondern lieber „Weihnachten spielt“, Geld dann verteilt, wenn es zufällig da ist oder Günstlinge belohnt werden müssen?

Stolz verweist die Senatorin auf ihre vermeintlichen Erfolge. „Der Etat der Kulturbehörde wurde um 3,6 Prozent erhöht – bundesweit eine absolute Ausnahme“, sagt sie. Dass dies ein Etikettenschwindel ist, lediglich Filmfördermittel aus der Wirtschafts- in die Kulturbehörde umgeschichtet wurden, sagt sie nicht; de facto sank der Etat um 0,9 Prozent. Wirkliche Erfolgsmeldungen gibt es nur zwei: Eine der beiden Deichtorhallen wird für die Sammlung des Hamburger Fotografen F. C. Gundlach in ein „Haus der Photographie“ umgebaut (Horákovás Handstreich-Plan, den Endsiebziger auch zum Direktor zu machen, wurde vom Aufsichtsrat in letzter Minute gestoppt). Der zweite „Coup“: Am 26. Februar wird erstmals eine monatlich geplante Kinderkultur-Zeitung erscheinen – als Beilage zum Hamburger Abendblatt; der Springer-Verlag wird sich für den Auftrag bedanken. Auch der langjährige Vorstandsvorsitzende des Verlags, Peter Tamm, hat Grund zur Dankbarkeit: Der Senat will dessen marinegeschichtlich-militaristische Sammlung um jeden Preis in der Stadt halten. Hakenkreuzübersäte Großadmiralsstäbe, mittelmäßige Schlachtengemälde und eine unübersehbare Flotte von (Kriegs)Schiffsmodellen sollen eine würdige Bleibe finden. Diese private Obsession öffentlich zu machen ist der Regierung 30 Millionen Euro wert.

Doch noch ist das Vorhaben so vage wie Horákovás Lieblingsprojekt – der Aquadome. 50 Millionen Euro will die Stadt für die Kreuzung aus Aquarium, Konzerthaus und Beatles-Museum ausgeben. Schon träumt die Senatorin von einer rund um die Uhr brummenden Kulturmaschine und schwärmt von „der magischen Kraft der Musik am Abend und tagsüber von der Faszination der Unterwasserwelt und der Begegnung mit den Beatles in einem Popmuseum.“ Ein „Magnet für Hamburger und Touristen“ soll das Gipfeltreffen von Stockhausen und Stockfisch sein und Hamburgs Kultur eine „Image-Line“ verpassen. „Hamburg hat noch kein ausreichendes Profil, es sollte für ‚Experiment‘ stehen“, sagt Frau Horáková.

Große Namen statt kluger Inhalte

Doch immer dann, wenn ihr Handeln konkret wird, endet sie beim Etablierten, Prominenten, mitunter Provinziellen, in jedem Fall Risikolosen, längst Durchgesetzten. Den Deichtorhallen hatte sie eine Christo-Ausstellung samt den nötigen Sponsorengeldern besorgt, der Aufsichtsrat lehnte allerdings ab: unter Niveau. Im Foyer ihrer Behörde zeigt sie seit kurzem im Zweimonatsrhythmus kleine Kunstausstellungen. Zur Premiere gibt es Neues vom alten Paul Wunderlich – der Grafiker ist ihr Freund seit Jahrzehnten und sich mindestens ebenso lang künstlerisch treu geblieben.

Auch beim „Hanse-Fest“, dem geplanten Cross-over-Festival „am Wasser, um´s Wasser“, geht die Senatorin auf Nummer sicher und holt sich gleichzeitig Rat bei Bernd Kauffmann, der Weimars Programm als Kulturhauptstadt Europas verantwortete, und Maik Klokow, dem Musical-Unternehmer, der im Hamburger Hafen den König der Löwen am Brüllen hält. Die Namen dieser Erfolgsmenschen sind der Senatorin Gewähr genug für erfolgreiche Kunst, eigene Gedanken erübrigen sich da. Wo sie auf sich allein gestellt ist, verheddert sich die Senatorin heillos in ihrem Streben nach Weltgeltung. Legendär ist ihr Vorschlag, das Harburger Helms-Museum, eigentlich eine archäologische Sammlung, möge doch fortan einen Schwerpunkt seiner Arbeit bei der Aufarbeitung des internationalen Terrorismus sehen. Schließlich habe die Wohngemeinschaft um Mohammed Atta den Stadtteil international bekannt gemacht.

Hier zeigt sich, bizarr zugespitzt, eine generelle Gefahr für Kulturpolitik in Zeiten knapper Kassen: Sie wagt nur noch, das zu fördern, was breiten Zuspruch verheißt. Die Affirmation des Massengeschmacks, der freilich auch ohne staatliche Förderung sein Auskommen hat, wird die Folge sein. „Wir müssen herausfinden, welche Kultur der Steuerzahler braucht und wünscht“, heißt es in Dana Horákovás Fazit ihres ersten Amtsjahres, „wir brauchen eine Debatte ohne Tabus.“ Schließlich gebe es doch auch bei Zeitungen den Copytest: Wer will was lesen? Deshalb wird die Senatorin schon bald eine repräsentative Umfrage in Auftrag geben. Und wenn nun die Mehrheit Justus Frantz die Oper anvertrauen will? „Gehen Sie doch mal davon aus, dass die Ergebnisse vor allem eine Orientierungshilfe sein werden, für uns alle. Das heißt aber noch lange nicht, dass die Kulturpolitik sich am Populismus ausrichtet“, sagt Dana Horáková zurück. Das ist so, als würde eine Bild-Journalistin sagen, dass sie die Meinung ihrer Leser nicht interessiere.

(c) DIE ZEIT 09/2003