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DAN GRAHAM




„Art is a social sign“.

















Referat von Sandra Poppe,
Dezember 2002




Vorwort:



Für die textliche Ausarbeitung habe ich eine Auswahl aus den veröffentlichten Schriften von Dan Graham getroffen. Die Orginaltexte zu den Werken und Aussagen Dan Grahams sind in kursiver Schrift gedruckt.





Inhalt:

Einleitung Seite 3-4

Exkurs: Minimal Art Seite 4-6

Auszüge aus Interviews Seite 6-7

Werke Dan Graham

Part I Seite 7-12
(Auswahl:Schriften, Filme, Installationen)

Part II
Pavillons Seite 13-19

Literaturnachweis Seite 20





Anhang:

1. Comic: Dan Grahams Biografie
Manga Story verfaßt von Yoshihiro Nonomura, gezeichnet von Ken Tanimoto

2. Text: Susanne Reichling: „Der reflektierte Betrachter“,
Dan Grahams „Rooftop Urban Park Project“













DAN GRAHAM



„Art is a social sign“.




EINLEITUNG:




Dan Graham (geb. 1942, lebt und arbeitet in New York) gehört zu den wichtigsten amerikanischen Künstlern seiner Generation.
Kaum ein anderer Künstler hat sich eine so breite Basis erarbeitet wie Dan Graham.
Er war Galerist, Kunst- und Kulturtheoretiker, Fotograf, Filmemacher, Performance- und Installationskünstler.
Die Vielfalt der Themen ist das Ergebnis des kritischen Widerstands, den Graham der Wirklichkeit stets entgegenbringt, ungeachtet der ideologischen oder ästhetischen Klassifizierungen, durch die diese jeweils eingegrenzt werden mag.
Immer wieder gelingt es ihm, mit seinen Performances, Schriften, Filmen, Videos oder Fotografien und seinen Skulptur-/Architekturmodellen sich Kategorisierungen zu entziehen.
Sein Werk besteht , im wesentlichen, aus zwei unterschiedlichen Perioden. Die ersten zehn Jahre von 1965 bis Mitte der siebziger Jahre sind charakterisiert durch konzeptuelle Arbeiten (Artikel für Zeitschriften), seine Essays, seine Filme, seine Performances, die Video- und Time-delay-Installationen sowie die dreidimensionalen Spiegelräume, die 1976 auf der Biennale von Venedig mit Public Space/Two Audiences ihren Höhepunkt erreichten.
Seitdem haben sich seine Arbeiten auf die Architekturmodelle und Pavillons konzentriert, die er im öffentlichen Raum installiert (daneben das Monumentalvideo „Rock my Religion“).
So stellt für ihn Architektur eine Art gesellschaftlichen Raum dar, in dem sowohl die sozialen Funktionen der Kommunikation, als auch jene der Isolation und Überwachung sowie die psychologischen Komponenten (das Verhalten der Betrachter/Benutzer) einfließen.


„Ich wußte nichts über Kunst. Ich wollte Schriftsteller werden.“



Die Bedeutung der theoretischen Schriften als integraler Bestandteil seines Werkes werden offenbar. Die Schriftstellerei ist Grahams wichtigstes theoretisches Medium, und sie war lange Zeit ebenso relevanter Bestandteil seines Werkes wie sein visuelles und architektonisches Schaffen.
Die Werkformen verlaufen parallel und haben sich im ständigen Dialog miteinander verwickelt. (Beziehungen zwischen: Leben in der Vorstadt – Rockmusik, Rockmusik –Architektur...)


John Daniels Gallery
Dan Graham eröffnet die John Daniels Gallery Ende Dezember 1964 und leitete sie bis Ende Juni 1965. Der Name der Galerie leitet sich von den Vornamen zweier der drei Gründer her, Daniel Graham, John van Esen und Robert Tera. Graham war 22 Jahre alt, John und Tera etwas älter. Graham übernahm alle Aufgaben eines Galeristen. Besuchte die Künstler in ihren Ateliers, entwarf die Einladungen, tätigte die Verkäufe. Er erhielt Kontakt zum aktuellen New Yorker Kunstbetrieb. Die Galerie stellte Werke von Dan Flavin, Donald Judd, Robert Smithson in Gruppenausstellungen aus und widmete Sol LeWitt im Mai 1965 eine Einzelausstellung. Ende Juni 1965 mußte die Galerie schließen.


[...]Mit dem Kunstsystem kam ich eher zufällig in Berührung, als Freunde von mir vorschlugen eine Galerie aufzumachen. Unsere Galerie veranstaltete eine Einzelausstellung mit Sol LeWitt sowie verschiedene Gruppenausstellungen mit all den „Proto-Minimalisten“ wie Judd, Morris und Flavin. Doch schon am Ende der ersten Saison war unsere Galerie bankrott und mußte schließen. Trotzdem war das Betreiben für mich eine überaus wertvolle Erfahrung, weil ich auf diese Weise viele Gespräche mit Dan Flavin, Donald Judd, Jo Baer, und anderen führen konnte, abgesehen von den Kenntnissen in der Kunsttheorie verfügte mancher dieser Künstler wie ich - über ein ausgeprägtes Interesse an den damaligen intellektuellen Strömungen wie bespielsweise serieller Musik, dem französischen Nouvel Roman und neuen Wissenschaftstheorien. Im Herbst nach der Schließung der Galerie begann ich selbst mit einer Art von Kunst zu experimentieren, die einerseits als Gegenreaktion auf meine Galerie-Erfahrungen aufgefaßt werden kann, aber andererseits auch als Antwort auf die Widersprüchlichkeiten, die mir bei Galerie-Künstlern aufgefallen waren.[...]

Dan Graham , Werke 19965-2000 Ausstellungskatalog


EXKURS:
Minimal Art

Zu Beginn der 60er Jahre hat sich neben der Pop Art eine andere Form von Kunst entwickelt, die sich nicht mehr in den traditionellen Kategorien von Malerei und Skulptur begreifen läßt. Ihr auffälliges Merkmal war, das sie aus einem Arrangement von elementaren geometrischen Grundformen bestand, (besonders dem Kubus), deren materielle Herstellung der Künstler an eine Fabrik weitergeben konnte.
Historisch kann die Minimal Art als diejenige Kunstrichtung betrachtet werden, die (nach entsprechenden Ansätzen im russischen Konstruktivismus) den traditionellen Führungsanspruch der Malerei innerhalb der Kunstentwicklung der Moderne effektiv in Frage gestellt hat. Doch möglich war dies nur unter den von der Malerei geschaffenen Voraussetzungen. Das Gemälde wurde ein Objekt im Raum des Betrachters, der Betrachter konnte nicht länger in das Gemälde hineinblicken, sondern nur noch auf es draufschauen. Als Objekt müßte das Gemälde von allen Seiten betrachtet werden. Die Rückseite wird von der Präsentation ausgeschlossen. Daher schien es notwendig von dem Bildraum der Malerei Abstand zu nehmen und Objekte mit ununterbrochenen Oberflächen direkt in den Raum zu stellen.
Die Minimal Art machte den ‚White Cube‘ der Kunstgalerie zu ihrem Bezugsrahmen. Sie wollte eine leibhafte Erfahrung des hier und jetzt vermitteln. Minimal Art, ZKM Karlsruhe, 2001, S. 9

Raumkonzepte in der Kunst seit der Minimal Art
Bis zu den 60er Jahren schenkten die Künstler der Gestaltung von Ausstellungsorten in Museen und anderen Kulturinstitutionen nur in Ausnahmefällen ihre Aufmerksamkeit.
„Die ideale Galerie hält vom Kunstwerk alle Hinweise fern, welche die Tatsache, daß es Kunst ist, stören könnten. Sie schirmt das Werk von allem ab, was seiner Selbstbestimmung hinderlich in den Weg tritt“, so analysiert Brian O´Doherty die Ideologie des Galerieraums, die sich hinter der scheinbaren Neutralität des ‚White Cube‘ verbirgt.
„Dies verleiht dem Raum eine gesteigerte Präsenz, wie sie auch andere Räume besitzen, in denen ein geschlossenes Wertsystem durch Wiederholung am Leben erhalten wird.
Etwas von der Heiligkeit der Kirche, etwas von der Gemessenheit des Gerichtssaales, etwas vom Geheimnis des Forschungslabors verbindet sich mit schickem Design zu einem einzigen Kultraum der Ästhetik“. Minimal Art, ZKM Karlsruhe, 2001, S. 93

