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Einfacher Bericht

Im Frühsommer habe ich damit angefangen, als erstes die Werkstatt und Scheune aufzuräumen. Ich habe das Moped repariert, damit ich einkaufen fahren kann. Den Sommer über kam viel Besuch. Freunde aus Hamburg, Berlin und Stuttgart. Sommerfrischler, Wandervögel, Kunststudentinnen und Alleinerziehende mit ihren Kindern. Ich war fast nie allein im Haus. Der Sommer war ja außergewöhnlich heiß. Die meiste Zeit haben wir im Haus verbracht, während der Mittagsstunden uns hingelegt, gebadet oder gegrillt und uns so lasziv verhalten, als wären wir in Südfrankreich.

Jetzt merke ich wie alles sehr historisch in diesem Haus ist. Ich koche auf einem alten Küchenherd mit Holz, die Holzböden sind schief, so dass sich der Staub in einer Ecke des Zimmers sammelt. Man bohrt ein Loch in die Wand und stößt auf Versteinerungen, in der Werkstatt ist der Boden aus Kopfsteinpflaster, alle Steine stehen der Länge nach in der Erde, der Kopf schaut raus. Das Haus ist sehr schief. Es wird aber noch 20 Jahre halten, bevor es zusammenbricht.
Ich habe den Sommer über die meiste Zeit renoviert und geschwitzt, um das Haus winterdicht zu bekommen. Mauslöcher und Mauerritzen zugemauert, Türen isoliert, Fenster gestrichen. Bücher gekauft, Internetanschluß bestellt, Musikzimmer eingerichtet, Schnaps und Most bevorratet.


Kontakt zu den Leuten im Dorf habe ich noch wenig. Alle grüßen mich aber. Das muß man langsam angehen. Die ersten Geschichten im Dorf weiß ich schon. Der Bauer, der keine Frau findet, aber schon ein Haus gebaut hat, was jetzt leer seit 5 Jahren dasteht. Der Enkel, der seine Großmutter für verrückt erklärt hat, um so ihr Haus übernehmen zu können. Der alte Bauer, der immer so glasige Augen hat, weil er seinen Schnaps, den er heimlich brennt, selber trinkt. Und so weiter. Das ist erst der Anfang. Spannend wird es erst, wenn sie anfangen mit mir zu reden und mir ihre Geschichten erzählen.
Wenn ich Kontakt suche, chatte ich im Internet, führe Ferngespräche mit meinen Freunden oder fahre nach Stuttgart. Meist habe ich dazu keine Lust, weil ich was Interessanteres hier zu tun finde.
Leider nicht am großen Werk weiterarbeiten, wieso ich ja eigentlich hergekommen bin, ein Drehbuch zu schreiben, sondern in der Werkstatt basteln, obwohl ich überhaupt kein Handwerkertyp bin, oder aus dem Fenster schauen und die Natur beobachten. Meist wenn ich eine Zigarette rauche, bleibe ich noch länger am Fenster, weil ich gerade ein Tier, das Wetter, den Bach oder sonst was beobachten muß.
Ich schätze das werden auch die Geschichten aus Grünbach.

Jetzt wird es Herbst, alles geht den Bach runter. Das Laub staut sich im Bach. Die Landschaft verändert sich komplett. Jetzt sind wir schon bei Stufe Gelb. Wenn die Blätter dann alle unten sind, wird alles anders aussehen.

Sonntag, 19.oktober 2003
Heute nacht gab es den ersten Frost. Alles ist weiß bis die Sonne kommt. Der erste Frost bricht den empfindlicheren Pflanzen nun vollends das Genick. Die Blätter werden ab jetzt in Massen fallen. Aber noch viele Blätter sind grün. Auch am Boden liegen viele grüne Blätter. Wahrscheinlich verfärben sich nicht alle Arten. Die alten Mostbirnen ums Haus jedenfalls leuchten in einer Pracht, als würden sie von einer Feuersbrunst verschlungen werden.
Hinterm Haus lag auf der weißen Wiese frisch gebuddelte Erde. Ich glaube, die Hasen, die hinterm Haus leben, haben ihren Bau in der Erde noch ein bißchen vertieft. Im Sommer hatten sie dort ihre Jungen zur Welt gebracht und jetzt hat in einer Nacht ein Marder zehn von den kleineren ins Genick gebissen und das Blut ausgesaugt. Am nächsten Tag lagen überall verstreut Hasenleichen wie auf einem Schlachtfeld.

