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Fourier und Owen

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wilson
ZWEITER TEIL


3. Ursprünge des Sozialismus: Die Kommunen von Fourier und Owen


Die Arbeiterparteien, die Saint-Simon vorausgesagt hatte, sollten tatsächlich sehr bald organisiert werden - allerdings ergab es sich, daß sie nicht, wie er erwartet hatte, geradewegs die Verwirklichung einer neuen christlichen Gesellschaft anstrebten. Aber in der Zwischenzeit erschienen andere Propheten, die versuchten, von sich aus innerhalb der alten Welt Keime einer neuen zu schaffen.


Charles Fourier und Robert Owen - zehn Jahre jünger als Saint-Simon und Babeuf - sind einander sehr ähnlich und haben beinahe parallel laufende Lebenswege, da sie Tendenzen repräsentieren, die für den ersten Teil des neunzehnten Jahrhunderts besonders charakteristisch waren. Fourier war ein Webersohn aus Besancon, der als wandernder Handelsmann angefangen hatte. Owen war walisischer Sattlersohn und hatte als Schreiber bei einem Weber gearbeitet. Beide hatten - wie Saint-Simon - den Glauben an die liberale Politik des


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Zeitalters verloren, und beide standen außerhalb seiner überlieferten Kultur. Fourier wurde nie müde, der Tradition der europäischen Philosophie eine Absage zu erteilen. Eine Tradition, unter deren Schirmherrschaft, wie er sagte, die Menschheit sich »dreiundzwanzig wissenschaftliche Jahrhunderte lang im Blut gebadet« hatte. Er glaubte, daß es die Absicht Gottes sei, die Berufsphilosophen zu diskreditieren, alle »jene Bibliotheken voll Büchern über Politik und Moral« zu widerlegen, indem er ihn, Charles Fourier, »einen Ladenangestellten, fast einen Ungebildeten«, zum Verkünder seiner Geheimnisse an die Menschheit bestimmte. Der Fehler der Staatsmänner war nach Fourier eintausend Jahre lang gewesen, sich nur mit abwegigen Maßnahmen religiösen oder administrativen Charakters zu befassen. »Der göttliche Kodex sollte als allererstes eine Gesetzgebung für die Industrie schaffen, das ist in erster Linie seine Aufgabe«, aber erst seit kurzer Zeit hatten die Regierungen sich damit beschäftigt und hatten die falsche Richtung eingeschlagen, indem sie »industrielle Arbeitsteilung und geschäftsmäßigen Betrug, verkleidet als >freien Wettbewerb<<, begünstigten. Es ist möglich, daß Robert Owen von Wilhelm Godwin, dem Verfasser der 'Untersuchung, die politische Justiz betreffend (1793), beeinflußt worden war, aber er scheint dieses oder ein anderes Buch der Art nie erwähnt zu haben, und man sah ihn nie etwas anderes lesen als Statistiken. Seine Versuche, den üblichen Weg ins politische Leben zu gehen, waren erfolglos und von kurzer Dauer. Er versicherte, es sei unsinnig, »anzunehmen, daß irgend etwas, von halbwegs faßbarer Gestalt, geeignet, die Gesellschaft vom sich ausbreitenden Elend zu befreien«, von den »Radikalen, Whigs oder Tories oder von einer bestimmten religiösen Sekte zu erwarten« sei.


Auf Bildern hat Robert Owen das Aussehen eines großen Hasen, ein sanftes, nachdenkliches Gesicht mit einer eigenwilligen, englischen Nase, dabei ein ovales Gesicht mit tiefen, unschuldigen, elliptischen Augen, die seine Wangen ganz zu überwölben scheinen; Fou-riers Gesicht über dem hohen weißen Halstuch hat gleichermaßen etwas eigentümlich Vereinfachtes - allerdings von der Würde des strengen französischen Rationalismus geprägt. Der gerade Mund und die dünne romanische Nase und seine lichten, ein wenig zu weit voneinander entfernt stehenden Augen, die auf Religiosität hindeuten.


