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quo vadis stadt

 Quo Vadis Stadt?
Marie-Therese Bartsch

Nur in der Überwindung utopischer Geisteshaltung und in der Selbstdisziplinierung zu realistischem Denken liegt eine Hoffung auf Verbesserung der Lebensbedingungen(ErnstBloch)


 Am Anfang des 21. Jahrhunderts setzten der zwang zur Flexibilität und die soziale Entwurzelung den Städten zu. Die Planer gehen unterschiedliche Wege, um die Städte aus der Krise zu holen.

 Die dem Menschen in Folge der neuen Wirtschaftsformen abgerungene Flexibilität verändert auch sein Verhältnis zu seiner Umwelt, zum Ort, an dem er lebt - zur Stadt. Denn um auf dem globalisierten Arbeitsmarkt bestehen zu können, muss der flexible Mensch in dreissig Jahren zehnmal, vielleicht sogar noch öfter, umziehen und hat keine Zeit und nicht die Nerven, sich jedes Mal aufs neue auf den Wohnort, sein Stadtviertel, die fremden Nachbarn einzulassen. Diese Distanz zum Ort, diese soziale Entwurzelung ist nur eine von den enormen und auch widersprüchlichen Kräften, mit denen die Globalisierung an unseren Städten und der Stadtkultur zerrt.
 Man ahnt, dass die Städte schwere Zeiten durchmachen. Das sich da etwas zuspitzt, merkt jeder Stadtmensch im täglichen Leben, an den Innenstädten, die tagsüber der kalte Wind des Kommerzes durchweht und die am Abend von den Totenwächtern der Sicherheitsdienste umstellt sind, an Sinemaxx, McDonald's, H & M und Co., die mit ihrer Abziehbilder-Architektur jede fremde Stadt zum vertrauten Terrain machen, an den Amüsement-Quartieren und Shoppingzentren, die entlang der Stadtautobahn, gleich neben den Beton-Ghettos der Modernisierungsverlierer aus dem Boden schiessen. Und er merkt es nicht zuletzt an den Offerten zum Telebanking und Onlineshopping, die immer öfter den Gang zur Bank und zum Supermarkt ersetzen.

 Die Städteplaner, Architekten und Stadtsoziologen bangen um das Wohl der Stadt und hetzen, so hat es den Anschein von einer Tagung zur nächsten. Da kreisen die Gedanken um das künftige Verhältnis von Stadt und Center, nach der Ethik der Metropolen, nach den Laboratorien der Moderne, der Stadt der Zukunft, kurz - sie ringen um neue städtische Leitbilder.

 Dick und lustvoll - die gute alte Stadt

 Schliesslich wird das nächste Jahrhundert vor allem ein Jahrhundert der Städte sein. Schon heute wachsen zwei Drittel aller Kinder in Städten auf und bis zum Jahr 2025 wird sich nach Schätzungen der UNO die Zahl der Stadtbewohner gegenüber 1990 verdoppelt haben.

 Wie aber wird, wie soll, wie könnte die Stadt von morgen aussehen? Über dem diffusen Blick in die Zukunft liegt der Schatten der Vergangenheit. Denn die Schablone, vor der die künftige Gestalt der Stadt verhandelt wird, ist immer noch die der traditionellen, europäischen Stadt, die bis zu Beginn dieses Jahrhunderts verbreitet war, jenes kunterbunte Knäuel an Menschen, Waren und Professionen, an Kirchen Theatern, Geschäften und Lokalen, jener vitale Körper, der den Flaneur und Stadtbürger hervorgebracht hatte, über ein fest umrissenes Zentrum verfügte, über historische Plätze, über durch Strassen eingegrenzte Häuserblocks gleicher Traufhöhe, die sich aus vielen kleinen Parzellen unterschiedlichster Nutzung zusammensetzten. Pulsierend, lustvoll, anstrengend, widersprüchlich - so schwärmen Anhänger des Urbanen, dicht, kompakt, vielfältig, funktional und sozial gemischt - so formulieren es trockennüchtern die Städteplaner.

 Doch egal, wie man es nennt, Stadt in dieser Form hatte immer auch eine Bedeutung als öffentlicher Raum, sie war Verhandlungsbühne für die schwierigen sozialen und politischen Prozesse einer Demokratie, wie die Integration von Fremden, Toleranz für Andersdenkende.





 Dieses Bild von Stadt hat sich hartnäckig in unseren Köpfen festgesetzt - "ganz einfach deshalb, weil es so anschaulich ist". Es sind diese Stadtbilder, mit denen wir in den Urlaub aufbrechen, die wir partout in Siena und Florenz wiederfinden wollen und auf deren Fährte uns jedes Merian-Heft setzt.

 Doch müssen wir uns von diesem Mythos für immer verabschieden, wie es der Darmstädter Städteplaner Thomas Sievers fordert?

