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Lichidi: Gewaltlosigkeit und Täufertum

http://www.jungegemeinde.de/jgakt101.htm

Das Ringen um die Gewaltlosigkeit

Diether Götz Lichdi



Täufer im 16. Jahrhundert


So wie die Täuferbewegung unterschiedliche Wurzeln hatte, so wichen auch die Meinungen einzelner Täufer hinsichtlich der Anwendung von Gewalt von einander ab, das gleiche gilt auch für ihr Verhältnis gegenüber den jeweiligen Obrigkeiten. Die Ansichten der einzelnen täuferischen Gruppen waren von ihrem Herkommen, ihrer Erfahrung und den politischen Bedingungen geprägt. Die Situation war damals ebenso unübersichtlich wie heute, wo die Einstellung vieler Mennoniten gegenüber dem Staat immer noch sehr vielfältig ist und das "Friedenszeugnis" in den letzten dreißig Jahren immer wieder neu formuliert und das Staatsverständnis immer wieder aktualisiert worden ist. In der Verurteilung individueller Gewalt waren und sind sich die meisten Mennoniten einig.

In der Anfangszeit der Täuferbewegung treffen wir Grundpositionen an:

Ablehnung von Gewalt grundsätzlich und ohne Ausnahme,
Anwendung von Gewalt im Interesse des Gemeinwesens und
Anwendung von Gewalt zur Begründung des Gottesreiches.


Diese drei Linien gab es in der Regel nicht so eindeutig, wie sie hier idealtypisch beschrieben werden, auch entwickelten sich daneben noch Varianten, die sich aus bestimmten Situationen ergaben.

Die Schweizer Brüder lehnen Gewalt ab


Die Schweizer Brüder, die aus einem Zirkel junger Zürcher Intellektueller und einer Gruppe von Landpfarrern entstanden waren, kamen schon früh zur Ablehnung von Gewalt. Konrad Grebel, ihr erster Wortführer, schrieb in seinem berühmten Brief an Thomas Müntzer im September 1524: "Man soll auch das Evangelium und seine Anhänger nicht mit dem Schwert schirmen, und sie sollen es auch selbst nicht tun. ... Rechte gläubige Christen sind Schafe mitten unter den Wölfen. ... Auch gebrauchen sie weder weltliches Schwert noch Krieg. Denn bei ihnen ist das Töten ganz abgeschafft." In ihrer Ablehnung von Gewalt wurden sie beeinflusst durch den Pazifismus des in Basel lehrenden Erasmus von Rotterdam und durch Zwingli, der in dieser Phase der Reformation aufgrund seiner eigenen Erfahrungen Kriegsgewalt ablehnte und vor allem gegen den Verkauf von Söldnern auftrat.
Die Ablehnung von Gewalt durch den Grebelkreis wurde mit dem Evangelium begründet. Im Schleitheimer Bekenntnis, zweieinhalb Jahre später (Februar 1527), wird im Artikel über "das Schwert" auch jede obrigkeitliche Gewalt grundsätzlich abgelehnt, denn "das Schwert (sei) eine Gottesordnung außerhalb der Vollkommenheit Christi. ... Es zu gebrauchen, (seien) die weltlichen Obrigkeiten eingesetzt. In der Vollkommenheit Christi aber (werde) der Bann gebraucht allein zu Mahnung und Ausschließung dessen, der gesündigt hat." Die Schweizer Brüder verhandelten auch die Frage, ob denn ein Christ nicht als Beamter oder Politiker eine Funktion für die Obrigkeit übernehmen solle. Darauf antwortet das Schleitheimer Bekenntnis: "Christus sollte zum König gemacht werden, ist aber geflohen und hat die (Not)Ordnung seines Vaters nicht berücksichtigt. So sollen wir es auch tun und ihm nachlaufen" das Bekenntnis zitiert dabei vor allem auch Mat 20,25f; 1.Petr 2,21; Röm 8,29 und andere.
Die Anhänger der Schweizer Brüder versuchten diese Grundsätze zu verwirklichen: sie verzichteten auf politische Agitation (zu der sie in der Regel wegen der vorherrschenden Machtverhältnisse auch keine Möglichkeit hatten); sie leisteten aber auch keinen Widerstand, wenn sie von Haus und Hof vertrieben wurden. Viele versuchten ihren Gewaltverzicht dadurch zu demonstrieren, dass sie ihren Brotmessern und Speeren (die die meisten als Schutz und als Gehhilfe benutzten) die Spitzen abbrachen. Sie verhielten sich zurückhaltend, um jedem Streit aus dem Wege zu gehen, denn "die Christen ... sind gewappnet mit dem Harnisch Gottes, mit Wahrheit, Gerechtigkeit, Friede, Glaube, Heil und mit dem Wort Gottes!"
Die Ablehnung von Krieg und Gewalt muss im Zusammenhang mit der "Absonderung" gesehen werden. Der wahre Christ sollte nicht am gleichen Strang wie die Nichtgläubigen ziehen, er sollte deshalb die "Welt verlassen." Von ihr "sollen wir abgesondert werden und kein teil (an ihr) haben."