Owen wie Fourier waren Personen von bemerkenswert geringer Weitläufigkeit und großer Direktheit, beide waren einer unermüdlichen Ausdauer fähig. In einer eigenartigen Weise verbanden beide tiefstes menschliches Mitgefühl mit der Leidenschaft für systematische Exaktheit. Beide hatten eine Erfahrung aus erster Hand von den schlimmsten Aspekten jenes industriell-kommerziellen Systems, das im Geschwindschritt heraufzog und sich anschickte, die westliche Gesellschaft zu beherrschen. Fourier hatte zur Zeit der Belagerung von


Lyon durch die revolutionären Truppen des Konvents seine Erbschaft verloren und war knapp der Guillotine entgangen, er hatte gesehen, wie die Bevölkerung von Lyon durch den Aufstieg der Textilindustrie aufs äußerste dezimiert wurde, und einmal hatte er zusehen müssen, wie bei Marseille eine Reisladung ins Wasser geworfen wurde, nachdem seine Arbeitgeber - denen es gelungen war, den Markt unter ihre Kontrolle zu bringen und die den Preis während einer Hungersnot regulieren wollten - sie absichtlich hatten verrotten lassen. Fou-riers Abscheu gegen Grausamkeit, seine fast krankhafte Fähigkeit, Mitleid zu empfinden - die ihn als Schüler dazu getrieben hatte, sich wegen der Verteidigung seiner kleineren Kameraden schrecklichen Schlägen auszusetzen, und die ihn mit sechzig Jahren stundenlang im Regen umherlaufen ließ, um etwas für ein armes Dienstmädchen zu tun, das er nie gesehen, von dem er aber gehört hatte, es werde von seiner Dienstherrin mißhandelt -, dieser gewichtige, alles verdrängende Impuls, das menschliche Leben weniger schmerzhaft zu gestalten, inspirierte ihn mit einer optimistischen Gewißheit und trieb ihn zu unbelohnten Strapazen, die an sich fast unsinnig waren. Nicht nur, daß er in seinem seltsamen, einsamen Leben alle komplizierten Beziehungen zwischen den Gruppen, die seine idealen Gemeinwesen bilden sollten, ausarbeitete, darüber hinaus gab er sich als Prophet, indem er ausrechnete, die Welt werde genau 80000 Jahre dauern, und bis zum Ende dieser Zeit werde jede Seele 810mal zwischen der Erde und gewissen anderen Planeten, die er mit Sicherheit für bewohnt hielt, hin und her gewandert sein und dann eine Folge von genau 1626 Wiederverkörperungen erlebt haben.


Robert Owen war wie Fourier besonders empfindlich für das Leiden: sein Leben lang dachte er an eine Tanzschule, die er als Kind besucht hatte, als wahren Ort der Qual zurück. Dort hatte er die Enttäuschung kleiner Mädchen gesehen, die keinen Partner bekommen konnten. Auf sich gestellt, hatte er sein Elternhaus mit zehn Jahren verlassen und hatte seinen Weg nach oben so schnell gemacht, daß er sich mit zwanzig Jahren in der alleinigen Verantwortung für eine Baumwollfabrik in Manchester mit fünfhundert ihm unterstellten Arbeitern sah. Als einer der ersten Nutznießer der neuerfundenen Vorrichtungen zum Spinnen der Baumwolle wurde er bald der schrecklichen Diskrepanz zwischen »der großen Aufmerksamkeit, die man der toten Materie widmet, und der Vernachlässigung und der Geringschätzung der lebenden Maschinerie« inne, und er wurde sich dessen bewußt, daß, »so schlecht und unklug die amerikanische Sklaverei ist und bleiben wird, die weiße Sklaverei in den Manufakturen Englands während dieses schrankenlosen Zeitalters weit schlimmer ist als die der Haussklaven, die ich später in Westindien und in den Vereinigten Staaten sah. Und in vieler Hinsicht, insbesondere was Gesundheit, Nahrung und Kleidung anbelangt, sind die letzteren viel besser ausgestattet als jene unterdrückten und entwürdigten, halb-


