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6. Treffen bei Rainer Groh

Technische Universität Dresden
Institut für Software- und Multimediatechnik
Nöthnitzer Str. 46
mit: Kurd Alsleben, Mirko de Almeida Madeira Clemente, Manuel Dugué, Brian Eschrich, Antje Eske, Rainer Groh, Sina Jafarzadeh, Mandy Keck, Esther Lapczyna, Hannes Leitner, Dietrich Kammer, Daniel Wuttig


Mittwoch, 17. Juni 2009
von 10:00 Uhr bis 16:30 Uhr
Uploaded Image: tu.jpg

Der Vormittag:
Antje 24.06.09: Begonnen haben wir den Tag mit dem Konversationsspiel Cadavre exquis, das auf die Surrealisten zurückgeht: der Auslöser der Dada-Bewegung, die letzlich im Surrealismus mündete, war der Krieg in seiner Widersinnigkeit, Brutalität und Absurdität. Mit Tristan Tzara kommt Dada 1920 nach Paris, wo sich um die Hauptpersonen, Tzara, Breton und Picabia, an die 20 Künstler versammeln. Mit Breton an der Spitze geht der Weg dann weiter in Richtung Surrealismus, einer Auseinandersetzung mit den gewohnten Vorstellungen von Realismus und Wirklichkeit. Als Beispiel kollektiver Auseinandersetzung mit den Gesetzen des Zufalls ist das Spiel Cadavre exquis (exquisiter Leichnam) überliefert.
In der verbalen Spielmöglichkeit schrieben mehrere Personen, unabhängig voneinander, unterschiedliche Satzteile auf (Subjekt, Prädikat, Objekt, usw.) und tauschten sie dann aus. So ergab sich der Name des Spiels nach dem ersten, auf diese Weise entstandenen, Satz: “Der exquisite Leichnam soll trinken den perlenden Wein.“ - Wurde ´Cadavre exquis´ visuell gespielt, zeichnete jeder etwas auf einen Bogen und faltete ihn dann so, dass der nächste nicht sehen konnte, was sich darunter verbarg. So haben wir es auch in Dresden an der TU gemacht:

JedeR fing an einen Kopf zu zeichnen, egal ob menschlich, tierisch oder phantastisch und knickte das Blatt nach Fertigstellung so weit nach hinten, dass nur noch die Ansätze der Zeichnung zu sehen waren. Die/der Nächste übernahm das Blatt und zeichnete weiter, was ihrer/seiner Meinung nach unter diesen “Kopf“ gehört, knickte wieder die Zeichnung so weit nach hinten, dass nur noch die Ansätze sichtbar waren, usw. bis das Blatt vollgezeichnet war. Eine kleine Auswahl:

Uploaded Image: cadavre.jpg



Antje, 30.6.09: Angefangen haben wir mit einem Einstieg in ´studiVZ´. An der Längsseite des ovalen Raumes, in dem wir zusammensaßen, war eine Projektionsfläche angebracht, auf der wir alle Bewegungen im Netz mitverfolgen konnten. 3 Punkte aus den Gesprächen sind mir in Erinnerung:
1. Man hat einen mehr oder weniger umfangreichen „Freundeskreis“ gesammelt, mit dem man sich “chatartig“ austauscht. Eine intensive Verbindung pflegt man zu den wenigsten. Viele kennt man auch gar nicht ´wirklich´ (im Gegensatz zu visàvis). Die Freunde kann man auch jederzeit – wenn sie nicht mehr genehm sind – aus dem ´Freundesverband´ wieder rausschmeißen.
2. Im Netz bewegt man sich mit geteilter Aufmerksamkeit. Oft wird so nebenbei, mehr oder weniger Belangloses (z.B. „Ich bin heute völlig down.“), für die anderen geschrieben. Aus den Gesprächen habe ich nicht rausgehört, dass die ausgetauschten Botschaften die “small-talk-Ebene“ verlassen.
3. Wenn man nicht die entsprechende software, die allgemein genutzt wird (studiVZ, Twitter, Facebook, ...) bedient, ist man out („dann ist man tot!“).

Deutlich ist mir nicht geworden, ob es noch andere Gründe, als ´in´ zu sein gibt, um die social software zu nutzen. Vielleicht lässt sich das hier, an dieser Stelle, noch klären.



Gedankenprotokoll der beteiligten Studierenden, Mitschriften: Dietrich Kammer

Kontakt erfolgte erstmals durch Prof. Groh im Jahre 1989 in der interdisziplinären Computerei in Hamburg.

