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5.4 Einschub: Der Faschismus der Bilder

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Einschub: Der Faschismus der Bilder. Die Genealogie des "Subjekts", sein Auftauchen aus den Ordnungen des Bewegungs-Bilds rührt aus diesem Verbrechen. Und hatte das Denken dieses "Subjekts", von Kants transzendentaler Ästhetik der Zeit als innere Form der Anschauung bis zu Heideggers Analyse des Daseins, jemals etwas anderes gedacht? Nichts anderes als einen "geistigen Automaten" jedenfalls konstruiert auch eine bestimmte Tradition des "europäischen Films", wenn sie ihre Archäologie des "Subjekts" in Bildern der Amnesie, des Traums, der Hallzuniation oder Hypnose einsetzen läßt – von Caligari bis Hitler und darüber hinaus. Um so weniger fällt der "geistige Automat" einfach mit einer Psychoanalyse des Unbewußten zusammen. Zwar mag man in Engführungen von Psychoanalyse und Mediengeschichte rekonstruieren wollen, was es mit der Bewegung, Zeit und Visuellem auf sich hat – wie es in einer von Lacan inspirierten Medienanalyse vorgeschlagen wurde, für die die "Bilderfluchten von Hysterikern oder Visuellen inneres Kino" werden. Doch das Bewegungs-Bild betrifft nicht allein den Film, die Kamera oder das Kino, und schon gar nicht reduziert es sich auf die Verfassung eines "Subjekts", selbst wo es – von Descartes bis Freud – als "gestrichen" gedacht wurde.