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wüchsigen und erwachsenen Arbeitsleute in den Heimmanufakturen Englands« - ganz zu schweigen von den Pächtern und Dienern auf den großen englischen Landsitzen, wie er sie noch gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts kennengelernt hatte. Außerdem hatten nicht allein die Arbeiter zu leiden: ihre Arbeitgeber selbst waren entwürdigt. »Ich war völlig jener Partner überdrüssig, die bloß darauf eingestellt sind, billig zu kaufen und teuer zu verkaufen. Diese Beschäftigung ist entwürdigend und zerstört oft die edelsten und besten Triebkräfte unserer Natur. Aus der Erfahrung eines langen Lebens, in dem ich alle Schattierungen des Handwerks, der Manufaktur und des Handels kennenlernte, bin ich durch und durch davon überzeugt, daß sich kein edler Charakter unter diesem eigennützigen System bilden kann. Wahrheit, Ehrlichkeit, Tugend werden bloße Namen sein, so wie es jetzt ist und wie es nie anders war. Unter diesem System kann es keine wahre Zivilisation geben, denn dadurch werden alle darauf abgerichtet, einander durch die so geschaffenen Interessengegensätze feindlich entgegenzutreten und oft gar zu vernichten. Das ist eine niedrige, vulgäre, unwissende und gemeine Art, die Angelegenheiten der Gesellschaft zu leiten, und keine dauernde, allgemeine und durchgreifende Verbesserung kann je eintreten, es sei denn, dies System wird abgelöst von einer neuen, besseren Art und Weise, den menschlichen Charakter zu formen und Reichtum zu schaffen.«


Aber obgleich Fourier glaubte, er habe die Philosophie der Revolution verworfen, und Owen behauptete, er habe seine Schlüsse allein aus Beobachtungen gezogen, gründeten beide ihre Vorschläge auf eine Doktrin von Rousseau, die die ganze Atmosphäre der Zeit so sehr bestimmte, daß man sie nicht durch persönliche Erfahrung bestätigt zu sehen brauchte: die Doktrin, daß der Mensch von Natur gut ist und daß nur die Institutionen ihn verdorben haben. Fourier behauptete, daß die menschliche Natur wie der Inhalt eines Werkzeugkastens in eine begrenzte Zahl menschlicher »Leidenschaften« auseinandergelegt werden könne - das heißt, sie bilde die Summe jener Instinkte und Interessen -, die Gott uns für verschiedene Zwecke gegeben habe. Alle seien unentbehrlich, und der Kummer mit der modernen Gesellschaft bestehe einfach darin, daß diese »Leidenschaften« mißbraucht würden. Wenn nur die richtigen Leidenschaften für den richtigen Zweck eingesetzt werden könnten, würde die Regentschaft der »Harmonie« obwalten. Und die ganze Laufbahn Robert Owens bestand aus einer unaufhörlichen Wiederholung des Grundsatzes, daß die Menschen zu dem, was sie sind, nur durch Erziehung und frühe Einflüsse, über die sie keine Kontrolle hätten, gemacht worden seien. Brächte man ihnen nur während der bildsamen Jahre die richtigen Dinge statt der falschen bei, so könnte man sie, wie er sich ausdrückte, mit »mathematischer Sicherheit« glücklich und gut machen.

Um zu demonstrieren, daß das Interesse eines jeden mit dem Interesse aller vereinbar sei, schlugen Fourier und Owen vor, engumgrenzte, sich selbst erhaltende Gemeinschaften innerhalb der größeren Gesellschaft aufzubauen.


Jene Kommunen, die Fourier verlangte, sollten von privatem Kapital abhängen, und sie sollten nicht auf völlige Gleichheit abzielen. Es sollte ein allgemeines Wahlrecht geben, und die Kinder der Reichen und der Armen sollten die gleiche Erziehung erhalten, Fourier erkannte, daß es unzuträglich ist, in dem gleichen Gemeinwesen Menschen mit zu weit voneinander abweichenden Einkommen unterzubringen. Dennoch sollte es Unterschiede des Einkommens und eine Hierarchie geben - allerdings eine Hierarchie unkonventioneller Art: die Kapitalisten sollten nicht an der Spitze stehen. In der Einkommensverteilung durch Dividende (nachdem ein Unterhaltsminimum garantiert worden war) sollte das Kapital nur vier Zwölftel erhalten, während fünf Zwölftel an die Arbeiter und drei Zwölftel an Geistesschaffende gehen sollten. Unangenehme Arbeit sollte nach höherem Satz bezahlt werden als angenehme, und notwendige Arbeit sollte höher stehen als Arbeit, die bloß nützlich ist, wie andererseits nützliche Arbeit den Vorrang vor der Produktion von Luxusgegenständen haben sollte.


