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Kunstverein Köln

URL: http://www.fr-aktuell.de/ressorts/kultur_und_medien/feuilleton/?cnt=484337

Der Verlust der Grenzen


Der Kölnische Kunstverein begibt sich auf die Suche nach neuen Tendenzen in der jungen deutschen Kunst
BETTINA SCHULER

Die Suche nach der deutschen Identität hält weiter an: Nachdem monatelang auf diversen TV-Kanälen neue deutsche Helden gecastet wurden, Modedesignerinnen wie Eva Gronbach patriotische Kleidung in Schwarz-Rot-Gold kreieren und Bands wie Mia versuchen, mit ihren Songs und Beats eine coole deutsche Identität zu etablieren, ist nun auch die Kunst auf den Identitätszug Deutschland aufgesprungen: Unter dem Motto "Deutschland sucht" begibt sich der Kölnische Kunstverein ganz ironiefrei auf die Such nach junger zeitgenössischer Kunst, die wegweisend sein soll für die Tendenzen innerhalb Deutschlands. Um sich dabei nicht auf einen bestimmten Rahmen zu beschränken, sondern über alle künstlerischen Themen und Arbeitsweisen einen Überblick zu gewähren, wurden neun junge Kurator/innen aus deutschen Kunstmetropolen wie Frankfurt, Köln, Berlin und Leipzig gebeten, jeweils drei unbekannte Künstler und einen etablierten Referenzkünstler auszuwählen, deren Arbeiten sie als richtungsweisend bezeichnen würden. So kam eine Mischung aus Malerei, Film, Fotografie und Installation zu Stande, die sich vor allem mit dem Aufbruch von bestimmten sozialen, nationalen Kategorien und dem damit verbunden Umdenken beschäftigt.

Deutlich ist dies in der Arbeit Behind the Block von Tobias Zielony zu sehen, der an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig studierte. Über Wochen hat er sich Jugendlichen in den sozialen Brennpunkten von Bristol, Marseille und Halle-Neustadt genähert, um sie auf ihren Plätzen im öffentlichen Raum zu fotografieren. Besonders frappierend sind die Ähnlichkeiten zwischen den Jugendlichen: Es ist kaum noch ein Unterschied zwischen ihnen wahrzunehmen, so sehr ähneln sie sich ihren globale Insignien wie Baseballkappe und Turnschuhe. Und selbst über die Architektur lässt sich nur schwer erkennen, in welcher der jeweiligen Städte man sich nun gerade befindet.

Auf diesen Verlust von klaren Grenzen und Strukturen, wenn auch auf einer anderen, narrativen Ebene, verweist auch die Arbeit Fragen Sie Nicht von Andreas Brehmer und Sirko Knüpfer, beides ehemalige Studenten der Hochschule für Gestaltung am Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe: Sie konfrontieren den Besucher mit einem interaktiven DVD-Film, in dem ein junger Mann seine sozialen Begegnungen mit einer Videokamera dokumentiert. Per Fernbedienung kann der Besucher entscheiden, aus welcher Perspektive er dem Geschehen folgen möchte, der des jungen Mannes oder seines Gegenübers, wie lange die Begegnung dauern soll und ob er noch weitere Details erfahren möchte. Gleich daneben ist eine Fotoarbeit von Julika Gittner zu sehen, auf der sie den täglichen Energieverbrauch von Personen verschiedenen Alters dokumentiert. Wie viel Fett jeder von ihnen pro Tag benötigt, hat sie in Batterien abgezählt, die Wohnfläche in Teppichböden dazu gelegt und mit ihrer täglichen Fußstrecke, die sie in Schnüren nachgemessen hat, zu einem "Energieknäul" gebunden. Auf ihren Fotos stehen die Menschen neben ihrem abstrahierten "Lebensknäul", geben dem Betrachter Auskunft über ihre Art zu leben. Wer ist besonders agil, wer viel zuhause? Ohne Worte wird hier ein Teil ihres Alltags beschrieben.

Die politischsten Arbeiten, die sich mit dem Ende des Sozialismus und Veränderungen durch die deutsche Vereinigung befassen, sind im Untergeschoss des Kunstvereins von dem Gruppenprojekt Stafeta zu sehen. Deren Kuratorin Christiane Mennicke aus Dresden reagierte auf die Vorgabe des Kunstvereins, drei spezielle Künstler zu benennen und die damit verbundene Problematik, Kunst in einer linearen und hierarchischen Struktur zu ordnen, indem sie ein Künstlerkollektiv auswählte. Deren Name Stafeta, Tschechisch für Staffel, steht dabei als Metapher für die Weitergabe, die Einbeziehung von Kunst und Künstlern und letztendlich auch gegen den ständig voran schreitenden Prozess der Ausgrenzung. Und der Leere: zum Beispiel in Ostdeutschland. Auf den Fotos terra incognita, 2003/4 von Anja Bohnhof und Karen Weinert sind ostdeutsche Plattenbauten und ihre Bewohner zu sehen, die vereinzelt auf dem Balkon oder auf dem Rasen stehen. Manche Fotos zeigen nur noch die leere Hülle der Architektur, die ihrer eigentlichen Funktion, Wohnraum für Menschen zu bieten, beraubt, nur noch als Verweis auf eine andere deutsche Geschichte dient.

