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POP der späten Jahre

Der Pop der späten Jahre

Jugendkultur am Ende? Das Durchschnittsalter des Plattenkäufers hat die Vierzig überschritten.

Es gab eine Zeit, da gehörte die Jugendkultur noch der Jugend. Das muß irgendwann Anfang der sechziger Jahre gewesen sein, als erwachsene Menschen noch Klassik hörten oder Schlager oder zumindest Jazz. Und auch auf die, die damals geboren wurden, schien eine Jugend zuzukommen, die mit dreizehn, vierzehn beginnen würde. Und spätestens mit fünfundzwanzig würde Schluß damit sein.

Aber mit Ende zwanzig gingen diese Leute in die Clubs und hielten sich in der Nähe des DJs frisch; die Sache mit dem Ausgehen fing erst richtig an. In ihren Dreißigern blickten sie auf eine Biographie zurück, die parallel zur Geschichte des Pop verlaufen war, und noch immer kauften sie die neuesten Platten. Und wenn sie heute auf Konzerte gehen, steht da immer schon jemand vor ihnen, dessen Haar etwas silbern unter der sich immer weiterdrehenden Discokugel schimmert. Neulich meldete die britische Zeitung "The Guardian", daß zum erstenmal deutlich mehr Vierzigjährige als Teenager unter den Käufern von Pop-Platten sind.

Was ist passiert? Ist die Jugendkultur inversiv? Wird, je weiter man sich auf dem Zeitstrahl des Alters fortbewegt, man durch einen Umkehrschluß, kulturell gesehen, immer jünger? Hat das Älter-, Vernünftig- und Erfahrenwerden evolutionstheoretisch gar keinen Zweck mehr, wenn doch nur das Kindliche, das heißt für alles Aufgeschlossene, als progressiv gilt? Vermutlich zählt heute, nach Zehntausenden Jahren Menschheitsgeschichte, die Erfahrung, die man kürzlich auf einem Coldplay-Konzert machte, mehr als die, mit der man eine Eiszeit überleben könnte. Und: Was passiert eigentlich mit der Jugendkultur, wenn die Jugendlichen heute vierzig sind? Verschwindet sie einfach wie eine untergegangene Kultur?

Keine Ahnung, was MP3 ist

Auch die neusten Zahlen aus Deutschland belegen im Vergleich zu den von vor zehn Jahren, das stete Altern der Popkonsumenten.Verschiebung der Haupthörerschaft in die Gruppe der Dreißigjährigen. Im Jahr 2002 waren etwa 21 Prozent der Pophörer vierzig, und nur noch 14 Prozent waren Teenager - jene Altersklasse also, für welche die Popmusik doch ursprünglich gemacht war. Dafür gibt es zwei einfache Gründe: Die Vierzigjährigen haben mehr Geld als die Teenager, und zugleich wissen sie oft einfach nicht, wie man kostenfrei eine MP3-Datei aus dem Internet herunterlädt. Die perfekten Käufer, die zudem offen für Neues sind. "Wir haben es hier", sagt Peter Zombik, Geschäftsführer des deutschen Phono-verbands, "nicht mit älter gewordenen Rolling-Stones-Fans zu tun, die nur Rolling-Stones-Platten kaufen." Im Grunde bestimmen längst die Vierzigjährigen, welche Musik im Radio gespielt wird und was in die Charts kommt. Wie ein breiter Keil hat sich die Generation der Babyboomer in die Geschmacksindustrie getrieben, und seitlich bricht die Jugendkultur wie ein morscher Knochen weg.

Deshalb ist im Moment auf Platz eins in den deutschen Alben-Charts auch Norah Jones zu finden: eine Musik zum Mitsummen bei der Autofahrt ins Büro, die einen träumen läßt, aber nicht zu heftig. In den Single-Top-Ten kam durch die Grand-Prix-Vorauswahl jener Max ganz nach oben, der sich so anhört, als wollte er Tina Turner und Joe Cocker zugleich gerecht werden, und genau so sieht er auch aus. Der Soulstimmen-Imitator, wie man ihn in der Fern-sehsendung "Blondes Gift" nannte, ist eine Erfindung von Stefan Raab, und der ist der Ralph Siegel der Vierzigjährigen.

Mit diesem Publikum ist noch Geld zu verdienen: "Es ist die erste Generation", sagt Balthasar Schramm, der Chef von Sony Music Deutschland, die immer weiter Popmusik hören werde: "Pop ist ihr Gedächtnis, ihre kulturelle Heimat" - der 43jährige spricht da auch von sich selbst. Das einzige Problem bei dieser Gruppe, die der Plattenindustrie so wichtig geworden ist, sei, daß man den Leuten Orientierung geben müsse. Denn manche trauten sich nicht mehr in den coolen Plattenladen.