Für Fourier ging es einfach um die Frage der Organisation der Beziehungen von Mensch und Arbeit derart, daß alle menschlichen »Leidenschaften« wohltätigen Zwecken dienen würden. Jeder kennt irgend etwas, was er gern tut, folglich gibt es keinen Grund, warum irgend etwas nicht getan werden sollte. Es gibt einen guten Zweck für jeden menschlichen Impuls, daher gibt es keinen Grund, warum ihnen nicht allen Genüge getan werden sollte. Und deshalb gibt es auch keinen Grund, warum nicht jedermanns Arbeit anziehend sein sollte. Es ist nicht einmal nötig, daß die Menschen sich langweilen oder ermüden, indem sie dauernd an einer Aufgabe arbeiten, jeder hat eine Mehrzahl von Aufgaben, die ihm eigene Kombination von Leidenschaften, und es wäre möglich, ihnen allen gerecht zu werden, indem jeder sich mit verschiedenen Tätigkeiten befaßt. Die Industrielle Leistungsfähigkeit sollte durch die Rivalität verschiedener Gruppen angeregt werden. Fourier hatte einen Plan ausgearbeitet, der, außer daß er alle glücklich machen sollte, eine allgemeine Produktionssteigerung herbeiführen wollte. Zwei Probleme, über die er nachgedacht hatte, daß kleine Kinder im Schmutz spielen und daß das Gemeinwesen die Abfälle loswerden muß, sollten einander wechselseitig lösen: die Jungen sollten über die Abfälle verfugen können.


Die Kommunen Robert Owens wollten die absolute Gleichheit verwirklichen. Die einzige hier vorhandene Hierarchie gründete sich auf das Alter: Die Älteren, aber noch nicht Betagten, sollten den Rat der Regierung bilden. Die Kinder sollten ihren Eltern vom dritten Lebensjahr an fortgenommen werden und durch besondere Erzieher


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und Fürsorgerinnen aufgezogen werden. Der Wert einer Arbeitsstunde sollte als Grundeinheit des Warentauschs dienen.


Fourier hatte der Öffentlichkeit mitgeteilt, daß er sich mittags zu Hause aufhalte und bereit sei, seine Projekte mit reichen Leuten zu diskutieren, die daran interessiert wären, sie zu finanzieren. Aber obgleich er zehn Jahre lang jeden Tag pünktlich zu Hause blieb, erschien nicht ein Geldgeber. Fourier starb 1837, noch immer fest in seinem Glauben, aber zutiefst enttäuscht.


Owen dagegen gelang es tatsächlich, seine Vorstellung vom idealen Gemeinwesen zu verwirklichen. Er behauptete, Fourier, der ihn einmal um Unterstützung angegangen sei, habe seine grundlegende Idee von ihm übernommen, den Kommunismus in begrenzten Gruppen zu praktizieren, und auf jeden Fall ist Robert Owen hier die Figur von grundsätzlicher Bedeutung und eine der erstaunlichsten Figuren seiner Zeit dazu.