Abgesehen von wenigen frühen Raumarbeiten (von Lissitzky, Duchamp und Schwitters) beschritten die Künstler der Minimalart als erste den Weg, den sakralen Ort der Ausstellung in einen realen Ort umzudefinieren. Sie bezogen den Galerieraum in ihre Arbeit mit ein, indem sie ihre Objekte unmittelbar auf den Boden plazierten und die Grundformen von den Proportionen des Ausstellungsraums ableiteten. Damit definierten sie den Status des Kunstobjekts neu und lösten den Gattungsbegriff der Skulptur ab durch den des „Spezifischen Objekts“ (D. Judd), das in dem Gebrauch von drei Dimensionen entsteht oder durch die Erklärung, daß die Skulptur selbst der Ort sei.
Das in-ein-Verhältnis-setzen des Objektes zum Raum und zu dem Betrachter bildet ein komplexes Gefüge. Die Bewegung der Betrachter im Raum wird notwendig, um die unterschiedliche Dimension der Raumarbeit wahrzunehmen. Um die unterschiedlichen Blickwinkel zu erfahren , um den eigenen Leib in einem Verhältnis zu verorten, um den Umfang einer seriellen Arbeit abzuschreiten ,um einen für die Wahrnehmung erforderlichen Abstand zu dem gleißenden Neonlicht Flavins zu wahren, oder um die räumliche Konstruktion von LeWitts Gitterstrukturen nachzuvollziehen.
In diesen Arbeiten entsteht ein Bezugssystem von Raum, Objekt und Betrachter, das die zentrale Errungenschaft der Minimal Art bildet. Minimal Art, ZKM Karlsruhe, 2001

Sol LeWitt (1928)
Sol LeWitt verwendet geometrische Grundformen (vor allem den Kubus) als grammatische Struktur, die ihm die Möglichkeit zu logischen Operationen eröffnet. Dabei ist das Konzept der Entfernung von Teilen besonders auffällig. Ähnlich verhält es sich mit dem Konzept der Verdeckung: Ein kleiner Kubus kann in einem größeren enthalten d.h. für den Betrachter unsichtbar sein, wobei die logische Gesamtstruktur dennoch auf seine Anwesenheit schließen läßt. Als universell anerkannter Standard entbehrt der Kubus jedes metaphorischen oder symbolischen Gehalts. Als reduzierteste Form der dritten Dimension markiert er die Schnittstelle zwischen Architektur und Skulptur.
[...]Die interessanteste Eigenschaft des Kubus ist, daß er relativ uninteressant ist. ... Er ist daher die Form, die sich am besten als Basiseinheit für kompliziertere Funktionen eignet, als grammatisches Hilfsmittel, von dem die Arbeit ausgehen kann.[...]
Sol LeWitt

Donald Judd (1928 – 1994)
Donald Judd hat den Begriff des ’Specific Object‘ geprägt, um dadurch traditionelle Vorstellungen von Malerei und Skulptur kategorisch auszuschließen. Denn im Rahmen dieser Vorstellungen würde der Betrachter das Kunstprodukt nur als eine individuelle Variation des Vergangenen sehen. Um diesen Eindruck zu vermeiden, ging Judd dazu über, seine Werke industriell fertigen zu lassen. Alle traditionellen Werte handwerklichen Könnens und künstlerischer Komposition wurden negiert. Judds Module, in der Regel handelt es sich um kasten artige, hohle Konstruktionen, sind in gleichbleibenden genau festgelegten Abständen voneinander aufgestellt oder an der Wand angebracht. Die einfachen, klaren Grundformen seiner Arbeiten vermeiden jegliche Ablenkung, um den Betrachter auf deren grundlegende ästhetische Qualität aufmerksam zu machen. Für ihn haben Proportionen
[...] eine eigene Qualität wie rot, oder rot und schwarz, oder schwarz und weiß, oder ein Material[...]

Kunst und Architektur, 1983

Dan Flavin (1933 – 1996)
Dan Flavin arbeitet ausschließlich mit Ready-mades, mit handelsüblichen Leuchtstoffröhren, die er in verschiedenen formalen Arrangements an signifikanten Stellen der Galeriearchitektur anbringt. Die Aufmerksamkeit wird so auf die Galeriearchitektur als Vollzugsrahmen der Kunstbetrachtung gelenkt. Je nach Arrangement kann Flavin dabei Aspekte hervorheben, die die Malerei, die Skulptur und die Architektur betreffen. Er definiert die Leuchtstoffröhre als ‚image-object‘. Als Objekt ist sie virtuell unsichtbar, da das Licht, das sie aussendet, ihre Objekthaftigkeit überstrahlt oder in den Schatten stellt. Der Betrachter erfährt Flavins Installationen als ein Fluidum. Er hat auf diese Weise nicht das Gefühl, dem Sichtbaren gegeüberzustehen, sondern sich im Sichtbaren zu bewegen.
[...] Bis heute bin ich vom Licht gefesselt, immer und überall[...] Dan Flavin, 1989


INTERVIEWS:
Dan Grahams Verhältnis zu anderen Künstlern:
„In den frühen 60er Jahren interessierte mich die europäische Musik.
Sol LeWitt und ich , wir haben viel naturwissenschaftliche Texte und Texte zur Kybernetik gelesen...
...Eigentlich wollte ich damals Schriftsteller werden. Jeder den ich traf wollte Schriftsteller werden, Robert Smithson, Donald Judd, Dan Flavin. Sol war derjenige, der mein Interesse für die Architektur weckte. Aber noch interessanter war ein Artikel den Donald Judd für Arts Magazine über Stadtplanung im neunzehnten Jh. schrieb. Ich glaube daher, daß Homes for America, wo es nicht um den white cube ging, sondern um den Plan der Vorstadt als Grundlage für die Kunst, von allen diesen Dingen beeinflußt war. Außerdem hatte Frank Stella, vielleicht unbewußt, einen gewaltigen Einfluß auf mich. Stella steckte auf mehrdeutige Weise in der Malerei. Er machte Reliefs. Er machte dasselbe wie Judd. Ich begriff ihre Werke als Fassaden für Vorstadthäuser.“



Dan Graham über Dan Flavin:
„Mir gefällt auch die boshafte Kritik in Flavins Werk. Die farbigen Lichter, die er benutzt treten an die Stelle der normalen Lichter, die den White Cube illuminierten und zerstörten dadurch alle anderen Kunstwerke, die in diesem Raum zu sehen waren...Mir gefiel es, daß eine der Nebenwirkungen von Flavins Neonröhren darin bestand, daß die Wände der Galerie zu einer Leinwand wurden. Die Menschen in der Galerie erschienen dadurch (wie Spotlights) in einem dramatischen Licht, und der Inhalt der Ausstellung wurde auf die mit dem Prozeß der Wahrnehmung beschäftigten Menschen verschoben....
...Aber um auf Dan zurückzukommen: Da stand also dieser bärtige New Yorker in seine Socken auf einer mit Teppichboden verkleideten Bühne und sprach über seine Installationen, die das Unglaublichste waren, was ich je gesehen hatte.“


Über Pop Artkünstler:
„Sol und ich, liebten auch Roy Lichtensteins Werke- vor allem wegen ihres trockenen Humors. Ich denke, alle liebten Stella und Johns.
Uns, den Minimal Artleuten ging es um das Erfassen des Augenblicks und darum, ihn danach wieder wegzuwerfen, es ging uns darum, die Vorstellung von Dingen zu unterlaufen, die man sammeln kann, die gewichtig sind und die sich in wertvolle Gegenstände verwandeln lassen.“



Künstlerische Haltung:
„Im Laufe meiner eigenen Erfahrung mit einer Galerie habe ich begriffen, daß ein Kunstwerk, das in Zeitschriften weder besprochen noch reproduziert wird, kaum den Status von „Kunst“ erlangt. Es schien, daß einer Arbeit genau dann Wert zugeschrieben wird, das heißt als „Kunst“ wenn sie in einer Galerie ausgestellt und dann in einem Kunst-Magazin besprochen und als Photo reproduziert wird. Definierte die Minimal Art ihren Gehalt aus der Erkenntnis, daß die Galerie objektiver Träger (der Arbeit) sei, so bezog im Vergleich dazu die Pop Art sich auf die Bilder der Medien-Welt. Pop wollte die Qualitätsvorstellungen der bildenden Kunst unterlaufen, indem sie sich Inhalte der Massen-Kultur zueigen machte. Da sie ihre Bilder über die Zeitschriften wieder in die populäre Kultur zurückfließen ließ, bezog sich die Pop Art in ihren ironischen Kommentaren zur VolksKultur selbst mit ein. Das heißt eine Arbeit konnte zugleich sowohl innerhalb der Kunst-Sprache als auch der Populär-Sprache der Medien funktionieren.“Ausgewählte Schriften 1994, S. 15

Die Interviews führte Markus Müller, veröffentlicht im Ausstellungskatalog, Dan Graham, Werke 1965 – 2000, die Statements sind Auszüge.