Hippes Magazin für die ältere Generation

In England gibt es deshalb nun das erste, hippe Popmagazin für die "etwas ältere Generation". Der Herausgeber von "Word", David Hepworth, der früher bei anderen Musikmagazinen wie dem "New Musical Express" gearbeitet hat, die sich jetzt um das kleine Grüppchen junger Leser schlagen, nennt seine Zielgruppe: "The 50 pounds type". Und er kennt diesen Typ, der sich am Freitagabend nach einem Feierabendbier noch in ein Kaufhaus schleicht, zwei CDs, eine DVD und vielleicht noch ein Buch für insgesamt rund fünfzig Pfund mitnimmt und sich an der Kasse überlegt, wie er seiner Lebensgefährtin das neue George-Michael-Album als wichtige Investition verkaufen soll.

David Hepworth erzählt am Telefon, was er auch den Leuten von der britischen Plattenindustrie immer wieder zu erklären versucht noch einmal die Kurzfassung eines Vortrags, den schon mer der britschen Plattenindustrie bereits gehalten hat, über diese so wichtige Käuferschicht.. Die Lebenswelt dieses neuen Vierzigjährigen, der seine Jugend, als gäbe es auch dafür eine Rewind-Taste, in die Länge zieht, kann er genau beschreiben: Es sei dieser Typ, der im Auto laut Musik hört und seine Plattensammlung wie einen neuen Volvo pflegt. Er liest anspruchsvolle Romane, aber er kennt auch die Vornamen der Simpsons. Er kann beim Abendessen mit Freunden aus Filmen und Liedern zitieren, er liebt die Fernsehserie "Friends" und haßt die "Superstar"-Sendungen. Meist habe er mehr als einen DVD-Spieler zu Hause; er weiß auch nicht genau, warum. Aber DVDs sind eben eine Wertanlage. Und eines ist sicher: "Er hat den Nick-Hornby-Chip in seinem Kopf eingebaut." Denn seine Plattensammlung wächst wie von selbst.

Natürlich kauft er die Alben, die er sich früher nicht leisten konnte, nun in der Spezialedition. Er wird auch immer den Pet Shop Boys und Madonna treu sein, die seiner Vorstellung von ewiger Jugend am nächsten kommen. Aber auch mit neuen Bands hat er kein Problem, da sie sich oft ohnehin - so würde er vor seinem Plattenschrank argumentieren und The Strokes mit Velvet Underground vergleichen - wie die alten anhören. Wenn nun in einem aktuellen Geschmackskonsens die Gruppe Franz Ferdinand in den Himmel gelobt wird, könnte das auch daran liegen, daß Popjournalisten nicht immer zwanzig bleiben. Was die Sache jeden-falls erleichterte: Franz Ferdinand klingen wie die Band, die man damals auf der Abiturfeier verpaßt hat.

Es ist nicht einfach, jung zu sein

Während das Bild der kaufkräftigen Vierzigjährigen klare Konturen annimmt, scheint das von der sogenannten Jugend immer mehr zu verschwimmen. Schließt man vom Angebot auf den Webpages der Plattenindustrie darauf, was die Experten über den Teenager wissen, dann scheint dieser im wesentlichen damit beschäftigt zu sein, sich die Hits als Klingelton auf die Mobiltelefone zu laden.

Es ist aber auch nicht einfach, jedenfalls nicht im Moment, jung zu sein, wenn da immer schon einer ist, der alles längst kennt und besser weiß, was man gerade hört und trägt und trinkt. Und dann auch noch behauptet, seit Techno hätte es ohnehin nichts Neues mehr gegeben; selbst der Kleidungsstil der Neunziger-Jahre-Designer hätte das Jahr 2004 locker überdauert.

Vielleicht ist Popmusik aber tatsächlich zur Klassik geworden, ein in sich abgeschlossenes Kapitel Kulturgeschichte wie das Barock oder Dixieland. Techno wäre folglich die letzte Avantgarde gewesen - so etwas wie die Zwölftonmusik des Pop und Djs wie Hell eine Art Stockhausen der elektronischen Tanzmusik. Nun spielen neue Interpreten Variationen bekannter Melodien. Und in dieser Musikkonserve von Coverversionen hält sich der heute Vierzigjährige jung, für alles, was danach kommen mag.

Madonna, die vorgeführt hat, wie schön das Älterwerden sein kann, hat das wieder einmal als erste erkannt. Ihre neue Tour hat sie "re-Invention" genannt. Auf einem Bild, das die Sache ankündigen soll, sieht man sie mit einer weißen Perücke aus einer historischen Kulisse herauskriechen. Hier könnte man auch gut eine Arie singen, ein Kammerorchester aufbauen. Im Hintergrund steht ein altertümliches Sofa, das auch im Schloß Versaille stehen könnte, selbstverständlich aber neu ist, man sieht gediegene Gardinen und einen Edelstahl-Torso, der an die Achtziger erinnert.

Es wird eine Zeit kommen, in der die Popkultur und mit ihr ihre Hörer unvergänglich werden - oder zumindest, wie das, jedenfalls, das haben Klassiker so an sich haben, nicht mehr älter.


Sabine Magerl (Der Spiegel & FAZ)



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