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Einfacher Bericht Februar - März


Montag, 23.2.2004
Ich war einen Monat unterwegs, in Hamburg, Berlin und Rom, und doch bin ich zwei Tage früher aus Rom zurück gekommen, weil ich es nicht mehr ausgehalten habe. Eine unglückliche Liebschaft zwang mich zur schnellen Abreise. Wenn ich unterwegs bin, werde ich kurz vor der Rückkehr nach Grünbach immer unruhig, in froher Erwartung das mittlerweile Altgewohnte wieder zu sehen, treibt es mich gegen Ende einer Reise immer schneller nach Hause. Ich denke an mein Haus, das Wetter, die Veränderungen in der Natur, und meine Katze, die mich erwartet. Aber dann, wenn ich hier angekommen bin, befällt mich ein lethargischer Zustand für 1-2 Tage, ich frage mich, wieso ich hier lebe, was sich das Leben doch anderswo abspielt. Man kann sich an den Kontakt mit Menschen gewöhnen, genauso aber auch an das Alleinsein mit sich selbst. Der Übergang dauert immer ein wenig und ist mit Sentimentalitäten über das Erlebte verbunden.
Da es in Rom schon viel wärmer war, war die Ankunft hier wie ein Rückschritt, zurück in die Eiszeit. Meine Katze war noch da, auch wenn sie regelmäßig jetzt auch bei den Nachbarn ein und aus geht. Doppelagent, mir solls recht sein. Der Holzvorrat ist nun wirklich fast aufgebraucht. Das dicke Holz wird noch ein paar Tage reichen. Da Schnee liegt, wird Holz holen beschwerlich werden.

Diese Arbeiten bringen mich wenigstens von meinen vielen zweiflerischen Gedanken ab. Der ständigen Suche nach Kontakt und Zuneigung, die ich hier sowieso nicht finden werde, wie es in Berlin und Rom einfach passiert ist. Zum Sex in die Stadt, wie mein Nachbar Werner sagen würde.

Ich habe einen Anruf vom Fernsehen bekommen. Sie sind an meinem Heavy Metal auf dem Lande interessiert. Ich werde also dieses Jahr einen Film über das Landleben hier und Death Metal machen. Ich werde weiter hier wohnen. Allein.

Heute schneit es und schon wieder sieht die Landschaft aus wie im Märchen. Es gibt einfach nichts zu sehen, außer weiße Landschaft und schwarze Baumstämme und Äste. Alles versinkt, nichts was es draußen zu tun gäbe. Gleich am ersten Tag nachdem ich aus Rom zurück war, habe ich angefangen täglich eine große Runde zu laufen, ein Stück weit jogge ich, dann schlendere ich wieder eine Weile wenn ich was Interessantes finde oder einen schönen Ausblick vom Berg runter. Man kann jetzt Dinge sehen, die man sonst im Jahr wegen den vielen Bäumen nicht sieht. Manche Perspektiven konnte ich fast nicht glauben. Dinge tauchen auf, wie ein Wasserturm oder der Hohenstaufen, den man von hier in der Gegend normalerweise nicht sehen kann.

Seit heute kann ich im Internet chatten. Bisher fehlte immer ein Ding, ein Plug-In, oder etwas in der Art. Java fehlte. Und mit der Insel Java habe ich mich in den letzten Tagen auch viel beschäftigt, weil ich eine Geschichte über kuriose Phänomene in der indonesischen Popkultur schreiben möchte. Ein seltsamer Zufall, und ich überlege, welcher Programmierer sich einfach für das Wort Java entschieden hat, und was das mit der Insel zu tun hat. Natürlich nichts, aber es gibt jetzt zwei verschiedenen Dinge mit dem gleichen Namen. Und in Zukunft wird man bei dem Wort Java einfach an das Programm denken, so wie man bei einem Passat den Wind vergessen hat.