WERKE: Dan Graham (Auswahl)

Part I


Grahams Essays sind Reaktionen auf kulturelle Phänomene und unterziehen diese einer kritischen Analyse. Er begann Artikel für amerikanische Kunstzeitschriften zu verfassen. Außer aus finanziellen Gründen tat er dies, weil er so über die Popkultur schreiben wollte. Er wollte auch beweisen, daß die künstlerische Tätigkeit auch die Form der Autorenschaft annehmen kann. Optisches und Textuelles sind in Grahams Werk von Anfang an untrennbar miteinander verknüpft.

1965:
Titel: Scheme, 0 – 9,

[...]Ich habe Arbeiten für Zeitschriften-Seiten entworfen, die einerseits sich selbst meinen und andererseits im Kontext Bezug nehmen auf die Informationen der vorhergehenden und folgenden Seiten....Ich wollte eine Kunstform schaffen, die sich weder reproduzieren noch in einer Galerie oder einem Museum ausstellen ließe, und ich wollte eine weitere Reduzierung des „Minimal“-Objekts auf eine nicht unbedingt ästhetische zweidimensionale Form (aber weder Malerei noch Zeichnung) etwas Gedrucktes, das massenhaft reproduziert wird und massenhaft verfügbare Information vermittelt.[...]

Die Arbeit ähnelt den früheren Serien von Jasper Johns und den Pascalschen Dreiecken. Das Pascalsche Dreieck baut sich nach bestimmten Binominalkoeffizienten auf, die in den Bereichen der Mathematik eine Rolle spielen. Diese Arbeit hat etwas mit Zahlenmystik zu tun, also der Glaube, daß hinter Zahlen und Zahlenmustern ein tieferer verschlüsselter Sinn, beziehungsweise eine Botschaft steckt.

[...]Die Zahlen sollten entweder eine Seite füllen (und abgeschnitten werden, wenn die letzte Zeile das untere Ende des Blattes erreicht) oder in einem Buch beliebig fortgesetzt werden.
Die Zahlen beginnen an einer Stelle und werden gelesen. Mit der Plazierung werden bestimmte Regeln gesetzt, weil beim Lesen das Auge des Lesers den Ort (Fixpunkt) ständig wechselt.[...]

(1969 Endmoments)
Robert Smithson hat die Arbeit 1966 in einem Aufsatz für Arts Magazine als Illustration in einem Kasten am Rand der Seite benutzt.


1965:
Titel: Figurative

[...]Figurative ist eine Seite für eine Zeitschrift und wird dort eingefügt, wo die Werbung steht. Es ist ein Kassenzettel, der keine Summe enthält und nichts bedeutet. Der Kassenzettel, der ausgehändigt wird, wenn der Kauf getätigt ist, hat mit der Werbung zu tun, die den Leser dazu anregen soll. etwas zu kaufen. Den Kassenzettel erhält man hinterher, in diesem Fall bedeutet er nichts.
Dale McConathy war als Redakteur bei der Zeitschrift „Harper´s Bazaar“ für die Rubrik Gedichte zuständig. Er wollte den Zettel als Gedicht veröffentlichen. Ich nannte ihn Figurative.Er sollte noch einmal abgetippt werden und als Zahlenreihe ohne Endbetrag gedruckt werden. Er wurde als „objet trouvé“ (=gefundenes Objekt; berühmtes Beispiel in der Geschichte der objet trouvé ist Duchamps ´Fountain´ , ein Urinoir. Objet trouvé : von den Dingen der Dinge, greift auf Heideggers Reflexion über Kunst und Sprache zurück; das Kunst als Dichtung gilt. ) gedruckt, mit Rändern, die sich von der übrigen Seite abheben. Er erschien mit einem Titel und einem Namen, dem Format entsprechend, das in dieser Rubrik üblich war. Was die Werbung betrifft, die mit Figurative in der Zeitschrift auf derselben Seite erschien, so war es ein Zufall, das Figurative ausgerechnet mit diesen Anzeigen erschien, mit einer Werbung für Tampax-Tampons und einer Werbung für den Comfort Curve-Büstenhalter von Warner. [...]

Dan Graham , Werke 19965-2000 Ausstellungskatalog, S. 93


1966:
Titel: Schema

[...] Schema für eine Serie von Seiten, die als ein System untereinander abhängiger Varianten in verschiedenen Zeitschriften und Katalogen als einzelne Seiten veröffentlicht werden sollen. In jedem Fall einer Veröffentlichung wird es durch den Herausgeber einer Zeitschrift, die es publiziert, in seine endgültige Form gebracht, so wie es sich selbst definiert. In jedem spezifischen Falle sollten die exakten Daten den spezifischen Fakten der veröffentlichten Erscheinungsform entsprechen. Das folgende Schema ist vollkommen willkürlich. Auch jedes andere hätte verwendet werden können. Auslassungen, Hinzufügungen oder Veränderungen aus räumlichen Gründen oder aus Gründen der Aufmachung können vom Herausgeber vorgenommen werden. [...]
For Publication 1975, o.S.
Schema erhält seinen Wert aus der Abhängigkeit von seiner Umgebung auf der zweidimensionalen Oberfläche (oder Medium), wo es erscheint. End Moments 1969, S.44
Andere Beobachtungen zu Schema, Auszüge:
[...]Es wird weder eine künstlerische noch sonst eine vom Verfasser autorisierte Erkenntnis zum Ausdruck gebracht. Das Werk unterläuft den Markt. Über seine jeweilige aktuelle Erscheinung im Druck oder über die allgemeine Veröffentlichung hinaus, ist Schema ohne jegliche Abhängigkeit von Materialien verfügbar und unterläuft somit das ökonomische System der Galerie. Es ist jedoch nicht „Kunst um der Kunst“ willen. Sein Medium ist In-formation. [...]1969/1973


1966:
Titel: Homes for America

In den Monaten nach der Schließung der John Daniels Gallery fing Graham an, im vorstädtischen New Yersey (bei seinen Eltern), New York City und Staten Island farbige Schnappschüsse zu machen.
Homes for America wurde als Diaprojektion und Artikel für Arts Magazine konzipiert.
Fotografien vom Leben in der Vorstadt, der Artikel als Parodie auf eine soziologische „Feldstudie“, wie sie z.B. damals in Zeitschriften wie Esquire erschienen und die Banalität der Vorstädte thematisierte.

Diaprojektion, ca. 20 35-mm Dias und Karusellprojektor, Ausstellung „Projected Art“, College Museum of Art, 8.Dez. 1966 – 8.Jan. 1967
[...] Erst in jüngster Zeit hat mit der minimalistischen Reduzierung des Mediums auf den Bildträger, der selbst als Objekt angesehen wird, die Fotografie ihr Thema finden können. Wegen ihres ebenen durchsichtigen, serienmäßigen Raums habe ich Farb-Diapositive als ein solches Gerüst für Kunst verwendet und 1965/66 eine Serie von architektonischen Reihungen aufgenommen.[...]
End Moments 1969,S. 34

Titel: Homes for America
Artikel für Arts Magazine, erste Veröffentlichung 1966 – 67
Reihenhaussiedlungen in großem Maßstab bilden die neue Form der Stadt. Sie sind überall zu finden. Weder entwickeln sie besondere Charakteristika der Region noch eine spezifisch eigene Identität.