In Vorbereitung einer Ausstellung zum Social Web werden verschiedene Leute besucht. Das Thema lautet Social Web. Im Mittelpunkt des Interesses steht eine Fortführung der altbekannten Konversationskunst oder auch "Ars Semonis" und der Einfluss der neuen Möglichkeiten der Vernetzung.

Diskutiert werden verschiedene Anwendungen für soziale Netzwerke. Medien wie studiVZ, Facebook, Twitter und Skype werden genannt. Am Rande wird auch das Suchtpotential von Online-Rollenspielen wie World of Warcraft erwähnt.

StudiVZ wird als relativ oberflächlich wahrgenommen. Der Austausch ist dort sehr einseitig. Über die Funktion des "Buschfunks" können Statusnachrichten angegeben werden mit dem Thema "Was mache ich gerade". Hier kann nur Text (140 Zeichen) ohne Stimmung kommuniziert werden, unter dem Eindruck einer generellen Anonymität.

Kurd Alsleben wirft das Thema der Selbsttätigkeit auf. Das Fernsehen bot nur das Konsumieren, das Internet hat die Möglichkeit selbsttätig zu konsumieren.

Botschaften wie "Ich koche Nudelwasser" können entweder als trivial oder banal abgetan werden, oder sich in die Tradition des Impressionismus stellen.

Die SMS-Ortsangabe kommt der antiken Höhlenmalerei gleich, bei dem die Höhlenbewohner ihre Hände mit Farbe beschossen und so ein Negativ-Bild an der Wand erzeugten. So hinterließen sie ihre Spuren. Es erfolgen heutzutage ständige SOS-Rufe durch die Ansage "Hier bin ich", welche den Menschen als reales Wesen manifestieren.

In den sozialen Netzwerken wird eine Flüchtigkeit konstatiert, bei dem ein großer Freundeskreis mit wenigen echten Freunden entsteht. Dies kann dem modernen, extrem mobilen Lebensstil geschuldet sein. Quantivität ersetzt dabei Qualität und kommt dem Zwang nach, ständig Content für die sozialen Netze zu liefern.

Die Methode der Statistik selbst unmessbare Dinge messbar machen zu wollen beflügelt dabei die steigende Wichtigkeit von Anzahl der Freunde und Anzahl der Botschaften, z.B. über Twitter. Eine eigene Interpretation der Statistik steht dabei einem Common Sense gegenüber.

Es wird allgemein erstmal versucht die offenen Räume, die durch die Technologie suggeriert werden einzunehmen.

Die ständige Erreichbarkeit gewährleistet, dass man nicht für tot erklärt wird. Es gibt dabei sehr viele unterschiedliche Kanäle, bei denen man auch selektiv tot sein kann.

Durch das große Multitasking bei der Benutzung sozialer Netzwerke, E-Mail und Skype verschwinden z.B. persönliche Ansprachen. Es sinkt auch die Hemmschwelle der spontanen Ansprache von anderen durch diese Werkzeuge.

Die Möglichkeiten Konversationen auszudrucken und zu dokumentieren werden oft unterschiedlich stark gesehen. Dass das Internet nicht vergisst und jeder Blödsinn wieder auftauchen kann wird oft vergessen. Zum Beispiel speichert Skype alle Daten, Videos und auch Gruppenchats.

Eine oftmalige Belanglosigkeit der Botschaften in sozialen Netzwerken muss nicht unbedingt durch die neuen Medien eingeführt worden sein. Lediglich die Mühe bzw. die Hemmschwelle bei beiläufigen Treffen im Gegensatz zu Briefwechseln besteht nicht mehr.

Es gibt einen Unterschied bei Konversation zwischen Vermittlung/Öffentlichkeit/Konserve und Geschlossen/Abgesprochen.

Der Common Sense kann als Anschluss und Fangnetz genutzt werden, kann aber auch gegen den gesunden Menschenverstand verstoßen.

Beispiel Twitter in Iran: Die Botschaft ist nicht nur "wir sind", sondern auch "wir sind viele". Dadurch entsteht eine Bedrohung der Machteliten mit ihren Grenzen durch diese freien Formen.

(Mittagspause)

Jedes Medium hat bestimmte Qualitäten. Beim Telefon in Bezug auf Kommunikation und Affektion. Gleiches gilt für die weniger überschaubaren Webdienste. Kurd Alsleben stellt die Frage nach deren Qualitäten. Welche Rolle spielt die durch die wirtschaftliche Komponente der Dienste enstandene Vielfalt der Angebote?