 Das grosse Scheitern. Tatsächlich haben sich Städte in Deutschland wie in anderen Ländern Europas während der Massenwohlstands- und Wachstumsära nach dem zweiten Weltkrieg nachgerade zum Gegenteil der klassischen europäischen Stadt entwickelt - im Namen von Individualisierung, Modernisierung und Mobilität zersplitterte die Stadt in Funktionsmodule:
 Wohnen, Arbeiten, Freizeit, Versorgung finden seither nicht mehr an einem eng umgrenzten Ort statt - das Auto machte es möglich.

 Die Industrialisierung des Städtebaus brachte so monotone Einfamilienhaus-Teppiche, Wohnburgen und Gewerbezonen hervor, die sich immer weiter hinaus in die Grüngürtel futtern. Konsum und Kommerz ballen sich in den Zentren, und flächenintensive Verkehrsschneisen vernetzen die unterschiedlichen Partikel zu einem Gebilde ohne Anfang und Ende. An die Stelle der dichten, klar umrissenen Stadt sind, vor allem in den letzten 20 Jahren, Stadtagglomerationen getreten, die, wie etwa im Ruhrgebiet, im Rhein-Main-Gebiet oder im mittleren Neckarraum zu einer riesigen verstädterten Region zusammengewachsen sind. "Edge-City", "Urban Sprawl", Stadtlandschaft, sagen die Stadtplaner dazu. Thomas Sievers prägte den Begriff "Zwischenstadt". Ein Blick auf die Landkarte macht es anschaulich: Wo Frankfurt aufhört und Darmstadt oder Wiesbaden anfängt, ist mit Bestimmtheit nicht mehr zu sagen.

 Den Anschein der alten Urbs geben sich heute allenfalls noch die historischen Kerne. Als in den 60. und 70. Jahren Alexander Mitscherlichs Wort von der Unwirtlichkeit der Städte die Runde machte, ging man, beflügelt von einer mehr oder weniger halbherzigen Retro-Romantik daran, die Zentren zu revitalisieren, Altbauwohnungen zu sanieren, den Verkehr zu beruhigen. die bis heute angestrebte Renaissance der Innenstädte ist vielerorts aber nicht mehr als ein Oberflächeneffekt. Von einer wirklichen Durchmischung sind die zu Touristenattraktionen aufpolierten Altstädte weit entfernt.

 Alles schön getrennt. Die gute alte europäische Stadt - scheinen ihre Tage tatsächlich gezählt - auch wenn wir sie uns doch so wehmütig herbeisehnen? Die Globalisierung forciert die Auflösung der Stadt in spezialisierte Räume. Die Entmischung galoppiert in einem ungeheuren Ausmass - so beobachtet es der Berliner Städteplaner Dieter Hoffmann-Axthelm und macht "riesige Kapitalmengen", die in die Städte fliessen, dafür verantwortlich Stadtentwicklung, Wohnungs- und Dienstleistungs- und Entertainmentkonglomerate in die Hand genommen zu haben.
 Krasses Beispiel: der Potsdamer Platz in Berlin oder treffender "Daimler-City", wo ein einseitig auf totales Entertainment und Konsum ausgerichtetes Stück Stadt aus einem Investoren-Guss ins Herz von Berlin implantiert wurde. In Frankfurt zeigte die Deutsche Bank Ambitionen
 die Hauptstadt mit ihren Megaplänen für ein "Europaviertel" ein riesiges Wohn- und Unterhaltungsquartiert für Finanzexperten in bester Citylage zu überrunden.
 Wer durch die Shopping-Arkaden von Daimler-City schlendert, erkennt, hier tummeln sich nur die Bessersituierten. Segregation, Gentrification (englisch gentry - feine Leute), die Globalisierung hat viele Namen für soziale Verdrängung und Ausdifferenzierung, die sie in den großen Städten bewirkt. Ein Großteil der Modernisierungsgewinner, der "Ins" schwappt in die Städte hinein, bunt gemischte, ehemals vernachlässigte Viertel wandeln sich mit Galerien, uniformen Trend-Locations und Fabriklofts zu Szene-Stadtteilen. Und wem all die Hippness zu teuer wird, muss schauen, wo er bleibt.



 In Berlin schwemmt es die vielen "A's" (Arbeitslose, Ausländer, Alte, Alleinerziehende, Arme, Auszubildende) - wie die gesellschaftlichen Outs inzwischen genannt werden nach Neukölln, Kreuzberg oder in den Wedding. Im Gegenzug würde sich die zunehmend konfliktscheue Kleinfamilie im Umland am liebsten in ihre Happy-Family-Ghettos einmauern. Das ist in Los Angeles kein Traum mehr. In dem Stadtteil Bunker Hill sind Hochhäuser durch ein System aus Sicherheitsschleusen und Fussgängerbrücken nur für Zugangsberechtigte zu erreichen - kugelsichere Stahltüren an den Eingängen inklusive.