[...]Jedes Haus einer solchen Siedlung besteht aus einer leicht konstruierten Schale. Die Standardeinheit ist ein Kasten oder auch eine Serie von Kästen. Hat ein solcher Kasten ein steiles, schräges Dach, so wird er „Cape Cod“ genannt. Ist er länger als breit, so nennt man ihn „Ranch“. Ein zweigeschossiges Haus heißt „Colonial“. Besteht es aus zwei aneinandergrenzenden Kästen, deren einer etwas höher steht, so heißt es „Split Level“....
Eine Siedlung besteht aus einer begrenzten, festgelegten Anzahl von Hausmodellen. So werden z. B. für „Cape Coral“, einem Projekt in Florida, acht verschiedene Modelle inseriert:

A Sonata E The Prelude
B The Concerto F The Serenade
C The Ballet G The Nocturne
D The Ballet H The Rapsody
Zusätzlich wird hierzu eine Auswahl aus acht Außenfarben angeboten:
1 Weiß 3 Nickel
2 Mondstein-Grau 4 Seeschaum-Grün
5 Rasen-Grün 7 Korallen-Rosa
6 Bambus 8 Colonial-Rot
Da im allgemeinen die Farbseite unabhängig von der Modellserie variiert wird, könnte ein Block aus acht Häusern, in dem vier Modelle und vier Häuser zur Anwendung kommen, achtundvierzig mal achtundvierzig, oder 2034 mögliche Arrangements aufweisen.[...]
Ausgewählte Schriften 1994, S. 26/27

[...]In meinem Artikel ´Homes for America`, der im Arts Magazin erschien, treten an die Stelle der Fakten alle Informationen (als fotografisches und typografisches Schema) als vom Leser abstrahierte Information.[...] End Moments 1969, S. 42
[...] Homes for America war einem konventionellen Artikel sehr ähnlich. Der Artikel ist um Fotografien von Vorstadtreihenhäusern angelegt. Wichtig ist dabei, daß die Fotos nicht für sich allein betrachtet werden, sondern als Teil das gesamten Zeitschriften-Layouts mit dem Artikel. Sie sind Illustrationen zum Text ,oder, umgekehrt, der Text funktioniert im Bezug zu den Fotos und modifiziert dadurch deren Bedeutung. In meinen Augen ist das Wichtigste an Homes for America, daß es am Schluß nur ein Zeitschriften-Artikel war und keinerlei Kunstwerk-Charakter für sich in Anspruch nahm.[...]

Ausgewählte Schriften 1994, S. 26/27

1969:
Titel: Sunset to Sunrise

(16 mm Farbfilm)
[...]Dieser Film wird von einer sich dauernd bewegenden Kamera aufgenommen. Sie geht aus von einer Position, in der sie auf die an der Horizontlinie untergehende Sonne gerichtet ist und bewegt sich aus dieser Stellung in einer langsamen Spirale allmählich aufwärts bis zur Spitze des Himmels. Diese Spirale beschreibt nach und nach das an dieser Stelle gegebene Feld der Oberfläche des Himmels. Am folgenden Morgen wird bei Sonnenaufgang an demselben geografischen Ort eine umgekehrte Spirale in Abwärtsdrehung von rechts nach links laufend aufgenommen, die an der Spitze beginnend, mit einer Einstellung auf der am Horizont aufgehenden Sonne endet...
Für den Betrachter, der den Film sieht, wird die ständige Bewegung in der Zeit, die kinästhetisch gelesen werden kann, mit der Identität des Kameramannes in eins gesetzt.[...]

Ausgewählte Schriften, 1994, S. 35

Sunset to Sunrise wurde auch als Standfoto-Version nach dem gleichen Prinzip realisiert. Eine Reihe von 160 Aufnahmen wurden am 21. und 22. September 1969 in Nova Scotia im Abstand von jeweils 6 Sekunden und einer Drehung von 18° in der Position zur Sonne, beginnend mit Sonnenuntergang gemacht.


1970:
Titel: Roll

(zwei Super-8 mm-Farbfilme, auf 16 mm vergrößert)
[...]In diesem Film ist die Kamera ein unbewegliches Objekt, unabhängig vom Filmer (allerdings innerhalb seines visuellen Feldes), wohingegen eine zweite Kamera unmittelbar auf den Boden gesetzt, nachdem mit einem Blick durch ihren Sucher eine Position festgelegt worden ist, welche die Ausdehnung des Bildes links und rechts begrenzt. Daraufhin bringt der Darsteller seinen Körper in eine Position, in der seine Kamera zu der starren Kamera frontal parallel liegt und an der linken Seite seines Suchers begrenzt ist. Während dann beide Kameras filmen, rollt der Darsteller, die Kamera am Auge, bis zur rechten, Bildbegrenzenden Ecke im Sucher der starren Kamera, ständig im Bestreben, seine Kamera/Augen auf die Position der anderen Kamera und ihre Aufnahmeposition auszurichten und zu zentrieren.
[...]
Die beiden Filme werden für eine simultane Vorführung auf zwei gegenüberliegende parallele Wände in Augenhöhe projiziert.
[...]Betrachtet man nun das Bild, das aus der Position der Körper-Feedback-Schleife aufgenommen wurde, so sieht man ein beständig rotierendes Bild, der Körper erscheint gewichtslos. Hingegen zeigt die Aufnahme der objektiven Black Box Kamera den Körper von außen als ein Objekt, das sich unter Berücksichtigung der allgemeinen Schwerkraft orientiert und versucht, gegen eine statische parallele Kraft anzugehen, die das muskuläre/skelettäre Gerüst des Körpers in die Horizontale niederdrückt.[...]
Ausgewählte Schriften, 1994, S. 38-39

Ein ähnlicher Versuchsaufbau wurde als Performance aufgeführt. Auf einem Podest rollt sich die Person in einem bestimmten Bewegungsradius in Augenhöhe vor dem sitzenden Publikum. Die Kamera ist über ein Kabel mit einem Monitor verbunden. Der Monitor steht hinter dem Publikum. Die Kamera wird so lange wie möglich auf das Bild des Monitors gerichtet. Das Ergebnis auf dem Monitor ist ein Bild-imBild-imBild-Feedback.


1970/1972:
Titel: Body Press

(zwei 16mm Farbfilme)
[...]Zwei Kameraleute stehen in einem sie umgebenden , völlig verspiegelten Zylinder. Während ihre Körper unbeweglich bleiben, führen ihre Hände jeweils eine Kamera, mit der Rückseite flach gegen die Oberfläche ihres eigenen zylindrischen Körpers gedrückt, in langsamen Rotationen um diesen herum. Eine erste Rotation umschreibt den Umfang des Körpers, jede folgende windet sich in einer Spirale allmählich abwärts. In den aufeinander folgenden Rotationen werden die Felder der Körperoberfläche vollständig beschrieben und bedeckt wie von einem negativen Model, bis die Rückseite der Kamera die Augenhöhe (Blick des Kameramannes durch die Kamera) erreicht hat. Daraufhin beginnt eine umgekehrte, rückwärts laufende Bewegung, bis der Ausgangspunkt wieder erreicht ist. Die Rotationen sind in ihrer Geschwindigkeit aufeinander abgestimmt: wenn beide Kameras auf dem Rücken gedreht werden, werden sie ausgetauscht und wechseln den Besitzer, somit wechselt die Identität der Kamera „die Hände“ und folglich handhabt jeder Darsteller eine neue Kamera. Die Kameras haben verschieden Maße und Gewichte.[...]
Ausgewählte Schriften, 1994, S. 39 - 41


1974:
Titel: Opposing Mirrors and Video Monitors on Time Delay

(Zwei Spiegel, zwei Videokameras und zwei Bildschirme mit Zeitverzögerungsmechanismus)
erste Ausstellung: Palais de Baux-Arts, Brüssel, Mai 1975,ebenfalls in Stl. Lawrence University, Canton, New York
[...]Jede dieser von der Videokamera kontinuierlich aufgezeichneten Ansichten erscheint erst fünf Sekunden später auf dem Monitor des gegenüberliegenden Raumes.[...]
Basel 1976, S.33


1974:
Performer/Audience Sequence

„Ich stehe dem Publikum gegenüber. Ich fange an, mich – meine äußeren Merkmale – zusammenhängend zu beschreiben, obwohl ich in Richtung des Publikums blicke. Ich mache das während ungefähr acht Minuten. Dann beobachte und beschreibe ich acht Minuten lang phänomenologisch die äußere Erscheinung des Publikums. Ich höre damit auf und beginne erneut, die Reaktionen des Publikums zu beschreiben.... Das Wechselspiel zwischen den Beschreibungen meiner selbst und des Publikums dauert so lange, bis ich beschließe, dem Stück ein Ende zu setzen.“
„Das geht so weit, daß am Ende der Performance die Definition, die das Publikum von mir projiziert, ihm hilft, sich als Gruppe zu definieren, andererseits zielt die Definition des Publikums, die ich projiziere, darauf ab, den Sinn zu definieren, den ich mir selber gebe."


