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3.4 Fragen an Deleuze II

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Fragen an Deleuze II.Und doch können "Erstheit", "Zweitheit" und "Drittheit" bei Deleuze nur zu zentralen Zeichenbegriffen werden, indem er sie gegenüber jener Anordnung verschiebt, die sie bei Peirce eingenommen hatten. Erneut taucht damit die Frage nach ihrer "Differenz" auf. Denn einerseits markieren die Zeichen die Beziehungen von Wahrnehmung, Aktion und Relation, indem sie das Intervall adressieren, in dem sie sich die Bilder zueinander und in sich bewegen. Aber noch einmal: wie steht es dann beispielsweise um den Affekt, der dieses Intervall besetzen soll? Wird er es als Strebung, Spannung oder Trieb ausfüllen, einem Tensor gleich, der Intensitätsquanten freisetzt und die Übergänge herstellt?

Deleuze macht aber selbst unübersehbar deutlich, daß die Wahrnehmung nicht nur eine "Erstheit" darstellt, sondern ebenso Wahrnehmung "bleibt", wo sie in andere Bilder übergeht. Sie wird also keineswegs "einen ersten Bildtypus konstituieren, ohne sich in den anderen Bildtypen – falls sie vorhanden sind – fortzusetzen: Aktionswahrnehmung, Affektwahrnehmung, Relationswahrnehmung, etc. Das Wahrnehmungsbild muß demnach als Nullpunkt innerhalb der Ableitung betrachtet werden, die das Bewegungs-Bild vollzieht: vor der Peirceschen Erstheit muß eine 'Nullheit' angesetzt werden. Was nun die Frage 'Gibt es im Bewegungs-Bild außer dem Wahrnehmungsbild noch andere Bildtypen?' angeht, so wird sie von den unterschiedlichen Aspekten des Intervalls beantwortet: das Wahrnehmungsbild empfing die Bewegung auf einer Seite, aber es ist das Affektbild, welches das Intervall besetzt (Erstheit), das Aktionsbild, welches die Bewegung an die andere Seite weitergibt (Zweitheit), und das Relationsbild, welches die Gesamtheit der Bewegung mit all ihren Intervallmerkmalen wiederherstellt (Drittheit, mit der die Ableitung abgeschlossen wird)." 30 Die Einführung dieser "Nullheit" dürfte von außerordentlichem Wert sein. Sie könnte sich als Anschrift dessen, was auf jeder Ebene der Bildtypen fehlt, oder als Differenz eines leeren Platzes vor jeder Platzverschiebung herausstellen. Und könnte man insofern nicht von einer bestimmten "Digitalität" sprechen? Gewiß, dieser Frage wird nur näherzukommen sein, wenn der Kontext aufgesucht wird, in dem Deleuze nach den "analogen" und den "digitalen" Medien und Zeichen fragt. Dieser Kontext setzt insbesondere eine Auseinandersetzung mit den verschiedenen Seiten des Zeit-Bildes voraus.

Vor allem wird dabei keinen Augenblick vergessen werden können, daß jede Reflexion des Verhältnisses von "Analogem" und "Digitalem" Gefahr läuft, die Ordnung der Bilder zu verlassen und eine bestimmte semiologische Ordnung wiederherzustellen. Denn es geht nicht um Semiologien und noch weniger um bloße Techniken oder Technologien. Jeder Glaube, das Digitale könne mit apparativer Zwangsläufigkeit aus der "Krise" herausführen, hätte bereits vergessen, daß es um Differenzen geht, nicht so sehr darum, wie sich diese Differenzen adressieren lassen. Und mehr noch, bereits auf Anhieb: jeder Glaube an das Digitale hätte verkannt, daß es nicht zuletzt das Aktionsbild Hollywoods ist, das sich des Digitalen bedient. Im Terminator II terminieren sich Bilder und Zeiten gleichermaßen, und im Gladiator entfesseln sich digitale Bildwelten nur, um die allzu vertraute Logik der Aktion in einem ebenso gewaltigen wie gewalttätigen Rückgriff auf die "Geschichte" – und zwar im mehrfachen Sinn dieses Worts – wiederherzustellen. Und doch, die "moderne Gestalt des Automaten ist das Korrelat eines elektronischen Automatismus" 31. Und deshalb gibt sich in ihm das Niveau der Auseinandersetzung vor. In ihm könnte die "Krise" des Aktionsbildes nämlich nicht nur eine bestimmte Grenze erreicht haben; sie könnte, wie jede "Krise", ebenso neue Techniken und Technologien hervorgebracht haben, in der sich ein virtuelles "Jenseits" im Innern dieser "Krise" bereits anzeigt. Und deshalb ließe sich das Digitale von hier aus untersuchen, indem danach gefragt wird, was in allen Beziehungen von Bewegung und Wahrnehmung, quer durch Erstes, Zweites und Drittes bereits als "Nullheit" interveniert hat, um jeder Finalisierung der Bewegung und der Wahrnehmung in der "Aktion" und ihrer Narrativität zuvorzukommen.

Uploaded Image: pfeil.gif 3.5 Zeitbrüche

  30 Deleuze II, S.49.
31 Deleuze II, S.339.






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