Heute konnte ich den Holzspreisen endlich aus meiner Hand herausziehen. Der ärgerte mich schon seit 6 Wochen. Durch die Entzündung in der Handfläche konnte ich nicht richtig zupacken und mußte immer dran herumspielen. Jetzt ist er von allein durch die dicke Hornhaut rausgekommen.

Meine Kalkulation mit dem Holzverbrauch stimmt nicht. In diesen großen Haufen Holz hat sich in 2 Wochen schon ein viel zu großes Loch gefressen, und wenn jetzt der Frost kommt, muß ich auch die unteren Zimmer heizen, damit die Wasserleitungen nicht zufrieren. Das heißt morgen Holz holen. Ich will gut vorbereitet sein, wenn der Winter kommt. Soll er ruhig kommen.

Dienstag, 21.Oktober
Es herrscht ein Nebel, dass ich nicht mal bis zum Waldrand hoch sehen kann. Rings ums Haus die Abhänge der Alb. Knapp 50 m über meinem Haus hängt die Wolkendecke drüber wie ein Topfdeckel. Die Temperaturen sind knapp über null. Genau so wie ich mir die schlimmste Zeit hier vorgestellt habe. Die Vögel haben nichts mehr zu fressen oder einfach nichts zu tun, denn jetzt kommen sie jeden Morgen und treiben sich vor dem Haus herum. Es sind Meisen und Spatzen, die dieses Jahr geboren sein müssen, weil sie sich sehr übermütig benehmen und sogar bis zum Fenstersims kommen, wenn ich ihnen Brot hinlege. Es scheint sich um eine Meisen-Clique und eine Spatzen-Gang zu handeln, die miteinander rivalisieren. Mutproben und ein Riesengeschrei.
Am Nachmittag habe ich das ganze Holz im Haus und am Bach zusammengetragen und es zersägt. Es ergab 12 Bananenkartons.
Mein Nachbar Werner aus Degenfeld war kurz zu Besuch. Er wohnt auch in einem alten Haus und hat mir von einem Typ erzählt, der ein Abbruchunternehmen hat und froh ist, wenn er Bauholz oder Dachplatten nicht entsorgen muß. Er erzählte von einem Aldi-Supermarkt in der Gegend, bei dem er die neuen Dachplatten ersetzen muß, weil sie nicht die richtige Farbe hatten. Die könnten wir haben.
Gegend abend am Drehbuch geschrieben.

Donnerstag, 23. Oktober 2003
Ich bin müde und habe Muskelkater. Ich habe heute 5 Raummeter Holz geholt und in meinen Schuppen gelagert. Ich habe jetzt genügend Holz für den Winter. Bin zufrieden und müde, das Holzproblem ist gelöst. Heute einen Frosch fast überfahren, die roten Milane gesehen, von denen man sagt, sie bräuchten ein Revier von 30 mal 30 km und einen Graureiher gesehen, der stand nur gelangweilt am Strassenrand. Morgen fahr ich zu Ikea. Körbe kaufen. Ich denke, die sind gut und billig. Einen Katzenkorb für mein Kätzchen. Eigentlich wollte ich ja einen Körbe flechten-Kurs hier in Grünbach veranstalten, weil es so viele Weiden am Bach gibt. Kommt noch, nur später. Zuerst allein. Jule, eines meiner Ziehkinder, denkt, Ikea wäre ein Freizeitpark.
Eine Häsin hat jetzt noch Junge gekriegt. Das habe ich erst heute entdeckt. Sie sind 6 Wochen alt. Hoffentlich überleben sie den Winter.
Heute abend habe ich zum ersten Mal Stimmen gehört. Ich konnte aber nichts verstehen. Es klang wie wenn die Gruppe Walker, die regelmäßig am Haus entlang walken, vor meinem Haus stehen bleiben würden und sich unterhalten. Es war aber niemand zu sehen, es war auch schon dunkel. Ich freute mich, und dachte ich hätte jetzt eine nächsthöhere Daseinsform erreicht. Vielleicht die Dutzende, wenn nicht Hunderte von Menschen, die in diesem Haus geboren und gestorben sein müssen im Lauf von 450 Jahren, würden Kontakt zu mir aufnehmen.
Es war aber das Feuer im Wohnzimmer.

Sonntag, 26. Oktober 2003
Ich habe eine kleine Katze. Ab dem Moment als sie hier war, war die Stimmung im Haus komplett verändert. Es ist jetzt jemand da. Abends bin ich nicht mehr allein. Ich spiele mit ihr. Sie ist noch klein und muß viel gestreichelt werden. Dann legt sie sich auf meinen Bauch, schließt die Augen und schnurrt. Sie fällt ins Säuglingsstadium zurück. Abends spielt sie mit allem was sie findet. Klopapier wird abgerollt, Tabakbeutel werden gekickt und oft fängt sie unsichtbare Fantasiewesen.