Ansätze zu einer volkskirchlichen Reformation


Der bekannte Theologe Dr. Baltahasar Hubmaier, ein Schwabe aus Friedberg bei Augsburg, hatte keine Skrupel sich mit der Obrigkeit zu verbünden; er teilte auch nicht die dualistische Weltsicht der "Schweizer Brüder." Er ging von der allgemeinen Überzeugung aus, dass die Gemeinde Jesu mit der Gesellschaft identisch sei. Es war deshalb für ihn selbstverständlich, dass die notwendige Reform von der Obrigkeit für das ganze Gemeinwesen durchgeführt wurde. In dieser Auffassung unterschied er sich weder von Luther noch vom Papst. Als er nun an Ostern 1525 sich den Täufern angeschlossen hatte, ging er daran für Waldshut insgesamt eine täufersche Reformation durchzuführen.

Dies gelang nur kurzfristig, denn einige Monate später wurde Waldshut von der Truppen des Erzherzogs Ferdinand (der spätere Kaiser Ferdinand I.) nach Belagerung erobert und den Schoß der römisch-katholischen Kirche zurückgeführt. Hubmaier gelang es zu fliehen. Über mehrere Stationen kam er 1526 nach Nikolsburg in Mähren, in das die verfolgten Täufer von überall her strömten. Auch dort strebte Hubmaier in Zusammenarbeit mit dem Herrn auf Nikolsburg, Leonhard von Liechtenstein, eine täuferische Reformation für die ganze Herrschaft an. Für ihn war es konsequent, dass er die Ausübung obrigkeitlicher Gewalt zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung und des äußeren Friedens auch in der Christengemeinde für notwendig und auch für evangeliumsgemäß hielt. So wurde Nikolsburg zu einem gesuchten Zentrum der Täuferbewegung.

Die Gewaltfrage und das Jüngste Gericht


Ende 1526 erschien auch der weitgereiste Täufermissionar Hans Hut, ein Buchändler und Veteran des Müntzer'schen Bauernkrieges, in Nikolsburg und stellte die führende Stellung Hubmaiers in Frage, als er unter anderem dafür eintrat, dass Christen gewaltfrei leben und sich von obrigkeitlichen Ämtern fernhalten sollten. In der Folge nannte man die Anhänger Hubmaiers "Schwertler" und die Huts "Stäbler". Zur Austragung der Meinungsverschiedenheit wurden die zwei Nikolsburger Gespräche Anfang 1527 anberaumt. Neben anderem wurden vor allem die "Türkensteuer" und das rechte christliche Verhalten angesichts des heranziehenden. türkischen Heeres, das Schrecken und Furcht verbreitete, diskutiert. Das zweite Gespräch fand im Schloss in Anwesenheit Leonhard von Liechtensteins statt; das Ergebnis fiel eindeutig aus - Hans Hut musste sich daraufhin erneut auf die Reise machen. Die spätere Entwicklung zeigt, dass die "Stäbler" trotz dieser Niederlage die Richtung bestimmten.

Es wäre nun freilich verfehlt Hans Hut unter die Friedensfreunde zu rechnen; es war wohl eher so, dass Hut das Hereinbrechen des Jüngsten Gerichts, das er für Pfingsten 1528 vorhergesagt hatte, nicht behindert sehen mochte. Denn er sah die Türken als Gottes Werkzeug bei der Vorbereitung auf den Tag des Herrn an und wollte Gott nicht in den Arm fallen und dazu beitragen den Türkensturm zu verhindern. Vor dem katastrophalen Ausgang des Bauernkrieges im Frühsommer 1525 war Hut eher mit der Anwendung von Gewalt im Namen Gottes einverstanden. Seine aktuelle Stellungnahme war da wohl taktisch bedingt.

Ein zwiespältiges Erbe


Der Kürschner Melchior Hoffman begründete sowohl eine friedfertige als auch eine gewaltbereite Anhängerschaft. Er hatte auf seinem Weg recht unterschiedliche Erfahrungen gemacht: Als lutherischer Laienprediger hatte der Schwabe im Baltikum begonnen und war nach verschiedenen Stationen dann bei einer Täufergruppe in Straßburg gelandet. Als Missionar hinterließ er größere Wirkungen als Hut, dessen Gemeinde er auch kennen gelernt hatte. Ähnlich wie dieser sagte er die Wiederkunft Christi voraus, nannte dafür aber - beginnend mit 1533 - spätere Termine. Seine Naherwartung malte er in - oft gewalttätigen - apokalyptischen Bildern aus. Unter dem Einfluss von Ursula Jost, deren Visionen er veröffentlichte, entwickelte er ausgehend von Offb. 20,1-6 seine Lehre vom "Tausendjährigen Reich." Sie war von einem großen Vergeltungsdrang geprägt: Alle Pfaffen und Gottlosen sollten vertilgt werden; Kaiser und Papst waren die Tiere aus dem Abgrund (Offb.13). In Straßburg sollte "das Panier der Gerechtigkeit" aufgerichtet werden. Die 144.000 Christen (Offb. 14,1f) sollten als Sendboten die Welt auf den Tag des Gerichts vorbereiten. Als aber nun seine Anhänger in den Niederlanden versuchten durch gewalttätige Aktionen die Sache Gottes selbst in die Hand zu nehmen, tadelte Melchior sie, da nach seiner Auffassung die christlichen Obrigkeiten, wie z. B. in Straßburg, selbst die gebotenen Maßnahmen zur gegebenen Zeit einleiten und durchführen sollten. Zahlreiche Friedensparolen ließ er an seine Anhänger hinausgehen. Als er sah, dass er seine Anhänger durch Taufen in Gefahr brachte, ordnete er eine Aussetzung an, weil er den Obrigkeiten keinen Anlass zum Einschreiten liefern wollte; ausdrücklich warnte er seine Jünger, sie sollten sich nicht zum Martyrium drängen.