Die Erzählung von Robert Owen hört sich heute so phantastisch wie die der Romanhelden seines Zeitalters an: wie die Geschichten von den »Caleb Williamses« und den »Frankensteins«. Als ein Sozialidealist, der persönlich so selbstlos wie Fourier war, machte er eine Karriere, die an das Leben Henry Fords gemahnt. Als Owen zuerst Besitz von den Baumwollspinnereien in New Lanark, Schottland, ergriff, wurden sie betrieben von einer Belegschaft schmutziger, betrunkener und äußerst unzuverlässiger Männer und Frauen - zu jener Zeit schloß man auf einen Mangel an Selbstbewußtsein, wenn sich jemand überhaupt zur Arbeit in einer Spinnerei herabließ - und von Kindern zwischen fünf und zehn Jahren, die aus den Waisenhäusern zugeführt wurden. Aus dem Rohstoff dieser erbärmlichen Menschen, zu denen er mit dem besonderen Nachteil, ein Waliser unter Schotten zu sein, gekommen war, konnte er in einem Vierteljahrhundert ein Gemeinwesen mit einem hohen Lebensstandard und einem beachtlichen Erziehungsgrad schaffen, ein Gemeinwesen, dessen Mitglieder Owen selbst mit Verehrung begegneten. Er zahlte ihnen höhere Löhne und ließ sie kürzer arbeiten als irgendeiner seiner Konkurrenten, und dabei brachte er sie durch Krisenperioden hindurch. Einen festen Betrag setzte er für die Erträge, die an seine Partner zu zahlen waren, fest, und den Rest führte er in Form von Verbesserungen aller Art dem Gemeinwesen wieder zu. War es nicht offenkundig, so fragte er die Welt immer wieder, daß die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit so geführt werden sollte? Wenn alle Kinder so erzogen würden, wie er die Kinder seiner Arbeiter erzog, indem er sie ihren Eltern früh wegnahm und sie ohne Strafe und Strenge ausbildete, würden wir nicht ein neues Menschengeschlecht heranwachsen sehen?


Es kam Owen zunächst gar nicht in den Sinn zu fragen, wo geeignete Menschen zu finden seien oder wo die Voraussetzungen, sie zu formen, möglich würden. Er sah nicht, daß die Menschen allgemein unvollkommen sind und daß sich als erstes die Frage stellt, wo man beginnen und wem man ein solches Unterfangen anvertrauen soll. Er selbst hatte in New Lanark mit Menschen angefangen, die denkbar wenig versprachen. Aber nie war er auf den Gedanken gekommen, daß er selbst ein Mann von seltenem Charakter war und daß er und nicht die natürliche Güte der Kinder jener geschlagenen Eltern New Lanark zu einem Musteranwesen gemacht hatte. Er verstand nicht, daß New Lanark eine Maschine war, die er selbst gebaut hatte, die er zu beaufsichtigen und in Bewegung zu halten hatte.


Denn Robert Owen spielte in seiner Fabrik die Rolle eines wohlwollenden, aber mächtigen Gottes. Sobald er entdeckte, daß sein Drängen nicht ausreichte, um seine Arbeitnehmer zum Fleiß und zur Ehrlichkeit anzuhalten, fand er Mittel und Wege, sie zu beaufsichtigen und in Schach zu halten. Er ließ über seinen Arbeitern bei deren Arbeit kleine vierkantige Holzstücke aufhängen, die auf jeder Fläche eine andere Farbe trugen, wobei jede Farbe eine bestimmte Einstufung des Betragens anzeigte. Jedesmal, wenn er besichtigen kam, konnte er aus der Farbe, die der Vorarbeiter hervorgekehrt hatte, ersehen, wie der Beschäftigte sich am Tage zuvor verhalten hatte. Wann immer er auf eine jener Farben traf, die ein »schlechtes oder gemeines Benehmen« bedeuteten, pflegte er einfach seine Augen auf dem schuldigen Arbeiter ruhen zu lassen. Unter diesem System, so konnte er mit Genugtuung beobachten, wechselten die Farben allmählich von Schwarz auf Blau, von Blau zu Gelb und schließlich Weiß. Diese Zensuren wurden alle in ein Register eingetragen, so daß er nach einer längeren Abwesenheit jedesmal feststellen konnte, wie sich die Arbeiter geführt hatten, während er fortgewesen war. Ferner entwickelte er eine unfehlbare Methode zur Entdeckung und Feststellung von Diebstählen. Dennoch war Owen, der nie recht wahrnahm, daß dieses moralische Universum von ihm und keinem anderen geschaffen worden war, immer überrascht, daß die von ihm ausgebildeten Lehrherren sich anderwärts selbständig machten und doch nie dieselben Ergebnisse wie er in New Lanark erzielten oder daß seine Kommunen keine Fortschritte machten, sobald sie der Aufsicht anderer überlassen waren. (William Lovett, einer der Führer der Chartisten, der später mit ihm in der Genossenschaftsbewegung zusammenarbeitete, sagt, daß Owen im Kern despotisch und daß es ziemlich unmöglich gewesen sei, mit ihm auf demokratischer Grundlage zusammenzuarbeiten.)