Heute habe ich eine Wanderung gemacht. Das Wetter war mild, die Sonne ging glutrot unter. Durch die schwarzen Bäume schien der Wald zu brennen.
Bei einer Herde junger Bullen machte ich Halt. Sie waren sehr scheu, bis sie sich endlich streicheln ließen. Das dauerte über eine Stunde, aber ich hatte Zeit und wollte wissen, wer von uns schneller das Interesse verliert, oder besser gesagt, wer dämlicher ist und länger stehen bleibt. Ich hatte Zeit sie mir im einzelnen anzuschauen. Die Viecher erinnerten mich an meine Bekannten, der eine Bulle hatte ein rötliches, stark gelocktes Fell wie ein Freund aus Berlin, er war auch so stämmig und gutmütig im Vergleich zu den anderen. Einer fing an zu muhen, ein anderer muhte zurück. Sie kannten kein Pardon, einer rammte dem andern die Hörner in die Seite. Ich überlegte mir wie ich mich ihnen im Falle einer Verständigung vorstellen würde. Ich könnte am Anfang gleich zugeben, dass ich einer von denen bin, der so was wie sie gern isst. Entsprechend abweisend haben sie mich dann behandelt. Sie wußten, dass ich sie durchschaut hatte. Das war der Punkt gegen den sie nichts mehr sagen konnten, nur noch sowas wie, ja, das ist unser Schicksal.

Samstag, 8. November 2003
Ich bin zurück aus Hamburg. Nach den eigentlich gar nicht so wilden Tagen dort greift die Leere hier nach mir. Als wäre überhaupt nichts passiert. Es war egal, dass ich weg war. Ich fange nicht nur wieder da an, wo ich aufgehört habe, sondern ein Stück weiter hinten. Am Anfang. Zurückgeworfen in meiner Forschung und in meinem Interesse. Ich denke schon, das alles hier schnell hinter mich zu bringen. Das Experiment fertig zu kriegen, Film recherchieren und alle weiteren Schritte von wo anders aus. Aber von wo?
Großes Jammertal.
Morgen fahre ich nach Holland, um eine Death Metal Band zu filmen. Wir fahren aber in der Nacht wieder zurück.
Dann wird es hoffentlich wieder eine zusammenhängende Geschichte. Aber vielleicht ist gerade der Gedanke falsch, eine zusammenhängende Geschichte sehen zu wollen. Im Grunde ist die zusammenhängende Geschichte das Problem. In Hamburg war ich mit Geschichten und Situationen konfrontiert, die gerade der Grund waren von dort wegzugehen. Alte Zusammenhänge von denen ich mich lösen wollte. Ich habe meine Eltern besucht, die hier in der Nähe leben. Hier sind die Zusammenhänge noch viel älter. Ein Haufen an Geschichte.

Montag, 10. November 2003
Gestern war ich in der Kirche bei einem gemeinsamen Konzert von 5 verschiedenen Chören. Es war mit der ganzen Akustik und den alten religiösen Bildern wieder ein Sturz in die eigene Geschichte. Ich mußte als Kind jeden Sonntag in die Kirche. Von der Messe blieb nichts mehr in Erinnerung, aber die Bilder kannte ich bis ins Detail auswendig. Ich wußte zwar als Kind nicht, dass die weißen Blumen neben Maria Lilien hießen, aber ich kannte sie auswendig. Es sind vielleicht für mich die eindeutigsten Bilder, die ich kenne. Zwei Dinge laufen hier für mich zusammen. Dass ich jetzt anfange, wieder mit Musik als Fluchtmöglichkeit für Leute und Heavy Metal als spezielle Flucht, zu tun zu haben, ist seltsam. Gleichzeitig finde ich hier sehr viele Leute, die in diesem christlichen System drin sind.
Und mir erscheint diese gleichzeitige Anwesenheit von death metal und traditionellem christlichen Verhaltensweisen bizarr. Mir scheint, da werden ganz alte Urtümer aufrechterhalten. Ich habe den Eindruck, alle glauben hier an den christlichen Gott, selbst die, die im death metal Betrieb im Dorf arbeiten. Und Metal stellt die Fluchtmöglichkeit gegenüber diesem omnipräsenten Christlichen, noch als Jugendbewegung funktionierend aber auch für später, wenn man schon Haus, Frau und Kinder hat. Metal spielt die Rolle des anderen in dieser tradierten Welt. Man ist dagegen, man man es auch so deutlich, dass man Satansbilder und alles bildhaft Böse benutzen will, um sein Dagegensein zu zeigen.
Also schon wieder ein alter Zusammenhang von Vorstellungen von gut und böse. Heaven and Hell. Sonntagsbraten und Satansbraten.