So ist es nicht erstaunlich, dass sich aus Melchiors widersprüchlicher Predigt sowohl friedfertige als auch gewaltbereite Gruppen entwickelten. Sein Täufling und Nachfolger Jan Matthijs zog nach Münster und errichtete dort das "Neue Jerusalem", das eine Orgie von Gewalt und Verbrechen auslöste. In seinem Straßburger Gefängnis distanzierte sich Melchior von diesen Revoluzzern, die sie sich nichtsdestoweniger auf ihn beriefen, und behauptete, er hätte dergleichen nie gepredigt. Aus einer anderen Nachfolge-Gruppe, den Obbeniten, ging Menno Simons hervor, der das niederdeutsche Täufertum nach der Katastrophe von Münster sammelte und darauf vorbereitete, sich zu einer gewaltlosen Mindcrheitenkirche zu entwickeln. Mennos Eintreten für den Frieden kommt nicht wie bei Melchior und Hut aus einer widersprüchlichen Theologie und auch nicht aus taktischen Erwägungen heraus, sondern ist christologisch motiviert: "Die in Christus Wiedergeborenen ziehen nicht in den Krieg und lassen sich auf keinen Streit ein; sie sind Kinder des Friedens, die ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Speere zu Winzermessern umgeschmiedet haben und von keinem Krieg wissen. Da wir dem Bilde Christi gleichförmig geworden sind, wie können wir das unsere Feinde noch mit dem Schwert bekämpfen?"

Gewaltlosigkeit und Feindesliebe


Die Überzeugung, dass ein Christ wehrlos sein müsse, gründet sich vor allem auf die Bergpredigt (Mat 5,38-48), aber auch ganz allgemein auf das Beispiel Jesu, wie es in den Synoptikern beschrieben wird. Die Geschichte des Märtyrers Dirk Willemsz aus Asperen bei Leerdam zeigt, dass Jesu Auftrag: "liebet eure Feinde,... damit ihr Kinder Gottes werdet" (Mat 5,44) für viele Täufer eine tiefe existenzielle Bedeutung hatte. Dirk sollte 1569 als Taufgesinnter verhaftet werden; er konnte jedoch rechtzeitig entkommen, floh über ein zugefrorenes Gewässer und entkam auf sicheren Grund. Der Büttel jedoch, der ihn vor Zuschauern verfolgte, und brach auf dem Eise ein. Da er nicht schwimmen konnte, drohte er unterzugehen und rief um Hilfe. "Als nun Dirk Willemsz bemerkte, dass derselbe in Lebensgefahr war, ist er schnell wieder umgekehrt, hat diesem Büttel geholfen und sein Leben gerettet. Der Büttel wollte ihn nicht verhaften, aber der Bürgermeister hat ihm ernstlich zugerufen dass er seinen Eid bedenken sollte." Auf die Verhaftung folgte die Verurteilung zum Tode und die qualvolle Hinrichtung auf dem Scheiterhaufen.

Der Märtyrerspiegel (korrekt: "Der blutige Schauplatz oder Märtyrerspiegel der Taufgesinnten oder wehrlosen Christen, die um des Zeugnisses Jesu, ihres Seligmachers, willen gelitten haben und getötet worden sind, von Christi Zeit bis auf das Jahr 1600") kommentierte etwa 60 Jahre später: "Weil er seinen Glauben und sein Vertrauen nicht auf trügerischen Sand der Menschengebote, sondern auf den festen Grundstein Christum Jesum gegründet hatte, ... ist er ... bis ans Ende unbeweglich stehen geblieben. Darum wird er auch, wenn der Erzhirte erscheinen wird, ... aus Gnaden hören: 'ei du guter und getreuer Knecht , über Wenig bist du treu gewesen, über Viel will ich dich setzen; gehe ein zu deines Herrn Freude'(Mat 25,23)". Diese wenigen Beispiele aus der Täuferzeit zeigen, dass das Verhältnis der Christen zu Obrigkeit und Gesellschaft - gerade was die Ausübung von (auch nur sehr mittelbarer) Gewalt anlangte - immer unterschiedlich beurteilt wurde. Es war damals (wie heute) schwierig, überzeugende Maßstäbe für ein christliches Leben zu finden.

Diether Götz Lichdi

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