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Einfacher Bericht Januar


Mittwoch, 31.12.2003
Gestern kam Daniel zu Besuch für 10 Tage. Wir wollen musizieren. Wir haben beschlossen, Sylvester dieses Jahr ganz ohne Gesellschaft zu feiern. Aber dann kam doch mein Nachbar Werner und ein paar Freunde, die ich auch kannte und wir machten ein einfaches Essen. Kürbissuppe und Rucolasalat mit Birnen.
Da sie am Abend auch noch Musik machen wollten, löste sich die lausige Party gegen 11 Uhr auf und Daniel und ich gingen kurz vor Mitternacht auf den Berg hoch. Es war eine Wanderung durch eine sternenhelle Nacht, so wie früher wohl die Dorfbewohner aus entlegenen Schweizer Dörfern auch durch die Nacht gezogen sein mußten. Wir hätten uns nur noch riesige Kuhglocken um den Hals hängen müssen.
Gerade als wir oben auf dem Berg angekommen waren, hörten wir die Glocken aus den Dörfern und konnten ins nächste Tal hinunterschauen. Das Feuerwerk war schon im Gange. Flakfeuer wie im Krieg. Es sah aus, als würden die Lichter der Kleinstadt nach oben fliegen und die Stadt bei Nacht dreidimensional werden. Aufnahmen wie man sie sonst eher von Los Angeles bei Nacht kennt.
Wir standen schweigend nebeneinander und schauten zu, bis keine Raketen mehr flogen. Dann machten wir uns auf den Heimweg, zurück ins 18.Jahrhundert.

Freitag, 2.1.2004
Ich glaube, mir ist heute mein großer Zeh eingefroren. Heute haben wir uns verkleidet und gefilmt, weil wir gleich einen Videoclip zu unserer Musik machen wollen. Wir haben beide zerzauste Perücken auf, ich trage einen Lodenmantel und Gummistiefel, Daniel eine Heavy Metal Lederjacke. Mit der Perrücke sieht er aus wie von den Ramones.
Als es dann darum ging, dass Daniel auf einem Pony reiten sollte wurde es recht lustig. Ich habe diese Frau gefragt, die mit mir zur Schule gegangen war und die ihre Pferde beim Bauer untergestellt hat. Daniel saß also auf dem Pony mit seiner Perücke und seiner Rocker Lederjacke und sah mit seinem eher kindlichen Gesicht aus wie, ...Joey Ramone auf einem Pony.
Das gute Tier lief natürlich nur dorthin wo es wollte und irgendwann auch mal unter den Apfelbäumen durch. Da passierte es dass sich die Perrücke von Daniel in den Zweigen verfing und am Baum baumelte, während das Pony immer schneller kreuz und quer lief. Als Daniel dann absteigen wollte, blieb er mit dem Schuh am Rücken des Pony hängen und flog auch noch in den Schnee.
Das war alles sehr lustig, besonders als wir am Abend nochmals auf Video gesichtet haben.
Nichtsdestotrotz ist mir wohl mein großer Zeh eingefroren, er sticht und fühlt sich immer noch taub an, und das nach 8 Stunden.

Mittwoch, 7. Januar 2004
Daniel ist noch zu Besuch und wir haben am Morgen wieder gefilmt. Der Schnee schmilzt schon wieder. Es bilden sich Pfützen auf den Wiesen. Als Daniel ankam, fing es an zu schneien und der Schnee war die ganze Zeit gefroren. Jetzt ist es wieder wärmer geworden. Beim Filmen heute morgen herrschte eine Stimmung, als wäre jetzt eine Party zu Ende. Daniel fährt morgen früh und wir haben die ganze Zeit Schnee gehabt.
Gestern haben wir im Wald gefilmt. Es kam aber nicht viel dabei heraus. Aus Langeweile bin ich mit der Kamera ganz nah an Baumstämme heran gegangen, und habe Holzwucherungen im Detail gefilmt. Beim Sichten abends waren wir begeistert, weil es tiefe, vermooste Bilder waren, die wie Landschaften von Herr der Ringe, Diamantenverstecke oder Fratzen von Geistern aussahen. Wir hatten beide einen Romantik-Flash, wie toll doch die Natur ist, die sich am schönsten zeigt, wenn man das beobachtet, dem man sonst keine Beachtung schenkt.
Am Nachmittag haben wir an einem alten umgestürzten Apfelbaum gedreht. Wir haben den Baum mit Tüchern, Hirschgeweih, Totenkopf und verschiedenen Instrumenten behangen. Wir selbst sitzen im Baum und spielen. Ich Akkordeon und Daniel Flöte. Ich habe einen Lodenmantel an und Daniel eine alte Rocker-Lederjacke. Später habe ich dann Daniel noch gefilmt, wie er in seiner Lederkluft Tai Chi im Schnee macht. Unser Lied heißt ja Karate und Kungfu.