Samstag, 15. November 2003
Ich habe mich erkältet, weil diese Woche so viel los war. Geburtstag in Stuttgart, Freunde treffen, Deathmetal Konzert filmen in Frankfurt und Party und Freunde treffen im Eisenbahnwaggon in der Stadt. Viele Einzeldinge, die aber meine Unzufriedenheit auch nicht aufmuntern konnten. Ich war jeden Tag bis spät in die Nacht unterwegs. Meine Katze habe ich nur eine Stunde täglich gesehen, wenn ich zurückkam, mich umziehen und gleich wieder gehen mußte. Habe ich mich etwa schon so schnell an einen Landrhythmus gewöhnt, dass mir jede andere Aktivität wie unnötiger Stress vorkommt?
Ich nehme mir jetzt vor ein paar Tage wirklich überhaupt nichts zu arbeiten. Ich muß diesen Druck, was ich denn machen könnte aus meinem Kopf rauskriegen. Heute morgen habe ich damit angefangen. Ich bin nach Geislingen gefahren zum Media Markt und habe mir einen DVD Player gekauft. Von meinem Nachbarn Werner kopiere ich jetzt sämtliche DVD Filme und stell mir eine Sammlung zusammen. Er hat diese ganzen neuen japanischen Spielfilme.
Ich war heute wandern auf dem Kalten Feld. Es war sehr mild. Dort oben ist ein alter Flugplatz, den die Nazis für Geheimflüge nutzten, jetzt ist es eine Flugschule. Ich blieb am Rand der Landebahn eine Weile stehen und schaute mir die Natur und die verstreuten rot-weißen Markierungen an. Ein Flugzeug hat dreimal hintereinander direkt über meinem Kopf zur Landung angesetzt und ist sobald es auf dem Boden war sofort wieder gestartet.

Montag, 17.November 2003
Heute herrschen die Motorsägen. An allen Ecken und Enden hört man Geräusche von Motorsägen und umkrachenden Bäumen.

Dienstag, 25. November 2003
Ich war fast eine Woche weg. Wir haben fast jeden Abend irgendwo eine Death Metal Band gefilmt. Ich bin da in etwas Seltsames hinein gerutscht. Wir fahren am Nachmittag los, kommen am frühen Abend an und filmen, manchmal gleich alle fünf Bands an einem Abend. Nach dem Konzert fahren wir wieder los und ich bin am frühen Morgen zuhause. Während der Konzerte ist man wie weggeschossen, weil es doch unglaublich laut ist und ziemlich catchy von den Emotionen ist. Es macht einfach Spass in der südeutschen Provinz herumzufahren und immer unterwegs zu sein. Die ganzen Benimmregeln sind auch klar. Es wird ge-headbangt bei den Solos und Faustzeichen und Satanszeichen gibt’s wenn es gut war. Und dann sind es natürlich meist Wölfe in Schafpelzen. Alle sind irgendwie nett. Wie immer. Sexismus und Machismus hin und her, hier werden sie als Überreste hochgefeiert, weil jeder weiß, dass es sie eh nicht mehr gibt. Sie sind alle lieb zu ihren Frauen, und nennen sie Regierung. Und in der Freizeit darf der Papa auch zum Todesmetall. Das sind meine neuen Freunde.