 Die Zentren vor der Stadt. Doch Gefahr droht nicht nur von innen. Auf der grünen Wiese graben riesige Einkaufs- und Freizeitparks den Städten die Luft zum Atmen ab. Shopping-Malls, Tankstellen, Baumärkte, Fastfood-Filialen, Aber auch sogenannte Urban Entertainment Centers mit einer gewinnträchtigen Mixtur aus Kino-, Musical und Erlebnisangeboten schnüren sich auf den Äckern zwischen den Städten zu einem Versorgungsknoten an Nötigem und Unnötigem zusammen, an dem es kein Vorbeikommen mehr gibt - Flächenfrass und immense Verkehrsströme gehen dabei Hand in Hand.
 Im Saale-Park bei Halle mit 200.000 Quadratmetern Europas grösste Geschäftsfläche oder dem CentrO in Oberhausen wird mit überdachten Boulevards, mit Fontänen, Grünzeug und Themen-Gastronomie das künstlich inszeniert, was einst wenige Kilometer stadteinwärts lag: Lebendige Urbanität.

 Vor der Stadt ist also längst mittendrin - vor allem in Ostdeutschland. Dort werden 75 % der Handelsumsätze auf der grünen Wiese getätigt. 25 % in der City. In den alten Bundesländern ist das Verhältnis noch umgekehrt.

 Die Zukunft: kleiner ist schöner
 Verkommt die Stadt zum Serviceraum, wird der Stadtbürger zum Stadtbenutzer? Verhallt der Ruf nach sozialer Integration in solchermaßen ausdifferenzierten städtischen Räumen im Nichts? Geht die Stadt vor die Hunde - und mit ihr die Städteplanung?

 Schwarzsehen müssen wir nicht, vielmehr kann man im Kräftespiel der Globalisierung durchaus auch positive Potentiale für die Stadt ausmachen. Beispiel Digitalisierung, also die globale Vernetzung durch die neuen Medien. Wer zunehmend seine Geschäfte am Bildschirm tätigt, ist ortsunabhängig und kann dies auch zu Hause tun - Wohnen und Arbeiten könnten so wieder verschmelzen - "theoretisch eine wunderbare Voraussetzung für die Wiederbelebung der alten Stadt.

 Die so gewonnene Ortsunabhängigkeit könnte gleichzeitig das Auto zurückdrängen. Die Aufenthaltsqualität in den Städten spielt ja für die aufs Auto fixierten Menschen keine Rolle mehr, das kann sich jetzt aber wieder ändern. Doch wie soll das gehen? Einfache und knackige Lösungen gibt es nicht und man kann auch nur davor warnen, Stadt wieder im großen Stil planen zu wollen. Kleinteilige Entwicklung, sukzessive Planung oder auch Regenerierung von Stadtteilen und flexible Strukturen - das wären die Ansätze.

 Dabei ist Flexibilität das Schlüsselwort der Globalisierung, vielleicht auch die Zauberformel für den Städtebau der Zukunft. Denn so starre, homogene, auf eine Funktion ausgerichtete Quartiere wie der Potsdamer Platz sind, so warnt Hoffmann-Axthelm, extrem krisenanfällig, weil sie keinerlei Spielraum für Veränderungen aufweisen. Schließlich blüht die Entertainment-Branche vielleicht nicht ewig oder spriesst einmal an einem anderen Fleck. Der städteplanerische Baustein für diese erforderliche Beweglichkeit ist die Parzelle, also jene kleine Grundstückseinheit, die in einer vertikalen und variablen Mischung aus Geschäften, Werkstätten, Büros, Kindertagesstätten und Wohnungen bebaut werden kann, je nach Nachfrage. Heraus kommt dabei eine funktionale und soziale Mixtur, die auch schon die alte europäische Stadt kennzeichnete.





 In der Praxis heisst das: Lärm, Enge, weniger Rückzugsmöglichkeiten ins Private, dafür weniger Verkehr, mehr soziale Kontakte und Zusammenhalt und eine größere Identifizierung mit dem Ort, an dem man lebt. Es ist offen, ob der Mensch der Zukunft bereit ist, auf diesem Wege der Entwurzelung ein Schnippchen zu schlagen.

 Die Städteplanung hält, flexibel, wie es sich in diesen Zeiten gehört, noch andere Modelle dafür bereit, z. B. mit dem im Rahmen der internationalen Bauausstellung Emscher Perk entwickelten Konzept der Landmarken-Kunst. Der so genannte Tetraeder bei Bottrop, eine von Christ entworfene 60 Meter hohe, auf einer Halde platzierte Stahlpyramide aber auch Richard Serras riesige Betonstele (die "Bramme für das Ruhrgebiet") geben im konturlosen Städtebrei an der Ruhr Orientierung und dienen als Identifikationsmerkmale für die Bewohner.

 Solche Zeichen, die der Städteplaner und Architekt den Kirchtürmen, dem Rathaus oder der Stadtmauer in der alten Stadt gleichsetzt, machten den Ort erlebbar.

 Sie sorgen dafür, dass sich die Menschen zugehörig fühlen und letzten Endes auch wieder mehr Verantwortung für ihre Umgebung übernehmen. Der Tetraeder ist inzwischen zum Logo für das Ruhrgebiet avanciert und das meistfotografierte Objekt in der Region.

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