Gerade als wir aufhören wollten zu filmen, weil es schon halb vier war und das Licht wegging, tauchten 3 verkleidete junge Mädchen auf. Es waren die Sternsinger, die von Haus zu Haus gehen, um Spenden für arme Kinder bitten und dafür mit Kreide an die Haustüre schreiben: 20 C+M+B 04. Wir haben sie dann auch noch gefilmt, wie sie über die Wiese laufen.

Freitag, 9.1.2004
Ich glaube die Menschen im Dorf halten mich für sonderbar und abartig. Wohl weil vieles, was sie von mir mitbekommen, seltsam auf sie wirkt. Mein einer Nachbar, der auch gelegentlich nach dem Haus schaut, wenn ich nicht da bin, kommt immer wenn Freundinnen (zum Teil mit Kind) zu Besuch da sind, und will wissen,ob das meine Freundin wäre. Er ist dann immer ganz aufgeregt und ich stelle mir vor, wie er mich und meine Freunde für ein leichtlebiges Volk hält, wo freie Liebe und Sex ständig betrieben werden. So etwas findet er höchst unseriös natürlich. Er fragt dann anschließend immer, ob sie verheiratet wären und wo der Vater des Kindes ist.

Und jede zweite Frage, wenn ich jemandem aus dem Dorf erzähle, dass ich hier ab und zu filme, ist, ob ich auch Sexfilme mache.
Diesen Unverstand kann ich ihnen ja alles noch verzeihen. Wahrscheinlich praktizieren wir für deren Verhältnisse wirklich freie Liebe in ungeregelten Familienverhältnissen, und die Frage, welche Art von Filmen ich mache, an Sexfilme zu denken, ist ja eigentlich lustig. Solche hätten sie alle gern.
Nein. Am meisten stört mich an ihnen, dass sie die Umwelt, in der sie leben nicht wertschätzen können, dass sie die Natur abtun, wenn ich an einem ganz normalen Vormittag spazieren gehe oder abends im Regen noch losgehe. Sie denken, das wäre Müßiggang, weil tagsüber unter der Woche geht man schließlich arbeiten und nach Feierabend geht man sich erholen. Sonntag nachmittag ist es erlaubt in der Natur zu spazieren. Dann sieht man hier auch Horden am Haus vorbei marschieren und alle haben es wichtig, mich zu grüßen.
Am besten verstehe ich mich mit dem Schadenbauer. Er arbeitet auch immer und wann er will. Er fährt Mist am Sonntag oder abends in der Dunkelheit. Er ist ein Eigenbrötler und lässt niemand zu nahe an sich heran. Er redet oft mit sich selbst auf dem Traktor und wenn wir uns zufällig auf dem Feld begegnen, wechseln wir ein paar Worte und zeigen ohne Worte den Respekt vor dem anderen und seinen Spleens.

Samstag, 10.1.2004
Ich habe heute wieder eine meiner Wanderungen gemacht. Ich gehe links vom Haus weg und laufe die letzten 20 Meter geteerte Strasse, bis ich die letzten drei Häuser hinter mir gelassen habe und aus der Strasse ein Feldweg geworden ist. Ich stelle mir vor, wie früher wohl die Dorfstrasse auch wie der Feldweg einfach geschottert war, mit zwei ausgefahrenen Spurrillen und Grasbüscheln in der Mitte.

Der Feldweg geht leicht ansteigend immer gerade aus, bis man zu den Hütten des Schadenbauers kommt. Er hat da wohl eine Hütte nach der anderen hingebaut, sodass man hier an der Abzweigung zum steilen Weg das Gefühl hat, in einer Art Westernstadt zu sein, aber mit dem Grundgefühl, dass es nur Attrappen oder Kulissen sein können.
Vielleicht kommt mein Eindruck daher, weil ich um seine im Grunde traurige Geschichte weiß. Er hat ein schönes Einfamilienhaus am Ende des Dorfes, nur 2 Häuser neben meinem gebaut. Es ist immer noch nicht ganz fertig. Treppengeländer fehlen, die Terrasse ist noch nicht gefliesst und die Einfahrt nicht asphaltiert. Lauter kleine Dinge, die schnell fertig wären, so dass er endlich einziehen könnte. Aber das Tragische daran ist, dass er nicht einziehen will, ehe er nicht verheiratet ist, weil wohl jeder und er auch weiß, dass, wenn er sich erst mal eingerichtet hat er sowieso keine Frau mehr finden wird.
Das ist der Grund, wieso an diesem Haus seit 10 Jahren gebaut wird. Ich habe entdeckt, dass der Kamin raucht, aber im Haus brennt kein Licht. Es ist niemand im Haus. Ich hoffe, dass es kein Geisterhaus wird, so wie die Ansammlung von Hütten hier an der Weggabelung auch nach einer Geisterstadt aussehen.

Hier entscheide ich mich immer, den steilen Weg hoch zum Berg zu nehmen, oder weiter geradeaus, leicht ansteigend, bis man auf einem Plateau herauskommt, wo der Weg langsam auf einer Wiese sich auflöst. Hier hat man einen schönen Ausblick besonders bei Sonnenuntergang, aber auch zu allen anderen Tageszeiten hat man hier das Gefühl auf einem Fahnenmast zu sein und ringsum kann man alles genau betrachten.
Ganz unten die Bundesstrasse, Autos, Häuser und die Albkante. Ein Industrieschornstein aus der Zeit, als zu Grünbach eine Fabrik gehörte, die Panzertanks herstellte, außerhalb des Dorfs, auf der anderen Seite der Bundesstrasse.
Wahrscheinlich liegt es am Maßstab, den man von hier oben auf die hat, dass ich ständig an Modelleisenbahn denken muß.

Als es schon dunkel war, bin ich über den kugelrunden Hügel nach unten gegangen, wo ich meinen Lieblingsfeldweg ins Dorf zurück genommen habe. Ich hätte auch kurz vorher abbiegen können und über die Kuhweide zu meinem Haus gehen können. Dann hätte ich aber durch den Bach gehen müssen und ich hatte keine Gummistiefel an. Ich mache das aber sehr gern, besonders wenn es wärmer ist. Dort unten am Bach kann man dann durch ein mit Draht zugebundenes Gartentor auf das Grundstück gelangen.
Unten am Bach liegen einige zerschlagene Grabsteine. Wenn die ein Ethnologie in vielen Jahren erforscht, überlegt er sich vielleicht, was für ein grausamer Stamm hier gelebt haben muß, der seine Grabsteine in Stücke schlug.