Hier hat seit einigen Tagen ein sehr mildes Wetter eingesetzt. Es hat 20 Grad in der Sonne und ein Busch vor dem Haus hat angefangen auszuschlagen. Der Irre. Ich habe gestern beim Geschichtsverein mich wegen meines Hauses erkundigt. Es gibt leider kein Foto oder Zeichnungen von früher. In einem Buch ist aber die ganze Geschichte des Hofes aufgeführt. Die erste Datierung ist von 1623. Das heißt, mein Hof ist nicht 450 sondern 480 Jahre alt. Ich denke, dass ich natürlich schnell dieses Jahr noch eine 480-Jahr-Feier machen sollte. Ich stelle mir vor, wenn mein Haus in 20 Jahren 500 Jahre alt sein wird. Ich bin dann 53. Mon dieu.
Das eigentliche ist ja sich vorzustellen, was in den 480 Jahren bis jetzt alles passiert ist. 1623 war ja schon mitten im Dreißig Jährigen Krieg, und da ging es ja besonders in der Gegend hier sehr ab. In jedem Dorf finden sich ja 2 Kirchen. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass mein Haus im Krieg gebaut worden ist, in dem Buch geht man davon aus, dass damals das Haus urkundlich von jemand übernommen wurde. Überhaupt hat das Haus im 17.Jhdt. oft seine Besitzer gewechselt. Es gehörte zum Teil noch irgendwelchen Grafen, die es als Lehen an Bauern gegeben haben. Wenn ich mir ausrechne, dass in den 480 Jahren ungefähr 16 Generationen in diesem Haus gelebt haben. Jede mehrere Kinder hatte, und die Großeltern ja auch immer noch unter demselben Dach gelebt haben, dann haben in dem Haus sicher über 100 Menschen gelebt, sind geboren worden oder drin gestorben.
Mir wird etwas unheimlich, wenn man bedenkt wieviel Geister hier herumirren könnten, zumal das Haus so oft seinen Besitzer gewechselt hat.
Aber ehrlich gesagt konnte ich, zumindest von bösen Geistern, noch keine entdecken. Dass es beladen ist mit einem Haufen an Geschichte und viele Menschen hier gelebt haben, ist ja offensichtlich. Der Eichenbalken, der als Türschwelle zur Scheune rüber fungiert ist so ausgetreten, wie irgendeine Heiligenstatue an einem Wallfahrtsort, die von Tausenden von Pilgern berührt wird.

Ich frage mich, wieso ich dennoch immer sehr viel im Haus umhergehn muß oder viel zu lang in irgendwelche Ecken oder Fluchtpunkte starren muß. Ist es, weil so wenig passiert, dass ich die kleinste Regung im Haus doch mitkriegen will. Ich merke wie ich immer mehr versessen darauf bin, irgendwelche Gedanken in meinem Kopf weiter spinnen zu wollen und die das auch tun. Ich überlege mir, wer sich wohl bei einer bestimmten Sache, ein Fenstersims oder eine Mauer, die mal dünn, mal doppelt so dick ist, wer sich dabei was gedacht hat.