H. Reichenbach beschreibt das Erlebte so: „Das einzige Erlebte, das man festhält, nachdem man ein Stück Performer/Audience Sequence beigewohnt hat, ist, daß man in Ermangelung von dem Performer oder dem Publikum gemeinsamen räumlich-zeitlichen Anhaltspunkten nichts festgehalten hat. Das Publikum hat keine Zeit, etwas im Gedächtnis festzuhalten, weil seine Koppelung mit dem Performer aus ihm einen Zeitproduzenten macht und nicht einen Zeitbesitzer. Die Feedback-Montage verhindert, daß die Wirkung die Ursache registriert.


1975:
Titel: Two Viewing Rooms

[...] Raum A ist verdunkelt. Er enthält eine einem Stativ aufgesetzte Kamera auf Augenhöhe, die an einer Fläche dem gegenübersteht, was für den Zuschauer wie ein durchsichtiges Glasfenster erscheint. Die Kameralinse beobachtet den anderen Raum, wird aber selber nicht durch den Hintergrundspiegel oder von den ihr im Raum B gegenüberstehenden Leuten gesehen. Raum B enthält zwei einander gegenüberliegende Spiegelwände. Er ist gut beleuchtet. Ein Fernsehmonitor ist vor der Spiegelwand aufgestellt, die Raum A von Raum B trennt. Sein Bild wird von der gegenüberliegenden Spiegelwand reflektiert.[...]
Nova Scotia 1979, S. 39


1976:
Titel: Public Space/Two Audiences

[...] Public Space/Two Audiences war eines von einer ganzen Reihe einzelner Raum-Environments in einem großen Gebäude, in dem auf der Biennale Venedig 1976 eine sorgfältig erarbeitete unter dem Titel Ambiente organisierte Themen-Ausstellung untergebracht war. So wie die Biennale Venedig metaphorisch gesehen als Schaufenster für jüngere Trends in der Kunst fungiert, dient jeder einzelne Raum von Ambiente als Schaufenster für charakteristische Arbeiten einzelner Künstler (wobei jeder Künstler seinen „eigenen“ Raum hat). Gleichzeitig geht man davon aus, daß alle Einzelräume zusammengenommen einen größeren, gesellschaftlich relevanten, verbindenden Standpunkt vertreten: „Ambiente“ (d.h. Umwelt, Umweltbelange).
Public Space/Two Audiences bewirkt eine Umkehrung: Statt eine in ihrem räumlichen Umfeld (dem architektonischen Gehäuse) eingeschlossene künstlerische Produktion (für den Kunstmarkt geschaffene Produkte) zu betrachten, werden die Zuschauer selbst durch die Struktur und die Materialien des „Behälters“ zur Schau gestellt. Die angebliche (künstlerische und formale) Neutralität der verwendeten Materialien (Thermopane, Glas und Spiegel) ist kontaminiert durch ihre sozialen Konnotationen, wenn diese in der realen Welt verwendet worden wären.[...]
„Die Installation bewirkt eine Umkehrung, eine Inversion. Nicht als Betrachter eines Kunstwerks in einem architektonisch geschlossenen Raum, der Galerie empfindet sich der Besucher ,er fühlt sich selber ausgestellt“.




1984:
Titel: Rock My Religion, Video und Textsammlung
(Textsammlung in der deutschen Übersetzung unter dem Titel: „Ausgewählte Schriften“)

Der Film beginnt mit einer Gegenüberstellung der ekstatischen Tänze der Sekte der Shaker mit dem wilden, aggressiven Pogo der Punks. Ausschnitte von Live-Auftritten wichtiger amerikanischer Bands der frühen 80er Jahre wie Sonic Youth, Glenn Banca, Patti Smith und Zitate von Musikern sollen den mystischen, sexuellen Charakter der Rock-Musik belegen.
Erotische Praktiken und Gemeinschaftsrituale dieser Jugendkultur werden vorgeführt.
Graham findet den Ursprung der Rockmusik bei den Shakern, deren ekstatischen Schütteltänze er als eine Reaktion auf die Entfremdung und Entwurzelung des Proletariats im 19. Jh. interpretiert. Ähnliche Schüttelrituale sind auch bei zeitgenössischen Rockkonzerten zu beobachten. Hier werden ebenfalls religiöse Rauschzustände zur Bewältigung einer fremd gewordenen Umwelt hervorgerufen. Die Shaker, eine von der aus der nordenglischen Arbeiterklasse stammenden Ann Lee gegründete puritanische Religionsgemeinschaft, die die traditionelle, auf heterosexueller Heirat basierende Familie ablehnt, zugunsten einer in geschlechtlicher Trennung lebenden familiären Gemeinschaft.

Dan Graham ist Musikfan. Welche Bedeutung Dan Graham der Rock-Musik zumißt, wird aus Sätzen von 1984 deutlich:
“Die Idee, daß Rock echte Avantgarde wurde, verstärkte sich mehr und mehr, daß Rock der Avantgarde in Musik und bildender Kunst ebenbürtig war und daß Rock transzendental wurde, in gleicher Weise wie zuvor schon die Kunst als transzendental galt. (...) Mit anderen Worten: Die Moderne ist jetzt wirklich tot. Die Musik, die Rockmusik, übernimmt nun diese Aufgabe von der bildenden Kunst.“




Part II

Dan Grahams Pavillons


Das architektonische Element des Pavillons hat in der Kunstgeschichte eine lange Tradition.
Dan Grahams Pavillons knüpfen an die altehrwürdige Tradition des Pavillonbaus an, der seinen Ursprung in der klassischen Antike hat, in der Renaissance wiederbelebt wurde und bis heute in vielfältiger Gestalt weiterexistiert, von den Musikpavillons auf Dorfplätzen über Mies van der Rohes Glaspavillon für die Weltausstellung in Barcelona oder Rietvelds Skulpturenpavillon für den Sonsbeed Park.
Einerseits ist der Pavillon von seinem jeweiligen Kontext abhängig, einem Park, einer Stadt, und andererseits verdichtet er diesen Kontext in einem Augenblick zwischen Erinnerung und Utopie . Er ist weder innen noch außen, sondern stellt einen imaginären Schnittpunkt zwischen beidem dar. Ein leerer Pavillon ist eine Hülle, ein reines Objekt, doch sobald er benutzt wird, verwandelt er sich in eine Plattform, wo Bild und Sprache zu einer kulturellen Allegorie verschmelzen.


[...]Historisch gesehen waren die Parks außerhalb der Städte ursprünglich Friedhöfe, die landschaftsarchitektonisch umgestaltet wurden, weil man zur Zeit der Aufklärung die hygienische Situation in den Städten verbessern wollte. Die Friedhöfe und später die Parks, die am Rand oder innerhalb der Städte lagen, waren also utopische Gegenmodelle zur Zerstörung des Stadtinneren. Ich glaube, ich habe begonnen, mich mit Gärten zu beschäftigen, als ich feststellte, daß die ersten Museen tatsächlich Renaissancegärten waren. Aber in Wirklichkeit waren die Parks in der Renaissance, im Barock und im Rokoko ebenfalls Museen. Sie bezogen sich auf Philosophie, auf die politische Allegorie, Dichtung, Naturwissenschaft und Archäologie, auf alle diese Dinge, mit denen sich auch Museen auseinandersetzen.
Der Park war schon immer eine Art utopischer Ort, an den man vor der Zerstörung der Stadt floh. Meine Pavillons sind keine funktionslosen Blickfänge , sondern die rustikale Hütte (nach Laugier) ein Modell für eine bessere Stadt. Ich verwende in den Park-Arbeiten immer Materialien, die in der modernen Stadt zum Einsatz kommen , Zweiwegespiegel, die im Gegensatz zu Einwegspiegeln, wie sie zu Überwachungszwecken eingesetzt werden , immer gleichzeitig transparent und spiegelnd sind und zwischen beiden Zuständen changieren. Die Pavillons stehen immer in einem Verhältnis zur Stadt, so wie der Park in einem Verhältnis zum Stadtplan steht.
Meine Pavillons sind nicht für einzelne Personen gedacht. Sie sind immer für Menschen, die andere Menschen beobachten, die ihrerseits wieder andere Menschen, drinnen und draußen, beobachten.[...]

