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4.3 Automatismus der Bilder.

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Automatismus der Bilder. Dieser Zwang entspricht bereits der Bewegung, in der die Bilder zu Markte getragen werden. Sobald sie eine Beziehung miteinander eingehen, sobald sie einander gegenübertreten und austauschen, taucht aus ihnen wie selbstverständlich eine bestimmte Ordnung der Narration auf – nicht anders als die Marx'sche "Warensprache" in der Zirkulation. Und deshalb ist, diesem Zwang zu entgehen, alles andere als selbstverständlich. Er stellt sich ganz im Gegenteil immer neu ein. Wenders berichtet etwa von einem frühen Film, der in wenigen Einstellungen nichts weiter als eine Landschaft mit Zug zeigen sollte. Bereits die Montage völlig heterogener Bilder aber erzeugte, entgegen jeder Absicht, eine bestimmte Narration. "Im Film war der Zusammenhang durch den Schnitt, allein schon die Zusammenstellung dieser Bilder – ihre Reihung oder Kombination zu einer Sequenz – der erste Schritt zum Erzählen. Die Leute würden schon eine sehr weit hergeholte Beziehung zwischen den Bildern als Absicht ansehen, etwas zu erzählen. Doch das war nicht meine Absicht. Ich wollte lediglich Zeit und Raum kombinieren; doch von jenem Augenblick an mußte ich eine Geschichte erzählen. Seither und bis heute besteht für mich ein Gegensatz zwischen Bildern und Geschichten. Als würden sie gegeneinander arbeiten, ohne einander auszuschließen." 37


Um diese asymmetrisch versetzte Beziehung eines Gegensatzes wird es gehen. Sobald die Bilder nämlich in Austauschbeziehungen eintreten, unterliegen sie, ganz unabhängig von jeder Absicht, einer bestimmten Finalisierung. Ihre Bewegung geht einem Ziel entgegen, in dem sie sich erschöpfen. Sie dienen einer Geschichte, sie arbeiten für eine Narration, und immer geht diese Narration mit einer Unterwerfung der Bilder einher, die sie zu "Transportmitteln" für etwas anderes, nämlich den "vollen Sinn" dieser Narration macht. In der Sphäre der Zirkulation oder des Austauschs entsteht – so als seien die Bilder auf sie hin entstanden – eine bestimmte "Geschichte". Und nichts, kein Hinweis, keine Absichtserklärung eines Regisseurs, wird die Bilder davor bewahren können, aus einer solchen Perspektive als bloße Äußerung eines narrativen Codes interpretiert zu werden. – Es sei denn, man könnte die Bilder solchen Automatismen einer Finalisierung entziehen; oder anders: man könnte das Bewegungs-Bild jener Teleologie eines narrativen Sinns entreißen, in dem die vermeintliche Wahrheit des Bildes verbürgt sein soll. In diesem Entzug, in diesem Riß oder Entriß besteht die asymmetrisch versetzte Beziehung des Gegensatzes zwischen Bildern und Geschichten, von dem Wenders spricht; darin arbeiten sie nämlich gegeneinander, ohne sich auszuschließen. Bei Wenders kann es deshalb keinen Automatismus eines Übergangs der Bilder zur Narration geben. "Ich glaube, daß ein Bild eher sich selbst gehört, während das Wort meist in einen Zusammenhang will, eben in eine Geschichte. Bilder haben für mich nicht automatisch die Tendenz, sich zu einer Geschichte zu fügen. Wenn sie ähnlich funktionieren sollen wie Wörter und Sätze, müssen sie erst 'gewaltsam' dazu gebracht, d.h. manipuliert werden." 38 Das Bewegungs-Bild enthält nämlich bereits in sich alle Virtualitäten, die es einer bestimmten narrativen Einvernahme entziehen oder dieser Einvernahme zumindest Widerstand entgegensetzen können. Dieser Widerstand besteht in nichts anderem als der Bewegung "selbst": Bewegung über jedes télos, über jedes Ziel und jede Perspektive eines Stillstands hinaus; Bewegung also, die ihre technischen Transport- und Ausdrucksmittel nicht etwa als "Mittel" behandelt, gerade gut genug, um den Sinn einer narrativen Botschaft zu übermitteln; Bewegung vielmehr, die jede Wahrnehmung, jede Aktion und jeden Affekt mit Virtualitäten durchkreuzt hat, um die Bewegung differieren zu lassen und den Versuch ihrer Finalisierung von innen zu zerreißen. Nicht zuletzt darin besteht der Spieleinsatz, mit dem Wenders die Bilder antreten läßt.

Uploaded Image: pfeil.gif 4.4 Nach vorn und zurück

  37 Wim Wenders: Die Logik der Bilder, ebd., S.69.
38 ebd., S.70.






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