Samstag, 29. November 2003
Ich bin der letzte Mensch im Dorf, der das Licht ausmacht. Seit ein paar Wochen wache ich nicht mehr frühmorgens auf, sondern schlafe bis zehn oder elf. Abends bin ich lange wach und schaue DVDs oder geistere durchs Haus. Der Bach führt Hochwasser und macht ständig ein Rauschgeräusch. Aufregend. Die Farben in der Landschaft sind fast komplett verschwunden. Es wird früh dunkel, nichts regt sich mehr. Die Blätter zerfallen beim Zusehen. Vor dem Hauseingang liegen zertretene Blattgerippe. Ich bin beschäftigt mit den immer gleichen Gedanken. Dass ich was tun könnte, es aber genauso gut sein lassen. Ich bin nicht depressiv, es ist eher ein Grundzustand, der so dumpf ist. Ich sollte Drogen nehmen, Aufputschmittel oder ausgehen. Die immer gleichen Gedanken. Geld verdienen und Sex haben wollen. Wenns weiter nichts ist, geht’s mir wohl wie eh und je. Endlich in Ruhe jammern können und nichts was es zu tun gäbe. Nächste Woche fliege ich nach Hamburg und treffe meinen Produzenten. Vielleicht passiert dann bald was neues. Solange bleibe ich hier und bleibe regungslos im Winterschlaf.
In meinem Terminplaner sind viele Seiten weiß. Und in meinem Gedächtnis auch. Ich rekonstruiere die vergangene Woche. Den Montag habe ich im Copy-Shop in der Kreisstadt verbracht und die Cover für unsere selber gemachte Platte kopiert. Das ging etwas daneben, die Bilder sind pixelig und wir werden es nochmals machen müssen. Dienstag weißer Fleck. Mittwoch hatte ich Besuch von einer neuen Freundin aus Berlin mit ihrem Kind. Mittwoch abend habe ich Napalm Death in der Nachbarstadt gefilmt. Das war klasse. Classic Hardcore. Mir fällt ein, auf einer Berghütte auf der Alb, wo ich mit meinem Besuch wandern war, stand in der Speisekarte: Hardcore Wurstsalat. Neben dem schwäbischen und dem schweizer Wurstsalat. Wir haben ihn aber nicht bestellt.
Donnerstag und gestern habe ich sozusagen mich meinem Besuch angepasst und habe mit ihnen zusammen Urlaub in Grünbach gespielt. Wir haben mit dem Kind ein Lager, einen Unterschlupf im Wald gebaut.
Es ist schön zu sehen, wie Grünbach meinen Besuchern immer gut tut, wie sie ankommen und wie sie sich am nächsten Morgen verändert haben. Bei mir wirkt das nicht mehr so.
Ich mag das Genießen hier nicht mehr. Ich komme mir so unnütz sonst vor. Besser arbeiten. Aber das habe ich ja auch schon hinter mir. Es muß noch etwas anderes geben, was man hier machen kann. Ich merke das, kann es aber noch nicht erzählen.
Etwas mit nachts durchs Haus geistern. Die Räume in Beschlag nehmen und nicht mal mehr an sich selbst denken, sich selbst kontrollieren. Eine nächste Stufe. Der altbewährte Wahnsinn ist es nicht. Und darüber anderen erzählen wollen ist schon ganz falsch. Also Stop. Mehr Tagesberichte. Heute Laub gefegt. Eine tote Ente gefunden. Bald muß ich ein paar Bäume abmachen, sonst wächst hier alles zu und es fällt kein Sonnenlicht mehr aufs Haus. Besonders jetzt ist die Sonne eh schon so tief. Ich habe hier so meine Standard Blicke. So wie ein anderer aufs Wetterglas schaut, habe ich hier meinen Bergblick, der mir sagt wies um die Sonne steht und hinten raus der Blick auf den Bach runter und den benachbarten Hang, wo ich seh, wie kalt es war oder wieviel es geregnet hat.
Ich habe ein Buch gekauft, in dem Ethnologen von außerhalb Deutschlands versuchen, Deutschland zu beschreiben. Ein Artikel ist von einem afrikanischen Ethnologen, der das Verhältnis der Deutschen zu ihren Haustieren, genauer zu ihren Hunden beschreibt. Er ist sichtlich irritiert, über den Status eines Hundes als Lebenspartner und als Ersatz für Familie. Hundefriedhof, Ausbildung zum Kuscheltier und Sexpartner, Krankenversicherung. Klar, das ist aber mein Nachbar, der Bauer auch.
Ich bin ein Ethnologe hier. Ich untersuche jeden Tag alles was ich um mich herum sehe. Meistens die Landschaft und das Wetter. Büroarbeiten und Korrespondenz sind mir lästig. Telefonieren mit Freunden geht gut. Ist wie sich unterhalten. Um den Rest wie Post kümmere ich mich nicht mehr.
Der Bauer fährt jeden Morgen mit seinem Traktor an meinem Haus vorbei, fährt zum Mittagessen wieder zurück und abends gegen fünf macht er Feierabend und fährt heim. Das ist sein Tag. Er denkt den ganzen Tag vor sich hin, bei der Arbeit allein. Er arbeitet, denkt und stirbt.
Was soll man auch tun. Malerei, Botanik, radical lifestyle?
In die Südsee fahren, besser den Traum nicht umsetzen?
Eine Motorsäge kaufen und alles in der Mitte durchsägen.
Wenn hier einer unzufrieden ist dann bin ich es. Ich brauche Liebe und Zärtlichkeit. Und hier gibt’s niemand kilometerweit. Nicht mal einen Kiosk.
Ich habe ein Luftgewehr bekommen und schieße zum Spaß aus dem Fenster. Auf Vögel schieße ich lieber nicht. Nachher tun sie mir noch leid und ich bekomm ein schlechtes Karma. Aber auf den Müll, der so in der Landschaft herumliegt, besonders hinterm Hof vom Nachbarbauern. Das ganze Altglas, peng, entsorge ich mit einem Schuß. Dann die gelagerten Dachplatten, die eh kein Mensch mehr benutzen wird. Alte Reifen und Rohre. Vom Birnbaum hinterm Haus habe ich das restliche Laub runtergeschossen. Damit sich das Laub fegen lohnt und ich nicht noch zehnmal dieses Jahr den Scheiß zusammenfegen muß. Das Luftgewehr ist harmlos, aber ein Nachbar von hier besitzt auch richtige Gewehre. Ich würde gern mit dem Jäger auf die Jagd gehen.

Montag, 15. Dezember 2003

Es schneit, als würde das jüngste Gericht in weiß erscheinen. Ein Gewitter im Winter. Es blitzt am Himmel und die weiße Landschaft wird für einen kurzen Moment taghell. Ich bin mitten in einem Schneesturm. Ich sitze in der Stube und es ist fast schon zu behäbig. Die katze auf dem Sofa, ein gutes Feuer brennt und ich sehe den Schneeflocken beim Fliegen zu. Und ich denke, vielleicht fallen die Strommasten ja um, und ich wäre tatsächlich von der Außenwelt abgeschnitten.
Die unteren Zimmer machen mir Sorgen, weil ich letzte Woche die Fenster ausgehängt habe und zum Lackieren gebracht habe. Ich habe jetzt die offenen Fenster notdürftig mit dünnen Sperrholzplatten zugenagelt und mit alten Lappen abgedichtet. Trotzdem weht Schnee durch die Ritzen ins Zimmer. Ich mache extra kein Feuer in den unteren Zimmern, damit der Schnee nicht schmilzt und ich ihn raustragen kann.

Hinterm Haus ist alles nur noch weiß, man sieht auch keine Bäume mehr. Und da, wo man sonst den Ententeich sieht, erkennt man nur ein schwarzes Loch. Irgendwo da draußen schwimmen jetzt die Wildenten noch herum. Ich denke mir, wenn jetzt die komplette Erdkruste gefriert und man in die Erde aber hinein kommen müßte, wäre der Ententeich die einzige Öffnung unter die Erde. Man würde durchs kalte dunkle Wasser tauchen müssen, bis man am Grund des Sees eine Öffnung findet, durch die man in die Erde hinein kommen würde, aber was sollte ich da zu suchen haben. Ich habe es wohl mit einem der vielen Fantasy-Filme verwechselt, die ich immer nur sehe. Ich habe hier keinen Fernsehempfang und es gibt keine schicke Videothek um die Ecke. Was mir bleibt sind die Hollywood-Schinken auf DVD von meinem Nachbar.

Draußen ist jetzt wirklich nichts mehr möglich. Die Natur ist an ihrem Nullpunkt angekommen. Der Bach fließt fleißig und immer mehr Vögel kommen ans Haus, wohl weil sie dort noch was zum Fressen finden zwischen den abgestandenen Blumen und Sträuchern.
Von der Telefonleitung hängen dicke Eiszapfen und ich frage mich wie die da entstanden sind. Es ist ja nicht so, das dort Schnee hängen bleibt und dann schmilzt, um kurz darauf wieder beim Heruntertropfen zu gefrieren. Oder leiten elektrische Leitungen Wärme ab?
Am Sonntag haben mich Hugo und Ute besucht und ich habe mich über den Sonntag nachmittag-Besuch gefreut. Es war so klassisch und ich hatte sogar einen Hefezopf für den Kaffee. Wir haben uns über die Schweiz unterhalten, aus der Hugo stammt. Ich habe ihm erzählt, dass die Schweiz für mich ein weißer Fleck auf der Landkarte ist, weil ich zwar schon in allen Ländern und Gegenden drum herum war, aber mich nie für die Schweiz interessiert habe. Ich habe ihnen erzählt, dass ich mich hier wie ein Ethnologe fühle und ich mich in letzter Zeit sehr für die ganzen archaischen Traditionen und Brauchtümer interessiere. Das ist ja auch mein Grund, hier auf der Schwäbischen Alb eine Weile zu leben. Hugo erzählte mir von Prozessionen besonders in der Winterzeit in Schweizer Tälern, von "Ubersitz", einem nächtlichen Ritual in einem Nebental bei Interlaken, bei dem man eine Nacht übersitzt. Und aus verschiedenen Tälern kommen verkleidete Menschen mit riesigen Glocken zusammen und am Ende ist man in einem Lärm drin, der einen ganz kirre macht.

Ich würde gern dahin fahren, es findet in der letzten Nacht vor Sylvester statt.

Dienstag, 16. Dezember 2003
Meine Katze ist sehr irritiert von dem vielen Neuschnee. Das ist auch der erste Schnee in ihrem Leben. Sie versucht ihn ständig von ihren Beinen zu schütteln und an ihrem favourite Baum ist sie auch schon am Stamm abgerutscht, weil er voller Schneeverwehungen ist. Sie schaut mich mit großen fragenden Augen an, und ich kann ihr das auch nicht erklären. Ich schieße mit Schneebällen nach den letzten Äpfeln auf dem Baum gegenüber meines Hauses. Aber sie halten, als wären sie festgeklebt, was ja auch sein kein. Es fällt überhaupt auf, dass auf jedem Baum ein paar Äpfel immer noch hängen, selbst bei Bäumen, die nicht geerntet wurden und die meisten Äpfel drum herum liegen, bleiben immer ein paar auf den Bäumen. Vielleicht so eine Art Tribut an die Vögel, die sie jetzt im Winter mühselig auspicken.