Owen kam allmählich dahinter, daß sich seine Geschäftspartner ganz gewiß immer wieder gegen seine Methoden auflehnen würden, daß er sich immer der Verpflichtung ausgesetzt sah, neue Partner zu suchen, und daß es stets schwieriger wurde, sie zu finden. So war Owen schließlich gezwungen, der Tatsache ins Auge zu blicken, daß die Kapitalisten eine habgierige und unaufgeklärte Masse waren. Sein Glaube wurde weiter erschüttert, als ein Gesetz gegen Kinder-

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arbeit (das erste, das in England eingeführt wurde), das er durch seinen Einfluß auf Parlamentsmitglieder durchzubringen versucht hatte, nicht nur nachdrücklich von den Baumwollspinnern bekämpft, sondern schließlich auf Grund ihrer Forderung von Politikern wie Peel, dem er vertraut hatte, um seine Wirkung gebracht wurde. Als er bei den Nationalökonomen in London Rat suchte, war er erstaunt, in ihnen Männer ohne praktische Erfahrung zu finden, die, wie er nachdrücklich hervorhob, damit beschäftigt waren, Systeme zu konstruieren, um die schlechten Praktiken der Fabrikanten zu rationalisieren. Als er eingeladen wurde, eine Konferenz über die verzweifelte Wirtschaftslage, die auf die Napoleonischen Kriege gefolgt war, zu besuchen - eine Konferenz von Leuten, die ihn früher durch ihren Ruf als prominente Ökonomen, Philanthropen, Staatsmänner und Geschäftsleute beeindruckt hatten, unter dem Vorsitz des Erzbischofs von Canterbury -, da entdeckte er, daß er, ein ungebildeter Mann, als einziger Anwesender verstand, daß die gegenwärtige Arbeitslosigkeit durch die Entlassung von Männern aus dem Kriegsdienst und durch den plötzlichen Zusammenbruch des durch die Kriegsbedürfnisse geschaffenen Marktes herbeigeführt worden war, und er setzte die Versammlung in Erstaunen mit der Darlegung, Millionen von Menschen seien durch die Maschinen von ihrer Arbeit vertrieben worden. Als er in seiner Jugend Direktor der Baumwollfabrik gewesen war, hatte sich der Eigentümer, der ziemlich nahe wohnte, nie zu einem Besuch blicken lassen, nur einmal - um sie einem Besucher aus dem Ausland zu zeigen, aber Robert Owen hatte nie Konsequenzen daraus gezogen. Jetzt stieg die Furcht in ihm auf, es könnte länger dauern, als er gedacht hatte, die Menschen zur Vernunft zu bringen.


Dennoch lieh man ihm zu jener Zeit Aufmerksamkeit, die Premierminister, die Erzbischöfe, die Fürsten: sie waren, durch die Unruhe der niederen Schichten, aufs höchste alarmiert, und hier war ein Mann, der den Beweis geliefert hatte, daß er die unteren Schichten glücklich zu machen wußte. Owen konnte noch an ihre Selbstlosigkeit glauben: es lag ihm fern zu glauben, daß es für Personen wie sie, in verantwortlicher Stellung, möglich wäre, alles andere, bloß nicht allgemeine Besserung des Loses der Menschheit zu wollen. Aber auf Grund eines merkwürdigen Zwischenfalls sah er sich veranlaßt, hinfort anders zu denken.