Sonntag, 11.1.2004

Es ist nicht einfach, auf dem Land Geld verdienen zu müssen. Es ist nicht so, dass ich nicht in der Lage wäre, irgendeinen Job zu machen, um Geld zu verdienen. Ich habe zum Beispiel großen Spaß daran, Heavy Metal Konzerte zu filmen. Das kann ich und es interessiert mich ja wirklich. Diese Jobs, mit denen ich ein wenig mein Brot verdiene und durch die ich meinen Zeitgenossen nützlich bin, machen mir Vergnügen, und gelegentlich werde ich auch daran erinnert, dass sie eine Notwendigkeit sind. Soweit bin ich erfolgreich, aber ist nicht derjenige erfolgreich, der bei seiner Arbeit auch glücklich oder zumindest zufrieden ist, oder anders gesagt, der von der Tätigkeit, die ihm am meisten Spaß bereitet, auch leben kann. Ich denke nur eben immer, dass ich bei MacJobs enden werde, dass die Arbeit, die ich leisten müßte, wenn ich größere finanzielle Verpflichtungen hätte, zur Plackerei würden. In meinem Beruf als Filmer gibt es diese Überlegung überhaupt nicht mehr. Entweder man ist eine Rakete und nur dann existiert man voll in der Filmwelt, un d hat dann genug Geld zum Leben, aber schert sich um Geld nicht mehr, weil man eh mahr verdient, als man genüßlich ausgeben könnte. Aber man hat ja dann auch nicht mehr die Zeit für die feinen Dinge, das Herumhängen und zum Beispiel ein Jahr in der Natur leben. Und wenn ich mir die ganzen Leute hier auf dem Land anschaue, die zwar alle nur irgendwelche belanglosen Jobs machen, die mit ihnen nichts zu tun haben, sie aber wegen des gesellschaftlichen Drucks des Beschäftigtseins machen müssen, denke ich immer, dass sie im Grunde unglücklich sein müssen. Am Samstag fahren dann die meisten schon recht früh in die Kreisstadt und kaufen in den Kaufhäusern irgendwelche Dinge, die sie im Grunde nicht brauchen, die ihnen aber Spaß bereiten und als Bestätigung für die Mühen des vielen Arbeitens funktionieren.
Es geht nicht darum, einfach nichts zu machen, auch wenn das gelernt sein will. Es geht darum, mit seiner Zeit im Leben, die uns nur mal gegeben ist, sinnvoll umzugehen. Ich will auch nicht einen Kompromiss machen und 8 Stunden am Tag die Augen zu machen und mich auf den Feierabend zu freuen. Eigentlich ist doch die wichtigste Frage im Leben, was man mit seiner Zeit, die einem gegeben ist, im Leben anfangen möchte.
Ich habe zwar das Gefühl, dass darüber jeder Mensch viel nachdenkt, aber offen ausgesprochen oder geschrieben wird darüber nicht. In dem Tagebuch von Thoreau finde ich einen Eintrag, in dem er sich genau damit befasst. "Mir fällt nicht eine einzige Seite ein, welche die Frage stellt, die ich mir selbst vorlege, oder sie gar beantwortet. Wie läßt sich aus dem Brotverdienen etwas Poetisches machen? Denn wenn es nichts Poetisches hat, dann ist es kein Leben, sondern ein Tod."

Vielleicht sind die Menschen ja angewidert von ihren Erfahrungen damit oder wollen die üblichen Wege im Leben nicht in Frage stellen. Vielleicht gibt es darauf auch keine einfachen Antworten, sondern nur schwierige Fragen.
Wenn ich aber nichts könnte, um mir meinen Lebensunterhalt zu verdienen, würde ich lieber versuchen ein sparsames und einfaches Leben zu führen, als meine Zeit im Leben dafür zu opfern, mit einem Konsum und Wohlstand mithalten zu können und dafür zu arbeiten, wie es einem in den Medien vorgeschlagen wird.
Es würde mich interessieren, ein Leben zu leben, das zwar einfach und bescheiden, aber nicht knauserig ist. Lieber die Zeit nutzen für die Dinge, die einem wichtig sind. Aber deswegen bin ich ja hier. Einer sagte immer: wollt ihrs hart oder wollt ihrs weich?

Dienstag, 13.1.2004
Jetzt ist Krieg. Ich habe heute abend aus dem Fenster geschaut und entdeckt, dass mein Haus auf einer riesigen Wasserfläche stand. Die Strasse stand unter Wasser, der kleine Bach ist übergelaufen, er fließt normalerweise auf der gegenüberliegenden Seite der Strasse vor meinem Haus und dann unter der Strasse durch, neben dem Haus weiter.
Die Wiese stand einige Zentimeter unter Wasser, noch ein Meter, dann wäre es zur Haustür reingekommen.
Ich freute mich insgeheim, da es den ganzen Tag regnete und ich tatenlos in der Stube saß. Ich setzte eine Mütze auf, den Parka an und die Gummistiefel. In der Werkstatt schnappte ich mir Hacke und Rechen und ging raus auf die Strasse. Das Wasser kam von allen Seiten, und gerade vor meinem Haus hat die Strasse eine Senke, weil mein altes Haus ja viel tiefer liegt als die Strasse und die anderen Häuser. Das Wasser kam steil vom Berg runter, die Bachrinne schob pausenlos Wassermassen nach und von dort, wo das Wasser normalerweise abfließen sollte, vom Dorf her, kam auch noch Wasser. Ich wußte aber, dass das Rohr, was unter der Strasse durch geht, verstopft sein mußte und stocherte im Wasser herum. Es reichte mir bis an den Rand der Stiefel und ich mußte aufpassen, weil es vor mir irgendwo in den Graben hinunter gehen mußte. Ich stocherte blind im Graben und dann machte es knacks, ein querliegender Ast war zerbrochen, sofort floß das Wasser auf der Strasse zurück ins Bachbett.

Es ist schwer zu beschreiben. Da, wo ich sonst das Plätschern eines Rinnsals gewohnt bin, dröhnt momentan ein Sturzbach von 2 Metern Breite und 1 Meter Tiefe. Ich kämpfe gegen die Naturgewalten. Wasser ist sehr stark. Selbst die großen Steinbrocken, die ich letzten Sommer ins Bachbett gelegt habe, höre ich manchmal aneinander reiben, eher wie Klopfen. Es ist richtig Lärm, also Krieg.

Die Wiese ums Haus löst sich schon auf und ich sinke ein. Ich kann nur mit Gummistiefeln aus dem Haus gehen. Die Uferböschung hat es zum großen Teil weggerissen. Von den Pflanzen am Bachrand wird im Frühjahr nicht mehr viel zu sehen sein. Die Dachrinne hinter dem Haus ist vollgelaufen und läuft über. An allen Ecken steht Wasser.
Ich bin im Krieg, aber es ist noch ein Krieg, der Spaß macht.

Ich sitze in der Stube und trinke Bier.
Ich habe das Hochwasser sehr schnell bemerkt. Ich habe es hören können. Der Klang des stürzenden Bachrauschens war anders. Genau gesagt, habe ich es nicht bewußt wahrgenommen, und gewußt habe ich es erst, als ich aus dem Fenster schaute.

Mittwoch, 14.1.2004
Mein Nachbar, der Schnapsbrenner, erzählte mir heute morgen am Zaun, daß man dem noch älteren Bauern, der gegenüber von meinem Haus wohnt, den Führerschein abgenommen habe. Er ist 98 und fährt immer noch gelegentlich mit einem Audi aus den Sechziger Jahren zum Einkaufen. Vor ein paar Tagen hat er an einer Tankstelle in Göppingen getankt, was von Grünbach aus ein Stück weg ist und wohin man auch Schnellstrasse fahren muß. Er hat getankt und ist dann zehn mal im Kreis um die Zapfsäulen gefahren, bis ihn der Tankwart angesprochen hat. Der Alte hatte den Ausgang nicht mehr gefunden.
Ich kenne ihn ein bißchen und er lebt definitiv in einer anderen Zeit. Er redet noch immer von der Zeit, als sie das erste elektrische Licht bekommen hatten. Vielleicht ist er jetzt doch ein wenig verkalkt.
Er hat dann gestern in Grünbach mit seinem Auto in die Bundesstrasse einbiegen wollen und ist bis zur Strassenmitte rein gefahren. Ein Auto konnte gerade noch vollbremsen. Nur ein paar Blechkratzer. Als die Polizei den Alten dann fragte, wo er denn hingekuckt habe, sagte er: Nach den Zwetschgenbäumen.
Es ist schon seltsam, dass er zeit seines Lebens nur Zwetschgenbäume und Landwirtschaft im Kopf hat, und das sogar, wenn er mitten auf einer Landstrasse steht.