Die Kamera ist "allgemeines Äquivalent" aller Mittel des Transports und des Ausdrucks, und darin ist sie "Relais" auch aller anderen Bewegungen, nicht nur jener des Films im engeren Sinn. Zwischen Bewegung und Zeit schreiben sich die Schicksale des "geistigen Automaten" nieder, indem er Zeit im Namen der Bewegung zu kontrollieren, zu beherrschen und sich anzueignen sucht. Alle Bestimmungen technischer und technologischer Geschwindigkeiten, nicht zuletzt auch der militärischen Mobilisierungen und Mobilmachungen finden hier ihren Ort: die Bilder "jenseits" des Kinos, die das Kino durchlaufen und in ihm Ausdruck finden, gewinnen eine Virulenz, die Kino und Krieg miteinander verschweißt. Und dies eröffnet im 20. Jahrhundert Schauplätze einer neuen Auseinandersetzung und eines anderen Kampfes um Bilder. Unablösbar von "der Bewegung" – und zwar einer "Bewegung" im mehrfachen Wortsinn, die nämlich alle Konnotationen der Mobilisierung und Mobilmachung erfaßt – setzt sich in der Bewegung etwas in Szene, was Zeit in der Bewegung stillstellen soll. "Das Verdienst von Kracauers Von Caligari bis Hitler liegt in dem Aufweis, wie das expressionistische Kino den Aufstieg des hitlerschen Automaten in der deutschen Seele reflektierte." 70 Die Kamera hätte wie in einem allgemeinen Äquivalent alles zum Vorschein gebracht, was die Bewegung in eine äußerste, katastrophische Krise treibt – und das gilt vor allem auch "politisch". Auf die Krise des "Subjekts" antwortet ein Immanentismus der Gemeinschaft (Jean-Luc Nancy), der das "Subjekt" mobilisiert, doch unter Vorzeichen eines Stillstands der Zeit, und dieses "Subjekt" deshalb in politischen "Totalitarismen" wiederherstellt, die nicht zuletzt den Films durchlaufen. Bewegung nämlich, in der sich die Zeitlichkeit zu bannen sucht und die sich deshalb selbst als Wahrheit eines blutigen Mythos ebenso hervorbringen wie stillstellen will – oder Hitler als Konkurrent Hollywoods: "die Massenkunst und die Behandlung der Massen, die nicht getrennt werden durfte von der Wandlung der Massen zum wahrhaften Subjekt, ist der Propaganda und der staatlichen Manipulation verfallen: einer Art Faschismus, der Hitler mit Hollywood und Hollywood mit Hitler vereinigte. Der geistige Automat wurde zum faschistischen Menschen." 71Was machte diese Wendung aus, weshalb war sie in bestimmter Hinsicht sogar in sich konsequent? Und wie wäre einer Verwandlung des geistigen Automaten in den faschistischen Menschen zuvorzukommen? Jeder "Totalitarismus" findet seinen Ausgang im Angriff auf die Zeit. In ihm will sich zum Abschluß gebracht haben, was den Anderen im Kristall der Zeit erscheinen läßt. Und stets verbindet der "Totalitarismus" deshalb die Behauptung eines "wahrhaften Subjekts" mit einem fanatischen Kampf gegen das Virtuelle. Deshalb verschiebt sich mit dem nationalsozialistischen Einschnitt alles. Zwar stand mit dem Film nie eine bloß harmlose Unterhaltungstechnik zur Diskussion, und zwar ebenso wenig, wie es unschuldige Bilder gäbe oder eine Auseinandersetzung mit Fragen von Bewegung und Zeit eine bloß akademische Veranstaltung sein könnte. Doch wenn das 20. Jahrhundert der Mobilität eine bisher unbekannte Dimension gegeben hat und in der Mobilmachung eine unerhörte zerstörerische Kraft freisetzte, dann beschränkt sich der Film – von Caligari bis Hitler – nicht darauf, diese Gewalt nur in Bilder zu fassen. Er treibt die Prinzipien der Mobilmachung auf die Spitze. Als Bewegungs-Bild, das den Krieg gegen die Zeit eröffnet hat, erstarrt es gleichsam in sich selbst, sofern es selbst die Zeit als "indirektes Zeit-Bild" voraussetzt. Die Zerstörung der Zeit läßt auch der Bewegung nur die Perspektive, sich selbst zu zerstören. So wird der Film, bereits bei Leni Riefenstahl, zum Medium, in dem sich die Essenz der Bewegung ebenso bündeln wie zerstören ließ. Nur deshalb kann sich bei ihr das Neue der Bewegung mit einem verabscheuungswürdigen Auftrag paaren; und wohl deshalb kommt Deleuze immer wieder darauf zurück, daß sich die "Krise" des Aktionsbildes, auch wenn sie sich überall bereits ankündigte, nach 1945 unübersehbar wird. Die Frage des "direkten" Zeit- Bilds tritt gerade im Kino unabweisbar hervor – je nach dem allerdings, auf welche Milieus sie trifft. Denn wie kündigt sich die Frage nach dem Bewegungs- und Zeit- Bild neu an, und zwar "nach" dem Faschismus, "nach" dem Krieg? "Warum zuerst in Italien, noch vor Frankreich und Deutschland?" 72 Italien habe sich eben relativ frei von Illusionen auf einen unterirdischen Widerstand gegen die faschistische Unterdrückung berufen können, im Unterschied zu Frankreich, wo die Résistance zunächst, wie in einer mythischen Wendung, zunächst zu einer regulären Befreiungsarmee hatte gemacht werden müssen. All dies aber nur, um von Deutschland schweigen zu können... Dies erklärt zwar nicht die Genialität der frühen Rosselini- Filme, wie Deleuze hinzusetzt. Doch es charakterisiert die Milieus, in denen eine dispersive, eine lückenhafte Realität wie aus bruchstückhaften Begegnungen auftauchen konnte, um die Logik des Aktionsbilds in Frage stellen.


Uploaded Image: pfeil.gif 5.5 Vorweg der Zeit

  69 Friedrich Kittler: Grammophon–Film–Typewriter, Berlin: Brinkmann & Bose 1986, S.214.
70 Deleuze II, S.337.
71 Deleuze II, S.215.






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