1817 besuchte er in Aix-la-Chapelle einen Kongreß von Souveränen, und er traf dort einen alten Diplomaten, den Sekretär des Kongresses. Diesem Mann legte Owen dar, daß es jetzt durch den außerordentlichen Fortschritt der Wissenschaft - wenn nur die Menschheit überredet werden könnte, in ihrem eigenen Interesse zusammenzuarbeiten -, dem gesamten Menschengeschlecht, nicht mehr nur den wenigen Bevorrechteten möglich sei, wohlgebildet, wohlgenährt und wohlerzogen zu leben. Er hatte das schon allen möglichen Leuten dargelegt, aber diesmal sollte ihn die Erwiderung des Sekretärs erschüttern. Ja, meinte der alte Diplomat, man wisse das sehr gut - die regierenden Mächte Europas, die er selbst repräsentiere -, und eben das wolle man nicht. Wenn die Massen bessergestellt und frei lebten, wie sollten die herrschenden Klassen sie in Schach halten? »Nach diesem Bekenntnis des Sekretärs verlor die Unterhaltung nach meiner Ansicht jedes Interesse, denn ich hatte entdeckt, daß ich eine lange und schwierige Aufgabe vor mir hatte, Regierungen und Regierte von der umfassenden Unkenntnis zu überzeugen, in der sie einander in direktem Gegensatz zu den wahren Interessen und dem wirklichen Glück beider bekämpften. Ich sah jetzt voraus, daß die Vorurteile, die ich in allen Klassen aller Länder zu überwinden hatte, furchtbarster Art waren. Ich sah, daß es außer unbegrenzter Geduld und Ausdauer der Schlangenklugheit bedarf. Daß man ohne Falsch sein muß wie die Tauben und doch den Mut des Löwen braucht.« Er hatte jedoch »den Rubikon überschritten, es gab nur noch den Weg nach vorn«.


Aber die Behörden hatten schon erkannt, daß sie es in Owen mit der Gewalt eines subversiven Idealismus zu tun hatten. Er hatte an öffentlicher Stelle erklärt, daß der Hauptfeind der Wahrheit die Religion sei, er hatte nicht nur die Religion, sondern auch das Eigentum und die Familie angegriffen (damit ging er viel weiter als Fourier, der versucht hatte, in seinem geplanten Gemeinwesen gemäßigte Formen des Eigentums aufrechtzuerhalten). Jetzt begannen die Kirchen, sich gegen ihn zu stellen, und seine Freunde wurden ängstlich, mit ihm zusammen gesehen zu werden.


Er kam zu der Überzeugung, daß Europa verseucht sei, daß er sich der Neuen Welt zuwenden mußte, wenn er einen Anfang mit der neuen Gesellschaft machen wollte. Er ging in die Vereinigten Staaten und übernahm von einer deutschen religiösen Sekte, den Rappiten, die Stadt New Harmony, Indiana, mit mehr als 12 ooo Hektar. Er veröffentlichte am 4. Juli 1826 eine 'Erklärung der geistigen Unabhängigkeit' von den drei großen Unterdrückern der Menschheit: »Privateigentum, irrationale Religion und Ehe«, und er lud »die Fleißigen und Fähigen aller Nationen« ein, sich seinem Gemeinwesen anzuschließen. Dann fuhr er nach Europa zurück und verließ das Gemeinwesen. Aber die Amerikaner waren um nichts besser als die Engländer - tatsächlich erwiesen sie sich in der Siedlung New Harmony als schlimmer. Die Westerner waren nicht so gelehrig wie das schottische Proletariat von New Lanark, und die uneingeschränkte Einladung hatte Schiffbrüchige und Nichtsnutze angelockt. Als Partner hatte Owen einen skrupellosen Menschen namens Taylor akzeptiert, den loszuwerden er für ratsam hielt, als er zurückkehrte. Taylor veranlaßte Owen, ihn mit einem Strich Land auszukaufen, auf dem er (Taylor) angeblich ein eigenes Gemeinwesen gründen wollte. Am Abend bevor die Abmachung perfekt gemacht wurde, schmuggelte


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Taylor eine Menge Vieh und Farmzubehör auf sein Anwesen, so daß sie am nächsten Tage rechtlich in der Übertragung einbegriffen waren. Dann zog er Owens Mahnungen zur Mäßigung ins Lächerliche, indem er auf seinem Land eine Whisky-Destillation aufbaute und eine Gerberei eröffente, die zu der Owens in Konkurrenz ging. New Harmony überdauerte kaum drei Jahre. Owen verkaufte das Land schließlich an einzelne Eigentümer.


Er machte ähnliche Versuche wie diesen in England und Irland und steckte eine ganze Menge Geld in diese Kommunen. Er scheint sich in einmaliger Weise wenig Gedanken über Geld gemacht zu haben. In den frühen Tagen in New Lanark, da das Baumwollgeschäft blühte, zur Zeit seines ursprünglichen Gemeinwesens, das er selbst zu beaufsichtigen in der Lage war, war diese Schwäche nicht so offenkundig gewesen, jetzt pflegte er große Summen für die Ausrüstung von Werkstätten für andere Leute auszugeben, die nicht wußten, wie sie unterhalten werden.