Ich habe sofort losgechattet. Und alle meine theoretischen Skrupel haben sich in Luft aufgelöst. Auch wenn es manchmal umständlich ist, alles was man kommuniziert aufzuschreiben und gelegentlich die Reihenfolge von Frage und Antwort durcheinander geraten. Im Grunde entspricht dies sehr genau meinem Daseinszustand hier in Grünbach. So wie im Internet der Surfer, über den man geht irgendwo auf der Welt herumsteht (ich stelle mir immer vor, dass die meisten Surfer und Großrechner irgendwo im Wald herumstehen, so wie Trafohäuschen), gibt es mich irgendwo im Niemandsland, an einem Ort, den niemand kennt. Wenn ich aber kommuniziere, bin ich unter den anderen, bei ihnen.
Ich habe mit einem aus Berlin gechattet, und man erzählt sich so allerhand, als wäre man gut befreundet, sobald aber der Gedanke auf Tatsächliches kommt, wird einem die Distanz wieder klar gemacht. So geht es mir hier. Ich bin bei den anderen, aber nur virtuell. Und oft reicht das.
Dann habe ich einen Haarausfall-Chat betreten, weil die sich über eine interessante Methode unterhalten haben, wie man den Haarausfall stoppen kann. Nicht dass Haarausfall für mich ein großes Problem wäre, aber letztendlich macht sich jeder Mann, bei dem es ab Anfang 30 eben anfängt, sich seine Gedanken. Ich geriet aber ganz schnell in eine heiße, komplexe Diskussion über Tricks und Importmöglichkeiten dieses neuen Wundermittels. Und ich kam mir mitten unter diesen engagierten Männern vor, wie beim Damenfrisör im Dorf. Es wurde geschnattert und gefachsimpelt. Ich war erstaunt über die Komplexität dieses Themas. Die Männer stellten ihre im Rückzug sich befindliche Haarpracht mittels digitaler Fotos en andern zum Vergleich und zur Schau. Man kritzelte mit Photoshop Kreise um die gefährdeten Gebiete, und kurz dachte ich, die Fotos wären Luftaufnahmen vom Waldsterben wie aus einem GEO Heft. Die Naturschutzgebiete werden eingekreist.
Ich kam mit meinen Anfängerfragen auch gar nicht so gut, die waren einfach schon zu fortgeschritten, mkit Fachwörtern und Namen von Spezialärzten wurde nur so herum geballert. Sie beglückwünschten sich zu bevorstehenden oder erfolgreichen Haartransplantationen in Polen, Mexiko oder der Türkei. Sie zeigen Bilder von sich, mit skalpierten Kopfhaut, die aussehen wie Greueltaten in Jugoslawien.
Aber sie ist es eine Erlösung. Sie glauben an Wunder.

5.März 2004
Ich habe in den letzten Tagen nichts mehr geschrieben und werde auch nichts mehr schreiben, weil alles schon berichtet worden ist. Hier hat sich nichts verändert und wird sich auch nichts verändern, solange der Schnee noch liegen bleibt und die Natur wie in einem Dornröschenschlaf schläft. Ich mache jeden Tag dasselbe, schaue nach dem Aufwachen zum Fenster raus auf den Berg, suche Holz ums Haus herum und fahre gelegentlich nach Stuttgart wegen der Kontakte.
Das Vogelgezwitscher nimmt etwas zu. Wir warten hier alle auf den Frühling und weigern uns auch nur irgendwas neues zu beginnen, solange der Winter immer noch anhält.

