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1.4 Das Kino Denken

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Dies charakterisiert die Situation, vor der im übrigen nicht nur das Kino steht. Entweder wird es in den neuen Technologien die Möglichkeiten weit reichender Veränderungen ergreifen, oder es wird durch Medien ersetzt werden, die es in sich aufnehmen und verschwinden lassen. Hier wird deshalb der "Ort" absehbar, in dem Deleuze die affirmative Logik eines Kino-Denkens einsetzen läßt. Deleuze weist nicht nur ein Denken des Films zurück, das vom digitalen Code ausgehen würde. Mehr noch oder vor allem macht er die strukturalen Voraussetzungen sichtbar, unter denen das Denken eines "Codes" oder einer Zeichenstruktur hegemoniale Macht über die Bilder gewinnen konnte.
Denn immer sind es semiologische oder aus einer Semiologie abgeleitete Begriffe, in denen sich die Vorherrschaft einer bestimmten Erzähl-Handlung etablieren und als narratives Kapital eines gewissen "Autoren"- Begriffs auf dem Film niederlassen wollte. Zwar macht es einen Unterschied, ob es die Ökonomie großer Medienkapitalien ist, die sich derart des Films bemächtigt, oder ob es der "Autor" ist, der sich im Film auszudrücken und seine Sichtweisen oder Emanzipationen in Szene zu setzen begehrt. Doch immer bleibt dieser Unterschied relativ. Beide Zugänge sind dem Film in gleichem Maß äußerlich, in dem sie ihn instrumentalisieren, und unschwer ließe sich deshalb zeigen, daß jedes Kapital bereits ein "Autor", jede "Autorenfunktion" bereits die eines Kapitals ist. Wo es sich im einen Fall um eine Verwertung handelt, die sich auf einer hohen Stufe industrielltechnologischer Akkumulation realisiert, da ist es im andern Fall der Kleingewerbetreibende, der Kleinbürger im präzisen Sinn, der sich seiner Produktionsbedingungen versichert, um auf den Markt treten und hier einen narrativen oder institutionellen Mehrwert realisieren zu können 3.
Überall werden die Bilder nämlich einem Diktat der Narration unterworfen, das ins Innere der Produktion versenkt wird, um hier ein Regime über die Bilder anzutreten. Die immanenten Schwierigkeiten, die dieser "Semiologie" eines "narrativen Autors" entstehen, deuteten sich jedoch überall auch an – etwa dort, wo sich der Semiotiker Roman Jakobson genötigt sieht, an Augustinus zu erinnern: "Dieser geniale Denker des 5. Jahrhunderts, der fein unterschied zwischen der Sache (res) und dem Zeichen (signum), lehrt, daß neben den Zeichen, deren wesentliche Aufgabe darin besteht, etwas zu bedeuten, Sachen existieren, die man in der Rolle von Zeichen verwenden kann. Eben eine solche Sache (optisch oder akustisch) in ein Zeichen verwandelt, ist das spezifische Filmkunstmaterial." 4
An dieser Verwandlung werden die Schwierigkeiten ablesbar. Denn in welcher Beziehung stehen optische oder akustische "Sache" zum "Zeichen"? Welche Gesetze oder Regeln also kontrollieren die Verwandlung oder Transformation? Und kommt nicht jede Transformationsregel einer impliziten Gewalt gleich, sofern sie nicht, was den Film betrifft, in den Transformationsregeln des Bewegungs-Bilds selbst besteht? All dies veranlaßt jedenfalls Deleuze, sich weit über Jakobson hinaus von jeder linguistisch inspirierten Semiologie abzusetzen. Statt dessen wendet er sich Begriffen und Transformationen einer "reinen Semiotik" zu, die das Kino selbst hervorbringt. Und damit erschüttert er nicht nur ein semiologisches Diktat über die Bilder, das sich im Namen eines Autoren-Kapitals errichten will. Damit generiert er vor allem Begriffe, die auch anderen Versuchen, das Bewegungs- und Zeit-Bild anderen Ordnungen – etwa denen der Ökonomie, der Politik, der Pädagogik oder den medialen Techniken der Kontrolle – zu unterwerfen, Widerstand entgegensetzen.

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  3) Nicht nachdrücklich genug kann deshalb auf das seinerzeit gerade von "Autorenfilmern" in Umlauf gebrachte Mißverständnis hingewiesen werden, dem Walter Benjamins Programmwort vom "Autor als Produzent" ausgesetzt gewesen war. Im Horizont der "proletarischen Revolution" (Benjamin) sollte dem "Autor" mit "Produktion" mitnichten eine sichere Grundlage verschafft werden; vielmehr ging es darum, einen bürgerlichen Begriff des "Autors" im Medium der Produktion selbst radikal zu verschieben: "Seine Arbeit wird niemals nur die Arbeit an Produkten, sondern stets zugleich die an den Mitteln der Produktion sein." (Walter Benjamin: Der Autor als Produzent, Werkausgabe Bd. II.2, Frankfurt/M.:
Suhrkamp 1980, S.696).

4) Roman Jakobson: Verfall des Films?, in: ders.: Semiotik. Ausgewählte Texte 1919-1982, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1992, S.258.






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