Er sah sich schließlich auf eine Lebenshaltung zurückgeworfen, bei der seine Söhne gezwungen waren, ihn zu unterstützen.


Jetzt, da er kein Fabrikant mehr war und die Gunst der regierenden Klassen nicht mehr genoß, begann er eine völlig andere Rolle zu spielen. Das Reformgesetz von 1832 behielt das Stimmrecht allein der Mittelklasse vor und hatte Desillusionierung und Aufruhr bei der Arbeiterklasse zur Folge. Owen, der ebenfalls desillusioniert war, verbündete sich mit der Arbeiterklasse. Er war nicht einmal mehr Unternehmer, er hatte sogar New Lanark aufgegeben. Er trat nun mit einer Owenistischen Genossenschaftsbewegung und mit der »Großen Nationalen Konsolidierten Gewerkschaft« in Verbindung.


Aber er war noch zu ungeduldig in politischen Dingen und trotz aller seiner Erfahrung zu überzeugt von der offenkundigen Richtigkeit und Notwendigkeit seines Systems, um sinnvoll in der langen, zermürbenden Schlacht der Arbeiterbewegung mitwirken zu können. Die Gewerkschaftsbewegung zerbrach ein Jahr nachdem er sie organisiert hatte. Er hatte sehr wenig Interesse oder Sympathie für die Chartistenbewegung und die Korn-Gesetz-Kampagne: es war ihm noch unmöglich, seinem Glauben abzusagen, daß es viel leichter wäre, die Gleichheit mit einem Schlag und ein für allemal einzuführen. Und als er feststellte, daß die Menschheit noch sehr zurückgeblieben war, nahm er seine Zuflucht zu überirdischen Mächten. Er gelangte in seinen letzten Tagen zu dem Glauben, daß alle die großmütigen Männer, die er gekannt hatte, Shelley, Thomas Jefferson, Channing, der Herzog von Kent (dabei vergaß er, daß dieser es unterlassen hatte, ihm beträchtliche Geldsummen zurückzuzahlen) -alle jene, die ihm zu ihren Lebzeiten mit Sympathie gelauscht hatten, bei denen er empfunden hatte, daß sie wirklich seiner Vision anhingen und die ihm nun durch den Tod verloren waren - er kam zu dem Glauben, daß sie von der anderen Welt zurückkehrten, mit ihm Verabredungen träfen und sie auch einhielten, da sie mit ihm sprächen und ihn ihrer versicherten.


Er brauchte sie, um jene Institutionen zu bestätigen, die er Jahre zuvor besessen hatte und von denen die Zeit kein Zeugnis ablegte -Ankündigungen, daß »ein Wechsel von hoher Bedeutung, den die gegenwärtig schlecht unterrichtete Menschheit vielleicht noch nicht begreifen kann«, »offenbar im Fortschreiten« sei, daß »zum Glück für die Menschheit, das System der einzelnen, einander widerstreitenden Interessen« »jetzt den äußersten Punkt des Irrtums und der Unhaltbarkeit erreicht« habe, da »inmitten reichlich vorhandener Mittel, Reichtum zu schaffen, alle in Armut oder in drohender Gefahr wegen der Wirkung der Armut auf andere leben«, daß der »Grundsatz der Einheit« sehr bald den Platz des »Grundsatzes der Zersplitterung« einnehmen werde. Alle Menschen sollten dann verstehen, daß »persönliches Glück« nur durch ein Verhalten, das das Glück des Gemeinwesens fördert, zu erreichen« sei.


Um zu sterben, ging Robert Owen - Geld besaß er nicht mehr -1858 in ein Haus nahe der Sattlerwerkstatt seines Vaters, wo er geboren worden war. Von dort war er mit zehn Jahren zu jenem märchenhaften Aufstieg in die Welt hinausgezogen, bei dem er auf dem goldenen Boden des Baumwollhandels landen sollte.



Gute Seite zu Fourier: http://userpage.fu-berlin.de/~twokmi/texte/fourier.htm
Fourier und die freie Liebe

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