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Jurassic Park

Alte, neue und Nicht-Kommunisten treffen sich in Frankfurt


VON CHRISTIAN SCHLÜTER

Zum Schluss der Veranstaltung erklärte Axel Honneth das ohnehin nicht zu vollendende Projekt der Kritischen Theorie für erledigt, und zwar in allen seinen kommunikationstheoretischen Schwundstufen, von der zweiten bis zur vierten Generation. Nicht mehr Kommunikation, so der Frankfurter Philosoph, sondern Revolution stünde jetzt auf der Agenda. Entschlossen forderte er am Wochenende alle Teilnehmer der Konferenz "Indeterminate! Kommunismus" auf, sich den revolutionären Massen anzuschließen, die vor den Toren der Johann Wolfgang Goethe Universität Aufstellung bezogen hatten, um der anrückenden Polizeigewalt zu trotzen. Durchs Treppenhaus des universitären Hörsaalgebäudes zogen derweil dichte Schwaden. Nein, kein Tränengas, sondern Buttersäure machte sich in den Fluren breit. Hier wurde mit allen Mitteln gekämpft, ein Advent für den Kommunismus...

Wie jetzt?! Eine Falschmeldung. Richtig muss es vielmehr lauten: Als Hessens Ministerpräsident Roland Koch am Samstag das nur einen Steinwurf von der Goethe-Universität entfernte Senckenberg-Museum wiedereröffnen wollte, versuchte eine größere Abordnung der sich als akademisches Subproletariat verstehenden Studentenschaft, ihn daran zu hindern: Von wegen Renommierprojekte wie ein frisch saniertes Naturkundemuseum eröffnen, ansonsten aber Studiengebühren erhöhen, eine der vielen, vor allem schwache Einkommensschichten betreffenden Sparmaßnahmen im öffentlichen Sektor. Die Hessische Landesregierung schürt den Klassenkampf. Nur unter massiven Polizeieinsatz gelangte Roland Koch schließlich ins Museum, um sich vor den dort aufgestellten Dinosaurierskeletten und anderen Fossilien ablichten zu lassen.

Die Vormittagssektion des Kommunismus-Kongresses wurde also unterbrochen, nicht von Axel Honneth, sondern von einem der studentischen Organisatoren, verbunden mit der Bitte um Unterstützung für die Demonstrierenden. Von diesem außerakademischen Zwischenspiel abgesehen, bot die Tagung auch sonst allerlei Kurzweil - eine unbedingte Voraussetzung für ihr Gelingen, denn immerhin darf der Kommunismus zu den fossilen Hinterlassenschaften des gerade erst zu Ende gegangenen Jahrhunderts gerechnet werden. Tot genug jedenfalls, um in der Fantasie wieder auferstehen zu können: In Frankfurt bemühte man sich nicht so sehr um Bilanzen, sondern um Visionen, und so wurde die Veranstaltung zu einem lebendig-bunten Jurassic Park für alte und neue Kommunisten - von einigen Bedenkenträgern einmal abgesehen.


Alles Blödsinn!

Der slowenische Philosoph und Psychoanalytiker Slavoj Zizek kam umstandslos zur Sache und forderte im Anschluss an Lenin die revolutionäre Tat, die radikale Geste, durch die "die Koordinaten des Sozialen" grundlegend neu geordnet werden; wichtig sei der "Schritt nach draußen", um das System als ganzes in den Blick und in den Griff zu bekommen. Selbst das Konzept der radikalen Demokratie, so Zizek, bliebe immer noch demokratisch im Sinne der liberal-bürgerlichen, westlich-kapitalistischen Gesellschaften und bedeute insofern Verrat am Klassenkampf. Den wollte der Slowene gegen die auf Seiten der Linken schwer in Mode gekommen cultural studies und deren vornehmliches Interesse an "sex, gender and race" erhalten. Nicht Geschlecht, nicht Rasse, sondern Klasse markiere den Hauptwiderspruch im Kapitalismus.