14. März 2004
Der Winter ist vorbei. Hurra!
Es ist warm, ich habe mir letzte Woche bei Ikea einen Gartentisch und einen passenden Stuhl dazu gekauft. Ich bin im Schneesturm nach Ulm gefahren und habe nur ein bißchen Quatsch gekauft. Kurz vor den Kassen kommt die Gartenabteilung und ich konnte nicht anders, als mit einem Kauf meinen Wunsch ausdrücken.
Jetzt steht der Tisch seit heute im Garten und ich habe mich in der Jacke an den Tisch gesetzt und eine kurze Pause gemacht. Eine kleine Zigarettenpause, nur ohne Zigarette, weil ich seit heute nichts mehr esse. Ich faste, weil ich eine Woche nichts zu tun haben werde. Gestern nacht habe ich einen Text über einen Film fertig geschrieben. Und so bin ich jetzt frei. Frei bis der Druck des nächsten Luftschloßes wieder groß genug ist und ich mich hinsetzen werde und es ausarbeiten. Ich schreibe die Dinge die es zu tun gibt immer auf ein Blatt Papier. Doch heute bleibt es leer. Bin noch schnell zur Post und habe den Ordner mit den ganzen Quittungen des letzten Jahres zur Steuerberaterin nach Berlin geschickt. Das war mir schon lange ein Dorn im Auge. Überhaupt habe ich an meinen Nachbarn Werner denken müssen, der mit Sicherheit seit Jahren keine Einkommensteuererklärung mehr gemacht hat, und sich einfach dem Finanzamt gegenüber nicht mehr verhalten hat, einfach nicht mehr reagiert und irgendwann hören sie auch auf zu nerven, denn was sollen sie machen. Ihn tot schlagen? Von ihm ist in dieser Hinsicht eh nichts mehr zu holen. Und so sollte ich es auch machen, einfach den Kontakt zu ihnen abbrechen. Ich habe sowieso im ganzen letzten Jahr nichts verdient.
Ich beschließe mit 34 Das zu tun, was ich hätte schon viel früher tun können. Ich bin kein Geschäftsmann, und kein erfolgreicher Filmemacher. Ich mach nur ab und zu einen Film, weil ich ein bißchen Geld zum Leben brauche. Und den ganzen schriftlichen Kram geb ich einfach meiner Steuerberaterin, aber dafür muß ich immer Quittungen sammeln, damit sie was zum Verrechnen hat. Das ist unglaublich anstrengend. Man sitzt im Restaurant und muß nach einer Rechnung fragen, und immer die vielen Quittungen aufbewahren, bis der Geldbeutel wieder vollgestopft ist mit Zetteln, anstatt mit Geld.
Nein nein, Schluß damit.
Es ist Frühling und ich habe mein Selbstexperiment begonnen und werde eine Woche lang nichts mehr essen, nicht rauchen, kein Alkohol trinken.
Heute habe ich Äste von den viel zu hohen Bäumen des Nachbarn am Bach abgesägt und prompt ist mir ein Ast auf den Kopf gefallen. Jetzt habe ich eine Beule an der Stirn.
Ich habe eine Affäre und meine Affäre und ich wir liegen auf dem Bett und denken uns Sachen aus, während wir die ganze Zeit an die Decke starren. Wir rauchen aber nicht dabei.
Jetzt ist mir elend, weil es eine verheimlichte Liebe ist. Wir kennen uns gar nicht gut genug für das was wir getan haben.
Die Blätter spriessen aus den holzigen Stöcken. Man glaubt es kaum. Ein Zeitabschnitt ist vorbei. Man würde sagen, dass es ein Vierteljahr war, eine Jahreszeit, doch mir kam es wie ein viel längeres Stück vor. Der Winter dauerte ewig. Ich habe vorher noch nie auf so was Banales wie eine andere Jahreszeit gewartet, aber noch nie dauerte eine Jahreszeit auch so lange. Hätte ich mir in der Zeit einen Vollbart wachsen lassen, würde mich jetzt nach diesem Winter niemand mehr erkennen.

Ende des 1. Berichts

15.März 2004
Jeden Morgen wenn ich aus dem Fenster hoch zum Berg schaue habe ich die gleiche Vorstellung. Ich sehe einen jungen Mann den Hang herunter laufen. Ich weiß nicht woher er kommt und wohin er geht. Nur einzelne Erlebnisse, die mir mit ihm passiert sind, kenne ich und sind von Bedeutung.
Heute sehe ich ihn ganz deutlich, wie er mit großen Schritten den Berg herunter kommt, wie er der Schwerkraft seines Körpers nicht widerstehen kann und sich von ihr herunter ziehen lässt. Er muß dafür nichts tun, nur die Beine eines vor das andere stellen. Er macht das auch ganz lasziv und bekommt ganz schön Geschwindigkeit. Er hat eine Tasche dabei und geht wohl einkaufen. Ich grüße ihn immer, weil der Hang direkt an meinem Haus aufhört und er dann auf der ebenen Strasse weiter läuft. Seine Tasche leuchtet, er sagt das kommt vom vielen Schnee, der zwar schon fast überall geschmolzen ist, aber die Wirkung des Schnees bliebe noch eine Weile länger vorhanden, auch wenn der Schnee schon weggeschmolzen ist. Es ist ein helles Licht wie auf überbelichteten Fotos, wenn man mit dem Blitz in Richtung einer Glasscheibe fotografiert und diese dann ganz weiß überstrahlt.
Deswegen ist sein Gesicht auch immer sehr dunkel und schwer zu erkennen. Er wird so Mitte 20 seine, hat kurze Haare und ist recht durchschnittlich gebaut, eher jungenhaft und noch recht beweglich. Aus seiner Tasche leuchtet es heraus, als wären ein paar Kilo Diamanten dort drin. Ich frage ihn wie er diesen Trick macht, und er antwortet mir: Mit kosmischem Licht. Aber ich denke, es war ein Witz von ihm. Für einen Esoteriker verhält er sich viel zu normal.
Er sagt er müsse jetzt los, weil er noch Besorgungen machen muß. Er lebt mit seiner Großmutter oben auf dem Berg und versorgt sie und sich selber. Gelegentlich arbeitet er bei irgend jemand im Dorf, aber niemand kann sich so richtig genau an ihn erinnern, weil er nicht viel erzählt. Er ist eine Art Flüchtling. Seine Großmutter ist am ende ihrer Kräfte und er denkt, dass er sein Leben so wie bisher leben wird solange die Großmutter noch lebt. Sie hat ihm vieles gegeben und jetzt ist es an ihm.



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