Projekte an Kurd Alsleben und Antje Eske: Konversationsspiele aus den Salons, z.B. der Galeere des schönen Geistes. Bilderchat mit einem Medienwechsel (Bild/Text-Kommentar), Vermischung der Assoziationsebenen. Zufällige Übereinstimmungen/Überschneidungen unabhängig und asynchron voneinander mitgeteilter Bilder und Kommentare. Schaffung eines Diskutatoriums, der Mischung von Diskussion und Konversation.

Fragestellungen: Kunst im Social Web – kann der Anspruch eines Velasquez gewährleistet werden? Mensch-Maschine-Kommunikation ist eher das Paradigma bzw. Thema der
Arbeitsgruppe von Prof. Groh. Im Social Web steht mehr die Mensch-Mensch-Kommunikation im Vordergrund. Dies ist bei Kunst eigentlich auch der Fall, hier entfällt aber ein aktiver Austausch. Dies ist ein neues Feld.

Ausstellung ZKM in Karlsruhe unter dem Titel "Social Software" findet 2010 statt. Als Vorbereitung dienen "Zwischenspiele" wie auch das aktuell durchgeführte.

Zusammenfassung der Aktivitäten im Wiki unter: http://swiki.hfbk-hamburg.de:8888/01

Treffen werden in Einzelheften ausgewertet, sog. Terpsichoren. Die Zusammenfassung dieser Hefte erscheint als Buch zur Ausstellung.

Projekte mit menschlichem Austausch am Lehrstuhl: Wii-Mote, Gamedesk (gegenseitiges Zurufen). Die Technische Visualistik sieht das Bild selbst als Kommunikationsmittel an. Es existiert der Blogsequencer von Severin Taranko, die Histogramme der alten Meister aus Second Life. Die Frage ist hier, ob es mehr um Interaktion oder Kommunikation geht.

Kurd Alsleben stellt die wichtige Unterscheidung von Kooperation und Kommunikation heraus. In der Didaktik soll der Lehrende seine Tätigkeit nicht nur als Senden betrachten, sondern auch selbst verwenden um einen gegenseitigen Austausch zwischen Lehrer und Lernenden zu realisieren.

Eine wichtige Fragestellung ist das Finden der Grundlagen von Kommunikation in der Social Software. Können fremde Aussagen gelöscht werden?

Der Lehrstuhl sieht sich zur Zeit noch auf einer Vorstufe, in der die Projektionsbedingungen für eine optimale Kommunikation geändert werden.



Antje 27.7.09 Den Nachmittag haben wir wieder mit einem konversationellen Spiel begonnen, und zwar aus dem Salon der Anne-Louise du Maine (1676-1753), der wegen seiner strengen Aufnahmeformalitäten als “Les galères du bel esprit“ in die Geschichte eingegangen ist. Das Spiel, das wir abwandelten, hieß damals “Loteries poétiques“. Dabei wurde aus einem Pompadour ein Los gezogen, das einen Buchstaben enthielt: z.B. bedeutete A Arie oder Apotheose, O Ode oder Oper, S Sonett. Das Ziehen eines solchen Anfangsbuchstabens enthielt die Aufforderung, ein entsprechendes kleines Werk zu schaffen. Beim nächsten Zusammentreffen musste es der Salonöffentlichkeit vorgestellt werden. Geschummelt wurde schon damals, denn die, die es sich leisten konnten, ließen Schreiben.

Bei unserer “Loteries poétiques“ ging auch ein kleines Beutelchen mit Losen rum. Jedes Los enthielt 4 Endreime, z.B. Führerschein, Indesign, Nummerncode, Käsebrot. JedeR zog ein solches Los und verfertigte aus den Endreimen ein Gedicht. Gab den Zettel weiter. Die/der Nächste setzte das Gedicht um in eine Visualisierung, knickte den Text nach hinten und gab nur das Bild weiter. Die/der Nächste ließ sich von dem Bild wieder zu einem Gedicht, einem Satz oder Wort inspirieren, gab nur den Text weiter, der wiederum eine neue Visualisierung anregte usw., bis das Blatt voll war. In Dresden waren das jeweils 6 Turns.
Wir hefteten die Blätter an eine Wandtafel, sahen sie uns in der “retrospettiva“ gemeinsam an und lasen die Texte.

Ein Beispiel:

Zahllose Informationen verschlüsselt in einem Strichcode,
von uns nicht lesbar - von der Maschine ohne Not.
Sommer, Sonne - Lebenslust
Regen, Matschwetter - tiefer Frust.


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Gib mir den Code, im Chaos vereint,
scheint unten rechts die Sonne,
keine Ahnung, was mein Nachbar, der Mirko, meint,
auf Sonne reimt sich Wonne.