Noch stiller als sonst. Kein Echo, die Bundesstrasse, die man manchmal hört, ist komplett verschwunden. Ich habe heute morgen mein Auto freigeschaufelt, obwohl die 20 cm Schnee wohl eh bald schmelzen werden. Ich dachte, es sieht aber ordentlicher aus und vielleicht passiert ein Notfall. Morgen muß ich wieder zum Todesmetall, filmen. Ein Festival mit 8 Bands und es beginnt um 18.30. Genug Lärm wieder für die ganze Woche. Zu meinen einzigen Mitmenschen, den Todesmetallern.

Montag, 22.12.2003
Heute abend habe ich zum ersten Mal so richtig sauniert. Draußen hat es am Nachmittag geschneit, die Temperaturen sind auf unter Null gesunken und überall liegt feinster, unberührter Neuschnee.
Nach dem ersten Saunagang bin ich raus in den Schnee und stand nackt mitten in der Nacht auf einer weiß leuchtenden Wiese. Ich habe mir vorgestellt, wie jemand auf dem Feldweg auf der anderen Seite des Tals, was keine 50 Meter sind, herüberschaut und eine vom Eingangslicht beschienene nackte Gestalt sehen würde, von der Dampf aufsteigt.
Es ist faszinierend, wie lange man die Kälte ertragen kann, die man ja nicht als Kälte spürt, sondern eher als Erfrischung.
Ich habe mich dann mit dem Pulverschnee abgerieben und mich in den Schnee gesetzt. Hinter dem Haus geht ein leichter Abhang runter zum Ententeich und zum großen Bach. Ich hatte plötzlich Lust, mich den Abhang hinunter rollen zu lassen. Ich legte mich hin und kam auch schon ins Rollen. Es wurde immer schneller, der Schnee stäubte, ich verlor die Orientierung und sah nur noch den sich rasant drehenden Sternenhimmel, das Haus mit den erleuchteten Fenstern und hörte den Schnee um mich herum knirschen. Ich wäre fast in den Ententeich gerollt, aber davor kommt ein Zaun.
Ich kam mir vor wie bei einer Bundeswehrübung.

1.Weihnachtsfeiertag, 25.12.2003
Gestern morgen ist die Wasserleitung zugefroren. Ich hatte in der Nacht davor vergessen, ein ordentliches Feuer in der Küche zu machen. Auf dem Minimal-Maximal-Thermometer stand –10 Grad. Da nirgendwo mehr im Haus Wasser läuft, muß die eingefrorene Stelle zwischen Keller und Küche liegen. Ich habe mir ein Notprogramm überlegt. Wasser in Eimern aus dem Bach für die Toilette und die Küche. Duschen ist bis auf weiteres unnötig. Gespült wird wieder bei wärmeren Temperaturen oder wenn das Geschirr ausgeht. Elektroheizer in Küche und Klo, Fön an die Hauptleitung im Keller.
Den Heiligabend habe ich damit verbracht, herauszufinden, wo die Wasserleitungen im Haus überall sind. Ich habe gemessen und mit einem Schraubenzieher probeweise Löcher in die Wand gemacht. Es sieht jetzt gar nicht so schlecht aus. Ich weiß zumindest grob, wo sie verlaufen. Im Internet habe ich einen Frostwächter gefunden, ein erwärmtes Metallband, das parallel zur Wasserleitung gelegt wird. Im Frühjahr werde ich die Wände aufreissen und eventuell auch neue Leitungen legen. Mein Cousin, der Klempner ist, muß mir dabei helfen.
Bis dahin werde ich wohl noch einige Male mit eingefrorenen Wasserleitungen leben müssen, weil die Temperaturen hier noch bis Februar bis auf – 35 Grad sinken können.
Das ist jetzt wirklich Alaska. Ich habe meistens zwei Pullis und eine lange Unterhose an, weil ich oft raus muß, Wasser holen, Holz holen. Die Kälte sticht einem ins Gesicht und meine Finger sind oft steif, wenn ich wieder ins Haus gehe.
Das Wetter ist schön, die Sonne scheint, aber ich bekomme nicht viel davon mit.Seit einigen Tagen kommt die Sonne am Nachmittag nicht mehr über den Berg. Sie bleibt gerade in den Bäumen oben an der Bergkuppe hängen. Die Leute im Dorf sagen, das dauert immer drei Wochen. Und da vorgestern die längste Nacht des Jahres war, wird mein Haus so ab Heilige Drei König wieder Sonne sehen.

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