Dan Graham , Werke 19965-2000 Ausstellungskatalog, S. 15


[...]Meine Pavillions sind in architektonischer Hinsicht benutzbare Räume; provisorische Räume in arkadischer Tradition. Dieser Typus entsteht nach der Aufklärung und ruft die Erinnerung an die ‚einfache bäuerliche Hütte‘ wach, die erstmals von Marc-Antoine Laugier zur Diskussion gestellt wurde. Die ‚bäuerliche Hütte‘, der Aussichtspavillon des 19. Jahrhunderts, der provisorische, von de Stijl und anderen Architekten der Moderne für Ausstellungen entwickelte Pavillons und die heutige städtische Umgebung rekapituliert einen historischen Prozess, der seinen Weg vom französichen Garten bis zum Skulpturenpark nimmt, der doppelte Mythos von Arkadien und dem Garten Eden. Im Rahmen dieser Arbeit werden Materialien und Formen der modernen Stadt (transparentes und reflektierendes Glas und Stahlstützen) in eine ‚natürliche‘ bzw. utopische Umgebung plaziert.[...]

Dan Graham, New Works, New Age, Ausstellungskatalog


Theorie nach Marc-Antoine Laugier:
Marc-Antoine Laugier war franz. Stadtplaner und Theoretiker im 18. Jahrhundert.
Wie Jean-Jacques Rousseau entwarf Laugier sein Modell der „Urhütte“ als Kritik an der Degeneration der modernen urbanen Gesellschaft: Architektur sollte unmittelbar der unberührten Natur entspringen. Die „erste primitive Hütte“ ist das naturgegebene oberste Prinzip für Architektur: „Die einfache, kleine Hütte ist das Modell, auf das alle Wunder der Architektur zurückzuführen sind... Die senkrechten Holzlatten lassen uns an Säulen denken. Die waagerecht aufgesetzten Stücke haben bereits etwas von einem Giebel.“
Die „einfache Hütte“ verstand er als Besinnung auf den Ursprung von Mensch und Architektur in einer Natur, in der die Menschen in Unabhängigkeit und ohne einander zu unterdrücken lebten, auf jenen Zustand, in dem Mensch und Architektur der Natur aufs Engste verbunden waren.

Dan Graham über die Wirkung seiner Spiegelarbeiten:
„Der Betrachter wird sich selbst als Körper bewußt, als wahrnehmendes Subjekt und seiner selbst im Verhältnis zur Gruppe. Es handelt sich um eine Umkehrung des üblichen Verlustes des Selbst, der eintritt, wenn jemand ein konventionelles Kunstwerk betrachtet.“


Mit der Einführung des Spiegels im Barock wurde die bis dahin massive Wand illusionistisch durchbrochen und ein direkter Zusammenhang mit dem Aussenraum hergestellt.
Die Spiegelarchitektur der Pavillons schafft Strukturen, die die Betrachter im Bild mit einem Bild von sich selbst, von anderen und von ihrer Umgebung situieren. Die Menschen bewegen sich durch den Pavillon wie Schauspieler in einer Filmlandschaft. Sämtliche Dinge in diesem Raum – Architektur, Landschaft, Individuum – sind Begriffe in einem Prozeß endloser Reflexion, der von Kultur, Individualität und Identität erzählt. Graham hat seine Pavillons als „psycho-philosophische Modelle“ bezeichnet. Der Spiegel besitzt für Graham eine wesentliche Bedeutung, weil er ihn als Mittel benutzt, um ein Bewußtsein für gesellschaftliche Identifikationen und Identitäten zu schaffen. (Performances). Seine Spiegelräume oder Performances bezeichnet er als Feedback-Vorrichtung, die bestimmte Verhaltensweisen steuert – als ein Über-Ich oder Unterbewußtes für das Bewußtsein und die Reaktion anderer.

1978-82:
Titel: Two Adjacent Pavilions

[...] Die Pavillons können entweder als Skulptur oder als Architektur aufgefaßt werden. Beide Teile sind durch Türen zu betreten, die von innen schließen. Die Innen- und Außenflächen der Zwillingskonstruktion sind mit reflektierendem Zweiwegespiegelglas bedeckt. Bedingt durch die Eigenschaften des Spiegelglases reflektiert die Innen- oder Außenseite, die mehr Licht erhält, während die Seite, die weniger Licht erhält, durchsichtig ist. Ein Pavillon hat eine durchsichtige Glasabdeckung, der andere hat eine lichtundurchlässige Decke, die das Sonnenlicht abhält. Bei Tageslicht verhindert die lichtundurchlässige Abdeckung, daß Sonnenlicht von oben in das Innere des Pavillons fällt. Da der Innenraum im Vergleich zu außen dunkler ist, können Betrachter von außen das Innere des Pavillons nicht sehen, sie sehen ihr eigenes Spiegelbild in der ebenfalls gespiegelten Umgebung. Der Pavillon mit der durchsichtigen Decke läßt hingegen das Sonnenlicht von oben direkt auf die Innenwände fallen. Wenn keine Wolken am Himmel sind und die Sonne scheint, wird also der Innenraum heller, und die Wände reflektieren. Die Außenwände werden in diesem Fall durchsichtig. Die Leute draußen können in den Pavillon hineinsehen, während die Leute innen nur das eigene Spiegelbild und den Innenraum sehen. An einem normalen Tag wechselt mit sich ändernder Bewölkung bei beiden Pavillons ständig die Beziehung zwischen Innen/Außen, Lichtdurchlässigkeit/Spiegelung. [...]
Buildings and Signs 1981, S.31
Erste Ausstellung: documenta 7, Kassel, 1982
Die Pavillons sind heute in der Nähe des Einganges zum Kröller-Müller Museum , Otterlo, Holland installiert. Dieser Ort interessierte Graham vor allem wegen des Rietveld Pavillons in dem Skulpturenpark des Museums.


1989:
Titel: Two-Way Mirror Hedge Labyrinth

[...] Die Arbeit war ursprünglich für Fußgänger gedacht, die eine lange, über eine stark befahrene Straße und über eine Eisenbahngleise führende Brücke überqueren müssen, und sollte als ein Ort zum Ausruhen mit ein oder zwei Bänken angelegt werden. Sie verbindet die traditionelle Landschaft oder die moderne Vorstadt-Landschaft, die durch grenzziehende Gartenhecken charakterisiert wird, sowohl mit transparentem als auch mit Einwegspiegelglas. Auf diese Weise entsteht ein Hybrid mit einer fortwährend sich verändernden Oberfläche, die sich emblematisch auf die Fassaden moderner Bürogebäude und barocker Gartenlabyrinthe bezieht. Der Betrachter sieht Bilder seiner selbst beim Schauen bzw. andere Betrachter, die sich oder wieder andere betrachten.[...]
Nordhorn 1996, S. 44


1989:
Titel: Skateboard Pavilion

Skateboard Pavilion besteht aus einer großen konkaven Zementschale zum Skateboardfahren und einer Überdachung aus Einwegspiegelglas – eine vierseitige Pyramidenform, die im oberen Teil gekappt und dadurch offen ist. Der Pavillon wurde als Attraktionspunkt für die internationale Gartenschau 1993 in Stuttgart konzipiert. Der Vorschlag wurde nicht angenommen der Pavillon nie realisiert.
[...]Die größte Wirkung wird erzielt, wenn sich der Skateboardfahrer der Außen- oder Oberkante der konkaven Schale nähert, zum Himmel bzw. zur Überdachung hochschaut und an deren Unterseite die Kombination einer kaleidoskopartigen Reflecion und eines transparenten Bildes von sich selbst und seiner Umgebung sieht. Die Öffnung im abgeschnittenen Oberteil erzeugt ein diamantähnliches Bild, das ebenfalls auf die Einwegspiegel-Überdachung projiziert wird.[...]
Public/Private 1993, S. 41


[...] Der Baldachin in Form einer gestutzten Pyramide aus Einwegspiegelglas bezieht sich auf den schmiedeeisernen Baldachin aus dem 19. Jh. in dem Park Music Gazebo und, gleichzeitig, auf die ´neo-klassischen´ pyramidenförmigen Dachabschlüsse auf Bürotürmen. Es besteht ferner ein Bezug zu den Spiegelkabinetten auf Rummelplätzen und, ganz allgemein, zu Kaleidoskopen mit ihren diamantenförmigen Mustern. Die Skateboardfahrer sehen ihr Spiegelbild auf dem Baldachin als kaleidoskopisches Muster ihrer selbst, schwerelos schwebend, eins werdend mit dem Himmel. Ein weiterer Aspekt des Werkes ist, daß es zur Anbringung von Graffiti auf eine ´öffentlichen Skulptur´ einlädt.[...]