Uploaded Image: sonne.jpg


In Holland gab´s ne Deern
die tat studern
ca. 1680
als Kunst macht sie Handarbeit
wie oben zu sehen bright


Uploaded Image: boah.jpg


So eingestimmt, stellten Kurd und ich konversationelle Austausche im swiki der HfbK Hamburg vor. Kurd sprach über die Weiterentwicklung des NetzkunstWörterBuchs im Netz und im Besonderen über seinen Austausch mit Rolf Todesco in der Schweiz.


Ich stellte den Bilderchat vor:
Bilderchatten ist ein konversationelles Spiel. Aus der Renaissance sind uns erste Konversationsspiele vom urbineser Hof der Fürstin Elisabetta Gonzaga durch Baldessare Castiglione übermittelt, die durch die Salonièren und Habitués der französischen Salons im Laufe von 200 Jahren (Barock, Rokoko) weitergeführt wurden. Überzeugend ist in den Bilderchats, dass nicht - im quasi Fortschreiben der Kunst und Wunderkammern - abgeschlossene Bilder turnen, sondern die Bilder offen sind und im turn umformuliert werden. Unerwartet ist beim swiki-Chatten das ‘über und über Turntaking‘: in allen, auch bereits vorhandenen, Quelltexten, sources, kann gleichzeitig geschrieben werden. Das hat Ähnlichkeit mit dem gleichzeitigen Zeichnen mehrerer Personen auf einem Blatt und ist anders als beim IRC-chat, der linear ist.

Quasi zwangsläufig werden beim Bilderchat Wort- oder Bild-Gedankenfetzen, die vordergründig nichts miteinander zu tun haben, in Verbindung gebracht. Durch diese Verbindung entsteht Sinn. Durch regelmäßiges Chatten werden die ‘Steigrohre des Unbewussten‘ geöffnet. Sie wecken das poetische Potential in uns und verbinden so den Bilderchat auch mit den Dadaisten und Surrealisten.

Im Sommer 2001 entwickelten A. Eske u.A. den Bilderchat, der seit der Zeit 1 x pro Woche regelmäßig über 1 Stunde läuft. Vorläufer dafür sind die Disketten- und LAN-Austausche gezeichneter und illuminierter HyperCard- und HyperStudio-Austausche, wie sie von 1987 bis 2007 K. Alsleben und A. Eske mit Studierenden der Hochschule für bildende Künste Hamburg geführt haben. Eine wichtige Voraussetzung, mit Gruppen gemeinsam an Web-Seiten arbeiten zu können, war im Swiki der HfbK gegeben. Unter http://swiki.hfbk-hamburg.de:8888/Netzkunstaffairen/51 sind die Bilderchats ab Ende 2006 zu finden.

Georg Nees, früher Computerkünstler, der zum festen Kern des Bilderchats gehört, beschreibt ihn so: »Funktionell ist der Bilderchat ein Reiz-Reaktionsschema: Das Bild, oder ein nachfolgender Text, oder ein Teil oder eine Kombination davon, wirkt als Reiz auf die Chatter. Die Wirkung des Reizes sind Assoziationen, die vom Chatter in eine neue Nachricht umgesetzt werden. Eine dieser Nachrichten erscheint als erste auf dem Bildschirm. Sie setzt die Reiz-Reaktionskette fort. In der Regel bleibt der Urheber einer Nachricht anonym, es sei denn, er outet sich, oder wird durch einen Mitchatter identifiziert, vielleicht anhand eines Charakteristikums. Dies ist auch eine Frage, wie weit der Bildchatter, ebenso wie der Textchatter, sich aus der Deckung wagen.«1 - sich also exponieren, d.h. sich den Anderen in ihrer EigenArt und Anderweite zu zeigen.

Der Philosoph Bernhard H.F. Taureck hat eine treffende Formulierung für die Besonderheit des Bilderchat gefunden: Wenn „Bedeutung lustvoll in ihrer Überindividualität erscheint“ 2, dann werden die ChatterInnen von Leichtigkeit getragen und können, angeregt durch Anderweiten, auch neue Seiten in sich entdecken. „Dies ist vielleicht das, was der Kunst zugrunde liegt, kairós als Zeit der geteilten Bedeutung.“
1 Nees, Georg in Alsleben/Eske (2008 Hg.): Siebenundzwanzig bremer Netzkunstaffairen. edition kuecocokue, BoD Norderstedt
2 Taureck, Bernhard in Alsleben/Eske (2004 Hg.): Mutualität in Netzkunstaffairen. material-verlag, BoD Norderstedt


Kurd 25. Jun o9: