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Fette Welt zum Jahreswechsel


Endlich mal ein Trend, der einem das tröstliche Gefühl vermittelt, sich lifestylemäßig völlig neu erfinden zu können – indem man ganz der Alte bleibt. 2004 wird das Jahr der Langweiler und Daheimgebliebenen, der Dauerglotzer und Stubenhocker, die man neudeutsch Sesselfurzer nennt und noch neuerdeutscher couch potatoes. Als „The New Normal“ wird jene verschnarchte Lebensweise bezeichnet, die einer internationalen Studie zufolge im neuen Jahr nicht mehr fad, sondern höchst angesagt ist.

Sich wieder mehr den Freunden, den Nachbarn und der Familie zu widmen, nannte man ehedem Häuslichkeit. Jetzt heißt genau dasselbe „Going Local“ – was allerdings deutlich besser klingt, als wäre es der Name einer neuen Trendsportart, die man „Power Couch Potatoing“ taufen könnte. Schluss mit „The Old Normal“: den Bussi-Gesellschaften, Stretchlimos und Kokspartys, jetzt wird wieder die Gartenhecke gestutzt. Aber im Zuge des wiedererwachten Gemeinschaftssinnes wird auch die Gruppenmoral strenger. 2004 wird das Jahr der Anwälte und Hersteller von Maschendrahtzäunen werden.

Aber die neue Normalität wäre nicht ganz so neu, wenn sich dahinter nur die Wiederkehr des Alten verbergen würde. So ist zum Beispiel der neue Normalo gerade darum so sehr an festen Bindungen interessiert, weil es ihm an diesen mangelt. Nicht selten ist er nämlich Single. Die männlichen Singles sind zuweilen Metrosexuelle, während immer mehr weibliche Singles sich den so genannten sperm bandits anschließen, Samenräuberinnen, die nur das Eine wollen: schwanger werden. Denn hochwertiges Sperma ist eine zusehends knapper werdende und daher umso kostbarere Ressource, da Zahl und Widerstandsfähigkeit der Spermien seit Jahren konstant abnimmt.

Und das hat Folgen, die beide Geschlechter betreffen: immer mehr kinderlose Paare, die sich nach erfolglosem „Fertility Tourism“ trennen, um später als „Hasbian“ (Ex-Lesbe) oder „SNAG“ (Sensitive New Age Guy) Dinge zu tun, die nur Singles tun, sofern sie „New Normals“ sind, nämlich: „Espresso Sex“ haben in Folge von „Speed Datings“ und sich selbst wertbeständige Konsumartikel zum Geschenk machen, was man als „Self Gifting“ bezeichnet. Diese bestellen sie im Internet. Und beim Herumsitzen vor dem Bildschirm verschlingen sie immer mehr fettreiche Lebensmittel, was zu jener globalen Verfettung führt, die man „Globesity“ nennt. „Globesity“ ist wiederum nachteilig für den „Espresso Sex“ und befördert das „Self Gifting“ sowie weiteres Frustfressen. Was immer die Zukunft bringen mag, eins scheint schon jetzt festzustehen: die wirklich fetten Jahre kommen erst noch.

midt

09.01.2004
http://www.sueddeutsche.de/sz/feuilleton/red-artikel1238/


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