Two-Way Mirror Power 1999, S.180


1990:
Titel: Two-Way Mirror Triangular

Pavillion mit Shoji Screen, Yamaguchi City, Japan
[...]Die Arbeit ist hybrid. Eine Seite erinnert an die traditionelle japanische Architektur, und zwei Einwegspiegelseiten lehnen sich an die moderne Unternehmensarchitektur an. Während das offene Holzgitter zum Teil als physische Barriere gegen Blicke und den Zugang von beiden Seiten dient, ist die Wirkung des Einwegspiegels aufgrund des psychologischen Wahrnehmungsprozesses des Betrachters optischer, filmischer und halluzinatorischer Art. Ein Einwegspiegel ist reflektierend und durchsichtig zugleich. Der Betrachter innerhalb und außerhalb des Pavillons sieht andere nach innen oder außen blickende Menschen. Er kann sich auf die Blicke anderer Betrachter, aber auch auf das eigene Betrachten in bezug auf die Optik des Pavillons und der Blicke anderer konzentrieren.
Two-way Mirror Triangular Pavilion geht in architektonischer Hinsicht auf die primitive Hütte zurück, ein symbolischer elementarer Schutz aus Baumstämmen und Ästen, die erstmals von Theoretikern des 18. Jh. Als Gegenpol zu dem Durcheinander und der Tücke der entstehenden bourgeoisen Stadt vorgeschlagen wurde. Erinnert aber auch an kleine Holztempel, die in japanischen Tempelgartenanlagen als Meditationsorte dienten. Der Theorie von Marc-Antoine Laugier zufolge, der an Jean-Jacques Rousseau anknüpfte symbolisiert die „primitive Hütte“ die Rückkehr zur Natur in ihrem ursprünglichen Zustand und zu einer Architektur, wie sie erstmals in den Tempeln der griechischen Kultur zum Ausdruck kam. In dem ich eine Seite meiner Konstruktion aus traditionellem Holz und die andere aus Materialien fertige, die allgemein den Eindruck moderner Bürohochhäuser der neuen Stadt vermitteln, wird so ein Hybrid geschaffen. [...]

Yamaguchi 1990, S.10


1991:
Titel: Children´s Pavilion

Dan Graham und Jeff Wall
Architekturmodell in „kindgerechtem“ Maßstab
[...]Children´s Pavilion ist ein öffentliches, am Rande eines Spielplatzes gelegenes Gebäude, das vollständig in einen künstlich aufgeworfenen Hügel integriert ist. Die Grundkonstruktion des Hügels besteht aus Beton. Darin integriert sind miteinander verbundene Treppen, die an einen um die Hügelspitze führenden Weg anbinden. Weite Teile der Außenfläche sind mit Gras bepflanzt. Die Konstruktion wird durch ein Portal in Form eines Dreiviertelkreises betreten. Der Betonboden im Inneren besteht aus drei absteigenden konzentrischen Ringen, die durch Treppenstufen miteinander verbunden sind. Der Ring in der Mitte ist ein Wasserbecken. Auf den zylindrisch gebogenen Außenwänden ruht eine flache Kuppel, deren Mittelpunkt ein Rundfenster bildet. Es besteht aus Einwegspiegelglas in Form einer Viertelkugel, deren konvexe Fläche nach innen gerichtet ist. Die Besucher im Inneren des Pavillons können durch das Rundfenster hinausschauen, und jene, die sich auf dem um die Hügelspitze herum verkaufenden Weg befinden, sehen - wenn sie in den Pavillon hineinschauen – den sich fortwährend verändernden Himmel. Dieser verändert aber auch die Beziehungen zwischen dem Spiegelbild der außen stehenden Menschen und dem Himmel sowie zwischen dem durch die transparente Linse wahrgenommenen Bild von innen stehenden Personen, die nach oben blicken, und den an der Wand hängenden Kinderportraits, die vor unterschiedlichen Himmelsaufnahmen fotografiert wurden. Das Wasserbecken und die Portraits haben den gleichen Durchmesser. Der Durchmesser der Viertelkugel innerhalb des Rundfensters beträgt das Doppelte des Durchmessers der Portraits.[...]
Dan Graham und Jeff Wall, A Guide to the Children´s Pavilion, 1989

Children´s Pavillion´s Grundkonstruktion ist die eines Hügels, durch deren verschiedene Öffnungen ins Unterirdische ein Eindringen möglich ist. Ebenso das Erobern der Spitze des Berges. Das Hügelinnere erinnert an eine Grotte oder Höhle. Ein weiteres typologisches Element des Kinderpavillons ist das Pantheon, ein öffentlicher Tempel und Mausoleum, das dem Gedenken an Gottheiten und Helden und dem Staat gewidmet ist. Im großen Pantheon in Rom befindet sich ein offenes Rundfenster, durch das ein gebündelter Sonnenstrahl direkt einfällt, der im Tagesverlauf durch das Innere wandert. Einen weiteren Aspekt dieser Typologie liefern das Observatorium und das Planetarium. Das Observatorium ist eine Einrichtung, die sich dem optischen Studium des Himmels widmet. Die Gruppe von neun Rondellen zeigt Portraits von unterschiedlicher ethnischer Herkunft. Die Portraits der Kinder der Weltnation befinden sich in runden Rahmen.
[...]Diese Tondoform erinnert an die festlichen und dekorativen Portraits und Gruppengemälde, auf denen häufig Frauen, Kinder und Engel dargestellt sind. Es wird jedoch auch auf Münzen mit ihren eingeprägten Herrscherköpfen Bezug genommen. Die runde Form deutet ebenso auf die Kugel und somit den Kosmos hin, es könnte jedoch auch ein Gummiball gemeint sein, der auf einem Spielplatz durch die Luft fliegt.[...]

Dan Graham und Jeff Wall, A Guede to the Children´s Pavilion, 1989
Children´s Pavilion wurde nie als Außenspielplatz realisiert.


1991:
Titel: Two-Way Mirror cylinder Inside Cube and a Video Salon
Titel: „Rooftop Urban Park Project“
for Dia Center for the Arts , New York
[...]Dieses Projekt hatte zum Ziel, das Dia Center for the Arts in New York City in seiner Funktion als Museum umzugestalten und zu einem Raum sozialer und künstlerischer Begegnung zu verändern, während es gleichzeitig ein autonomes Kunstwerk darstellt. Die Arbeit ist sowohl eine optische Installation als auch eine architektonische Änderung eines vorher ungenutzten Daches, die dem Ausstellungskomplex des Dia Centers eine Reihe neuer Funktionen gibt. Es handelt sich hierbei um einen offenen Dachgarten, um eine Bühne, ein Observatorium, eine Camera obsura, eine optische Installation, eine Video- und Café-Bar, um einen multifunktionellen Aufenthaltsraum. In der Mitte des Daches befindet sich eine erhöhte Plattform, die einem Holzsteg ähnelt und auf der sich ein Einwegspiegel-Zylinder mit einer Tür befindet, durch die der Besucher ins Innere gelangt. Im Innern sieht der Betrachter vor dem Hintergrund des Himmels und des Stadtbildes eine konkave vergrößerte Ansicht von sich, von außen blickt er auf eine konvexe Ansicht seiner selbst. Am Rande der erhöhten Plattform befindet sich ein Einwegspiegel-Kubus. Entwurf und Maße des Zylinders nehmen Bezug auf die hölzernen Dachwassertürme von New York. Er reflektiert über 360° die umliegende Horizontale des Himmels. Der Kubus repräsentiert das städtische Straßennetz der New Yorker Midtown. Meine Arbeit erfordert viele Zuschauer, die bei ständig sich verändernden Sonnen- und Bewölkungsverhältnissen einander, aber auch die eigenen Blicke auf die Kunstwerke wahrnehmen.[...]
Nordhorn 1996, S. 40