Wenn man den Titel der Ausstellung, "Deutschland sucht", nicht nur auf die Suche nach einer bestimmten künstlerischen Tendenz, sondern auch auf jene nach einer deutschen Identität bezieht, dann spiegeln die Arbeiten des Künstlerkollektivs Stafeta dies am besten wieder: Sie zeigen ein Deutschland nach der Wende, mit ostdeutschen Kindern und Jugendlichen, welche die DDR nicht mehr kennen und sich daher frei mit ihr auseinandersetzen und spielen können. Zugleich zeigen sie, dass ebenso wenig, wie man die junge deutsche Kunst auf eine bestimmte Tendenz festlegen kann, dies für ein Land und dessen Identität möglich ist. Das Bild einer Nation besteht aus einer solchen Vielzahl von Ereignissen und Facetten, die nebeneinander existieren und sich wie die Plattenbauten im Bild des Landes einschreiben, so dass die Festlegung auf ein eindeutiges Bild weder erstrebenswert noch möglich sein sollte. Die Ausstellung hat sich durch das gelungene Konzept dieser fatalen klaren Kategorisierung in Bezug auf eine neue künstlerische Tendenz entzogen und versucht, verschiedene Angebote von jungen deutschen Künstlern aufzuweisen. Welche Tendenz man davon als wegweisend erachten möchte, kann man dabei genauso frei wählen wie die Antwort auf die Frage, welche Identitätsmerkmale für einen selbst bedeutend sind.

Kölnischer Kunstverein, bis 19. September



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Copyright © Frankfurter Rundschau online 2004
Dokument erstellt am 09.08.2004 um 16:44:28 Uhr
Erscheinungsdatum 10.08.2004




KulturSPIEGEL 8/2004 - 26. Juli 2004
 

"Den Jugendhype vermeiden"


URL: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,309880,00.html

Der Kurator Jens Hoffmann, 32, über die Suche nach Deutschlands nächsten Superkünstlern

KulturSPIEGEL: Herr Hoffmann, Sie zeigen zusammen mit Kathrin Rhomberg eine Schau mit aktueller junger Kunst und nennen sie "Deutschland sucht". Sollten die von Ihnen beauftragten Kuratoren Superstars suchen?

Jens Hoffmann: Wir spielen natürlich mit dem Titel auf die Superstar-Suche an, weil bei Überblicksausstellungen mit junger Kunst einem genau dieser Gedanke kommt. Aber es geht mehr um eine Suche nach neuen Ideen und Wegen.

KulturSPIEGEL: Statt selbst zu suchen, haben Sie neun junge Kuratoren aus verschiedenen Städten beauftragt.

Jens Hoffmann: Wir wollten nicht unseren eigenen, eingefahrenen Blick bestätigen, sondern nur den Rahmen vorgeben. Die Kuratoren kennen die lokale Szene doch viel besser. Von vielen Künstlern, die wir jetzt zeigen, hatte ich noch nie gehört.

KulturSPIEGEL: Welche Vorgaben haben Sie gemacht?

Jens Hoffmann: Es sollten jeweils drei junge und ein etablierter Künstler ausgewählt werden.

KulturSPIEGEL: Ein super Superkünstler also?

Jens Hoffmann: Die Arbeit eines älteren Künstlers soll deutlich machen, worauf die nächste Generation aufbaut. Außerdem wollten wir den Jugendhype vermeiden, den solche Szene-Schauen oft haben.

KulturSPIEGEL: Haben Sie neue Trends in der Kunst entdeckt?

Jens Hoffmann: Eigentlich nicht. Man kann zwar einige Schwerpunkte erkennen, aber es gibt so ziemlich alles - von der interaktiven DVD, Fotografie, Film bis zu konzeptuellen Arbeiten, Skulptur und Malerei.

KulturSPIEGEL: Haben schon Galerien Interesse an Ihren Entdeckungen angemeldet?

Jens Hoffmann: Viele der Künstler haben schon mal ausgestellt, auch in Galerien. Momentan ist der Markt völlig verrückt, kaum hat man jemanden entdeckt, wird der von den Galerien aufgesogen. Aber es gibt nicht nur den Kunstmarkt, sondern eine ziemlich lebendige Kunstszene, die auch abseits davon funktioniert.

KulturSPIEGEL: Die Ausstellung wurde von Ihnen und Kathrin Rhomberg eingerichtet. Warum nicht von den Kuratoren?

Jens Hoffmann: Weil es uns auf die Gesamtperspektive ankam. Es wäre langweilig vorzuführen, was es in München, Köln, Berlin oder Karlsruhe so alles gibt. Wir wollten Überschneidungen und Unterschiede zeigen.

Interview: Ingeborg Wiensowski

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