Alles Blödsinn, antwortete die Frankfurter Kunsttheoretikerin Isabelle Graw und verwahrte sich gegen den slowenischen Macho: Der Kampf der Geschlechter sei mitnichten als Nebenwiderspruch zu denunzieren. Stattdessen plädierte sie für ein Konzept der Einmischung in die hiesigen Verhältnisse, und zwar auf allen Gebieten, ob nun in der Politik oder in der Kunst: Politische wie ästhetische Interventionen seien der Gegenwart verpflichtet; diese müsse angeeignet werden, um veränderbar zu sein. Verwirrend an dem Disput zwischen Zizek und Graw war vor allem, dass sich beide auf den italienischen Philosophen Giorgio Agamben beriefen, der eine, um seiner Lust auf Revolution nachzugehen, die andere, um ihrer Einsicht in die Dringlichkeit von Reformen zu begründen.

Da war er wieder, der alte Gegensatz zwischen Demokratie und Kommunismus. Mit ihm, diesem lähmenden Anachronismus, wollte sich der Pariser Philosoph Jacques Ranciere nicht zufrieden geben. Er stellte kurzerhand fest, dass wenn man sich von der Idee verabschiede, bereits im Kapitalismus sei der Kommunismus als - geschichtsnotwendig oder nicht - bessere Zukunft angelegt, dann bleibe eben nur die Kritik des Kommunismus, die Kritik all dessen also, was unter den Bedingungen des Kapitalismus, und trage es auch den Namen Kommunismus, in Erscheinung tritt. Ranciere hätte auch sagen können, Kommunismus sei ein Überbauphänomen, wenn die damit herbeizitierte Dichotomie von Basis und Überbau nicht auch ein lästiger Anachronismus wäre. Kurzum: Uns Kommunisten bleibt nur die Kritik an uns selbst.


Reich der Zwecke?

Axel Honneth wollte das nicht gefallen: Als umfassende Theorie und Praxis des Sozialen hätte sich der Kommunismus zwar blamiert; auch sei die bürgerliche, also liberale und rechtsstaatlich verfasste Demokratie nicht als bloßes Durchgangsstadium, als Vorstufe zum Kommunismus zu denunzieren. Doch könne uns der Kommunismus, verstanden als "unerreichbarer ethischer Horizont" für ein gutes Leben, eine Orientierung geben - ganz analog zum kantianischen Ideal eines Reiches der Zwecke, in dem das menschliche Individuum nicht mehr verdinglichtes Mittel zu einem ihm äußerlichen Zweck ist, sondern allein Zweck in sich selbst. Muss aber dieser Rückgang auf Kant, die allein formale Bestimmung des guten Lebens, nicht die sattsam bekannte, von Marx bis Lukács reichende linkshegelianische Kritik erneut provozieren?

Mit dieser Frage meldete Simon Critchley seine Bedenken an. Der in New York lehrende Philosoph störte sich vor allem an Honneths Versuch, seine kantianisch-kommunistische Vision in einer Art "freestyle anthropology" zu fundieren, in einem ominösen, in der Natur des Menschen verankerten "Wunsch" nach einem guten, wie auch immer gelungenen Leben: Kann tatsächlich von einem allen Menschen und damit der Gesellschaft als ganzer zu unterstellenden "unbewussten Begehren" die Rede sein? Gibt es also ein "kollektives" Begehren, das Hiesige, das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse zu überwinden? Critchley sah hier Honneth in einem Dilemma gefangen: Entweder spreche man ganz formal von einem Selbstzweck des Menschen oder eben inhaltlich von seiner anthropologischen Verfassung, seinen Bedürfnissen.

Beides aber kurzzuschließen, gehe nicht, so Critchley, und bemühte sich um eine Alternative. Nicht Spekulationen über die conditio humana, sondern eine ethische Reformulierung der Freiheit, und zwar im Anschluss an die Sozialphilosophie von Emmanuel Lévinas schwebte ihm dabei vor. Immerhin machte er so deutlich: Das Motiv der Freiheit als unhintergehbare, nicht einmal im Namen sozialer Gerechtigkeit aufzuhebende Instanz im Politischen zu verankern - dies wäre in der Tat die theoretische wie praktische Aufgabe, die von der Frankfurter Tagung und weit über sie hinaus an die Gegenwart zu stellen ist. Dann jedenfalls, wenn linke Politik wieder Zukunft haben soll: Die richtigen Lehren aus der eigenen, totalitären Vergangenheit ziehen.




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