Textanhang:
Susanne Reichling: Der reflektierte Betrachter

Dan Grahams „Rooftop Urban Park Project“
Der Weg des Betrachters
[...]Vom Aufstieg zum Dach des Dia Art Center über das flanierende Gehen auf dem Dach bis hin zum Betreten des Pavillons sind für die Besucher eine Reihe von verschiedenen Betrachterstandpunkten möglich, die in einer fast filmischen Reihung aufeinander folgen. Nach dem Aufstieg durch das Treppenhaus, dessen Fenster bereits einzelne Ausblicke auf die umgebende Architektur bieten, erreicht man das Flachdach des Ausstellungsgebäudes. Die meisten Besucher genießen zunächst einmal den panoramatischen Rundumblick. Im Westen sieht man den Hudson River, das gegenüberliegende New Jersey und den Hafenbezirk Chelseas, im Süden weitere Teile des Hafens, eine mit einer Schiffsszene übermalte Werbettafel, den Hudson River und die südliche Silhouette Manhattans.[...]
Textauszug, Zeitgenössische Kunst und ihre Betrachter, Wolfgang Kemp, Jahresring 43, S. 123


1995-96:
Titel: Double Exposure

[...]Dieser Pavillon befindet sich in einer Landschaft mit Bäumen. Der dreieckige Pavillon, der durch eine Schiebetür betreten werden kann, hat zwei Seiten aus Zweiwegespiegelglas, während die dritte Seite aus einem riesigen Cibachrome-Dia besteht. Das Diapositiv zeigt die Landschaft in 50m Entfernung, wie sie von einem Standpunkt innerhalb der Installation aus zu sehen ist. Das Dia wird im Frühjahr kurz vor Einbruch der Dämmerung aufgenommen. Betrachter, die sich innerhalb des Dreiecks befinden, sehen durch das statische Bild des unterbelichteten Dias hindurch die wirkliche Landschaft, die sich abhängig vom Sonnenlicht und von der Tageszeit allmählich verändert. Jedes Jahr, ein Jahr später wird das fotografierte Dia angepaßt, aber mit einem geringen Unterschied zur ursprünglichen Ansicht. Das schafft eine Zeitverzögerung mit einer Fotografie. Betrachter innerhalb des Pavillons sehen übereinander gelagerte prismatische Reflexe, die wiederum von den Zweiwegespiegelflächen reflektiert werden und sich (abhängig von den Lichtverhältnissen draußen) ständig verändern.[...]
Dan Graham: Text für Double Exposure,1995

Der Pavillon soll in einer Umgebung aufgestellt werden, die so beschaffen ist, daß die Fotografie und die Landschaft, deren umrahmte Ansicht sie ist, die Merkmale einer traditionellen, romantischen Landschaft aufweisen, wie in einem romantischen Landschaftsgemälde des neunzehnten Jahrhunderts. Bild und Repräsentation, Gegenwart und Historizität, Kunst und Natur werden dergestalt gegenübergestellt, das sie einen illusionistischen Anblick bieten. Sie sind jedoch nie völlig identisch miteinander, da das Dia nie zur zeitlichen Deckung mit der Landschaft gelangen kann.


1996:
Titel: Two-Way Mirror Triangle with One Curved Side

Installation Lofoten Inseln, Norwegen.
Diese Installation, die der Besucher durch eine Schiebetür an der Seite betreten kann, hat Wände aus Zweiwegespiegelglas. Sie befindet sich an einem Fjord im Norden Norwegens. Die konkav gewölbte Außenfläche bietet einen Panoramablick der gegenüberliegenden Küste, während sie gleichzeitig eine verzerrte Reflexion des vor ihr stehenden Betrachters liefert. Der konvexe Innenraum liefert ein verzerrtes Bild der Gebirgslandschaft in der Ferne, des Pavillons insgesamt und der Besucher, die ihn von innen oder außen betrachten.
Santiago de Compostela 1997, S.172


1989-1996
1989:
Titel: Star of David Pavilion
Anderer Titel: Double Triangular Pavilion for Hamburg,
Fährhausstraße, Außenalster, Hamburg-Uhlenhorst. Architekt: Erik Recke
[...]Das reflektierende Glas an den Pavillonseiten läßt seine gesamte Oberfläche zugleich halbreflektierend und halb transparent erscheinen. Der Pavillon kann betreten werden. Die Menschen im Innern sehen, wie sich die eigenen Spiegelbilder mit Bildern der äußeren Umgebung überlagern. Direkt an der Alster gelegen, spiegelt das reflektierende Glas der Pavillonwände innen und außen das fließende Wasser wieder. Das reflektierende Glas nimmt Bezug auf die Fassaden moderner Unternehmens und Bürogebäude der umliegenden Stadt und vermittelt gleichzeitig arkadische und utopische Aspekte einer angenehmen Parklandschaft. Das überstehende Dach erinnert an die kleinen Restaurants und Imbisse größerer Parkanlagen der 50er Jahre. Die grundsätzliche Form zweier gleichseitiger Dreiecke, die um 45° gedreht übereinander liegen, geht auf die Symbolik der jüdischen und islamischen Religion zurück.[...]
Nordhorn 1996, S. 52-53




1996:
Titel: Star of David Pavilion for Schloss Buchberg, Österreich

Dies ist eine Variation des Star of David Pavilion, Hamburg. Er unterscheidet sich durch ein Wasserbassin, das sich unter der Struktur befindet.
[...] Dieser Pavillon besteht aus zwei übereinandergesetzten gleichseitigen Dreiecken, von denen eines ein Wasserbecken und das andere ein 2,5 m hoher Einwegspiegelglas-Pavillon ist. Der innere Bereich ist mit Wasser gefüllt ( als Weiterführung des Wassers der dreieckigen Becken). Der Betrachter kann das Wasser über Stahlgitter, ähnlich den Gittern in städtischen Bürgersteigen, begehen. Die drei äußeren Wasserteiche in Form gleichseitiger Dreiecke liegen ebenerdig zur Rasenfläche. Der Spiegelglaspavillon ist durch eine Schiebetür betretbar, die sich an einer der Dreiecksspitzen befindet, wo der Betrachter zunächst einen Steinfußboden betritt. Blickt man von der Brücke zum Eingang führenden Schloss, so kann man den Pavillon von oben betrachten und als Ganzes sehen. Von diesem Aussichtspunkt aus verbindet sich das Wasser mit den Einwegspiegeln zu einer komplexen Struktur von kristallinen, vielfachreflektierenden Flächen, die mit den Menschen innerhalb des Pavillons und neben dem Davidstern in Beziehung stehen. Deutlich erkennbar ist, daß die Anordnung auf die Ikonografie des jüdischen Davidsterns verweist. [...]
Nordhorn 1996, S.54-55


1996:
Titel: Star of David Pavilion, Tel Aviv

Diese zweite Variation von Star of David Pavilion, Hamburg, wurde realisiert mit einem Dach aus blauem Aluminium. Sammlung Tel Aviv Museum of Art, Israel.























Hinweis:
Dan Grahams Biografie erscheint in Form eines japanischen Mangacomics, von Yoshihiro Nonomura verfaßt und von Ken Tanimoto gezeichnet.(Mangacomic sowie Text von Susanne Reichling werden als Kopie in den Ordner gestellt)


Literaturnachweis:

Dan Graham , Ausgewählte Schriften, Herausg. Von Ulrich Wilmes, 1994

Dan Graham, Ausstellungskatalog, Werke 1965 – 2000

Dan Graham, Kunst und Architektur/ Architektur und Kunst

Dan Graham, Architecture

Minimal Art, Museum für neue Kunst

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