Donnerstag, 15. Januar 2004
Ich bin früh aufgewacht und mein Kopf fühlte sich schwer an. Ich wußte dann gleich, dass es wohl geschneit haben muß. Draußen lag Schnee und es schneite auch noch sehr stürmisch. Da ich die letzten Tage wegen des Dauerregens nicht raus konnte, beschloß ich gleich früh auf die Alb zu fahren und den neuen Winter zu begrüßen.
Oben tobte ein richtiger Sturm. Ich wanderte von der Hochebene hinunter ins Roggental. Mir schlugen die Schneeflocken ins Gesicht und unten im Wald, wo es etwas wärmer zu sein schien, flogen von den Bäumen dicke schwere Schneebälle auf mich drauf. Das machte dann jedes Mal ein dumpfes Geräusch beim Aufprall. Es war wie ein Bombenhagel, nur mit Schneebällen.
Eine Gruppe junger Blaumeisen zwitscherte um mich herum und sie hatten weder vor mir noch vor den Schneebomben Angst. Sie waren frech und schnatterten.
Als ich bis zum Rand eines Dorfes gegangen war, fiel mir auf, wie zersiedelt gebaut die Landschaft dort oben schon ist, obwohl dort so wenige Menschen leben und die alten Dorkerne als Haufendörfer eng gebaut wurden. Jeder Bauer hat nicht nur ein paar Hütten irgendwo mitten in der Landschaft herumstehen, sondern jetzt auch noch diese modernen Riesenschuppen mit Wellblechen, die aussehen wie Flugzeughangars. Ich lief an so einem Hangar vorbei, aus dem Gestank und Schweinequieken herauskamen. Die Schweinegülle floß in den Schnee und verlief sich in einem braun-weißen Delta. Eine wahrscheinlich üble Schweinefabrik mitten in einem schönen Landstrich.

Ich habe heute nacht sehr lange von einem Wort geträumt. Es ist mir noch nie passiert, dass ich in meinen Träumen von einem Wort träume, besser gesagt war es die Suche nach diesem Wort. Bis ich dann zufrieden feststellen mußte, und die anderen bestätigten dies, das richtige Wort gefunden zu haben. Es war das Wort Fortschritt, mit dem ich mich dann noch lange beschäftigte als ich schon am Aufwachen war.
In meinem Traum gab es ein Problem, irgendeine Kluft oder Widerspruch, der sich durch alle Tätigkeiten zog. Wir waren eine Gruppe von Leuten und waren uns gedanklich nahe. Jeder hatte das Problem mit dieser Kluft und dem fehlenden Wort.
Es gab ein Dilemma zwischen uns und noch anderen. Die anderen waren von der Außenwelt, die Gesellschaft vielleicht, die uns immer nicht verstand. Und wir sahen, dass wir etwas wußten was wir ihnen hätten sagen können, aber uns fehlte die Sprache, das eine Wort. Es ging um das Wort, das wir beide waren.
Mit dem Wort Fortschritt konnten wir dann endlich mit ihnen reden und ihnen erklären, dass Fortschritt sehr wichtig ist, man aber unterscheiden müßte, zwischen Fortschritt, der nur in materieller Hinsicht kurz eine Verbesserung bringt und Fortschritt, der gelernt sein will und alle Fragestellungen mitbedacht hat. Im Traum wurden nicht gerade diese Worte gebraucht, sondern es waren eher Positionierungen und Haltungen. Wichtig war, dass mit diesem Wort, wir ihnen etwas erklären konnten, auch uns selbst, weil sie uns falsch eingeschätzt haben die ganze Zeit. Das hat gut getan. Es ging dann auch gut aus.

Vielleicht habe ich davon geträumt, weil ich mich hier schon viel mit der Lebensweise und den Meinungen der anderen Dorfleute beschäftige und ich sehen muß, dass sie an einem Fortschritt arbeiten, aber oft zu ganz falschen Zielen hin arbeitet. Letztendlich Fortschritt, der nicht mal ihnen etwas bringt. Sie bauen Schweinefabriken und danach stürzen die Fleischpreise in den Keller, der eine Fortschritt sagt: dann müssen sie noch mehr Schweine mästen, damit sich der Gewinn auch lohnt. Aber der andere Fortschritt will dann gar nicht mehr billiges Schweinefleisch essen. Vielleicht gibt es irgendwann ein modernes Märchen von zwei ungleichen Brüdern, die beide Fortschritt mit Nachnamen hießen. Peter Fortschritt und Sebastian Fortschritt.

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